"Wir müssen uns Sorgen machen"

Peter Schaar im Gespräch mit Christopher Ricke · 24.09.2009
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, will eine erneute Überprüfung von Telefonüberwachungen. Die im vergangenen Jahr beschlossene Begrenzung habe offenbar nicht gegriffen, sagte Schaar.
Christopher Ricke: Immer mehr Telefongespräche werden überwacht. Das zeigt die Statistik des Bundesamtes für Justiz in Bonn. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Verfahren, also der Gerichtsverfahren, in denen Telefongespräche und Computerkommunikation abgehört und überwacht wurden, elf Prozent gestiegen, in Bayern sogar um 30. Ist das ein Fall für den Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Peter Schaar, der schon vor Wochen erhebliche datenschutzrechtliche Defizite beklagt hat bei der geltenden gesetzlichen Regelung der Telefonüberwachung? Ich sprach mit ihm und ich fragte ihn: Herr Schaar, sind Ihre Befürchtungen bestätigt oder sogar übertroffen?

Peter Schaar: Es ist in gewisser Hinsicht übertroffen worden, denn der Gesetzgeber hat ja gehandelt. Am 1. Januar 2008 traten neue Bestimmungen zur Telekommunikationsüberwachung in Kraft und Ziel dieser Neuregelungen war ja, da eine Begrenzung hineinzubekommen. Und jetzt stellt sich heraus: 2008 wurden wieder mehr Telefone überwacht als im Jahr davor. Das hat offensichtlich nicht gegriffen, und da muss man jetzt mal der Sache auf den Grund gehen. Woran liegt das? Ich hatte ja seinerzeit eine Einschränkung des Katalogs der Überwachungs- oder Strafvorschriften vorgeschlagen, die eine Überwachung rechtfertigen. Dem ist man so nicht gefolgt. Man hat zwar einige Schwellen eingezogen, auch methodischer Art, aber jetzt muss man wohl doch noch mal an diesen Sachverhalt da heran.

Ricke: Es gibt diesen genannten Katalog an Straftaten, die Telefonüberwachung rechtfertigen. Was sind das denn für Straftaten, die aus Ihrer Sicht die Telefonüberwachung nicht rechtfertigen, die man aus diesem Katalog herausnehmen müsste?

Schaar: Na ja, man müsste sich das mal wirklich sehr genau anschauen: Wie schwerwiegend sind diese einzelnen Straftaten? Manches ist ja dazugekommen im Bereich der Wirtschaftskriminalität, es gab auch schon Regelungen wie Anleitung zum … oder Aufstachelung zum Asylbetrug beziehungsweise zur missbräuchlichen Asylantragstellung, all so etwas, denke ich mal, gehört auf diesen Prüfstand und dann müsste man den Katalog, denke ich, noch mal reduzieren.

Ricke: Die Überwachungen, über die wir sprechen, die sind ja alle wegen eines konkreten Verdachts auf eine Straftat angeordnet und nicht aus Jux und Tollerei durchgeführt. Müssen wir vielleicht doch aus Sicherheitsgründen diese Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses hinnehmen?

Schaar: Also dass es in sehr konkreten Einzelfällen, wenn es um schwere Straftaten geht, auch Telefonüberwachung geben darf und kann, ich denke, das wird von uns Datenschützern nicht infrage gestellt. Was man sich allerdings fragt, ist: Wie intensiv wird da geprüft, wie hoch sind die Schwellen dann tatsächlich, die dann von den Gerichten dann auch beachtet werden? Es gab in der Vergangenheit immer wieder kritische Studien aus dem wissenschaftlichen Bereich, wo gesagt wurde: Die Richter prüfen gar nicht richtig, sondern sie übernehmen einfach ungeprüft die Argumentation von Polizei und Staatsanwaltschaften. Es wäre jetzt aus meiner Sicht angebracht, jetzt hier noch mal nachzuschauen, gegebenenfalls auch weitere Untersuchungen zu machen, ob sich denn daran etwas geändert hat.

Ricke: Ist diese Kritik an deutschen Gerichten aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Schaar: Das kann ich eben nicht sagen. Das Ziel war ja, hier eine gründlichere Bearbeitung hineinzukriegen, auch eine Begründungspflicht dem Grunde nach vorzusehen. Das Ziel war, wie gesagt, hier auch stärkere Schwellenwerte – faktisch auch – wirken zu lassen durch die Verfahren. Das hat offensichtlich nicht geklappt.

Ricke: Es ist immer eine Frage der Abwägung: Fernmeldegeheimnis oder Interesse der Strafverfolgung? Ist diese Verhältnismäßigkeit aus dem Gleichgewicht geraten?

Schaar: Nun, ich sehe zumindest dieses Gleichgewicht, diese Verhältnismäßigkeit in Gefahr, wenn man feststellt: Hier wird immer mehr überwacht. Es ist sicherlich keine Rutschbahn im den Sinne, dass man da sozusagen in einer Windeseile in eine Überwachungsgesellschaft oder gar in einen Überwachungsstaat hineingerät. Aber es ist immer mehr was an Überwachung, auch wenn das Niveau insgesamt durchaus noch nicht so ist, dass man sagen kann, wir wären jetzt schon in einem Überwachungsstaat. Das sind 0,1 Promille der Fernmeldeanschlüsse, bei denen solche Anordnungen ergangen sind, das ist noch nicht ein Schwellenwert, der wirklich zu äußerster Besorgnis Anlass gibt.

Ricke: Wenn wir uns hier keine großen Sorgen machen müssen, ist diese Diskussion dann überflüssig?

Schaar: Wir müssen uns Sorgen machen. Ich mache mir selber Sorgen, aber die Frage ist, ob jetzt schon, sage ich mal, eine Alarmschwelle überschritten wird. Das ist sicher nicht der Fall. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein und wir müssen sehr genau hinschauen, und ich denke mal, wir sollten auch noch mehr Transparenz schaffen. Diese Statistik, die betrifft ja nur solche Fälle, in denen für Strafverfolgungszwecke, also nach der Strafprozessordnung solche Telefonüberwachungen angeordnet worden sind. Nicht enthalten sind die Überwachungsmaßnahmen, die durch Nachrichtendienste veranlasst worden sind und nicht enthalten sind auch diejenigen Überwachungsmaßnahmen, bei denen die Polizei präventiv, also zur Gefahrenabwehr, tätig war – denn in letzter Zeit sind solche Befugnisse in eine Reihe von Polizeigesetzen ja aufgenommen worden, zuletzt in das BKA-Gesetz.

Ricke: Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar. Vielen Dank, Herr Schaar!

Schaar: Vielen Dank auch meinerseits!