"Wir sind keine Müllkippe für den Westen"

Von Alexander Göbel · 15.07.2010
In Amsterdam steht eine britisch-niederländische Firma wegen illegalem Giftmüllexport vor Gericht. Die Bewohner eines Armenviertels von Abidjan leiden unter schlimmen gesundheitlichen Beschwerden. Die Langzeitfolgen sind gravierend.
August 2006: Der Frachter "Probo Koala" entlädt tonnenweise hochgiftigen Müll in der Elfenbeinküste. Mindestens 17 Menschen sterben, Zehntausende sind bis heute krank. Nun wird den Verantwortlichen in den Niederlanden der Prozeß gemacht: Recherchen hatten ans Licht gebracht, dass offenbar auch die Führungsspitze des britisch-niederländischen Ölkonzerns Trafigura in den Giftmüllskandal verstrickt ist. Die Leitung des Unternehmens soll gewusst haben, dass das von Trafigura gecharterte Schiff illegal Giftmüll nach Westafrika brachte.

Trafigura hatte mit den Anwälten von rund 31.000 Opfern bereits einen millionenschweren Vergleich erzielt und die Aufräumarbeiten unterstützt – wobei das Unternehmen erklärte, dies sei kein Schuldeingeständnis. Der Prozess in Amsterdam ist weit weg, außer Geldstrafen für die Verantwortlichen sind keine weiteren Entschädigungen zu erwarten. Doch die Opfer in der Elfenbeinküste leiden weiter.

Akuedo - ein ärmlicher Stadtteil von Abidjan. Manche nennen Akuedo aber einfach nur "die Kloake". Denn hier, wo mehr als eine halbe Million Menschen wohnen, landet der Müll der Hauptstadt der Côte d’Ivoire auf einer riesigen offenen Deponie. Sie ist so groß, dass sie die Siedlung längst umzingelt. Die Menschen sind daran gewöhnt, mit dem Abfall der anderen zu leben. Doch die Nacht des 18. August 2006 hat alles verändert, sagt Anwohner Innocent Kassi. Die Nacht, als der Giftmüll aus Europa kam:

"Es war furchtbar. Plötzlich hat es so süßlich gerochen, und bald darauf haben wir keine Luft mehr bekommen, im Haus war es fast unmöglich zu atmen. Wir sind dann raus auf die Straße, aber da war es noch viel schlimmer. Also sind wir wieder rein und haben durch Stofftücher geatmet, die ganze Nacht, und in großer Angst. Wir haben sehr gelitten."

Der Frachter Probo Koala, gechartert vom niederländisch-britischen Trafigura-Konzern, hatte hochgiftigen Schlamm an die Elfenbeinküste gebracht, Reste der ölverarbeitenden Industrie. In Akuedo wurden rund 500 Tonnen davon in die kleinen Bäche der Mülldeponie gekippt. Vier Jahre später ist das Gift immer noch da. In der Regenzeit wird es durch das verseuchte Grundwasser nach oben gespült - so wie jetzt. Es stinkt unerträglich, auch der Reporter bekommt sofort Kopfschmerzen. Akuedo sei eine giftige Chemiefabrik ohne Zaun, sagt Innocent Kassi. Doch zum Wegziehen hat er kein Geld.

"Bei vielen ging es damals schon in der Nacht los - Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Migräne, Nasenbluten. Bei manchen ist dieses Grippegefühl bis heute geblieben. So etwas gab es hier früher einfach nicht!"

Chronische Atemwegserkrankungen, Hautausschläge und Sehbehinderungen sind in Akuedo seit 2006 ebenso dramatisch angestiegen wie Fehlgeburten und Krebs. Sogar die UNO geht davon aus, dass die Giftmüllimporte schuld sind an den mysteriösen Todesfällen und Krankheiten. Doch bis heute hat es noch kein Arzt gewagt, diesen Zusammenhang zu beweisen. Die Mediziner hätten Angst vor Klagen durch den Trafigura-Konzern, glaubt Christine Melai. Die 30-Jährige leidet seit damals unter schwerem Hautausschlag und gibt jeden Franc für Medikamente aus. Wegen der Schmerzen hat sie ihre Arbeit als Textilverkäuferin aufgeben müssen. Sie gehört zu den rund 30.000 Betroffenen, die im letzten Jahr von Trafigura umgerechnet etwa 1000 Euro Entschädigung erhalten haben. Das Geld ist längst ausgegeben - für die teure Behandlung im Krankenhaus:

"Diese Entschädigung, das ist doch ein schlechter Witz. Mit Gift kontaminierte Menschen kann man doch nicht mit so einer einmaligen Zahlung abspeisen! Die Frauen, die Fehlgeburten hatten, die behinderte Kinder zur Welt gebracht haben ... wie will man die überhaupt entschädigen? Dafür gibt es keine Geldsumme. Ich selbst war seit vier Jahren keinen einzigen Tag mehr gesund."

Auch Rachel Gogoua von Akuedos Opferverband ist wütend. Trafigura habe die von dem Müll ausgehende Gefahr verheimlicht und Schriftstücke gefälscht, um die Schiffsladung nicht im Hafen von Amsterdam, sondern anderswo weit günstiger zu entsorgen. So sieht das auch die Anklage, die im aktuellen Gerichtsverfahren beweisen will, dass die Giftspur ganz nach oben zur Spitze des Trafigura-Konzerns führt. Rachel Gogoua winkt aber ab: Einigen Trafigura-Mitarbeitern und dem ukrainischen Kapitän der "Probo Koala" drohten zwar Geld- und Gefängnisstrafen, aber die Giftkranken von Akuedo mache das nicht gesund – und mehr Geld gebe es erst recht nicht:

"Trafigura hat viele Leute gekauft, um sie zum Schweigen zu bringen. Die Konzernleitung ist in einer guten Ausgangslage, denn der Elfenbeinküste hat sie bereits 150 Millionen Euro für Aufräumarbeiten gezahlt, da haben sich viele die Taschen vollgemacht, weitere Ansprüche gibt es nicht. Natürlich bin ich enttäuscht von meiner korrupten Regierung. Aber eine Firma wie Trafigura, die an die Opfer Almosen verteilt, die keine Schuld eingesteht, die sogar versucht, die Berichterstattung über den Fall in der Presse zu verhindern, solch eine Firma ist doch eine Schande für Europa. Wir in Afrika sind keine Müllkippe für den reichen Westen. Die Europäer müssten mal ordentlich aufräumen, damit ihre Unternehmer sich endlich wie moralische Wesen verhalten."
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