Wir reden schlecht über Politik - ist das klug?
Über Politiker und ihre Auftritte abzulästern, das ist schon fast Volksbrauch. Aber was immer sie sonst sein mögen - machtversessen, karrieresüchtig, geldgierig - bei Licht besehen sind Politiker erst einmal arme Hunde. Das hat Ursachen, von denen keine einzige geändert werden sollte. Die Frage ist nur, ob wir richtig beraten sind, wenn wir die problematischen Folgen für die Politik alleine den Politikern als Schuld in die Schuhe schieben.
An der politischen Wiege der modernen Gesellschaft stand die Kommunikationsfreiheit, die Meinungs-, Rede-, Pressefreiheit. Die Freiheit zu kommunizieren, das wird leicht übersehen, ist untrennbar verbunden mit der Freiheit nicht zu kommunizieren. Wo alle reden dürfen, muss niemand zuhören. Wir sind mit Recht stolz auf unsere Kommunikationsfreiheiten, aber den Aufwand, der unter diesen Bedingungen getrieben werden muss, um Aufmerksamkeit und Zustimmung zu bekommen, den mögen wir nicht. Wir empören uns über die Plattheit politischer Werbekampagnen. Wir rümpfen die Nase über Personalisierung und Emotionalisierung. Wahlkämpfe finden wir insgesamt eher schmutzig. Politiker werden am höchsten Ideal des herrschaftsfreien, sach- und verständigungsorientierten Diskurses gemessen - als ob sich im Alltagsgeschäft damit ein Blumentopf oder auch nur eine einzige Wählerstimme gewinnen ließe. Eines wird die politische Kommunikation immer verfehlen, entweder ihr Ideal oder ihren Erfolg.
Historisch gesehen ist es eine Sensation, dass die Regierenden nicht über die Medien verfügen können, die ihre Politik vermitteln und kommentieren. Früher, bis tief in das 18. Jahrhundert hinein war hatten nur die Herrschenden hatten eine öffentliche Stimme. Heute kann kein politischer Akteur relevante Öffentlichkeiten aus eigener Kraft und nach eigenen Regeln herstellen, er kann sie nicht einmal mehr erreichen.
Aus guten Gründen steht die Politik unter journalistischer Dauerbeobachtung. Gewiss eröffnen sich damit neue Möglichkeiten der Selbst-Darstellung von Politik bis hin zum symbolischen, nur für die Medien organisierten Event. Umgekehrt aber gerät durch den bloßen Umstand, unter ständiger Beobachtung zu stehen und das zu wissen, jedes Auftreten unweigerlich in den Verdacht, nur eine Aufführung, eine bloße Inszenierung zu sein. Vergleichbar vielleicht mit einer permanenten Prüfungs- oder Bewerbungssituation verwandelt sich die Chance der Selbst-Darstellung in die unaufhörliche Notwendigkeit sich zu präsentieren. Damit taucht sofort die Glaubwürdigkeitsfrage auf. Wer verdient Vertrauen, wenn alles Verhalten Fassade und jedes Gesicht - ob es Ehrenworte oder Schimpfwörter formuliert - eine Maske sein kann? Wahrscheinlich hat die ganze Debatte über den Vertrauensverlust der Politik mehr mit diesen veränderten Beobachtungsverhältnissen als mit einem veränderten Politikerverhalten zu tun.
Schließlich unterliegt die Politik selbst einem Funktionswandel. Ihre hoheitliche Rolle, ihr machtvoller staatspolitischer Auftritt ist nicht verschwunden, aber verblasst. Sie ist zum Hans Dampf in allen Gassen geworden. Sie wird überall hin zitiert und bei ihrer Ankunft kritisch gefragt, weshalb sie sich schon wieder einmischen wolle. Ob Bildung, Gesundheit, Verkehr, Kunst, Sport oder Wirtschaft - jeder gesellschaftliche Teilbereich feiert seine Erfolge selbst. Aber ihre großen Probleme laden sie alle auf der politischen Bühne ab, am liebsten gleich im Kanzleramt. Ihre Probleme sollen nicht ihre Sache sein, sondern möglichst zur "Chefsache" werden. Müllberge und Bildungszwerge, die millionenfache Arbeitslosigkeit, sie werden doch nicht von der Politik verursacht. Solche Probleme sind direkte Konsequenzen oder zumindest ungewollte Nebenfolgen unseres gesellschaftlichen Verhaltens.
Die gesellschaftliche Belagerung der Politik und die politische Regulierung der Gesellschaft - wir brauchen beides. Aber wie sollen die Politiker das aushalten, wie soll Respekt vor politischer Leistung aufkommen, wenn immer sofort über das Versagen der Politik schwadroniert wird, wo eigentlich die gesellschaftliche Verantwortung zur Debatte steht?
Hans-Jürgen Arlt, Dr. phil., geboren 1948, arbeitet in Berlin als freier Publizist und Kommunikationswissenschaftler. Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in München und Erlangen Redakteur der "Nürnberger Nachrichten". Bis 2002 rund zehn Jahre lang Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Mehrere Lehraufträge an deutschen Universitäten; gegenwärtig Lehrauftrag am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin im Bereich politische Kommunikation. Zahlreiche Publikationen in den Bereichen Kommunikation und Arbeitswelt.
Historisch gesehen ist es eine Sensation, dass die Regierenden nicht über die Medien verfügen können, die ihre Politik vermitteln und kommentieren. Früher, bis tief in das 18. Jahrhundert hinein war hatten nur die Herrschenden hatten eine öffentliche Stimme. Heute kann kein politischer Akteur relevante Öffentlichkeiten aus eigener Kraft und nach eigenen Regeln herstellen, er kann sie nicht einmal mehr erreichen.
Aus guten Gründen steht die Politik unter journalistischer Dauerbeobachtung. Gewiss eröffnen sich damit neue Möglichkeiten der Selbst-Darstellung von Politik bis hin zum symbolischen, nur für die Medien organisierten Event. Umgekehrt aber gerät durch den bloßen Umstand, unter ständiger Beobachtung zu stehen und das zu wissen, jedes Auftreten unweigerlich in den Verdacht, nur eine Aufführung, eine bloße Inszenierung zu sein. Vergleichbar vielleicht mit einer permanenten Prüfungs- oder Bewerbungssituation verwandelt sich die Chance der Selbst-Darstellung in die unaufhörliche Notwendigkeit sich zu präsentieren. Damit taucht sofort die Glaubwürdigkeitsfrage auf. Wer verdient Vertrauen, wenn alles Verhalten Fassade und jedes Gesicht - ob es Ehrenworte oder Schimpfwörter formuliert - eine Maske sein kann? Wahrscheinlich hat die ganze Debatte über den Vertrauensverlust der Politik mehr mit diesen veränderten Beobachtungsverhältnissen als mit einem veränderten Politikerverhalten zu tun.
Schließlich unterliegt die Politik selbst einem Funktionswandel. Ihre hoheitliche Rolle, ihr machtvoller staatspolitischer Auftritt ist nicht verschwunden, aber verblasst. Sie ist zum Hans Dampf in allen Gassen geworden. Sie wird überall hin zitiert und bei ihrer Ankunft kritisch gefragt, weshalb sie sich schon wieder einmischen wolle. Ob Bildung, Gesundheit, Verkehr, Kunst, Sport oder Wirtschaft - jeder gesellschaftliche Teilbereich feiert seine Erfolge selbst. Aber ihre großen Probleme laden sie alle auf der politischen Bühne ab, am liebsten gleich im Kanzleramt. Ihre Probleme sollen nicht ihre Sache sein, sondern möglichst zur "Chefsache" werden. Müllberge und Bildungszwerge, die millionenfache Arbeitslosigkeit, sie werden doch nicht von der Politik verursacht. Solche Probleme sind direkte Konsequenzen oder zumindest ungewollte Nebenfolgen unseres gesellschaftlichen Verhaltens.
Die gesellschaftliche Belagerung der Politik und die politische Regulierung der Gesellschaft - wir brauchen beides. Aber wie sollen die Politiker das aushalten, wie soll Respekt vor politischer Leistung aufkommen, wenn immer sofort über das Versagen der Politik schwadroniert wird, wo eigentlich die gesellschaftliche Verantwortung zur Debatte steht?
Hans-Jürgen Arlt, Dr. phil., geboren 1948, arbeitet in Berlin als freier Publizist und Kommunikationswissenschaftler. Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in München und Erlangen Redakteur der "Nürnberger Nachrichten". Bis 2002 rund zehn Jahre lang Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Mehrere Lehraufträge an deutschen Universitäten; gegenwärtig Lehrauftrag am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin im Bereich politische Kommunikation. Zahlreiche Publikationen in den Bereichen Kommunikation und Arbeitswelt.