"Wir vermissen die Aufmerksamkeit sehr"

Paul Bendix im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Der Geschäftsführer der Hilfsorganisation Oxfam, Paul Bendix, hat angesichts der Finanzkrise davor gewarnt, die Anliegen der armen Menschen in den Ländern des Südens aus den Augen zu verlieren. Es sei schon überraschend, wie schnell Geld verfügbar gemacht wird, wenn es wie jetzt aus der Sicht der reichen Länder brenne, sagte Bendix.
Jörg Degenhardt: Ich will Sie nicht mit Zahlen erschlagen, aber zwei seien an dieser Stelle erlaubt. Weltweit leiden 923 Millionen Menschen Hunger. Täglich, also auch heute, sterben 13.000 Kinder an den Folgen ihrer Unterernährung. Der 16. Oktober, der Welternährungstag, soll an die Aufgaben aller Staaten erinnern, den Hunger zu bekämpfen. Dazu gleich ein Interview.

Am Telefon begrüße ich jetzt im Programm von Deutschlandradio Kultur Paul Bendix. Er ist Geschäftsführer der Hilfsorganisation Oxfam, die Projekte in über 100 Ländern unterstützt. Guten Morgen, Herr Bendix.

Paul Bendix: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Der heutige Welternährungstag fällt in eine Phase, in der vor allem von der Bekämpfung der internationalen Finanzkrise die Rede ist. Vermissen Sie Aufmerksamkeit für Ihre Anliegen oder etwa für das Schicksal kenianischer Kleinbauern?

Bendix: Allerdings. Wir vermissen sehr die Aufmerksamkeit. Es betrübt uns in zweierlei Hinsicht. Einerseits hat uns schon überrascht, wie schnell Geld verfügbar gemacht wird, wenn es aus unserer Sicht brennt, aus der Sicht der reichen Länder. Und zum anderen betrifft natürlich das, was in der Finanzkrise geschieht, ganz elementar auch arme Menschen in Ländern des Südens.

Degenhardt: Darf ich gleich mal dazwischenfragen. Haben Sie mal ausgerechnet, wie viel Geld nötig wäre, damit auf diesem Planeten kein Kind mehr vor Hunger sterben müsste?

Bendix: Mit dem, was jetzt zur Verfügung gestellt wurde, können wir viele, viele Jahre Hunger und Armut ausradieren. Natürlich nicht für ewig, aber man darf es gar nicht vergleichen. Dann kommen einem die Tränen.

Degenhardt: Wie hat denn die internationale Gemeinschaft bisher überhaupt auf die weltweite Nahrungsmittelkrise reagiert?

Bendix: Bisher sehr unzureichend. Es hat eine Konferenz Mitte dieses Jahres in Rom gegeben, wo über zwölf Milliarden Dollar zugesagt worden sind, und von diesen zwölf Milliarden sind bis heute knapp eine Milliarde zur Verfügung gestellt worden. Nach meinen Informationen sind ungefähr 30 Milliarden benötigt, um sagen wir mal die ersten und wichtigsten Schritte zu tun, um Unterernährung zu bekämpfen.

Degenhardt: Das heißt, verschiedene Staaten haben ihre Versprechungen nicht eingehalten?

Bendix: So ist es.

Degenhardt: Auch die Deutschen?

Bendix: Ich muss Ihnen sagen, ich weiß nicht den letzten aktuellen Stand. Die Konferenz war Mitte des Jahres. Wir haben jetzt Oktober. Dazu will ich mich lieber nicht äußern. Aber generell fehlen halt von 12,3 Milliarden 11,3 und irgendjemand muss es ja sein.

Degenhardt: Woran liegt das? Man kann den Verantwortlichen ja keinen bösen Willen unterstellen.

Bendix: Nein. Es liegt sicher an vielen administrativen Hürden, die getroffen werden müssen. Bösen Willen würden wir auch nie unterstellen, insbesondere nicht den Entwicklungsexperten auch in den reichen Ländern. Es liegt wahrscheinlich an falschen Prioritäten. Es sind immer viele Ansprüche, die an die Geldsäckel der Finanzminister gerichtet sind, und die Armut in der Welt und hungernde Menschen in anderen Ländern haben nicht den stärksten Zug.

Degenhardt: Aber immerhin: Weltbank und IWF, der Internationale Währungsfonds, habe ich gelesen, denken über die Einrichtung eines Fonds nach, um Banken in den Entwicklungsländern mit Kapital zu versorgen.

Bendix: Das finden wir auch sehr gut. Das ist auch sehr wichtig. Wir glauben sowieso, vielleicht mal um einen positiven Dreh zu kriegen, dass die gegenwärtige Finanzkrise auch ihr Gutes hat, weil nämlich Dinge, die die gerade von Ihnen genannte Weltbank und der IWF in den letzten 20 Jahren propagiert haben, aus unserer Sicht direkt beigetragen haben zu der gegenwärtigen Misere, dass fast eine Milliarde Menschen - Sie haben es ja gerade gesagt - unterernährt sind, zum Beispiel dadurch, dass Länder gedrängt wurden, eine Entwicklung zu betreiben, die eben nicht Kleinbauern wie die gerade beschriebenen Bauern in Kenia unterstützt, sondern Exportorientierung auf Teufel komm raus, Marktliberalisierung.

Viele, viele Dinge, die wir schon seit Jahren kritisieren, wurden sowohl von diesen beiden Institutionen als auch von den Geberländern, auch von der Bundesrepublik Deutschland, unterstützt und wir hoffen sehr, dass dort gerade ein Umdenken stattfindet.

Degenhardt: Was lässt sich vielleicht aus den Fehlern der gegenwärtigen Finanzkrise lernen? Es fallen ja immer wieder die Stichworte "Regulierung" oder "Deregulierung". Wie ist das im Bereich Landwirtschaft? Wir haben ja das Beispiel aus Afrika gehört. Was würde dort am ehesten helfen?

Bendix: Da würde auf jeden Fall helfen, dass man das Augenmerk auf den Kleinbauern richtet, dass man die Investitionen nach den allerwichtigsten Bereichen Bildung und Gesundheit als nächstes in den ländlichen Raum lenkt, dass man also Kleinbauern unterstützt bei der Produktion von Nahrungsmitteln. Das ist aus unserer Sicht auch das Allerwichtigste in Bezug auf die Ernährungskrise. Und bei Kleinbauern ganz besonders dann noch mal die Frauen. Das sind ja diejenigen, die bekanntermaßen am effizientesten wirtschaften und die am wenigsten Zugang haben zu den Ressourcen, die benötigt werden.

Degenhardt: Wie oft hören Sie immer noch das Argument, Hilfe dorthin zu geben, etwa zu den Bauern in Afrika, das sei wie Geld in ein Fass ohne Boden zu werfen, und was sagen Sie dazu?

Bendix: Wir hören das Argument oft und wir sagen dazu, das ist schlichter Unsinn. Der Nobelpreisträger des letzten Jahres Mohammed Yunus hat ja nun in der Praxis belegt, wie sinnvoll es ist, Menschen auf dem Land, arme Menschen zu unterstützen, und wie rentabel es ist, wie sinnvoll es ist. Ich glaube, eigentlich darf man so nicht mehr argumentieren, aber natürlich wird das getan.

Degenhardt: Heute ist wie gesagt Welternährungstag, der 16. Oktober. Was konkret, Herr Bendix, fordern Sie von der Bundesregierung?

Bendix: Wir fordern von der Bundesregierung, dass der Rückgang der Investitionen in den ländlichen Raum, in die Landwirtschaft aufhört, dass Entwicklungshilfegelder in ganz verstärktem Maße zur Nahrungsmittelproduktion in armen Ländern eingesetzt werden, und wie gesagt immer zusätzlich zu den aus unserer Sicht ebenso wichtigen Sektoren Bildung und Gesundheit. Diese drei Dinge, Bildung, Gesundheit und Kleinbauernunterstützung, das halten wir für den Schlüssel der Bekämpfung von Armut und Unterernährung.

Degenhardt: Paul Bendix, der Geschäftsführer der Hilfsorganisation Oxfam. Vielen Dank für das Gespräch.

Bendix: Vielen herzlichen Dank.