Wirtschaftsfaktor Kind

Von Kostas Petropulos · 21.11.2008
Die Welt erlebt nicht nur eine Finanz-, sondern steht vor einer tiefen Wirtschaftskrise. Und Deutschland wird es nach Lage der Dinge voll treffen. Schließlich lebt unsere Ökonomie mittlerweile fast zur Hälfte von ihren Exporten. Zwischen 1991 und 2007 sind sie von rund 26 Prozent auf mittlerweile 47 Prozent des Bruttosozialproduktes angestiegen. Diese rasante Entwicklung ist die Antwort auf die schon lange abflauende Binnenkonjunktur.
Ihre zentrale Ursache liegt zwar auf der Hand, wird aber dennoch öffentlich kaum diskutiert: Es ist das demographische Tief, das dieses Land seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts erlebt. Der Kinderschwund ist zwar schon länger ein Thema, aber nur mit Blick auf die sozialen Sicherungssysteme und den drohenden Arbeitskräftemangel. Von den massiven Folgen für unsere Volkswirtschaft ist indes selten die Rede.

Fakt ist: Die anhaltend niedrige Geburtenrate bedeutet, dass wir unterm Strich rund zwölf Millionen Kinder weniger haben, um die demographische Balance zu halten. Diese Kinder hätten ernährt, großgezogen und gebildet werden müssen – hätten also für Nachfrage im Inland gesorgt. Gegenwärtig geben Eltern und Staat insgesamt fast 300 Milliarden Euro jährlich für den Nachwuchs aus. Befänden wir uns im demographischen Gleichgewicht, wäre es jedoch ein Drittel mehr.

Dieses eingesparte Geld, die sogenannte "demographische Rendite", ist ja nicht weg. Gesellschaft und Staat verbrauchen sie nur für andere Zwecke. Beispielsweise für die unlängst noch gut verkauften, aber wenig klimaförderlichen Luxuslimousinen auf S-Klasse-Niveau oder den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Ein anderer, vermutlich noch viel größerer Teil dieser Demographie-Rendite dürfte als anlagehungriges Kapital auf den Finanzmärkten der Welt herumvagabundieren. So verzeichnete Deutschland allein im letzten Jahr einen Netto-Kapitalexport von weit über 200 Milliarden Euro. Ein Rekord.

Vor diesem Hintergrund bietet die aufkommende Weltwirtschaftskrise unserer Gesellschaft die Chance, endlich umzusteuern. Weg von der manischen Export- und hin zu einer neuen, zukunftsfähigen Binnenorientierung. Einer Binnenorientierung, die neben einer ökologischen Erneuerung vor allem die Förderung des gesamten Nachwuchssektors in den Mittelpunkt stellt.

Der Handlungsbedarf ist längst erkannt. Etwa bei der Bekämpfung der seit Jahrzehnten steigenden Armut von Kindern. Und als ob das noch nicht genug wäre, zeigt sich der Staat gegenüber diesen Kindern auch noch besonders knauserig. So ist mit den Hartz-IV-Gesetzen der Regelsatz gegenüber der alten Sozialhilfe um rund zehn Prozent abgesenkt worden. Wäre er bedarfsgerecht, dann hätte allein der Bund Mehraufwendungen von zehn Milliarden Euro jährlich zu tragen.

Nicht viel besser ergeht es den Kindern erwerbstätiger Eltern. Trotz der seit 2002 kräftig gestiegenen Lebenshaltungskosten hat die Regierung bis heute weder die steuerlichen Freibeträge noch das Kindergeld erhöht. Dank einer besonderen Rechentechnik bestand dafür angeblich kein Anlass. Erst ab 2009, im Wahljahr, soll es nun einen kleinen Aufschlag geben. Die Kindergelderhöhung für die ersten drei Kinder von 154 auf 200 Euro, so wie sie die Union bereits 2005 diskutiert hatte, würde rund acht Milliarden Euro kosten. Sie gilt immer noch als utopisch.

Oder die laufende Krippenoffensive. Bund, Länder und Kommunen wollen in den nächsten fünf Jahren dafür rund zwölf Milliarden Euro aufwenden. Dabei soll ein Drittel der neuen Betreuungsmöglichkeiten gar nicht in Krippen, sondern bei Tagesmüttern entstehen. In den Krippen selbst wird sich am gegenwärtigen, unzureichenden Personalschlüssel nichts ändern.

Oder im Bildungsbereich. Zwar träumt die Kanzlerin von der Bildungsrepublik Deutschland und will zusammen mit den Ländern den Anteil der Bildungsausgaben auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2015 erhöhen. Das wären bis zu 25 Milliarden Euro mehr im Jahr. In diese Erfolgszahl fließen indes nicht nur die Milliarden ein, die in den Ausbau der Krippenbetreuung gehen. Ihr Wert relativiert sich zudem noch durch eine andere Zahl. Außerdem müsste unser Staat in den nächsten zwölf Jahren rund das Doppelte investieren, um den Fachkräftemangel abzuwenden.

Kurz: Regierung und Parlament sind gefordert, sich nicht nur mit Blick auf die Banken von ihren überholten Grundsätzen zu verabschieden. Angesichts des aufkommenden wirtschaftlichen Sturms ist es unumgänglich, Wirtschaft- und Gesellschaftspolitik konsequent auf die Förderung des gesamten Nachwuchssektors auszurichten. Dabei würden nicht nur viele neue Arbeitsplätze entstehen. Es wären auch solche, für deren Produkte nicht erst noch millionenschwere Werbekampagnen gestartet werden müssen. Und am Ende könnten dabei sogar noch mehr Kinder geboren werden, denen wir allen neue Entwicklungschancen zu bieten hätten.

Kostas Petropulos, Publizist, 1960 in Dresden geboren, studierte Deutsche und Geschichte in Tübingen. Seit 1987 als freier Journalist vor allem als Autor von wirtschafts- und familienpolitischen Themen hervorgetreten. 1995 Mitbegründer des Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit, das er seit Ende 1996 leitet.
Kostas Petropulos
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