Wirkmächtiger Politiker
Literatur über Marcus Tullius Cicero gibt es zuhauf - doch in Zeiten wachsender Politikverdrossenheit wandern die Gedanken beim Lesen dieser Politikerbiographie aus der Endzeit der römischen Republik immer wieder in die Gegenwart.
Die Wirkung des römischen Spitzenpolitikers Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) auf die Nachwelt war immens. Für den Kirchenvater Augustinus stellte Ciceros Dialog Hortensius geradezu die Einführung in die Philosophie dar. Kein antiker Schriftsteller wurde eifriger gelesen als er. Da Ciceros private Existenz in seinem öffentlichen Leben aufging und er in seinen Reden, Schriften und Briefen das politische Leben in Rom mit seiner Biographie verschmolz, wurden seine Werke zu einer einzigartigen historischen Quelle über das Rom der späten Republik. Wer sich für die späte Republik, wer sich für Cäsar, ja selbst für Augustus interessiert, kommt an Marcus Tullius Cicero nicht vorbei. Dementsprechend reichhaltig ist auch das Schrifttum über ihn.
Deshalb stellt jede neue Biographie wie die des spanischen Professors für Alte Geschichte Francisco Pina Polo ein Wagnis dar. Nach der herrschenden Unsitte unserer Mediengesellschaft hätte der Autor mit sensationellen Thesen auftrumpfen müssen, um wahrgenommen zu werden. Dieser Versuchung erliegt Francisco Pina Polo nicht, sondern er entwirft eine Geschichte der letzten Phase der römischen Republik im Gleichnis von Ciceros Lebens. Dieses Vorgehen ist gerechtfertigt, weil es dem Anspruch Ciceros spätestens seit dessen Konsulat 63 v. Chr. folgt, der sein Leben mit den Geschicken der Stadt Rom gleichsetzte.
Francisco Pina Polo vergöttert seinen Helden weder, noch stellt er ihn bloß. Mit Sachverstand und wohltuender Distanz schildert er dessen politischen Scharfsinn und dessen überbordende Eitelkeit und badet nicht in der Ausschmückung der vermeintlichen Sittenlosigkeit Roms. Statt zu spekulieren, lässt der Autor seinen Protagonisten selbst zu Wort kommen, so dass man die Geschichte aus drei Perspektiven sieht: aus der Schilderung der historischen Ereignisse, aus der Analyse der Ursachen für diese Entwicklungen und aus der Sicht Ciceros selbst auf das, was gerade geschieht, wozu er sich verhalten muss, was er ändern, was er erreichen will. Diese Perspektiven zu bündeln, ist ein großes Verdienst der Biographie. Zeitliche Innensicht und historische Draufsicht verschränken sich wirkungsvoll.
Darüber hinaus gelingt Pina Polo etwas, das er sich nicht explizit vorgenommen haben dürfte. In Zeiten wachsender Politikverdrossenheit wandern die Gedanken beim Lesen dieser Politikerbiographie aus der Endzeit der römischen Republik unwillkürlich immer wieder in die Gegenwart. Wie aktuell wirkt da Pina Polos Befund: "Die Unfähigkeit, politischen und sozialen Wandel zuzulassen, führte zur Verschleppung bestimmter Probleme und zu Konfrontationen im Innern der Gesellschaft. Auf diese Weise wurde das Bestreben, das republikanische System um jeden Preis zu erhalten, zu einem der entscheidenden Auslöser seiner Desintegration."
Besprochen von Klaus-Rüdiger Mai
Francisco Pina Polo: Rom, das bin ich. Marcus Tullius Cicero. Ein Leben
Aus dem Spanischen übersetzt von Sabine Panzram
Klett-Cotta, Stuttgart 2010
381 Seiten, 24,95 Euro
Deshalb stellt jede neue Biographie wie die des spanischen Professors für Alte Geschichte Francisco Pina Polo ein Wagnis dar. Nach der herrschenden Unsitte unserer Mediengesellschaft hätte der Autor mit sensationellen Thesen auftrumpfen müssen, um wahrgenommen zu werden. Dieser Versuchung erliegt Francisco Pina Polo nicht, sondern er entwirft eine Geschichte der letzten Phase der römischen Republik im Gleichnis von Ciceros Lebens. Dieses Vorgehen ist gerechtfertigt, weil es dem Anspruch Ciceros spätestens seit dessen Konsulat 63 v. Chr. folgt, der sein Leben mit den Geschicken der Stadt Rom gleichsetzte.
Francisco Pina Polo vergöttert seinen Helden weder, noch stellt er ihn bloß. Mit Sachverstand und wohltuender Distanz schildert er dessen politischen Scharfsinn und dessen überbordende Eitelkeit und badet nicht in der Ausschmückung der vermeintlichen Sittenlosigkeit Roms. Statt zu spekulieren, lässt der Autor seinen Protagonisten selbst zu Wort kommen, so dass man die Geschichte aus drei Perspektiven sieht: aus der Schilderung der historischen Ereignisse, aus der Analyse der Ursachen für diese Entwicklungen und aus der Sicht Ciceros selbst auf das, was gerade geschieht, wozu er sich verhalten muss, was er ändern, was er erreichen will. Diese Perspektiven zu bündeln, ist ein großes Verdienst der Biographie. Zeitliche Innensicht und historische Draufsicht verschränken sich wirkungsvoll.
Darüber hinaus gelingt Pina Polo etwas, das er sich nicht explizit vorgenommen haben dürfte. In Zeiten wachsender Politikverdrossenheit wandern die Gedanken beim Lesen dieser Politikerbiographie aus der Endzeit der römischen Republik unwillkürlich immer wieder in die Gegenwart. Wie aktuell wirkt da Pina Polos Befund: "Die Unfähigkeit, politischen und sozialen Wandel zuzulassen, führte zur Verschleppung bestimmter Probleme und zu Konfrontationen im Innern der Gesellschaft. Auf diese Weise wurde das Bestreben, das republikanische System um jeden Preis zu erhalten, zu einem der entscheidenden Auslöser seiner Desintegration."
Besprochen von Klaus-Rüdiger Mai
Francisco Pina Polo: Rom, das bin ich. Marcus Tullius Cicero. Ein Leben
Aus dem Spanischen übersetzt von Sabine Panzram
Klett-Cotta, Stuttgart 2010
381 Seiten, 24,95 Euro