"Wir wollten wissen, wie eine Mannschaft funktioniert"

Moderation: Dieter Kassel · 30.07.2007
Der Regisseur Wilfried Oelsner sieht einen neuen Trend hin zu Sportdokumentationen. Man könne schon fast von einem eigenen Genre sprechen, meinte Oelsner. Sein Film "Projekt Gold" über die Handball-WM habe nicht so sehr den Titelgewinn im Auge gehabt als die Frage nach dem Funktionieren einer Mannschaft unter den Bedingungen des Profisports.
Kassel: Sport ist längst nicht mehr nur im Fernsehen ein Quotenbringer, sondern auch im Kino. Mit dem Tour de France-Film von Pepe Dankwart fing es an vor ein paar Jahren, daran will man sich vielleicht jetzt gerade nicht so gerne erinnern wegen der letzten Tour de France, aber den großen Durchbruch brachte natürlich Sönke Wortmanns Film "Deutschland - ein Sommermärchen" und heute nun findet in Dresden vor vermutlich 4.000 Zuschauern die Premiere eines anderen Sportfilms statt. "Projekt Gold" heißt er, "eine deutsche Handball-WM". Am Telefon begrüße ich jetzt den Regisseur des Films, Wilfried Oelsner. Schönen guten Tag.

Wilfried Oelsner: Hallo, ich grüße Sie.

Kassel: Hätten Sie gedacht, dass bei der Premiere dieses Films Ihr größtes Problem sein würde, dass eigentlich wahrscheinlich nicht alle Leute reinkommen können, die gerne reingehen würden?

Oelsner: Ja, das ist natürlich eine freudige Überraschung. Damit konnten wir nicht rechnen, auch wenn wir natürlich gehofft haben, dass der Film gut ankommt und auch wissen wir natürlich, dass es mehr Handballfans in Deutschland gibt als vielleicht immer gemeinhin erst mal angenommen wird, aber dass die Reaktionen und die Resonanz erst mal so gut ist, erfreut uns natürlich sehr und damit hätten wir so in dieser Form auch erst mal nicht gerechnet.

Kassel: Wie optimistisch waren Sie denn vor dem Beginn der Handball-WM und damit vor oder beim Beginn der Dreharbeiten, war zum Beispiel der Arbeitstitel auch schon "Projekt Gold"?

Oelsner: Nein, der Arbeitstitel war nicht "Projekt Gold", beim Dokumentarfilm, das ist ja gerade das Reizvolle daran, weiß man nicht, was passieren wird während der Dreharbeiten, und so war es auch diesmal, und so haben wir uns für den Titel erst ganz zum Schluss entschieden, weil ich finde, er sehr schön das ausdrückt, worum es in dem Film geht und wofür die Mannschaft steht.

Kassel: Hatten Sie denn in irgendeiner Form im Hinterkopf, dass Sie tatsächlich einen Film drehen über Weltmeister, oder haben Sie sich eher vorbereitet auf einen tröstenden Film für den Vorletzten?

Oelsner: Ich habe mich erst mal auf eine Mannschaft vorbereitet, unabhängig vom Ergebnis. Unser Ansatz war zu sagen, wir wollen wissen, wie eine Mannschaft funktioniert, wir wollen wissen, wie Profisport funktioniert, wir wollen wissen, wie sind die Abläufe, wie sind die Hierarchien, welche Charaktere braucht eine Mannschaft? Und natürlich wollten wir auch den Handball, der ja noch nicht so bekannt ist, in den Mittelpunkt stellen, und das war unser erster Ansatz. Wenn die Mannschaft früher ausgeschieden wäre, wäre auch ein Film daraus entstanden, aber dadurch, dass sie Weltmeister geworden sind, haben wir auch ein Happy End.

Kassel: Wie war es denn, so nah ranzukommen an Leute, die - das unterstelle ich mal bei Handballern - doch die Medien und den Umgang damit noch nicht so gewöhnt sind wie die Fußballer? Bei den Fußballern gibt es, gab es auch schon vor der WM in Deutschland, echte Stars. Bei den Handballern, finde ich, gibt es die jetzt auch, wo sie Weltmeister geworden sind, aber vorher ja kaum. Wie war der Umgang mit den Leuten?

Oelsner: Der Umgang war immer sehr, sehr angenehm. Es war so, dass wir unser Projekt der Mannschaft und dem Trainer vorgestellt haben. Dann haben wir eine kleine Testphase vereinbart, ob das funktioniert, weil gerade Heiner Brand, der daran gelegen war, dass die Konzentration der Mannschaft nicht gestört wird durch ein Filmteam, aber nachdem wir diese Testphase abgeschlossen hatten, waren wir eigentlich Teil dieses Teams und die Mannschaft hat gesagt, ihr gehört jetzt auch dazu, wir freuen uns sehr, dass ihr diesen Film macht und sind auch neugierig, was da passiert. Und so war das ein sehr unkomplizierter Umgang und wir haben uns da jederzeit gut aufgehoben gefühlt.

Kassel: Gab es auch Momente wo Sie gesagt haben, okay, die brauchen auch mal Ruhe, ich lass die Kamera mal stecken?

Oelsner: Ja klar, natürlich gibt es solche Momente. Also, es gibt immer wieder Momente wo man merkt, das ist jetzt hier mehr privater Bereich, das hat jetzt mit dem Thema nichts zu tun oder es geht vielleicht um Dritte, die man dann eh nicht kennt - das ist eine Gefühlssache und das ist natürlich auch eine Frage des Vertrauens. Wir wollten keine Schlüssellochperspektive einnehmen und da jetzt nicht penetrant sein, und so macht man die Kamera auch mal aus. Aber es waren jetzt keine Momente dabei, wo wir jetzt irgendwie davongescheucht worden sind oder dergleichen, sondern da kriegt man einfach ein Gefühl dafür und dann klappt das auch ganz gut.

Kassel: Was waren denn bei den Dreharbeiten - und sicherlich jetzt auch am Ende beim Film - so die bewegendsten Momente? Ich meine, sicherlich zum Teil das Endspiel in Köln, das ist klar, aber davon abgesehen, was gab es denn für Momente wo Sie dachten, oha, soviel Emotionalität hätte ich den Profihandballern gar nicht zugetraut?

Oelsner: Die Momente, die für mich besonders eindrucksvoll waren, waren einfach die, wenn Dinge passiert sind, mit denen man so erst mal nicht gerechnet hatte, gerade die unerwarteten Momente, zum Beispiel als die Mannschaft das erste Spiel in der Vorrunde gegen Polen verloren hatte - womit keiner gerechnet hatte, dieser Sieg war fest eingeplant -, da war die Mannschaft wirklich am Boden zerstört und hat einen Tag gebraucht, um sich aus diesem Loch wieder zu befreien. Und das zu sehen, wer da dann das Wort ergreift, wer einen Moment braucht und sich erst mal zurückzieht und wie diese Stimmung dann da auch um sich greift, das war schon hochinteressant zu sehen.

Aber auch andere Momente, zum Beispiel hat der Trainer seine Mannschaft einmal ziemlich zusammengestaucht, als unerlaubt Pizza gegessen wurde abends, womit auch keiner gerechnet hat in dem Moment und ich saß auch, genauso wie die Spieler, einfach in dem Raum und war genauso verblüfft wie, ich glaube, alle anderen. Und das sind natürlich dann auch die Sachen, da freut man sich als Dokumentarfilmer im Nachhinein natürlich um so mehr, wenn man so was dann erleben darf und vor allem auch mitfilmen darf.

Kassel: Es hat jetzt - ich habe es ja mehrmals erwähnt - mehrere erfolgreiche Sportfilme im deutschen Kino gegeben, gut, Fußball-WM, das wäre auch überraschend gewesen, wenn der Film nicht funktioniert hätte, aber war ja ein Riesenerfolg. Der Tour de France-Film war auch nicht erfolglos, es gab noch den Film über die Extremkletterer. Ihrer scheint ja, das merkt man allein am Andrang heute bei der Premiere, auch ein Erfolg zu werden. Glauben Sie, dieser Trend hält an? Können Sie sich noch andere Sportarten vorstellen, die man im Dokumentarfilm abendfüllend begleiten könnte?

Oelsner: Das kann ich mir durchaus vorstellen, weil Sport einfach nach wie vor eine absolut große Faszination ausübt und es gibt ja schon mittlerweile ein kleines Genre fast, kann man das nennen, von diesem Sportdokumentarfilm, auch im Ausland gibt es da schon einige. Von daher kann ich mir durchaus vorstellen, dass es noch andere Sportarten gibt, vielleicht auch mal Basketball. Es hängt immer so ein bisschen von den Events ab. Also, Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, vielleicht auch im eigenen Lande, weil dann auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit um so größer ist, aber man kann auch mal ganz andere Wege beschreiten. Also, ich kann mir das gut vorstellen und würde mir auch gern noch einige andere Sportarten ansehen.

Kassel: Winfried Oelsner über seine Dokumentation "Projekt Gold" über die Handball-WM 2007 in Deutschland, heute Abend in Dresden Weltpremiere um 22 Uhr, der Film wird dann nachts um 12 noch mal gezeigt, weil der Andrang so groß ist, insofern weiß ich nicht, ob ich empfehlen kann, da noch spontan hinzufahren. Aber es gibt weitere Previews in verschiedenen anderen deutschen Städten in den nächsten Tagen, und am Donnerstag ist dann offizieller Deutschlandstart. Auch da ist der Film in allen möglichen Kinos zu sehen.