"Wir sind schließlich in Deutschland hier"

Von Lena Gorelik · 22.08.2012
Ein Gericht in Köln hat Beschneidungen aus religiösen Gründen kürzlich zur Körperverletzung erklärt. Nun muss der Bundestag aktiv werden und will die Beschneidung nach der Sommerpause per Gesetz erlauben. Die inzwischen geführte Debatte war mehr als schädlich, meint Lena Gorelik.
Es war im Sommer vor zwei Jahren, das Wetter ähnlich sommeruntypisch unbeständig, das Sommerloch hingegen sommertypisch groß, da hatten wir eine ähnliche Diskussion. Nicht offensichtlich, aber indirekt doch. In jenem Sommer hatte ein Bundesbankvorstand und SPD-Mitglied ein Buch geschrieben, in dem er seine Ängste äußerte, Deutschland schaffe sich ab.

Die Medien sowie die öffentliche Diskussion verbesserten den Satz ein wenig: Die Muslime schafften Deutschland ab. Die Kopftuch tragenden Frauen, die zu viele Kinder gebären, die Männer (insgeheim alles Terroristen vom Schlage Osama bin Ladens), die in den Moscheen beteten (anstatt in Kirchen). Der Subtext war ziemlich schnell kein Subtext mehr: Ihr seid so anders als wir. Wer aber hier leben will, soll gefälligst so werden wie wir.

Frauenrechtlerinnen erzählten, wie unterdrückt die Kopftuch tragenden, aber auch die muslimischen Frauen im Allgemeinen lebten, und widersprach ihnen mal eine Frau mit Kopftuch ("Ähm, Entschuldigung, ich fühle mich aber nicht unterdrückt"), da hieß es nur, sie realisierten einfach nicht, wie sehr sie unter der Unterdrückung litten.

Dann war der Sommer vorbei, das Sommerloch füllte sich mit Herbstthemen, Sarazzin hatte über eine Million Exemplare seines Werkes verkauft, die nun in den Bücherregalen verstaubten. Was blieb, war ein ungutes, verunsicherndes Gefühl in den Köpfen und Herzen derer, um die es gegangen war, das Gefühl, das Vorsicht im Handeln und Sein geboten sei: Achtung, du darfst nicht so sein wie du bist. Wir sind schließlich in Deutschland hier.

Wieder Sommer, wieder kein Sommerwetter, aber ein Sommerloch, und dieselbe Maschinerie läuft: Diesmal sprechen unbeschnittene Männer, die nicht wissen, wovon sie reden, weil sie nicht wissen, wie es ist, beschnitten zu sein, und Frauen, die qua Körperbau keine verlässliche Aussage zu diesem Thema treffen können. Sie klagen an, kleine Jungen würden ihrer natürlichen Sexualität, ihres Lustempfindens beraubt, würden misshandelt, verstümmelt.

Man spricht Anhängern zweier Weltreligionen, im Falle der Juden auch einem Volk, unzähligen Generationen die Liebe zu den eigenen Söhnen ab. Und auch in diesem Sommer sucht man sich zwei, drei Kronzeugen, die ihre Beschneidung als schlimm empfunden haben. Ich im Übrigen fand meine feste Zahnspange schlimm und fühlte mich vom Kieferorthopäden leicht misshandelt, wenn er sie jede paar Monate fester zog.

Der Subtext versucht diesmal nicht mehr, Subtext zu sein, weder im Feuilleton noch am Stammtisch: Es ist - wieder einmal - die Stimme der vermeintlichen moralischen Überlegenheit, die da spricht. Wir wissen, was gut für Euch ist, für Euch und Eure Frauen und Eure Kinder. So wie wir sind, müsst Ihr sein (sonst gehört Ihr nicht hierher). Wir sind schließlich in Deutschland hier.

Um dem Vorwurf zuvor zu kommen: Hier soll kein Thema zum Tabu erklärt werden. Selbstverständlich muss man in einer Demokratie Debatten führen können, auch die über Beschneidung von Jungen. Auffällig ist nur, in welchem Ton sie geführt wird: Es ist nicht oder vielleicht nicht nur der Anklang von Antisemitismus oder Antiislamismus. Es ist viel mehr als das, es ist die Maxime: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen." Deutsches Sendungsbewusstsein? Eine Maxime, die einer Demokratie, wie Deutschland sie leben will, nicht würdig ist.

Der Sommer wird vorüber-, das Sommerloch zugehen, bleiben wird aber bei denjenigen, denen man die Liebe zu den eigenen Kindern, die Freiheit der Religionsausübung sowie einen Teil der Identität absprach, noch mehr ungutes Gefühl. Und bei der nächsten Debatte dieser Art werden dann vielleicht weniger Menschen hier leben, über die in diesem überheblichen Ton geredet werden kann.

Lena Gorelik, Buchautorin und Journalistin, wurde 1981 in Russland im damaligen Leningrad geboren und kam 1992 zusammen mit ihrer russisch-jüdischen Familie nach Deutschland.

Ihre Romane "Meine weißen Nächte", "Hochzeit in Jerusalem" und "Verliebt in Sankt Petersburg" wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Zuletzt ist von ihr im Graf Verlag "Lieber Mischa" erschienen.


Mehr Infos auf dradio.de:

Religiöse Beschneidungen sind strafbar - Zentralrat der Juden fordert Korrektur von Gesetzgeber
Lena Gorelik
Lena Gorelik© Gerald von Foris/Graf Verlag
Mehr zum Thema