Wir müssen uns an "buntere, alternativere Wohnformen" gewöhnen

Frank Oswald im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 27.03.2013
Für immer mehr Menschen stellt sich die Frage, wie sie im Alter leben wollen. Gemeinschaftliches Wohnen könnte eine Alternative sein, aber auch nach wie vor das Altersheim. Das müssen "keine Orte sein, die unglücklich machen", sagt Frank Oswald von der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Korbinian Frenzel: Das ist noch kein Alter, in dem man sich wirklich um die Dinge Gedanken machen muss, über die wir jetzt sprechen. Aber erstens kommt es ja bekanntlich schneller und zweitens als man denkt, und da steht es dann an: alt werden, alt sein. Wie können, wie wollen wir im Alter leben? Dieser Frage ist ein Team um Professor Frank Oswald nachgegangen. Er leitet den Arbeitsbereich Alternswissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, und mit ihm bin ich jetzt zum Gespräch verabredet. Guten Morgen, Herr Oswald!

Frank Oswald: Guten Morgen, Herr Frenzel.

Frenzel: Wie wollen wir denn leben im Alter? Was ist das Ergebnis Ihrer Studie?

Oswald: Ja das Ergebnis unserer Studie ist, dass wir vor allem gerne in dem angestammten Quartier wohnen bleiben wollen, in dem wir schon meistens längere Zeit verbracht haben, in unserer Studie sogar über 45 Jahre. Die von uns befragten Personen, ungefähr 600 Personen, haben uns da überzeugt, dass es eine ganz starke Bindung an den eigenen Stadtteil gibt. Wir haben das hier in drei Frankfurter Stadtteilen gefragt und das zeigt sich eben, dass das eine hohe Bedeutung hat, auch für die Gesundheit im Alter.

Frenzel: Das heißt im Gegenzug: Altersheime sind eigentlich Orte, die unglücklich machen?

Oswald: Altersheime müssen keine Orte sein, die unglücklich machen, wenn man mal davon ausgeht, dass Altersheime Orte sind, die natürlich auch sehr wertvoll sind, wenn es uns nicht mehr gut geht. Das sage ich hier ganz unbenommen, dass da gute Arbeit geleistet wird und dass ich auch gar nicht der Meinung bin, man dürfe Altersheime immer verteufeln. Aber den meisten Menschen auch jenseits der 80, ungefähr der Hälfte der Menschen über 80, denen geht es eigentlich relativ gut, die wohnen in ganz normalen Privatwohnungen, und wir Menschen neigen eben dazu, auch gerne dort wohnen bleiben zu wollen, wo wir eigentlich schon lange wohnen, wo wir Menschen kennen, wo wir verbunden sind, wo wir unsere Alltagsroutinen verankert haben. Dort kann übrigens dann auch ein kleines Heim stehen, in das wir dann gerne wechseln wollen, wenn es nicht mehr gut geht.

Frenzel: Wenn wir am liebsten Zuhause bleiben, welche Konsequenzen müssen wir denn daraus ziehen? Wie müssen wir die Städte, die Wohnung umbauen?

Oswald: Ja das war einer der Schwerpunkte unserer Studie, eben nicht einfach nur Forschung für die Schublade zu machen. Da hat die BHF-BANK Stiftung, die das gefördert hat, von vornherein Wert drauf gelegt, so dass wir mit Verantwortlichen in den Quartieren, in der Stadt Frankfurt zusammengearbeitet haben, und die waren teilweise auch überrascht darüber, dass wir sagen, also dort wo Menschen häufig unterwegs sind, in den Zentren der Stadtteile, dort erreichen wir eben auch viele, dort sollten Angebote sein, diese Zentren sollten gut, sicher, gefahrlos, barrierefrei, vor allem zu Fuß erreichbar sein.

Und was wir auch zeigen konnten, ist, dass sogenannte weiche Faktoren wie das Leben mit den Nachbarn, das was wir soziale Teilhabe nennen, mitbekommen, was in der Nachbarschaft, im Quartier passiert, dass das sehr wichtig ist. Die von uns befragten waren viel weniger einsam, als wir erwartet hatten. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass sie sehr gut eingebunden waren auch in ihrer Nachbarschaft.

Frenzel: Es gibt das ja auch mittlerweile schon institutionalisiert in sogenannten Mehr-Generationen-Häusern. Ist das so etwas wie die zeitgemäße Variante der alten Großfamilie, in der das ja früher auch geleistet wurde? Ich sage es mal grob: erst kümmert sich die Oma um das Baby und später dann der Enkel um die Oma.

Oswald: Ja das ist ein bisschen eine romantische Vorstellung. Das ist heute eben nicht mehr so, dass es diese Großfamilien gibt. Die häufigste Wohnform ist der Ein-Personen-Haushalt und der Zwei-Personen-Haushalt. Frankfurt ist so gesehen die Stadt der Singles, wenn man mal an die über 60jährigen allein stehenden Frauen denkt. Also das ist eigentlich die heute jedenfalls häufigste Wohnform.

Gemeinschaftliches Wohnen könnte eine interessante Alternative für die, ich sage mal, nachrückenden Kohorten, vielleicht auch der Baby-Boomer sein. Dort könnte das etwas attraktiver sein, weil man auch ein bisschen eigene, ich sage jetzt mal, WG-Erfahrung mitbringt in das Alter. Für die heute Älteren, sprich 70 und älter, 80 und älter, ist es keine häufige Alternative. Also es ist interessant, aber es ist nicht eine Alternative für viele Menschen.

Frenzel: Liegt das daran, dass man das einfach nicht gewohnt ist?

Oswald: Ja ein bisschen, dass man es nicht gewohnt ist, vielleicht auch nicht möchte, vielleicht auch eben sein Leben lang anders gewohnt hat. Und ich glaube, es liegt auch ein bisschen daran, dass wir erst uns so langsam gewöhnen müssen an andere, buntere, alternativere Wohnformen, denn gemeinschaftliches Wohnen heißt ja nicht, in einer WG unter einem, ich sage jetzt mal, Dach in derselben Wohnung mit anderen zu sein, sondern da gibt es ja auch Formen, die sehr auf Privatheit abheben, auf Eigenständigkeit abheben, und das ist sicher ganz wichtig, dass man Wunsch nach sozialem Austausch, nach Miteinander kombiniert auch mit der Möglichkeit des Rückzugs, des allein seins.

Frenzel: Hier will ich wohnen bleiben, das ist die zentrale Erkenntnis einer Studie der Goethe-Universität in Frankfurt übers Wohnen im Alter. Professor Frank Oswald, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Oswald: Ich danke Ihnen, Herr Frenzel.


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