Wir werden älter, wir werden weniger

Von Martin Tschechne · 27.06.2011
Bald werden Unternehmer das Wissen der Mittfünfziger als Kapital erkennen müssen, auf das sie nicht verzichten können. Die Manager sind gefordert: Sie müssen ein Klima schaffen, in dem Junge und Alte gedeihlich zusammen arbeiten.
Nachrichten aus dem Wirtschaftsleben. Wieder mal hat ein Verlag seine Lektoren vor die Tür gesetzt, um stattdessen freie Mitarbeiter zu beschäftigen – ohne sich als Arbeitgeber zu binden, versteht sich, und für deutlich geringeren Lohn. Und wieder mal hat ein Industrieunternehmen ganze Abteilungen aufgelöst, um die Leistung, wie es so schön heißt, auf dem freien Markt einzukaufen. Bei jungen und flexiblen Arbeitskräften, die ja so viel fitter seien, die so viel wacher auf Strömungen in der Gesellschaft reagierten und so viel energischer an ihrer Karriere arbeiteten. Und die, ganz nebenbei, schon glücklich sind, wenn sie nach lauter Praktika wenigstens mal einen Zeitvertrag bekommen.

Könnte es sein, nur mal so als These hingeworfen, dass der ganze Bohei um neue Zielgruppen und Generationenwechsel in der Wirtschaft nur die schillernde Verpackung einer schäbigen Sparmaßnahme ist? Die obendrein auch noch ziemlich kurzsichtig wäre?

Denn nicht selten folgt böses Erwachen. Dann verkaufen sich die Bücher des Verlages nicht mehr so gut, oder die Abläufe im Unternehmen müssen, wie man so sagt: ein wenig nachjustiert werden. Und dann kommen die geschassten und abgefundenen Alten und freuen sich, für ihre Erfahrung und Routine doch noch ein bisschen Anerkennung zu kassieren.

Der Gesellschaft steht ein tief greifender demografischer Wandel bevor. Das ist keine Kaffeesatzleserei, sondern eine sehr sichere Prognose. Denn viele, die heute als junge Generation gut ausgebildet und erfolgshungrig auf ihre Chance lauern könnten – sind leider gar nicht erst geboren worden. Da fehlt sozusagen eine halbe Generation. Aber alle, die in zehn Jahren in den Ruhestand gehen, sind schon da; Menschen in ihren Fünfzigern, die hoffen, sich noch so lange an Bord halten zu können, bis ihr Arbeitgeber sie in Ehren verabschiedet. Ihre Chance ist, naja, mittelprächtig.

Doch langsam beginnen Manager, sich Gedanken um die gar nicht mehr so ferne Zukunft zu machen. Wer bewahrt das Wissen und die Erfahrung unseres Unternehmens, so fragen sie, wenn die Alten gehen und Junge nicht in ausreichender Zahl nachrücken? Wer tut die Arbeit? Wer entwickelt, baut und vermarktet Produkte, deren Käufer in einer immer älter werdenden Gesellschaft selbst ja auch immer älter werden? Die Bevölkerung von China wird im Jahr 2040 ein Durchschnittsalter von 54,5 Jahren haben. Das ist so wegen der Jahrzehnte lang eisern praktizierten Ein-Kind-Politik. Europa wird nicht wesentlich darunter liegen. Das liegt daran, dass so viele, die heute 30 sind, Sport treiben, sich gesund ernähren, rechtzeitig zum Arzt gehen und – fast wie in China – keine Geschwister haben. Eigene Kinder? Später vielleicht.

Noch sieht es aus wie eine zynische Sparmaßnahme, den Eintritt ins Rentenalter immer weiter hinauszuschieben, gleichzeitig aber immer weniger Menschen zu haben, die den Stichtag in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis erreichen. Bald wird es sich als große Dummheit erwiesen haben. Noch sieht es aus, als sollte einfach nur den arbeitslosen, aussortierten, wegrationalisierten oder hinaus gelobten Mittfünfzigern die Rente noch ein paar Jahre länger vorenthalten werden. Aber es wird nicht lange dauern, bis das Wissen dieser Alterskohorte als Kapital erkannt wird, auf das keiner, der wirtschaftlich bei Sinnen ist, verzichten kann: auf ihre Erfahrung, ihre Loyalität, ihr strategisches Denken, ihr Verantwortungsbewusstsein. Ältere sind eher bereit, so bestätigt die sozialpsychologische Forschung, mit anderen zu teilen. Das gilt auch für ihr Wissen.

Gefordert sind nun die Manager, vor allem die direkten Vorgesetzten. Was sie brauchen, ist psychologische Kompetenz. Da gibt es viel Nachholbedarf. Denn was sie hinkriegen müssen, ist ein Klima, in dem Junge und Alte gedeihlich zusammen arbeiten. In dem jeder gibt, was er beisteuern kann, und keiner sich dabei ausgenutzt fühlt. Demografisch betrachtet, ist eine engere Kooperation unumgänglich. Wenn sie gelingt, wird alles gut. Wenn nicht – dann hat der Vorgesetzte seinen Job verfehlt.

Martin Tschechne ist Journalist und lebt in Hamburg. Er promovierte als Psychologe mit einer Arbeit zum Thema Hochbegabte. Zuletzt erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern im Verlag Ellert & Richter (herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius).
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