Wirtschaftsjournalist sieht "starken konkurrierenden Kampf" um Schwarzgelder

Leo Müller im Gespräch mit Katrin Heise · 23.03.2009
Nach Einschätzung des Wirtschaftsjournalisten Leo Müller ist die Schweiz auch vom Schwarzgeld abhängig. Das Land kämpfe mit anderen Ländern um diese Gelder, sagte Müller nach der Diskussion um den deutschen Finanzminister Peer Steinbrück in den vergangenen Tagen.
Katrin Heise: Die europäischen Steueroasen sollen bekämpft werden, aber bitte ohne Kavallerie. Die Artgenossen sind verärgert über den deutschen Finanzminister und seine ungebührliche Wortwahl in Sachen Bankgeheimnis. Wir wollen die Schweizer und ihr Verhältnis zum Steuergeld besser verstehen, und dabei hilft uns jetzt Leo Müller, Wirtschaftsjournalist und Buchautor. Ich grüße Sie, Herr Müller!

Leo Müller: Guten Morgen, Frau Heise!

Heise: Mal zum Überblick: Wie viel Geld liegt denn nun eigentlich auf Schweizer Banken?

Müller: Also von privaten Kunden, die ihr Geld direkt als Kontoinhaber oder über Stiftungen und Briefkastenfirmen usw. hier halten, sind das etwa 2000 Milliarden Schweizer Franken oder zwei Billionen Schweizer Franken.

Heise: Das ist eine ganze Menge, wie viel davon ist Schwarzgeld?

Müller: Sicherlich eine ganze Menge. Man muss einfach davon ausgehen, dass viele Kunden - denken wir auch an Kunden in Ländern unter schwierigen Verhältnissen, aus politischen Diktaturen usw., aus Asien, aus Lateinamerika – hier ihr Geld hinbringen, weil sie sich politisch hier wohler fühlen und da sicherlich auch nicht die Steuern bezahlen.

Heise: Das heißt, wenn man jetzt mal so Schätzungen abgibt, wie viel Prozent?

Müller: Es gibt verschiedene Modelle, dies zu schätzen, aber niemand weiß es wirklich. Es könnten 40 sein, es könnten 80 Prozent sein. Man kann aber, je nachdem von wie viel man ausgeht, davon ausgehen, dass es auf jeden Fall ein wirtschaftlich bedeutsamer Haufen Geld ist.

Heise: Ja, und das bedeutet auch, dass die Schweiz quasi abhängig ist von Schwarzgeld. Was heißt das aber für die Schweiz?

Müller: Zunächst einmal heißt das wirtschaftlich für die Schweiz, dass sie in diesem Geschäft mit anderen Konkurrenten, konkurrierenden Finanzplätzen, um diese Gelder und um diese Kunden weiterhin kämpfen wird. Sie wird also versuchen wollen, dieses Geld - ob es deklariert ist oder nicht - zu behalten.

Und es gibt einen wirtschaftlichen starken konkurrierenden Kampf zwischen Ländern wie Großbritannien, aber auch den USA um diese Gelder. Man muss einfach auch wissen, dass die Briten und unter britischer Krone sehr viele solcher Gelder versteckt werden. Zum Beispiel die British Virgin Islands, die britischen Jungferninseln, die unter der britischen Krone stehen, haben 700.000 Trusts und Stiftungen, das ist zehnmal so viel wie zum Beispiel Liechtenstein. Und auch in Dallaware in den USA gibt es eine halbe Million Briefkastenfirmen, mit denen sie viel einfacher als in der Schweiz ein Konto eröffnen können.

Heise: Dann wird das aber mit der Lockerung des Bankgeheimnisses diese Konkurrenz ja quasi noch schwerer zu bestehen. Hans Vontobel, dem Schweizer Privatbankier, von dem hat man neulich einen Satz gehört, der sagt, er sei überzeugt davon, dass die Schweiz attraktiv bleibt, selbst wenn das Bankgeheimnis nicht mehr so ist wie heute. Wie sehen Sie das?

Müller: Das ist sicherlich so, denn die Schweizer Banken haben eine große Tradition. Sie verstehen sehr viel von diesem Geschäft, von der Vermögensverwaltung. Und es gibt natürlich sehr viele Banker, denen es auch lieber wäre, wenn ihre Kunden in ihrem Heimatland das Geld versteuern, dann hätten sie es sicherlich einfacher im Umgang mit den Kunden.

Heise: Jetzt ist das Thema Bankgeheimnis und Offenlegung ja auch nicht neu. Wie vorbereitet sind die Schweizer Banken eigentlich?

Müller: Es ist eigentlich schon so, dass vor 20 Jahren in den Großbanken schon darüber nachgedacht worden ist und auch Strategien entwickelt worden sind für den Tag nach dem Bankgeheimnis, also man wollte nie abhängig davon sein.

Und man hat auch viele andere Bereiche bei einer Bankenwelt, die große Gewinne und Erträge abwerfen. Das heißt, die Schweiz ist darauf innerlich schon lange vorbereitet, aber man wollte dieses Geschäft natürlich nicht aufgeben, bevor es nicht auch die anderen aufgeben.

Und nun haben wir weltweit eine Bewegung, dass viele Länder sagen - das sind zunächst Erklärungen -, sagen, dass sie das abschaffen wollen. Und viele in diesen Finanzplätzen schauen natürlich jetzt aufeinander, wer macht den ersten Schritt, und es will keiner einen nachteiligen Schritt gehen in dieser Konkurrenzsituation.

Heise: Das heißt, Sie sehen, dass die Schweizer Banken eigentlich ganz gut vorbereitet sind. Wie steht’s um die Auslandsbanken, die ansässig sind in der Schweiz?

Müller: Die Auslandsbanken haben sehr speziell dieses Geschäft betrieben - Geschäft für die Kunden aus ihrer eigenen Heimat und denen Schwarzgelder angelegt. Das gilt für deutsche Großbanken, das gilt im Übrigen auch für deutsche Landesbanken in Luxemburg und in der Schweiz. Die sind besonders stark getroffen von einer Änderung und werden sicherlich große Einbußen haben.

Heise: Sie haben es ja auch schon angesprochen, es geht nicht unbedingt nur um Schwarzgeld beispielsweise aus Deutschland, es geht auch um Vermögen von Diktaturen, die dort gebunkert werden. Wie steht’s darum?

Müller: Da hat die Schweiz eigentlich sehr lange und sehr früh aufgrund gravierender Erlebnisse einen gesetzlichen Schritt getan, dass dies nicht mehr erlaubt ist. Das wird strengstens bestraft und ist auch seit Jahren nicht mehr vorgekommen, während wir aber nach wie vor erlebt haben in den vergangenen Jahren, dass zum Beispiel Gelder vom chilenischen Diktator Pinochet in Washington lagen und auch in London und Gelder dort auch nicht zurückgegeben worden sind oder nicht aufgeklärt worden sind.

Heise: Also da würden Sie sagen, da hat die Schweiz auch schon ihre Hausaufgaben gemacht?

Müller: Da hat die Schweiz ihre Hausaufgaben längst gemacht und andere noch nicht.

Heise: Die Schweiz und das liebe Geld, unser Thema im Deutschlandradio Kultur mit dem Wirtschaftsjournalisten Leo Müller. Kommen wir mal zur Mentalität: Wieso hat der Schweizer offenbar kein so rechtes Unrechtsbewusstsein, was hinterzogene Steuergelder auf Schweizer Konten betrifft, gibt es da kein Gerechtigkeitsempfinden?

Müller: Das stimmt nicht ganz, dass es da kein Unrechtsbewusstsein gibt. Es gibt ein völlig anderes Steuersystem, das sehr viel mit dem Erlebnis der direkten Demokratie zu tun hat.

Steuerhinterziehung wird auch in der Schweiz bestraft, aber im Verwaltungsverfahren, nicht in einem Strafgerichtsverfahren. Das ist ein großer Unterschied im Verfahren, aber es wird auch bestraft. Dieses Recht gilt nun im Moment auch für ausländische Kontoinhaber.

Was jetzt passiert, ist, dass man für die ausländischen Kontoinhaber sozusagen ein Sonderrecht einführt und hier Regeln, wie sie in den Industrieländern gelten, einführt, aber für die Schweizer Bürger bleibt alles beim Alten. Das heißt, ein Schweizer Bürger hat ein Steueramt und einen Staat, der für ihn da ist und nicht umgekehrt. Das heißt, das Verhältnis des Bürgers zum Staat ist so geprägt, dass der Staat eine Serviceeinrichtung ist. Eine Regierung ist dazu da, die Entscheidungen, die direkt demokratisch an der Urne gefällt werden, umzusetzen und nicht für irgendwelche Machtspielchen und das Aufblähen großer Bürokratien da.

Heise: Das hört sich ja fast so an, als ob die Schweizer gerne Steuern zahlen?

Müller: Das ist auch so, vereinfacht gesagt. Das heißt, die Zufriedenheit der Steuerzahler ist weltweit unerreichbar. Das rührt daher, wenn Sie sich einfach mal vergegenwärtigen, wie das Steuerzahlen in der Schweiz funktioniert: Sie zahlen von ihrem Einkommen Steuern das Jahr über keine Steuern, wenn das Jahr abgelaufen ist, füllen Sie ein Steuerformular aus, ein ganz simples, einfaches Formular, das haben Sie in zwei bis drei Stunden erledigt. Sie brauchen dafür keine Steuerberater, es gibt in der Schweiz kaum Steuerberater.

Das reichen Sie ein, und dann bekommen Sie vom Steuerbeamten, der heißt hier Steuerkommissär, bekommen Sie einen Steuervorschlag zugeschickt. Dieser Steuervorschlag ist der Vorschlag des Steueramtes, wie hoch man Sie besteuern möchte. Man kann daran erkennen, dass die Proteste der Bürger ganz gering sind gegen diesen Steuervorschlag. Innerhalb von vier Wochen muss er das akzeptieren oder ablehnen oder darüber diskutieren. Und wenn er ein Problem mit seiner Steuererklärung hat oder nicht weiß, wie er bestimmte Dinge zu behandeln hat, dann ruft er nicht einen Steuerberater an, sondern seinen Steuerkommissär, der ist für ihn da und der erklärt ihm auch zu seinen Gunsten, wie er diese Steuererklärung ausfüllt.

Heise: Über wie viel Prozent sprechen wir da eigentlich? Sind die Steuern in der Schweiz besonders niedrig?
Müller: Die sind sicherlich sehr viel moderater, die Schweiz ist keine Steueroase, sie besteuert die Menschen. Es gibt hier auch eine Vermögenssteuer, schon lange – etwas, worüber in Deutschland immer wieder merkwürdig diskutiert wird –, aber das gibt es schon lange in der Schweiz. Aber dennoch wird der Bürger nicht geschröpft.

Das heißt, wenn ich mal vergleiche: Ein durchschnittlicher Gutverdiener, also jemand, der etwas besser verdient in Deutschland mit ungefähr 64.000 Euro, zahlt etwa 31 Prozent Einkommenssteuer. Das ist im Übrigen 13 Prozent mehr als 1990.

Das heißt, das, was Politiker reden von Steuerentlastungen, scheint irgendwie nicht so ganz zu greifen in Deutschland. In der Schweiz ist es so, wenn ich jetzt jemand nehme, der ähnlich viel verdient, Bruttoeinkommen 100.000 Franken, Sie geben das in ein kleines Formular beim Steueramt Zürich ein, wenn Sie in Zürich wohnen, da tragen Sie ein, verheiratet, zwei Kinder.

Und nach 30 Sekunden Wartezeit bekommen Sie Ihr Ergebnis. Sie zahlen 19 Prozent Steuern, Sie geben dem Bund 824 Franken, dem Kanton Zürich 2900 Franken und der Gemeinde Zürich 3450 Franken, also insgesamt etwas über 7000 Franken zahlen Sie an Steuern. Und das meiste davon landet bei Ihrer Gemeinde. Das heißt, wenn Sie in Ihrer Stadt oder in dem Dorf, in dem Sie wohnen, Ihre Steuern abgeben, dann wissen Sie, was damit passiert. Und als Bürger entscheiden Sie auch darüber, was mit diesem Geld passiert, und Sie entscheiden auch darüber, wie viel Steuern die Gemeinde braucht und wie viel die Bürger ihr gönnen.

Heise: Und Sie gehen nicht in die Gemeinde, wo es weniger Steuern zu zahlen gilt, weil sie dann sparen könnten?

Müller: Das gibt es schon, es gibt einen Wettbewerb zwischen den Gemeinden und den Kantonen. Und Gemeinden, die niedrige Steuern anbieten können, sind lukrativer als andere, logischerweise. Das heißt, es gibt ein großes Interesse der Politiker in den Gemeinden und Städten, ihre Ausgaben diszipliniert niedrig zu halten – und das ist auch hier keine hohle Phrase, sondern das ist tatsächlich so.

Und Sie müssen auch davon ausgehen, dass Politiker hier nicht mit großen Staatskarossen unentwegt herumfahren, sondern im Zweifel, wenn Sie am Wochenende einen Termin haben, mit ihrem privaten Pkw oder eben mit der Straßenbahn anfahren. Und wenn sie den Parkautomaten nicht richtig bestücken, gibt es einen kleinen Volksaufstand. Sie gehören zum Volk, und sie haben sich auch entsprechend zu benehmen.

Heise: Also die Schweiz bleibt offenbar eine Oase. Unser Thema heute im Deutschlandradio Kultur mit dem Wirtschaftsjournalisten Leo Müller. Herr Müller, ich danke Ihnen recht herzlich!

Müller: Bitteschön!