"Wir sind dann wohl die Angehörigen" im Kino

Die Reemtsma-Entführung als Kammerspiel

09:14 Minuten
An einem Wohnzimmertisch sitzen Familie und Polizeiermittler beisammen und besprechen die Lage.
Szene aus dem Film "Wir sind dann wohl die Angehörigen" von Hans-Christian Schmid. Claude Heinrich spielt den jungen Johann Scheerer, dessen autobiografischer Bericht Grundlage für das Drehbuch war. © Pandora Film
Von Jörg Taszman · 02.11.2022
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1996 wird der Sozialforscher und Millionenerbe Jan Philipp Reemtsma entführt. Hans-Christian Schmid erzählt die Geschichte konsequent aus der Sicht der Angehörigen. Die Buchvorlage stammt von Reemtsmas Sohn.

Worum geht es?

Hans-Christian Schmid, der seine Karriere mit Filmen wie „Nach 5 im Urwald“; „23“ und „Crazy“ über Jugendliche und junge Erwachsene begann, erzählt in seinem neuen Film von der Entführung von Jan Philipp Reemtsma. Er tut dies ganz aus Sicht der Angehörigen, vor allem der des Sohnes Johann. Der damals 13-jährige Teenager erlebt wochenlang diese Entführung mit.
In das Haus ziehen zwei „Angehörigenbetreuer“ der Polizei unter den Decknamen Vera und Nickel ein, die sich zwar mühen, einfühlsam zu agieren, aber nicht immer den Schutz der Angehörigen als ihre Priorität ansehen.
Ebenfalls eingezogen sind der Rechtsanwalt Schwenn und ein Freund der Familie. Wochenlang scheitern die Bemühungen, das Lösegeld zu übergeben auch daran, dass die Polizei ungeschickt agiert 

Was ist das Besondere?

Filme über bekannte Kriminalfilme oder Entführungen zeigen meist nur die Entführer, also die Täter und ihr Entführungsopfer. Die ebenfalls mitleidenden Familien, ihre Ängste, Hoffnungen und ihre Ohnmacht sieht man fast nie.
Hinzu kommt die zwiespältige Rolle der Polizei, die versucht Freund und Helfer zu sein, aber vor allem Ermittlungsarbeit leistet und die Täter fassen will. Genau das führt in diesem Film zu einem interessanten Spannungsfeld.

Fazit

Hans-Christian Schmid hat nach langer Zeit wieder mit Michael Gutmann, dem Drehbuchautor seiner frühen Filme, zusammengearbeitet. Beide schaffen komplexe Charaktere wie die Ehefrau Ann Kathrin, die lange versucht, ihre Emotionen zurück zu halten, und den Sohn Johann, der das Eingesperrtsein im eigenen Haus nicht mehr erträgt und wieder zurück in die Schule zu seinem besten Freund will. Polizeikommissar Ostdorf, der die Angehörigen oft bewusst im Unklaren lässt, wird von Fabian Hinrichs als ebenso gewissenhaft wie unsensibel dargestellt.
So entsteht ein starkes Stück Kino mit hervorragenden Darstellerinnen und Darstellern, eine Mischung aus bekannten (Justus von Dohnányi, Fabian Hinrichs) und eher unbekannten Gesichtern (Adina Vetter, Claude Heinrich).
Hans-Christian Schmid gelingt es, die Spannung zu halten, gerade das schier endlose und zermürbende Warten filmisch nuanciert einzufangen. Hinter dem leise ironischen Titel verbirgt sich ein Film, bei dem die erwachsenen Protagonisten vorgeben, ruhig und angemessen zu reagieren, ihre Gefühle zu kontrollieren, der Film wird dabei langsam immer emotionaler und packender.

Wir sind dann wohl die Angehörigen
Regie: Hans Christian Schmid
Mit: Claude Heinrich, Adina Vetter, Justus von Dohnányi
Deutschland 2022, 118 Minuten

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