"Wir sind Kinder eines großen verschwenderischen Gottes"

Werner Tiki Küstenmacher im Gespräch mit Herbert A. Gornik |
In seinen "Simplify"-Ratgebern hat Werner Tiki Küstenmacher bislang das Credo vom vereinfachten Leben gesungen. Mit seinem Buch "Jesusluxus" macht er nun die Kehrtwende. Jetzt predigt er Wein, nicht Wasser: "Verschwendung ist wichtig in der Natur, ist wichtig in unserem Leben, weil aus Verschwendung entsteht etwas Neues. Wir brauchen ganz viele Möglichkeiten und eine davon wählen wir oder eine davon erwischt uns."
Herbert A. Gornik: Zu Gast im Deutschlandradio Kultur in der Sendung "Religionen" ist Werner Tiki Küstenmacher mit seinem Buch "Jesusluxus - Die Kunst wahrhaft verschwenderischen Lebens". Herr Küstenmacher, eine Definition von Luxus, eine nur, ist: Das ist überflüssig, das, was man nicht zum Leben unbedingt braucht. Warum braucht man Ihr Buch über den Jesusluxus?

Werner Tiki Küstenmacher: Ja, Luxus ist tatsächlich das Gegenteil von Notwendigkeit. Und das war so die Ausgangsidee für mich. Die Menschen werden zu sehr reduziert auf das Lebensnotwendige. Das ist, glaube ich, das, was wir als so unbefriedigend erleben in unserer Debatte über Hartz IV, wirtschaftliche Probleme usw. Und die armen Menschen, die ich kenne, die träumen davon, auch mal einen Luxus zu haben und gönnen sich den auch, sind da oft sehr gewitzt und künstlerisch da drin. Und von daher habe ich mich in diesen Begriff Luxus verliebt, auch wenn es vielleicht eine unglückliche Liebe ist.

Gornik: Das wollen wir mal sehen im Verlaufe des Gesprächs. Vielleicht kriegen wir das ja noch raus. Kokettieren Sie nicht mit diesem Wort "Luxus"?

Küstenmacher: Es ist ja ein bisserl die Fortführung von "Simplify Your Life". Simplify, das ist so "weniger ist mehr". Und das ist ja auch dann zu so einer Floskel verkommen, da könnte ich was entrümpeln, da könnte ich was loswerden. Aber ich habe gemerkt, eigentlich sehnen sich die Leute nach Fülle, nach was Großem, nach Reichtum. Deswegen dachte ich, wir brauchen ein Wort. Am liebsten hätte ich gesagt Segen oder eben Fülle, solche Begriffe. Und da habe ich gemerkt, junge Leute können damit überhaupt nichts anfangen.

Und was diesem Begriff am ehesten entspricht, ist Luxus, auch wenn es innerkirchlich, glaube ich, ein sehr umstrittener Begriff ist. Da ist es fast ein Schimpfwort. Ich liebe ein jüdisches Sprichwort, das heißt: Es ist nicht so gut mit Geld, wie es schlecht ist ohne. Wenn man jetzt redet, ja, wie jetzt der Pabst neuerlich, so nach dem Motto, jetzt sieht man, dass es auf Geld allein nicht ankommt, dann kann das zynisch sein.

Ich finde es auch zynisch, wenn der Chef von der größten und reichsten Religionsgemeinschaft so was sagt, weil es gibt Menschen, die haben wirklich sehr wenig oder gar nichts oder fast nichts. Und da ist es sehr wichtig, an Geld zu kommen und da drüber zu sprechen.

Aber darüber hinaus, das habe ich eben gerade von so ein paar Kumpeln, die ich habe, die Hartz-IV-Empfänger sind oder die von ganz, ganz wenig leben. Das habe ich von denen gelernt. Was die am Leben hält, was denen Lebensfreude gibt, sind diese kleinen Ausreißer, der kleine Luxus oder vielleicht mal der mittelgroße Luxus, den man sich gönnt, was ganz Unvernünftiges. Am schönsten habe ich das gefunden in diesem Bonmot von Oscar Wilde, man umgebe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten.

Gornik: Nun war das ein bisschen zynisch bei Dorian Gray. Das war ja die Lebenshaltung. Hauptsache habe ich das ganz, ganz Tolle.

Küstenmacher: Ja, aber trotzdem gefällt mir das. Da bin ich richtig neidisch, dass ich nicht auf so einen Spruch gekommen bin, wie ich sowieso immer, wahrscheinlich auch nach diesem Interview, dann mich gräme, dass mir nicht so tolle Bonmots eingefallen sind wie damals dem Oscar Wilde oder seinem Nachfolger, dem Karl Lagerfeld. Aber die Weisheit, die dahintersteckt, ist auch bei Oscar Wilde, der ja dann auch durchaus sehr, sehr schwere Zeiten hatte als Homosexueller damals, die Weisheit, die da drinsteckt, ist, ich lass mich nicht reduzieren auf diese blanken Notwendigkeiten. Ich kann von ganz, ganz wenig leben. Und ich denke, wir müssen es lernen, unser Leben vielleicht so ein bisschen ungleichmäßiger zu bebauen. Und das lerne ich bei Jesus. Der hat sicher nicht sehr opulent gelebt, aber ab und zu war er bei einem Fest. Und wenn die damals Feste gemacht haben, dann haben die reingehauen und, muss man immer wieder sagen, er hat Wasser in Wein verwandelt und nicht umgekehrt, wie es manche Leute in der Kirche vielleicht gerne hätten.

Gornik: Aber Sie haben eine bizarren Bogen gespannt von Oscar Wilde auf der einen Seite, Karl Lagerfeld und jetzt Jesus von Nazareth. Das wird einigen in den Ohren klingen. Und wenn Sie von Ihren Kumpels erzählen, die Hartz IV bekommen, ich habe da nicht so allzu viel unter meinen, dann hoffe ich natürlich, dass Sie, und ich beziehe mich da ein, die wir zu denjenigen gehören, die nicht Hartz IV beziehen, denen vielleicht mehr abgeben?

Küstenmacher: Ich habe bei meinen Kumpeln gemerkt, wenn man denen was gibt, es versickert, es ist einfach futsch. Ich glaube, Geldtransfers lösen das Problem nicht. Und wenn man Armut mal begegnet wirklich und nicht nur da drüber liest oder sich das vorstellt: Armut ist gar nicht so schlimm.

Gornik: Wenn sie auskömmlich ist, dann nicht. Es gibt ja eine auskömmliche Armut. Man hat wenig, aber man muss damit auskommen können. Aber was ist mit der Armut, mit der man nicht auskommt?

Küstenmacher: Ich merke halt, wenn ich mit solchen Leuten zu tun habe, man kann auch mit ganz wenig eine ganz tolle Lebensfreude entwickeln. Und ich weiß auch, kenne genug Leute, die können mit sehr viel Geld auf dem Konto irgendwie nicht froh werden. Es gibt natürlich dann auch Reiche, denen es gut geht und die lustig sind. Und es gibt Arme, die auch wirklich geistig armselig sind. Da gibt es alle Varianten.

Aber manchmal wird mir so ein bisserl flau vor mir selber, weil das "Simplify-Your-Life-Buch" ist 2001 erschienen, zufällig 14 Tage nach dem Anschlag vom 11. September. "Jesusluxus" ist erschienen zwei, drei Wochen nach dem schwarzen Montag, dem Beginn einer vielleicht Weltwirtschaftskrise, wir wissen es nur noch nicht so genau. Ich denke, was wir vielleicht jetzt präventiv üben sollten, ist, dass wir den Luxus beibehalten, einen inneren Luxus oder diese neuen Dimensionen von Luxus, auch wenn vielleicht unsere Altersversorgung futsch ist.

Gornik: Werner Tiki Küstenmacher ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur in der Sendung "Religionen" und wir sprechen über sein Buch "Jesusluxus - Die Kunst wahrhaft verschwenderischen Lebens". Sie haben selber gesagt, es ist die vielleicht etwas fromme Variante von "Simplify Your Life". Sie haben einen Zusammenhang hergestellt 2001, die große Terrorbedrohung und jetzt 2008, für das neue Buch, der Bankencrash. Nun wird ja das neue Buch das Bankenproblem nicht lösen, so wie "Simplify Your Life" ja die Terrorismusbedrohung nicht lösen wird. Damit wäre wahrscheinlich auch jeder Autor mit jedem Buch überfrachtet.

Aber Sie haben von einem flauen Gefühl gesprochen. Ich habe dann ein flaues Gefühl, wenn ich in das Buch hineingucke und das Inhaltsverzeichnis sehe. Da reden Sie vom Jesusluxus als einem "Luxus der Fülle" oder einem "Luxus des Zeithabens" oder einem "Luxus der Freiheit" oder einem "Luxus des Daseins für andere". Was meinen Sie konkret? Über das, wo jetzt jeder nickt mit dem Kopf, hinaus, dass wir mehr Zeit für andere haben sollen, dass wir uns auch mal eine Freiheit herausnehmen sollen, dass wir aus der Fülle leben sollen und sagen, es ist viel um uns herum, was wir greifen können und wir sollen uns nicht immer defizitär entdecken? Das sind alles Lebensregeln, wo, habe ich den Eindruck, ich dasitze und sage, ja, stimmt, der Mann hat recht, genauso. Aber was meint der eigentlich über die Absichtserklärung hinaus?

Küstenmacher: Ich denke, was mich da von anderen unterscheidet, die solche allgemeinen Weisheiten von sich geben, ist, dass ich das doch alles bei Jesus in den biblischen Geschichten im neuen Testament finde. Wenn man dann nämlich mal genau hinguckt, es ist eine Reihe von Verblüffungen. Jesus war zum Beispiel nicht arm. Es wird ja immer so in der Weihnachtsgeschichte immer wieder gepredigt, ja, die Armen, Josef und Maria, irgendwie so arme Leute, die da so hungernd durch Galiläa gezogen sind und dann in Bethlehem in einen armen Stall.

Kein Wort davon steht in der Bibel. Das ist alles eine Interpretation von uns. Josef war Zimmermann, Jesus hat Zimmermann gelernt, das war ein Mittelstandsjob. Das war so ungefähr das, was heute einem Architekten entspricht.

Dann gibt es so eine Sache, das hat mich als kleiner Junge immer schon beschäftigt, was ist aus den Geschenken von den Weisen aus dem Morgenland geworden? Jesus hatte ja zumindest Gold. Hat Maria das verschenkt an die Armen oder hat sie es selber aufgebraucht? Oder meine Lieblingsidee wäre die, dass sie es irgendwo versteckt hat im Haus und Jesus hat gewusst, da gibt es ein Geschenk, das habe ich gekriegt, als ich ein kleines Baby war. Und das erinnert ihn da dran, dass er was Besonderes ist.

Oder meine Lieblingsgeschichte ist die Salbung in Bethanien, wo Jesus von Maria Magdalena ganz furchtbar teures Parfumöl auf die Füße geschüttet bekommt und die Jünger reagieren ganz modern und sagen, Wahnsinn, was für eine Verschwendung. Das Zeug hätte man doch verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und Jesus sagt Nein. Und er sagt dann einen Satz, der, finde ich, ein ganz zentraler Satz ist, obwohl er ganz klein ist, Arme habt ihr alle Zeit. Es gibt so ein Buch von Georges Bernanos "Tagebuch eines Landpfarrers" und da ist dieser Satz praktisch die Achse von dem ganzen Buch, um die sich alles dreht.

Und das muss man sich, finde ich, auch immer sagen, Armut, Unterschiede werden dazu gehören. Wir hätten gerne eine Welt ohne. Wir werden vielleicht selber noch unsere blauen Wunder erleben, was mit uns passiert. Es ist alles nicht so vollautomatisch, wie wir uns unser Leben vielleicht manchmal vorstellen. Da können noch manche Überraschungen kommen.

Und deswegen finde ich es eben ganz wichtig, sich vorzubereiten und zu sagen, wir sind von unserer Grundidee her groß. Wir sind auf Verschwendung eigentlich angelegt. Die Natur ist wahnsinnig verschwenderisch. Ich habe neulich so eine schöne Geschichte von einem Biologen gehört, der hat so in den Saal gerufen, ihr seid alle Sieger. Es haben sich bei eurer Zeugung Millionen von Samenzellen aufgemacht und eine einzige hat gewonnen und von der stammt ihr ab. Es ist ja eben der Wahnsinn. Warum müssen so viel Samenzellen produziert werden? Warum hat eine Frau ein paar Tausend Eier? Sie kann ja nicht ein paar Tausend Kinder kriegen. Aber so ist die Natur.

Das Weltall ist unglaublich verschwenderisch mit Energie und alles Mögliche, Natur usw. Und so sind wir auch. Und das ist, finde ich, auch ein ganz wichtiger Aspekt. Verschwendung ist wichtig in der Natur, ist wichtig in unserem Leben, weil aus Verschwendung entsteht etwas Neues. Wir brauchen ganz viele Möglichkeiten und eine davon wählen wir oder eine davon erwischt uns. Und das ist die Fülle des Lebens, das ist das Luxuriöse am Leben.

Und wenn man sich selbst einschränkt oder wenn man sich zu sehr einschränken lässt, wenn man sich von anderen einreden lässt, man wäre klein, man wäre nur der kleine Mann auf der Straße, dann ist das, finde ich, was ganz Schädliches.

Dieser Begriff von den kleinen Leuten, den finde ich in der Bibel nicht. Jesus traut uns was Großes zu. Wir sind Kinder eines großen verschwenderischen Gottes. Ich habe das so schön mal bei einem oberbayerischen Pfarrer gehört, der hat gesagt, ja freilich seid's ihr Kinder, aber ihr seid's Kinder vom Großbauern. Also nicht von irgendjemand, sondern von jemand, der was hat.

Gornik: Wenn, Werner Tiki Küstenmacher, Sie sind ja auch Theologe eben, über Sie und Ihr Buch "Jesusluxus" mal gesagt würde, jetzt bringen schon die Theologen ein wenig seelischen und materiellen Luxus in das triste Dasein ihrer Gemeindemitglieder, werden Sie nicht falsch verstanden?

Küstenmacher: Nein, absolut nicht. Die Kirche ist ja auch nicht arm. Die macht immer so auf arm. Aber das läuft ja auf einem wahnsinnig hohen Level. Ein Pfarrer kriegt das Gehalt eines Oberstudienrates und so auf der Brennsuppe kommen wir da auch nicht daher geschwommen, wie wir immer tun. Es ist, ich finde, manchmal in der Kirche ein falsches Kokettieren mit dem Mangel.

Gornik: Werner Tiki Küstenmacher war das mit dem Buch "Jesusluxus - Die Kunst wahrhaft verschwenderischen Lebens", 160 Seiten. Es kostet 14,95 Euro und ist im Kösel Verlag München erschienen. Werner Tiki Küstenmacher, herzlichen Dank!

Küstenmacher: Ich bedanke mich!