Wirtschaftsexperte plädiert für Pflegepauschale

Moderation: Leonie March |
Der Wirtschaftsexperte Bernd Raffelhüschen hat einen Systemwechsel in der Pflegeversicherung gefordert. Die Finanzierung sei durch einen umlagefinanzierten Generationenvertrag schlichtweg nicht möglich, sagte Raffelhüschen. Er befürworte die Einführung einer Pauschale.
March: Ohne Reform ist die gesetzliche Pflegeversicherung in etwa zwei Jahren pleite. Das prognostizieren Experten. Auch deshalb steht die Reform als Aufgabe im Koalitionsvertrag. Gestern trafen sich die Minister der Ressorts Gesundheit, Familie und Verbraucherschutz Schmidt, von der Leyen und Seehofer zu ihrer inzwischen dritten Gesprächsrunde und es war nicht die letzte, denn sowohl das Grundkonzept der Reform als auch die Finanzierung sind noch umstritten. Am Telefon begrüße ich nun Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft in Freiburg. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter anderem Mitglied der so genannten Rürup-Kommission. Guten Morgen, Professor Raffelhüschen!

Raffelhüschen: Guten Morgen, Frau March!

March: Die Kassen der gesetzlichen Pflegeversicherung sind bald leer. Ulla Schmidt aber nennt die Debatte über die Beitragssätze verfrüht und möchte weiter über die Qualität der Pflege sprechen. Drängt nicht langsam die Zeit?

Raffelhüschen: Dass die Beitragssätze tatsächlich steigen, hat man ja schon bereits im letzten Jahr gesehen, denn wir haben eine Beitragssatzerhöhung gehabt für Kinderlose. Selbst die hat es nun nicht gebracht, dass wir einigermaßen wieder im Lot sind mit der Finanzierbarkeit. Nun ist es allerdings so: Das geht auch gar nicht, denn die Pflegeversicherung ist von Anfang an ein Generationenvertrag gewesen, der eingeführt worden ist in dem Wissen, dass die Generation, die ihn erfüllen soll, gar nicht da ist. Denn jeder wusste damals, dass der Pillenknick schon bereits 30 Jahre alt war. Deshalb wir werden immer mehr Pflegebedürftige haben und hier nicht doppelt so viele wie bei der Rente, sondern fast dreimal so viele, die von zirka drei Viertel der heutigen Beitragszahler zu finanzieren sind. Das ist durch einen umlagefinanzierten Generationenvertrag schlichtweg gar nicht möglich.

March: Aber müssen die Koalitionsparteien deshalb nicht langsam Nägel mit Köpfen machen?

Raffelhüschen: Die Zeit drängt, denn der Punkt ist der, dass wir für die Reform der Pflegeversicherung im Grunde genommen einen Teil von dem Einführungsgeschenk, das den heutigen Pflegefällen gemacht worden ist, wieder zurücknehmen müssen. Denn das muss man sehen: Die heutigen Pflegefälle sind zwar sicherlich bedauernswerte Menschen, nur bezahlt haben sie für die Leistungen, die sie bekommen, nicht. Genau deshalb müssen wir bei einer Reform im Grunde genommen die heute Alten und die heute Erwerbstätigen in ein Boot setzen, zur Entlastung eben halt der zukünftigen Generationen.

March: Also ältere Menschen müssen mehr einzahlen als jüngere?

Raffelhüschen: Ältere Menschen müssen mehr einzahlen, als sie heute tun. Heute zahlt ein älterer Mensch im Durchschnitt zirka 200 Euro in die Pflegeversicherung. Er bekommt im Durchschnitt aber 4000. Das heißt, das ist ein krasses Missverhältnis, wo wir die Älteren, mindestens die, die es können, finanziell stärker beteiligen müssen, und wir müssen auch den Jüngeren sagen, mit 1,7 Prozent des Lohnes ist das nicht zu finanzieren. Und die Lohnabhängigkeit ist sowieso falsch, denn dass wir lohnabhängige Beiträge in die Pflegeversicherung einzahlen, ist schlichtweg falsch. Statistisch gesehen, ist nämlich nachweisbar, dass eine Lohnerhöhung nichts zum Pflegefall macht.

March: Die meisten Arbeitnehmer zahlen ja in die gesetzliche Pflegeversicherung ein. Nur etwa 10 Prozent der Bevölkerung sind privat versichert und zahlen wesentlich weniger ein. Die SPD fordert, dass sich das ändert. Sie will die Beiträge der Privaten auch erhöhen, um mehr Geld in die Kassen zu bekommen. Würde das langfristig reichen?

Raffelhüschen: Die Beiträge der Privaten sind so finanziert, dass sie sogar mehr zahlen, als sie heute verbrauchen. Die Privaten machen Rücklagen und genau um diese Rücklagen geht es eigentlich. Wir haben bei der privaten Versicherung ein Kapitaldeckungsverfahren. Das ist genau das Verfahren, was man hätte bei der gesetzlichen auch anwenden müssen. Wir hatten es auch zum Teil, denn auch die gesetzliche Rentenversicherung hatte einen Kapitalstock aufgebaut. Der ist allerdings verbraucht worden. Jetzt, wo der weg ist, wird eben halt der Kapitalstock der anderen herangezogen. Das ist nichts anderes, als wir teilen mal kurz das Geld der anderen, um uns selbst zu helfen. Danach werden die anderen natürlich blasser aussehen.

March: Aber lassen sich die Kosten dadurch überhaupt stemmen?

Raffelhüschen: Das sowieso nicht. Wir können nicht 10 Prozent im Grunde genommen für den Fehler der 90 Prozent heranziehen und dann glauben, dass der Fehler damit behebbar ist. Es ist in der Dimension schlichtweg gar nicht möglich. Sie würden natürlich aber durch die quasi Enteignung dessen, was die Beamten und die Selbstständigen an Rücklagen gebildet haben, schon einigermaßen Luft für einige Jahre in die Pflegeversicherung bekommen und einige Jahre bedeutet mindestens ein bis zwei Wahlperioden. Das ist für die meisten Politiker dann genug.

March: Da hat man dann vielleicht auch Zeit für einen Systemwechsel?

Raffelhüschen: Zeit für einen Systemwechsel hat man, indem man jetzt auf die richtige Karte setzt. Das ist deutlich weniger in die Umlagefinanzierung zu gehen und deutlich stärker auf die Kapitaldeckung. Allerdings warne ich davor, diese Kapitaldeckung beim Staat zu machen, denn dem Staat, also den Politikern, Geld zum Aufbewahren zu übergeben, das ist so ähnlich, als ob man seinem Hund zwei Knochen hinschmeißt und meint, einer ist aber für morgen.

March: Die CDU plädiert ja für eine einkommensunabhängige Zusatzprämie, also eine Pflegepauschale. Ist das das bessere Konzept?

Raffelhüschen: Das ist absolut das bessere Konzept. Wir brauchen die Pauschale deshalb, weil wir die Lohnnebenkosten senken müssen und weil wir wissen, dass eine Lohnerhöhung nicht zum Pflegefall macht. Deshalb war die Lohnbezogenheit von vornherein falsch. Insofern müssen wir auf eine Pauschale hinaus. Allerdings ist natürlich die Frage, wie hoch diese Pauschale ist. Wenn sie nur das deckt, was wir heute ausgeben, dann ist die Pauschale zu niedrig, denn wir brauchen die Rücklagen. Ohne die Rücklagen lasten wir unsere Lasten auf die Schultern unserer Kinder, und da unsere Kinder ziemlich wenig sind, eigentlich sehr, sehr wenig, denn wir haben seit 40 Jahren demographisch gesehen die Situation der deutschen Bombennächte, wissen wir, dass wir da einiges mehr zahlen müssen. Von denen, die heute sagen wir mal 25 oder 30plus sind, ist deutlich mehr abzuverlangen.

March: Nun gibt es ja zu den knappen Kassen noch eine ganze Wunschliste. Die Pflegeleistungen sollen ausgeweitet werden. Im Koalitionsvertrag steht zum Beispiel, dass Demenzkranke besser versorgt werden sollen. Das sind Ausgaben von mindestens einer Milliarde Euro im Jahr. Wie soll denn das bezahlt werden?

Raffelhüschen: Mit der Milliarde wird man sicherlich nicht auskommen, denn die Demenz ist eine ganz, ganz vertrackte Sache. Je älter der Mensch wird, desto exponentiell höher steigt die Wahrscheinlichkeit, als demente Person zu sterben. Genau deshalb haben wir auch einen expandenziellen Anstieg der Demenz in den Pflegefällen. Demente Personen sind sehr lange Pflegefälle. Das heißt, man muss sich das vorstellen: Wir können uns die Leistungen von heute nicht leisten und dann packen wir Leistungen dazu, die sogar noch explosiv wachsen. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

March: An steigenden Beiträgen für die Pflegeversicherung führt also anscheinend kein Weg vorbei. Welche Beitragshöhe ist denn realistisch und auch zumutbar?

Raffelhüschen: Wir dürfen unsere Beiträge nicht erhöhen, denn wenn wir unsere Beiträge immer noch weiter erhöhen, dann wird Deutschland im Wettbewerb um die Globalisierungsgewinner – und wir waren da bislang immer der Gewinnler – weit, weit zurückgeschlagen und wir kriegen ein Argentinien-Problem. Das heißt, wir werden vom fünftreichsten Staat der Welt innerhalb von einer Generation zum 60reichsten Staat der Welt. Genau das ist zu vermeiden, nur indem wir die Lohnnebenkosten senken. Oder anders gesagt: Wir dürfen die Beiträge nicht erhöhen. Wenn wir uns das nicht zu Herzen nehmen und weitermachen wie bisher, werden die Beiträge sicherlich bei vier, mit höchster Wahrscheinlichkeit allerdings bei fünf bis sechs Prozentpunkten anlangen.

March: Der Gesundheitsökonom Professor Bernd Raffelhüschen war das live im Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank für das Gespräch!

Raffelhüschen: Bitte schön Frau March!