Wirtschaftsethiker warnt vor Steuersenkungen

Bernhard Emunds im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Nach Einschätzung des Wirtschaftsethikers Bernhard Emunds gibt es derzeit keinen Spielraum für Steuersenkungen. Entlastungen würden die Staatsverschuldung in die Höhe treiben und Einsparungen im sozialen Bereich erfordern.
Gabi Wuttke: Großes Kino derzeit in Italien beim Gipfeltreffen der G8, G5, G20. Dabei zeichnet sich auch diese Zusammenkunft durch Lippenbekenntnisse aus. Unverbindlich ist die Zusage, dass die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzt werden soll, völlig konturlos bleibt der Kampf gegen die Weltwirtschaftskrise, von einer neuen Weltfinanzarchitektur spricht keiner mehr, von Geld ebenso wenig.

Professor Bernhard Emunds leitet das Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik der Hochschule Sankt Georgen. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Emunds!

Bernhard Emunds: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Nur unverbindliche Absichten wurden kundgetan. Außer Spesen also nichts gewesen?

Emunds: Na ja, man kann natürlich erst mal sagen, dass es nicht schlecht ist, wenn die Regierungschefs einflussreicher Länder sich treffen und versuchen, Politik aufeinander abzustimmen, aber das, was bisher nach außen gedrungen ist, ist natürlich nicht der große Durchbruch, von dem man gesprochen hat.

Wuttke: Kann Realpolitik mehr oder zeichnet sich das, was da in den letzten zwei Tagen zusammengeknüppert wurde, durch Verantwortungslosigkeit aus?

Emunds: Ich glaub’, Realpolitik muss jetzt lernen, mehr zu tun, denn wir haben nach wie vor eine gigantische Finanz- und Wirtschaftskrise, wir haben eine Klimakrise, und wir haben drittens dann auch noch eine Nahrungsmittelkrise. Diese drei Krisen zusammengenommen sind eine enorme Herausforderung, und wenn wir das Zutrauen der Menschen da sehen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die eine faire Wirtschaft beinhaltet und dass sie vor allen Dingen in einer Demokratie leben, die ihre vitalen Interessen wirklich berücksichtigt und aufnimmt, wenn wir dieses Vertrauen der Menschen erhalten wollen, dann muss jetzt Politik wirklich konkrete Beschlüsse treffen.

Wuttke: Aber vor dieser enormen Herausforderung, von der Sie sprechen, scheitert ja auch Barack Obama. Er hat jetzt gestern Abend sich zu Wort gemeldet und gesagt, die G7 sollen ihm bis zum September konkrete Vorschläge vorlegen, allerdings über die Finanzierung der zukünftigen Klimapolitik. Also auch da sind die Erwartungen in einen Mann mit großen Visionen letztlich sehr klein.

Emunds: Ich sehe das so, dass natürlich jetzt der Eindruck entstehen muss, dass man einen Durchbruch hat, nicht, nachdem man den Spielverderber Bush losgeworden ist und jetzt jemanden hat, der wenigstens versucht, konstruktiv mitzuarbeiten, dann ist das natürlich im Klima des Gipfels, nicht im Klima der Welt, ein plötzlicher Durchbruch.

Allerdings kann man das auch so vergleichen, nicht, also wir haben jetzt durch diese drei Krisen eigentlich ne Entwicklung, dass man sagen kann, dass das Haus des industriellen Wachstums, das auf dieser Grundlage ruht, dass das lichterloh brennt, und jetzt haben wir halt die Zustimmung von den USA wie auch von China und Indien, ach ja tatsächlich, es gibt Feuer, ob das jetzt wirklich schon ein Durchbruch ist, wage ich zu bezweifeln.

Wuttke: Also, was wird aus Ihrer Sicht in L’Aquila ignoriert?

Emunds: Ignoriert wird zum einen der Wunsch und die Notwendigkeit eines sozialen Neustarts und zum anderen eben die Notwendigkeit eines ökologischen Neustarts, das heißt, wir haben jetzt durch die Finanzkrise die Aufgabe, unser Wirtschaftssystem so zu verändern, – in den einzelnen Ländern sind das zum Teil natürlich unterschiedliche Maßnahmen – dass die Menschen den Eindruck haben: Ja, tatsächlich, wir werden beteiligt an dieser Wirtschaft, wir können uns einbringen, unser Beitrag ist gefragt, und er wird auch entsprechend entlohnt.

Da haben wir die ganze Debatte in Deutschland etwa um den Mindestlohn und um die Ergänzungen, die der Staat da sozusagen drumherum gruppieren muss. Und auf der anderen Seite haben wir eben die Notwendigkeit, diese Wirtschaft, die wir in die Gesellschaft einbinden, für die ein vernünftiges Naturverhältnis hinzubekommen, und das bedeutet nichts anderes, als dass wir vor allen Dingen mit Blick auf den Klimawandel massive Maßnahmen der Einsparung von Energie, vor allen Dingen der Einsparung eben der Treibhausgase in Gang setzen müssen.

Wuttke: Das heißt also auch für Sie: Weltwirtschafskrise und Klimaschutz sind zwei Seiten einer Medaille?

Emunds: Genau. Wir kommen nur zusammen, wir kommen nur voran in der Bewältigung dieser Krisen, wenn wir sie zusammen sehen.

Wuttke: Sie fordern – das haben Sie gerade gesagt – einen sozialen Politikwechsel. Das klingt schön, aber wir müssen noch mal auf die Realpolitik zurückkommen. Was davon halten Sie denn für tatsächlich machbar und was für eine notwendige Vision, denn der Mensch braucht ja Visionen?

Emunds: Ich glaube schon, dass entscheidend ist jetzt mit Blick auf die Bundesrepublik, ob wir da zu einem Wechsel auch der politischen Regierungsmehrheiten kommen, das heißt, es zeichnet sich ja ab, dass sich die Union und die FDP auf das Ziel verständigen, dass man die Steuern reduzieren will, die Steuern reduzieren angesichts einer massiven Zunahme der Verschuldung des Staates, das natürlich nichts anderes bedeuten als dass man zu großen Einsparungen greifen wird im sozialen Bereich und vermutlich auch im Bereich der globalen Politik der Entwicklungshilfe, der Unterstützung auch des ökologischen Wandels.

Das können wir uns natürlich auf die Dauer nicht leisten, das heißt, wir würden versuchen, eine gute Stimmung … diese Regierung würde versuchen, eine gute Stimmung zu schaffen dadurch, dass sie die Steuern senkt, aber sie würde natürlich auf Kosten kommender Generationen leben, indem sie die Handlungsfähigkeit des Staates entweder infrage stellt oder eben gerade da spart, wo es darum geht, langfristige Ziele, nachhaltige Entwicklung zu realisieren.

Wuttke: Damit ziehen Sie aber Angela Merkel gerade das Ass aus dem Ärmel.

Emunds: Inwiefern? Sie meinen jetzt mit Blick auf die Verhandlungen in L’Aquila oder …

Wuttke: Natürlich. Wir haben es dann mit der großen Kämpferin für den Klimaschutz zu tun.

Emunds: Ja, sagen wir mal, das Bild jetzt nach außen ist natürlich immer noch mal ein anderes als das Bild, das man hat, wenn man sehr kritisch untersucht, was eigentlich die innenpolitische Entwicklung ist.

Wuttke: Und das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe: Wir sind als Bürger aufgefordert, am 27. September eigentlich das zu befördern, was L’Aquila nicht leisten kann?

Emunds: Ja, ich denke, natürlich kommt es in einer Demokratie darauf an, was die Bürgerinnen und Bürger wollen, und das wollen sie in ihrem Wahlverhalten auch entsprechend ausdrücken. Das ist nicht nur in der Bundesrepublik so, sondern das ist weltweit so. Man kann eigentlich auch sagen: Die Krise kann langfristig nur behoben werden, wenn diejenigen, die in die Krise geführt haben, zusammen mit ihren wirtschaftsliberalen Beratern, wenn die abgelöst werden.

Wuttke: Der Appell von Bernhard Emunds, der Leiter des Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik der Hochschule Sankt Georgen im Interview in der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur. Ich danke sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Emunds: Gerne.