Wirtschaftshistoriker Hartmut Berghoff

Der Auf- und Abstieg deutscher Firmen

35:38 Minuten
Hartmut Berghoff
Wirtschafts- und Sozialhistoriker Hartmut Berghoff beschäftigt sich mit Familienunternehmen. © Privat
Hartmut Berghoff im Gespräch mit Katrin Heise · 08.10.2020
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Wie sind wir das geworden, was wir sind – nämlich eine der führenden Industrienationen? Für den Wirtschafts- und Sozialhistoriker Hartmut Berghoff sind es auch die Unternehmen, die den Weg Deutschlands prägen. Und das nicht immer positiv.
Wirtschaftsgeschichte ist langweilig? "Das sollten Sie nie denken", sagt Hartmut Berghoff und fügt hinzu: "Gerade mit Familienunternehmen tritt Ihnen das pralle Leben entgegen. Da spielen Emotionen eine Rolle, die Zurücksetzung von Kindern, Streit ums Erbe."
Man müsse nur auf Firmen wie Bertelsmann, BMW oder Aldi schauen, alles Familienunternehmen, wie 90 Prozent der Betriebe in Deutschland, so der Wirtschafts- und Sozialhistoriker. Und Hartmut Berghoff muss es wissen, denn der Professor an der Georg-August-Universität in Göttingen beschäftigt sich seit Jahren mit Familienunternehmen.

Mundharmonikas: kein zeitloses Produkt

Derzeit untersucht er die Firmengeschichte des Keksfabrikanten "Bahlsen". Angefangen hatte Hartmut Berghoff mit der Firma "Hohner", ein Unternehmen, das vor allem für die Herstellung von Mundharmonikas bekannt wurde.
"Da haben Sie auch den Aufstieg und den Niedergang. Weil Mundharmonikaspielen, das macht nur eine kleine Szene. Bis in die 50er-Jahre hat jedes Kind eine Mundharmonika. Aber die haben es nicht geschafft, ein neues Produkt zu bekommen. Der Seniorchef hat gesagt: 'So lange es Kinder gibt, werden wir Harmonikas verkaufen.' Da hat er sich ziemlich geirrt."
Solche Abstiege, das muss der Wirtschafts- und Sozialhistoriker zugegeben, lassen ihn nicht kalt. "Man ist da nicht völlig distanziert. Man trifft ja auch die Menschen. Ich mache ja häufig Interviews mit Zeitzeugen. Das ist dann schon manchmal bewegend, wenn man sieht, wie nahe denen das geht." So traf Hartmut Berghoff ein ehemaliges Familienmitglied der Firma Hohner, er war Mitglied des Vorstands. Bewusst hätte man ihm Papiere vorenthalten, um die bedrohliche Situation des Unternehmens zu verschleiern. Als er 50 Jahre später durch Hartmut Berghoff davon erfuhr, "konnte er nicht mehr schlafen".

NS-Vergangenheit war lange ein Tabu

Nicht alle Unternehmen wären darauf erpicht, die eigene Geschichte aufzuarbeiten, so Hartmut Berghoff. Wenn sie sich darauf einlassen, wie zum Beispiel Bahlsen, würde es um die Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit gehen.
"Bis in die 80er-Jahre war das eigentlich tabu. Dann kamen die ersten Studien über die Deutsche Bank und Mercedes-Benz. Dann entstand auch so ein Druck von außen, von Investoren, von Medien."

"Über private Dinge schreibe ich nicht"

Um sich seine wissenschaftliche Unabhängigkeit zu bewahren, schließt Hartmut Berghoff bei Auftragsarbeiten Verträge mit den Firmen ab, die diese garantieren, erzählt der Historiker.
"Aber man muss natürlich aufpassen, dass man keine Betriebsgeheimnisse verletzt. Und wenn ich private Dinge erfahre, die für das Unternehmen nicht so entscheidend sind, dann schreibe ich das nicht."
(ful)
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