"Wir sind das Volk" von Laibach

Heiner-Müller-Texte als wuchtige Performance

05:41 Minuten
Auf einer dunklen Bühne sitzen rechts vier Männer mit Violinen. Vorne links im Licht steht eine Frau in Uniform und Plateauschuhen; sie trägt einen Text vor.
Eine Herausforderung für das Publikum: Laibachs Konzert-Performance "Wir sind das Volk", die am 8. Februar in Berlin Premiere hatte. © Dorothea Tuch, HAU Hebbel am Ufer
Von André Mumot · 08.02.2020
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Die Provokationsprofis der slowenischen Band Laibach machen am Berliner HAU aus Heiner-Müller-Texten eine abgründige Konzert-Performance. „Wir sind das Volk“ ist vor allem eine Hommage an Müllers widerständige Biografie.
Die slowenische Band Laibach provoziert seit ihrer Gründung 1980 mit martialischem Pathos und den Insignien der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts. Mindestens doppelbödig ist dieses Provokationsspiel, in jedem Fall aber eine besonders abgründige Herausforderung für ihr Publikum.
Die Irritation, die sie so gern hervorrufen, stellt sich nun auch im Berliner Theater Hebbel am Ufer, wo sie ein so genanntes "Musical" auf die Bühne bringen. "Wir sind das Volk" heißt der Abend, ein Titel, der sowohl Assoziationen der Wendezeit aufruft wie Verweise auf jene Rechtsextreme, die das Motto der friedlichen Revolution nun offen rassistisch für sich vereinnahmen. Er basiert allerdings vollständig auf Heiner-Müller-Texten, ist eigentlich eine Art Hommage an den Schriftsteller und seine widerständige Biografie.

Treibende Beats, Gleichschaltung durch Rhythmus

Für Laibach ist die Arbeit an deutschsprachigen Theatern nichts Neues. Sie haben bereits bei Produktionen von Milo Rau und Sebastian Baumgarten mitgewirkt. Hier ist es Regisseurin Anja Quickert von der Internationalen Heiner-Müller-Gesellschaft, die den Abend zusammen mit der Band konzipiert und auch die Texte zusammengestellt hat (hören Sie hier ein Interview mit Anja Quickert zu "Wir sind das Volk"): "Im Herbst starb" etwa, ein Prosatext mit traumatischen Kindheitserinnerungen, Lyrik, aber auch Ausschnitte aus Theatertexten Heiner Müllers, die sich in den musikalischen Kompositionen von Matevž Kolenc zu einem bedrückenden Spektakel verdichten.
Treibende Beats beschwören die Gleichschaltung durch Rhythmus, evozieren bedingungsloses Marschieren, beschwören immer wieder die NS-Zeit. Und so stellt sich auch die typische Laibach-Ambiguität ein, wenn in perfide angetäuschter Nostalgie eine Hitler-Rede eingespielt und Familienfotos deutscher SS-Männer auf die Bühne und in den Zuschauerraum projiziert werden.

Vielschichtige Collage eines deutschen Gegen-Lebens

Der Abend aber ist in seiner Stoßrichtung eindeutig, konfrontiert er doch die Nazi-Ästhetik immer wieder mit Müllers eigenen Erfahrungen, etwa mit dem Augenblick, als sein Vater von der SS abgeholt und ins KZ verschleppt wurde. Cveto Kobal singt den alten "Flieger, grüß mir die Sonne"-Gassenhauer und dazu verwandeln sich Flugrouten zu Stacheldraht und Hakenkreuze markieren die KZ-Standorte auf der Landkarte, die in diesem Augenblick als weitere Projektion die gesamte Bühne einnimmt.
Die Schauspielerinnen Agnes Mann und Susanne Sachsse treten immer wieder nach vorn, deklamieren, brüllen, performen einzelne Müller-Texte, singen sie auch. Theater wird auf der neutralen Konzert-Bühne nicht daraus, aber doch die vielschichtige Collage eines deutschen Gegen-Lebens, befeuert und angetrieben von wuchtigen Laibach-Beats.
Musik und Worte kommen dabei schlüssig zusammen, beide Ebenen sind hart, unwirsch, bitter, wenn auch hin und wieder allzu genüsslich und auf Effekt hin ausgekostet. Ganz am Ende dann betritt Peter Mlakar die Bühne und richtet sich direkt ans Publikum, ans deutsche Volk: "Wir trauen euch nicht", sagt er und kündigt an, über deutsche Betten die deutschen Gene zu verändern. "Wir sind das Volk!", verkündet er mit geradezu fröhlicher, verschmitzter Fröhlichkeit. Ein Schlusspunkt, der das Publikum endgültig in Begeisterung versetzt.
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