"Wir sind Teil einer Show"

Von Reinhard Baumgarten |
Obwohl acht Bewerber zur Präsidentenwahl im Iran zugelassen wurden, kann keine Rede von einer demokratischen Wahl sein. Unumstrittener Machthaber ist nach wie vor der Ayatollah Khamenei. Unterdessen nimmt die Politikverdrossenheit im Lande zu und die Lebensbedingungen verschlechtern sich.
"Die Wahlen sind das Symbol des politischen Epos. Sie sind das Symbol der Autorität des islamischen Systems, das Symbol der Ehre des Systems."

Ayatollah Ali Khamenei. Der Oberste Führer und Rechtsgelehrte. Der wirklich starke Mann Irans.

Ayatollah Ali Khamenei: "Die Ehre der Islamischen Republik hängt von der Wahl ab und von der regen Teilnahme der Bevölkerung sowie deren Mitwirken, die Führung des Landes zu bestimmen."

Alle vier Jahre wird im Iran ein neuer Präsident gewählt. Ein Mann muss es sein. Das sagt der Wächterrat, der über die Tauglichkeit der Kandidaten befindet. Das konservative Gremium beruft sich auf die iranische Verfassung, in der es heißt:

"Gewählt werden können religiöse, politische Männer."

Das entscheidende Wort lautet rijâl. Es kommt aus dem Arabischen und bedeutet Männer. 2005 wurde der damals 48-jährige Mahmoud Ahmadinedschad erstmals gewählt. Mahmoud Ahmadinedschad folgte auf den Reformer Mohammed Khâtami. Mahmoud Ahmadinedschad tiefgläubig, von Beginn an der Revolution und ihrem Führer Ayatollah Khomeini treu ergeben, strebsam, ehrgeizig und machtbewusst.

Die Revolution habe der Erlangung von Grundrechten für das Volk gedient – unter anderem der Freiheit, erklärte er unlängst. Zur anstehenden Präsidentenwahl darf er nicht mehr antreten. Nach zwei Wahlperioden muss ein neuer Mann gewählt werden, schreibt die Verfassung vor. Acht Jahre lang war der promovierte Bauingenieur, Mahmoud Ahmadinedschad, Präsident der Islamischen Republik. Gerne hätte er sein politisches Vermächtnis gesichert.

"Ohne die Existenz der höchsten Werte – Freiheit und freie Wahl – sind alle anderen Werte sinnlos und wertlos. Nur die freie Wahl der Werte schafft große Menschen. Freiheit gehört dem gesamten Volk."

Einsicht oder Ansicht? Wohl eher Kalkül eines Mannes, der wie kein iranischer Präsident vor ihm polarisiert hat – nach innen wie nach außen. Ein Mann, der das iranische Atomprogramm massiv beschleunigt, die strategische Feindschaft mit den USA und Israel verbal auf die Spitze getrieben und durch öffentliche Leugnung des Massenmordes an Juden im Zweiten Weltkrieg im Westen den Verdacht genährt hat, der Iran strebe nach Atomwaffen und der Vorherrschaft im Nahen Osten. Ein Mann, der wie kein hoher Amtsträger vor ihm die Machtprobe mit dem Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei gesucht hat.

Mahmoud Ahmadinedschad: "Alle müssen aufpassen, dass in den Bereichen Macht, Politik, Wirtschaft und selbst in der Technologie kein Monopol entsteht. Ein Monopol korrumpiert die Menschen."

Unerhört offene Worte, könnte man meinen. Doch es geht dem scheidenden Präsidenten um ein Monopol im Monopol, um die Konzentration der Macht in immer weniger Händen. Es geht um den innersten Machtzirkel der Islamischen Republik, zu dem er nur noch bedingt dazu gehört. Es geht um jene, mit denen sich der Oberste Führer umgibt, denen er zuhört, die ihn beraten und ihm unverbrüchlich ergeben sind. Ahmadinedschad ist keiner mehr von ihnen.

Ahmadinedschad: "Wir alle müssen wachsam sein. Schon dem ersten Anzeichen, dass alte, vorrevolutionäre Verhältnisse zurückkehren, müssen wir uns entschlossen entgegenstemmen. Die Revolution gehört allen Menschen und keiner besonderen Gruppe, Partei oder Sippe. Die Revolution diente der Wiederherstellung der Gerechtigkeit: der wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und politischen Gerechtigkeit."

Dafür, dass sich an den 1979 geschaffenen Machtverhältnissen nichts Grundlegendes ändert, sorgen die Pasdarân genannten Revolutionsgarden. Sie sind eine ganz entscheidende politische, militärische und wirtschaftliche Macht im Staat und nur dem Obersten Rechtsgelehrten Ali Khamenei zur Rechenschaft verpflichtet. Ehemalige Pasdarân-Offiziere führen die wichtigsten Ministerien des Landes – darunter das Öl-, das Justiz-, Innen,- Wirtschafts-, Verteidigungs- und Telekommunikationsministerium.

Unternehmen der Pasdarân sind in allen Bereichen der Wirtschaft aktiv, sie sind nicht steuerpflichtig und zahlen keine Einfuhrzölle. Unter Präsident Ahmadinedschad, der den Rang eines Kommandanten der Revolutionsgarden erreichte, hat der Einfluss der Pasdarân erheblich zugenommen. An dem bevorstehenden Urnengang, unterstreicht der Oberste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, in seiner diesjährigen Neujahrsansprache in Mashhad, sollen alle politischen Richtungen teilnehmen, die fest zur Islamischen Republik stehen.

Ayatollah Ali Khamenei: "Die Wahlen gehören nicht einer bestimmten politischen Ausrichtung oder einer bestimmten Ideologie. Alle, die an die Islamische Republik glauben und überzeugt sind von der Bedeutung der Unabhängigkeit des Landes und ein Herz für die nationalen Interessen haben, sollen an den Wahlen teilnehmen."

Mahmud Ahmadinedschad
Noch Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad© picture alliance / dpa Foto: Vladimir Pesnya/RIA Novosti
Die Allmacht des Wächterrats
686 Bewerber haben sich bis zum 11. Mai für das zweithöchste Amt im Staat registrieren lassen. Namhafte Reformer sind nicht unter ihnen – ihre politische Ausrichtung weist offensichtlich in die falsche Richtung. Mehdi Karoubi und Mir Hossein Mussawi, die Galionsfiguren der Grünen Bewegung des Jahres 2009, sind geächtet und stehen unter Hausarrest. Konservative konkurrieren bei der anstehenden Wahl mit erzkon-servativen Getreuen des Obersten Führers Ali Khamenei. Der 74-Jährige ist Irans wirklich starker Mann – de jure und de facto.

Wer im Iran Präsident werden will, benötigt die Zustimmung des Wächterrats. Der Wächterrat besteht aus zwölf Mitgliedern: sechs Geistlichen, die von Ayatollah Khamenei ernannt werden, und sechs Juristen, die das Parlament wählt. In den Wächterrat gewählt werden können nur Kandidaten, die vom Obersten Richter vorgeschlagen werden. Der Oberste Richter wiederum wird vom Obersten Rechtsgelehrten – also von Ayatollah Khamenei – direkt ernannt. Der Wächterrat gilt als eigenständiges Verfassungsorgan. De facto kann er aber als verlängerter Arm des Obersten Rechtsgelehrten wirken.

Kandidatenkür in Teheran. Erster Schritt – Registrierung der Kandidaten. Kurz vor Schluss erscheinen sie noch: Mahmoud Ahmadinedschad und sein Adlatus Esfandiâr Râhim Mashâ’i.

Er wolle jene enttäuschen, verkündet Noch-Präsident Ahmadinedschad, die es nicht gut mit dem Land meinten. Es sei seine Pflicht, seinen Bruder und Freund zu unterstützen. Mahmoud Ahmadinedschad und Râhim Mashâ’i bilden seit Jahrzehnten ein Tandem. Zwei ihrer jeweiligen Kinder sind miteinander verheiratet. 2009 sollte Mashâ’i Vizepräsident werden. Doch Irans starker Mann, Ayatollah Khamenei, legte sein Veto ein.

Wenig ist über Râhim Mashâ’i bekannt. Eines aber steht fest: Die Hardliner in der Teheraner Führung wollten unbedingt verhindern, dass er Präsident wird, sagt Prof. Sadegh Zibakalâm von der Uni Teheran.

"Die Hardliner sind bezüglich der Wahl in einer sehr schwierigen Situation. Einerseits sind sie konfrontiert mit Ahmadinedschad. Er besteht darauf, dass Mashâ'i ins Rennen einsteigen kann. Wenn Râhim Mashâ'i einsteigt, dann hätte er sehr gute Chancen, zu gewinnen."

Râhim Mashâ'i wird die Wahl nicht gewinnen. Der Wächterrat hat ihn aus dem Rennen ausgeschlossen. Ebenfalls nicht dabei: Ali Akbar Hashemi Rafsanjâni. Wider Erwarten betritt der 78-jährige Ayatollah kurz vor Anmeldeschluss am 11. Mai die Bühne. Doch Rafsanjâni ist bei Ultrakonservativen und Hardlinern in Ungnade gefallen, weil er 2009 Sympathie für die Reformer bekundet hatte.

Junge Bevölkerung wandert ab
Iran im 35. Jahr nach der Revolution. Fast drei Viertel der 75 Millionen Einwohner sind jünger als 35. Das Durchschnittsalter liegt bei 27. Jährlich verlassen rund 250.000 junge und gut ausgebildete Iraner ihre Heimat auf der Suche nach einer Zukunft jenseits der Islamischen Republik. Die Wahl von 2009, die anschließenden Proteste und die ausufernde Gewalt waren für viele Menschen im Iran ein einschneidendes Erlebnis. Ist die anstehende Wahl wichtig? Stimmen aus dem zentraliranischen Yazd.

"Ja, 100 Prozent. Das spielt doch eine wichtige Rolle für das Land. Jeder muss seine Stimme abgeben und seine Meinung äußern. So ist es besser aus meiner Sicht. Abgeben ist besser als nicht abgeben."

"Die Stimmung in ganz Yazd ist ungefähr so wie meine. Das heißt, viele gehen nicht wählen, und jeder hat einen eigenen Grund. Der Eine ist gegen das ganze System, der Andere meint, er hält nichts von Wahlen, und ein Dritter sagt, er sei nicht politisch, und es sei ihm egal, wer gewählt wird. Jeder hat also einen Grund."

"Es zählt das, was sie sich wünschen. Sie wählen ihren Kandidaten, und wir sind Teil einer Show – so wie vor ein paar Jahren. Wir haben jemanden gewählt, und ernannt wurde ein anderer."

"Ich weiß nicht, ob ich zur Wahl gehe. Vielleicht nicht. Mir fehlt die Motivation. Der Grund ist die jetzige Situation. Wenn sie hier fragen, dann finden Sie keinen, der zufrieden ist. Alle sind unzufrieden."

Die Unzufriedenheit wird genährt durch sich weiter verschlechternde Lebensumstände. Der iranischen Wirtschaft geht es nicht gut. Preise für Grundnahrungsmittel und Gebrauchsgüter haben sich binnen Jahresfrist vervielfacht. Die Inflationsrate liegt offiziell bei knapp 30 Prozent. Die Arbeitslosigkeit steigt. Etwa in der Autoindustrie. Sie gehört zu den innovativsten Branchen der iranischen Wirtschaft. Der Produktionsrückgang soll iranischen Medien zufolge bei fast zwei Dritteln liegen. Die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt. Mehr und mehr sind die Menschen im potenziell reichen Iran damit beschäftigt, ihr finanzielles und materielles Überleben zu sichern. Die drängenden Worte des Obersten Rechtsgelehrten, Ayatollah Ali Khamenei, erreichen viele Bürger nicht.
"Die Wahl, meine lieben Brüder und Schwestern, meine lieben Bürger, gewährt dem Land Schutz. Sie verleiht diesem Land Glaubwürdigkeit und schafft Respekt. Die Feinde werden durch den Auftritt der Massen abgeschreckt. Die Wahl bietet dazu eine gute Gelegenheit."

Washington und seine Verbündeten sorgen sich um die mutmaßliche Gefährlichkeit des iranischen Atomprogramms und sie fordern ein Einlenken Teherans. Alles friedlich, alles zivil, beteuert hingegen Irans starker Mann, Ayatollah Ali Khamenei, immer wieder. Der Westen wisse das ganz genau.

Khamenei: "Wir wollen keine Atomwaffen. Wir haben sie weder bis jetzt produziert noch werden wir es tun. Das wissen sie sehr wohl. Das ist aber nur eine Ausrede. Einmal wird das als Vorwand benutzt, und ein anderes Mal nehmen sie die Menschenrechte als Vorwand…"

… um den Iran unter Druck zu setzen, glaubt Ali Khamenei. Es ist nicht zu erkennen, wie viele Windungen die Eskalationsschraube im Persischen Golf noch hat. Klar ist, dass die USA ergebnislose Diplomatie und Gespräche nicht bis zum Sankt-Nimmerleinstag fortsetzen wollen. Klar ist auch, dass die Krise mit dem Iran westlichen Rüstungsschmieden profitable Aufträge und satte Gewinne beschert. Nie wurden in so kurzer Zeit derart viele Waffen an die Golfstaaten verkauft. Doch Krisengewinnler gebe es auf beiden Seiten, stellt der Publizist Davud Bavand in Teheran fest.

"Die Existenz einiger politischer Gruppen hängt von der Fortdauer der Krise und von der Existenz von Feinden ab, die im Hinterhalt lauern. Im Iran gibt es bestimmte radikale Gruppen, die das Gefühl haben, dass es für die Fortdauer der Machtausübung auch der Fortdauer der Krise bedarf und eben von Feinden im Hinterhalt."

Der außenpolitische Druck diene als Rechtfertigung für den inneriranischen Druck. Beides zusammen wirke wie eine Klammer, um die Machtverhältnisse in der Islamischen Republik zu sichern. Die anstehende Wahl werde daran nichts ändern.
Ayatollah Ali Khamenei
Oberste Führer und Rechtsgelehrte Ayatollah Ali Khamenei© picture alliance / dpa Foto: Khamenei Official website