Wirklich eine neue Welt

Von Thomas Senne · 04.07.2013
Der Arzt, Sammler, Kunstkritiker und Künstler Brian O'Doherty alias Patrick Ireland zeigt in Bayreuth sowohl eigene Arbeiten, als auch amerikanische Kunst nach 1945. Die Schau ist eine assoziative Auswahl aus Werken bekannter Künstler und absolut sehenswert.
Seine Hände sind noch mit Farbe bekleckert, als Brian O’Doherty erläutert, was er unter dem Ausstellungstitel "Art as an argument" versteht. Die Farbspritzer an seinen Händen stammen von letzten Ausbesserungen an seiner aktuellen Bayreuther Auftragsarbeit: einer Mischung aus konstruktivistisch gestalteter Wandfläche und davor gespannten Schnüren, die als Trennlinien fungieren. "Kunst als ein Argument", sagt der 85-jährige, sei ein Zitat von ihm und stamme aus den 60er oder 70er Jahren als Popart, Konzept- und Minimalkunst in Amerika gerade den abstrakten Expressionismus abzulösen begannen. Eine aufregende Zeit, in der er mit Freunden, die später wie er Kunstgeschichte schreiben sollten, immer wieder nächtelang in den New Yorker Ateliers diskutiert hat.

"Wir waren mal wieder zusammen und ich entdeckte innerhalb der Avantgarde sehr starke Spannungen. Damals waren wir die Avantgarde und wir beobachteten uns gegenseitig genau. Wenn wir ein Werk anfertigten, wussten wir, dass die anderen gleich fragen würden: Warum hast du das gemacht? Man musste also schon plausible Gründe nennen. Das war so eine Art Test innerhalb dieser Gruppe und sehr hilfreich für uns. Es machte unsere Arbeiten stärker."

Freundschaftliche Beziehungen unterhielt Brian O’Doherty zu Künstlern wie Robert Rauschenberg oder Dan Graham. Man schenkte sich gegenseitig Werke, die den Grundstock der Sammlung des gebürtigen Iren bildeten und nun in einer repräsentativen Auswahl in der assoziativ gehängten Schau zu sehen sind. Eine popige Lithographie von Roy Lichtenstein ebenso wie Postkarten, die Sol LeWitt mit minimalistischen Gebilden versehen hat. Adressiert waren sie an Barbara Novak, die Frau von Brian O’Doherty. Ein zartes Pflanzenaquarell dokumentiert die künstlerische Versiertheit dieser Amerikanerin, die als eine der berühmtesten Kunstkritikerinnen der USA gilt und von George Segal durch einen jetzt ausgestellten Gipsabdruck ihres Gesichtes verewigt wurde.

"Alles war neu besonders in der Minimal- oder Konzeptkunstszene. Alles war so lebendig. Wir waren in dieser Zeit intellektuell mehr angeregt als in irgendeiner andern Zeit sonst. Es war ein Bruch mit allem. Es war wirklich eine neue Welt."

In der Bayreuther Präsentation ist auch Edward Hopper mit einer Kohlezeichnung vertreten, die einen liegenden Frauenakt zeigt. Denn Brian O’Doherty hatte keine ästhetischen Vorurteile und war durchaus an der älteren Künstlergeneration interessiert. Eine tiefe Freundschaft verband ihn mit Marcel Duchamp, der öfter in Amerika weilte. Kein Wunder, dass der Besucher jetzt etliche seiner kinetischen Objekte bestaunen kann, z.B. auf einer Art Schallplattenspieler rotierende Op-Art-Scheiben. Aber auch ein ungewöhnliches Porträt, das der irische Künstler und Arzt vom Erfinder der Ready-mades angefertigt hat: ein in einem blauen Kästchen steckendes Diagramm mit den aufgezeichneten Herztönen Duchamps.

"Ich sagte eines Tages zu ihm: Ich möchte gern ein Porträt von dir machen! Und er schaute mich an und sagte: O.K. Würdest du bitte ins Schlafzimmer kommen?! Und dann kam er. Und ich sagte: Würdest du dich bitte aufs Bett legen?! Und er legte sich aufs Bett. Ich sagte: Würdest du nun bitte Dein Hemd, Jackett, deine Schuhe und Strümpfe ausziehen?! Ohne zu murren, folgte er ruhig meinen Anweisungen. Ich hatte ein Elektrokardiagramm-Gerät gemietet, um den Herzschlag aufzuzeichnen und befestigte die Drähte an seinen Armen und Beinen. Er war wirklich sehr cool. Und ich sagte nach einer Weile: Vielen Dank für das Porträt! Und er antwortete schlagfertig: Danke - vom Grunde meines Herzens!"

Brian O’ Doherty, der jahrelang nur unter dem Künstlernamen "Patrick Ireland" auftrat - ein Pseudonym, das er aus Protest gegen die Ermordung unbewaffneter Nordiren durch britische Soldaten konsequent bis zum Beginn des irisch-britischen Friedensprozesses verwendete, Brian O’Doherty präsentiert sich in der Bayreuther Ausstellung überaus vielseitig. Mal ist von ihm ein Riesenaquarell von einem prähistorischen Stein mit geheimnisvollen Ritzungen zu sehen, mal kleine, grün bemalte Glas-Labyrinthe. Und ein anderes Mal zeigt der in New York lebende Künstler serielle Spiegelskulpturen - mit feinen Strichen eines frühen Alphabets versehene L-förmige Stelen. Immer aber ist er auf der Suche nach einer persönlichen Note und neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Das macht diese Präsentation zusammen mit den Arbeiten der wegweisenden Vertreter amerikanischer Kunst nach 1945 so interessant. Sehenswert.