"Wir waren sogar Bolschewiki"
Wehler lernte den liberalen, weltoffenen Geist und die neuen Strömungen in der Geschichtswissenschaft als Student in den USA kennen. In Deutschland wurde er von seiner konservativen Zunft teilweise heftig angefeindet.
1949, als die Bundesrepublik gegründet wurde, war Hans-Ulrich Wehler knapp 18 Jahre alt. War in der Nazizeit aufgewachsen, Hitlerjunge gewesen, hatte den Krieg erlebt. Die Bundesrepublik, in die er hineinwuchs, war ein demokratischer Staat, nach der äußeren Form, aber an der bundesdeutschen Gesellschaft haftete noch der altdeutsche Mief, das Obrigkeitsdenken, die vordemokratische Gesinnung. Wehlers Generation hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Fenster geöffnet wurden und frische Luft ins deutsche (respektive: westdeutsche) Haus drang. Dass Demokratie gelebt wurde.
Dazu bedurfte es heftigen Streits über viele Jahre, und einer der streitbarsten war Hans-Ulrich Wehler. Das Feld, auf dem er stritt, war das der Geschichtswissenschaft. Die Historiker in Deutschland waren traditionell besonders staatstragend, besonders konservativ, besonders verschlossen gegenüber Neuerungen:
"Die Ausbildung bei den Historikern war so gottserbärmlich konventionell und altertümlich, dass ich geflohen bin und gedacht habe, das kann keine Schulung sein."
Wie viele andere lernte Wehler den liberalen, weltoffenen Geist und die neuen Strömungen in der Geschichtswissenschaft als Student in den USA kennen: etwa das Zusammenspiel zwischen historischer und sozialwissenschaftlicher Forschung, und so wurde Wehler zum Begründer der historischen Sozialwissenschaft in Deutschland. Das riecht nicht nach Politik und Streit, aber im engen Gehäuse der deutschen Historikerzunft war solch eine Neuerung eine Zumutung:
"Es gab die Dominanz einer ziemlich altertümlichen Politikgeschichte, die sich vor allem auf Diplomatiegeschichte, auf Außenpolitik konzentrierte."
Wehler wurde wütend bekämpft und stürzte sich mit Lust in die Auseinander-setzung, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die westdeutsche Geschichtswissenschaft modernisiert und demokratisiert wurde, dass sie kein monolithischer Block konservativer, in den Kategorien des deutschen Kaiserreiches verhafteter Gelehrter mehr war. Bielefelder Schule nannte man Wehlers historische Sozialwissenschaft – denn Wehler bekam 1971 eine Professur an der neuen Universität Bielefeld. Die Abwehrkämpfe nahmen zum Teil groteske Züge an.
"Natürlich waren wir sofort mindestens Marxisten-Leninisten, auch wörtlich so ausgesprochen, weil wir Sozialgeschichte und Wirtschaft betonten. Oder wir waren sogar Bolschewiki. Oder bei einer Berufungsverhandlung an einer berühmten Universität sagte dann jemand, als er gehört hatte, na ja, Wehler kann man doch nicht holen. Der ist doch Marxist, wenn nicht sogar Bolschewist. Sagt der, nein, nein, es ist viel schlimmer. Er ist Maoist. Er hat nämlich die amerikanische Expansionspolitik in Asien kritisiert. Das tut doch heute nur ein Maoist."
Die historische Sozialwissenschaft verlor zwar in den 80er Jahren an Bedeutung, neue Strömungen kamen auf – aber mit seiner fünfbändigen Deutschen Gesell-schaftsgeschichte hat Wehler ihr ein Denkmal gesetzt.
Bis heute ist Wehler als scharfzüngiger Kommentator aktueller politischer Entwicklungen gefragt. Mit antitürkischen und antimuslimischen Einwürfen sorgt er allerdings für manche Irritationen. Was auch immer dahinter stecken mag: Wehler ist ohne Zweifel einer der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts.
Dazu bedurfte es heftigen Streits über viele Jahre, und einer der streitbarsten war Hans-Ulrich Wehler. Das Feld, auf dem er stritt, war das der Geschichtswissenschaft. Die Historiker in Deutschland waren traditionell besonders staatstragend, besonders konservativ, besonders verschlossen gegenüber Neuerungen:
"Die Ausbildung bei den Historikern war so gottserbärmlich konventionell und altertümlich, dass ich geflohen bin und gedacht habe, das kann keine Schulung sein."
Wie viele andere lernte Wehler den liberalen, weltoffenen Geist und die neuen Strömungen in der Geschichtswissenschaft als Student in den USA kennen: etwa das Zusammenspiel zwischen historischer und sozialwissenschaftlicher Forschung, und so wurde Wehler zum Begründer der historischen Sozialwissenschaft in Deutschland. Das riecht nicht nach Politik und Streit, aber im engen Gehäuse der deutschen Historikerzunft war solch eine Neuerung eine Zumutung:
"Es gab die Dominanz einer ziemlich altertümlichen Politikgeschichte, die sich vor allem auf Diplomatiegeschichte, auf Außenpolitik konzentrierte."
Wehler wurde wütend bekämpft und stürzte sich mit Lust in die Auseinander-setzung, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die westdeutsche Geschichtswissenschaft modernisiert und demokratisiert wurde, dass sie kein monolithischer Block konservativer, in den Kategorien des deutschen Kaiserreiches verhafteter Gelehrter mehr war. Bielefelder Schule nannte man Wehlers historische Sozialwissenschaft – denn Wehler bekam 1971 eine Professur an der neuen Universität Bielefeld. Die Abwehrkämpfe nahmen zum Teil groteske Züge an.
"Natürlich waren wir sofort mindestens Marxisten-Leninisten, auch wörtlich so ausgesprochen, weil wir Sozialgeschichte und Wirtschaft betonten. Oder wir waren sogar Bolschewiki. Oder bei einer Berufungsverhandlung an einer berühmten Universität sagte dann jemand, als er gehört hatte, na ja, Wehler kann man doch nicht holen. Der ist doch Marxist, wenn nicht sogar Bolschewist. Sagt der, nein, nein, es ist viel schlimmer. Er ist Maoist. Er hat nämlich die amerikanische Expansionspolitik in Asien kritisiert. Das tut doch heute nur ein Maoist."
Die historische Sozialwissenschaft verlor zwar in den 80er Jahren an Bedeutung, neue Strömungen kamen auf – aber mit seiner fünfbändigen Deutschen Gesell-schaftsgeschichte hat Wehler ihr ein Denkmal gesetzt.
Bis heute ist Wehler als scharfzüngiger Kommentator aktueller politischer Entwicklungen gefragt. Mit antitürkischen und antimuslimischen Einwürfen sorgt er allerdings für manche Irritationen. Was auch immer dahinter stecken mag: Wehler ist ohne Zweifel einer der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts.