"Wir vergessen nichts"
Je länger das Ende der DDR zurückliegt, umso verklärter wird sie vor allem von Ostdeutschen gesehen. Standen unmittelbar nach dem Untergang dieses deutschen Teilstaates die dunklen Seiten der Diktatur noch im Vordergrund, prägen heute Erzählungen über das vermeintlich angenehme Alltagsleben und die soziale Sicherheit das Bild.
Diese Verklärung der DDR bestätigte sich auch in einer kürzlich von uns durchgeführten Befragung von über 2000 Berliner Schülern. Von ihnen lehnten knapp zwei Drittel die Aussage ab, in der DDR sei der Alltag für viele durch Diktatur und Überwachung geprägt gewesen. Sogar knapp 60 Prozent der Befragten stimmten zumindest teilweise der Feststellung zu, die DDR-Regierung wäre durch demokratische Wahlen legitimiert gewesen.
Wie vor diesem Hintergrund die noch von der rot-grünen Koalition eingesetzte Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes "Aufarbeitung der SED-Diktatur" zur Diagnose einer "gegenwärtigen Vorrangstellung der öffentlichen Dokumentation staatlicher Repression" und einer Unterbelichtung von Alltag und Gesellschaft kommt, erschließt erst der Blick in die Vorgeschichte. Schon seit Jahren versuchen linke Historiker und Politiker, die von einem Bürgerrechtlerverein betriebene ehemalige Mielke-Zentrale in der Berliner Normannenstraße durch den Einbezug in die Birthler-Behörde ihres weitgehend autonomen Charakters zu berauben. Auch die Gedenkstätte im ehemaligen MfS-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen sollte inhaltlich und personell anders ausgerichtet werden. Nachdem diese Versuche scheiterten, wurde zur Legitimation des Vorhabens, diese authentischen Orte zu entschärfen, eine personell entsprechend zusammengesetzte Kommission eingesetzt. Um ihr Ergebnis nicht politisch, sondern wissenschaftlich begründen zu können, musste sie notwendigerweise eine falsche Diagnose stellen.
Hierauf aufbauend fordern die Experten einen Akzentwechsel bei der Aufarbeitung der DDR, indem Alltag und Gesellschaft durch staatlich finanzierte Forschung in außeruniversitären Einrichtungen und Gedenkstätten noch stärkeres Gewicht erhalten und Gedenkstätten, die Unterdrückung und Verfolgung dokumentieren, nachrangig behandelt werden sollen. Zu diesem Zweck sollen sie verstaatlicht werden und statt politischen einen musealen Charakter bekommen.
Durch den im Papier der Expertenkommission für die Charakterisierung der DDR gewählten Begriff "durchherrschte Gesellschaft" betreiben die Experten selber eine Weichzeichnung der DDR. Da alle Gesellschaften mehr oder weniger "durchherrscht" sind, die einen stärker politisch, die anderen ökonomisch, werden Analogien zwischen Bundesrepublik und DDR konstruiert. Der entscheidende Unterschied zwischen der durch eine Mehrheit legitimierten und einer auf Gewaltandrohung und ideologischen Ansprüchen begründeten Herrschaft geht dabei verloren. Gleiches gilt für Charakterisierungen der DDR als "Fürsorgediktatur" oder "Konsensdiktatur", wie sie vom Kommissionsvorsitzenden Martin Sabrow vertreten werden. Eine Kennzeichnung der DDR als totalitär verfasste Diktatur wird von ihm mit dem Hinweis auf Befindlichkeiten der Ostdeutschen abgelehnt.
Die von der Kommission unterbreiteten Vorschläge, neue Schwerpunkte auf Basis des Vorhandenen zu bilden, können nicht überzeugen. Weder die Verstaatlichung der beiden im Visier der Experten stehenden Gedenkstätten noch die Transformation der Birthler-Behörde sind sinnvoll. Wichtiger wäre es, vergleichende Studien zum Beispiel zwischen NS-Staat, DDR und Bundesrepublik anzuregen und die Grundlagen einer freiheitlichen und zivilen Gesellschaft als Bewertungsmaßstab zu vermitteln. Gerade hieran mangelt es, wie vergleichende Einordnungen von Bundesrepublik und DDR verdeutlichen. In der eingangs zitierten Schülerumfrage konnte sich etwa jeder Zweite zumindest zum Teil mit der These anfreunden, die Bundesrepublik sei zwar anders, aber auch nicht besser als die DDR gewesen. Die Differenz zwischen Demokratie und Diktatur verschwindet hinter der Fassade von Alltag und Gesellschaft.
Stärker als bisher sollten Forschungsergebnisse in die universitäre und schulische Lehre sowie die politische Bildung umgesetzt werden. Dabei sollte der Ausbau von einschlägiger Forschung und Lehre in den Universitäten im Vordergrund stehen und nicht die Schaffung neuer außeruniversitärer Einrichtungen. Behördenforschung unterliegt immer der Gefahr, politisch instrumentalisiert werden zu können.
Die beiden von der Kommission zur Disposition gestellten Gedenkstätten verdienen nicht Schelte, sondern Lob, und passen in ihrer heutigen Struktur durchaus in die Erinnerungslandschaft, stellen sie doch ein gewisses Korrektiv zur nostalgischen Verklärung der DDR dar. Zu Recht werden sie von "Freunden der DDR" als Störfaktor angesehen. Gerade die gut besuchten authentischen Orte leisten derzeit mehr für die politische Aufklärung als viele Bücher und Forschungsprojekte der Kommissionshistoriker zusammen. Dabei ziehen beide Gedenkstätten ihre Kraft zu großen Teilen aus dem bürgerschaftlichen Engagement vieler ehrenamtlicher Akteure, die vor 1989 zu den Gegnern der SED-Diktatur gehörten.
Durch den Regierungswechsel ist den Experten der Auftraggeber verloren gegangen, der für die politische Umsetzung der Empfehlung sorgen wollte. Das ist ein Glücksfall für die zukünftige Aufarbeitung der DDR.
Der 1949 in Lübeck geborene Klaus Schroeder lehrt an der Freien Universität Berlin Politische Wissenschaft. Der habilitierte Sozialwissenschaftler leitet an der FU den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitstelle Politik und Technik. Letzte Veröffentlichungen: Der SED-Staat. Partei und Gesellschaft 1949 - 1990, Hanser-Verlag, München 1998; Der Preis der Einheit. Eine Bilanz, Hanser-Verlag, München 2000. Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich, Schöningh-Verlag, Paderborn 2004.
Wie vor diesem Hintergrund die noch von der rot-grünen Koalition eingesetzte Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes "Aufarbeitung der SED-Diktatur" zur Diagnose einer "gegenwärtigen Vorrangstellung der öffentlichen Dokumentation staatlicher Repression" und einer Unterbelichtung von Alltag und Gesellschaft kommt, erschließt erst der Blick in die Vorgeschichte. Schon seit Jahren versuchen linke Historiker und Politiker, die von einem Bürgerrechtlerverein betriebene ehemalige Mielke-Zentrale in der Berliner Normannenstraße durch den Einbezug in die Birthler-Behörde ihres weitgehend autonomen Charakters zu berauben. Auch die Gedenkstätte im ehemaligen MfS-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen sollte inhaltlich und personell anders ausgerichtet werden. Nachdem diese Versuche scheiterten, wurde zur Legitimation des Vorhabens, diese authentischen Orte zu entschärfen, eine personell entsprechend zusammengesetzte Kommission eingesetzt. Um ihr Ergebnis nicht politisch, sondern wissenschaftlich begründen zu können, musste sie notwendigerweise eine falsche Diagnose stellen.
Hierauf aufbauend fordern die Experten einen Akzentwechsel bei der Aufarbeitung der DDR, indem Alltag und Gesellschaft durch staatlich finanzierte Forschung in außeruniversitären Einrichtungen und Gedenkstätten noch stärkeres Gewicht erhalten und Gedenkstätten, die Unterdrückung und Verfolgung dokumentieren, nachrangig behandelt werden sollen. Zu diesem Zweck sollen sie verstaatlicht werden und statt politischen einen musealen Charakter bekommen.
Durch den im Papier der Expertenkommission für die Charakterisierung der DDR gewählten Begriff "durchherrschte Gesellschaft" betreiben die Experten selber eine Weichzeichnung der DDR. Da alle Gesellschaften mehr oder weniger "durchherrscht" sind, die einen stärker politisch, die anderen ökonomisch, werden Analogien zwischen Bundesrepublik und DDR konstruiert. Der entscheidende Unterschied zwischen der durch eine Mehrheit legitimierten und einer auf Gewaltandrohung und ideologischen Ansprüchen begründeten Herrschaft geht dabei verloren. Gleiches gilt für Charakterisierungen der DDR als "Fürsorgediktatur" oder "Konsensdiktatur", wie sie vom Kommissionsvorsitzenden Martin Sabrow vertreten werden. Eine Kennzeichnung der DDR als totalitär verfasste Diktatur wird von ihm mit dem Hinweis auf Befindlichkeiten der Ostdeutschen abgelehnt.
Die von der Kommission unterbreiteten Vorschläge, neue Schwerpunkte auf Basis des Vorhandenen zu bilden, können nicht überzeugen. Weder die Verstaatlichung der beiden im Visier der Experten stehenden Gedenkstätten noch die Transformation der Birthler-Behörde sind sinnvoll. Wichtiger wäre es, vergleichende Studien zum Beispiel zwischen NS-Staat, DDR und Bundesrepublik anzuregen und die Grundlagen einer freiheitlichen und zivilen Gesellschaft als Bewertungsmaßstab zu vermitteln. Gerade hieran mangelt es, wie vergleichende Einordnungen von Bundesrepublik und DDR verdeutlichen. In der eingangs zitierten Schülerumfrage konnte sich etwa jeder Zweite zumindest zum Teil mit der These anfreunden, die Bundesrepublik sei zwar anders, aber auch nicht besser als die DDR gewesen. Die Differenz zwischen Demokratie und Diktatur verschwindet hinter der Fassade von Alltag und Gesellschaft.
Stärker als bisher sollten Forschungsergebnisse in die universitäre und schulische Lehre sowie die politische Bildung umgesetzt werden. Dabei sollte der Ausbau von einschlägiger Forschung und Lehre in den Universitäten im Vordergrund stehen und nicht die Schaffung neuer außeruniversitärer Einrichtungen. Behördenforschung unterliegt immer der Gefahr, politisch instrumentalisiert werden zu können.
Die beiden von der Kommission zur Disposition gestellten Gedenkstätten verdienen nicht Schelte, sondern Lob, und passen in ihrer heutigen Struktur durchaus in die Erinnerungslandschaft, stellen sie doch ein gewisses Korrektiv zur nostalgischen Verklärung der DDR dar. Zu Recht werden sie von "Freunden der DDR" als Störfaktor angesehen. Gerade die gut besuchten authentischen Orte leisten derzeit mehr für die politische Aufklärung als viele Bücher und Forschungsprojekte der Kommissionshistoriker zusammen. Dabei ziehen beide Gedenkstätten ihre Kraft zu großen Teilen aus dem bürgerschaftlichen Engagement vieler ehrenamtlicher Akteure, die vor 1989 zu den Gegnern der SED-Diktatur gehörten.
Durch den Regierungswechsel ist den Experten der Auftraggeber verloren gegangen, der für die politische Umsetzung der Empfehlung sorgen wollte. Das ist ein Glücksfall für die zukünftige Aufarbeitung der DDR.
Der 1949 in Lübeck geborene Klaus Schroeder lehrt an der Freien Universität Berlin Politische Wissenschaft. Der habilitierte Sozialwissenschaftler leitet an der FU den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitstelle Politik und Technik. Letzte Veröffentlichungen: Der SED-Staat. Partei und Gesellschaft 1949 - 1990, Hanser-Verlag, München 1998; Der Preis der Einheit. Eine Bilanz, Hanser-Verlag, München 2000. Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich, Schöningh-Verlag, Paderborn 2004.

Klaus Schroeder© privat