"Wir müssen Politik erklären"
<strong>Deutschlandradio Kultur:</strong> Herr Röttgen, in manchen Zeiten können Politiker mehr und öffentlicher als in anderen diskutieren, in Wahlkampfzeiten eher weniger. Jetzt haben wir unverhofft schnell Wahlkampfzeiten, und es müsste Ihnen doch unangenehm aufstoßen, dass im Moment immer noch recht heftig, auch öffentlich diskutiert wird - Mehrwertsteuer rauf, Mehrwertsteuer runter, Steuerreform schnell machen oder nicht, Entlastung oder nicht Entlastung. Es geht schon noch ziemlich durcheinander. Rächt es sich jetzt, dass die Kompromisse, die man zwischen CDU und CSU zu finden versucht hat, doch ein bisschen halbseiden und unausgegoren waren?
Röttgen: Ich sehe an allererster Stelle, dass wir jetzt auch die Ernte dafür einfahren, dass wir es uns in der Opposition nicht leicht gemacht haben. Wir hätten ja die Programmparteitage als Union gar nicht durchführen müssen. Wir hätten uns schlicht damit begnügen können, auch Rot-Grün zu schimpfen.
Deutschlandradio Kultur: Das hätte doch keinen überzeugt, das hätte nie ausgereicht.
Röttgen: Das sagen Sie. Die Umfragen im Jahr 2004 sind für die Union runter gegangen, als wir mit den Programmdiskussionen begonnen haben. Im Verdruss gegen Rot-Grün hätte man in der Situation für die jeweilige Landtagswahl vielleicht noch die meiste Zustimmung gewinnen können, aber wir wären intellektuell und geistig verharrt und auf der Stelle geblieben. So hat es Konflikte gegeben, die wir zu einem Ergebnis geführt haben.
Deutschlandradio Kultur: Eben, die Ernte müsste doch eigentlich sein, dass Sie mit einer ganz geschlossenen Stimme sprechen, weil Sie diese ganzen Auseinandersetzungen hatten. Das tun Sie aber nicht.
Röttgen Die Grundfragen, Strukturfragen, mit denen wir es zu tun haben - wie gestalten wir unsere Sozialsysteme um, wie bekommen wir unser Steuersystem wieder in den Griff und das vor dem Hintergrund praktisch nicht mehr vorhandener fiskalischer Spielräume, also überschuldeter öffentlicher Haushalte, Bund, Länder, Gemeinden und Sozialsysteme - diese Grundfragen sind so schwierig, dass ich es im Grunde auch nicht erwarte, dass ich es im Grunde auch nicht erwarte, dass wir auf Knopfdruck und mit Kommandowirtschaft das nun hinbekommen. Darum gibt es diese Diskussionsbeiträge. Ich gebe zu, dass ich mit etwas weniger auch gut leben könnte. Aber das Entscheidende ist, dass wir einen Zeitplan haben. Wir haben den 11. Juli, an dem das Regierungsprogramm vorgelegt werden wird. Das Wichtigste ist, dass wir ein hohes Einvernehmen zwischen CDU und CSU als Parteien und in den Personen der Vorsitzenden haben. Wenn es unterhalb dieser Ebene, auch unter denjenigen, die sich führend mit der Programmerstellung beschäftigen, dann unterschiedliche Beiträge gibt, ist das auch eine Vorbereitung auf notwendige Politik, die stattfinden wird.
Deutschlandradio Kultur: Zurück zur Ausgangsfrage: Die Union hat bisher immer stolz von sich gesagt, 'wir machen es besser als Schröder und die SPD, wir diskutieren vorher, was wir, wenn wir - aus Ihrer Sicht 'hoffentlich' - an die Regierung kommen, dann umsetzen wollen'. Aber es zeigt sich, dass Sie diese Diskussion zwar geführt haben, aber die Kompromisse - wenn wir an die Kompromisse zwischen CDU und CSU bei der Steuerreform oder Gesundheitsreform denken – offensichtlich nur halbseidene Kompromisse sind. Sonst hätten Sie doch jetzt die Diskussion nicht.
Röttgen: Nein, wir haben ja insbesondere keine Diskussion um die Prinzipien unserer Politik. Das finde ich auch das Entscheidende. Ob die eine Einzelheit so oder anders gemacht wird, ob wir bei der Besteuerung von Kapitalerträgen und Zinsen die Abgeltungssteuer haben oder ob sie der Einkommenssteuer unterliegen, ist eine wichtige Diskussion. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das finde ich aber o. k., weil es einfach ein fachliches Pro und Kontra gibt. Aber über die Prinzipien der Reform des Steuersystems, über die Prinzipien der Reform der sozialen Sicherungssysteme, nämlich Verabschiedung vom System Bismarck, das für die Finanzierung sozialer Sicherheit allein die Arbeitnehmer und Arbeitgeber über Sozialbeiträge zuständig sind und die Solidargemeinschaft der Steuerzahler nicht in Anspruch genommen wird, besteht Konsens. Ich halte es für den ganz entscheidenden Punkt, dass wir klar machen, was sind die Leitprinzipien unserer Politik. Da haben wir glasklare Positionen und Konsens im Unionslager.
Deutschlandradio Kultur: Es wird aber immer wieder aus Reihen der Union angeführt, dass diese Prinzipien in ihrer Umsetzung dem berühmten Kassensturz obliegen könnten, dass man also erst mal gucken muss, wie es denn eigentlich mit der Finanzlage aussieht. Das erscheint uns dann doch ein bisschen als ein vorgeschobenes Argument. Denn jeder weiß, dass wir zwischen 1,2 oder 1,4 Billionen Euro Staatsschulden haben. Da muss man nicht erst die Kasse stürzen, da weiß man, wo die Probleme liegen.
Röttgen: Da haben Sie völlig Recht. Darum habe ich z. B. in der Öffentlichkeit, natürlich auch intern, dieses Kassensturzargument auch noch nicht verwendet. Ich glaube, auch als nicht finanzpolitischer Experte eine halbwegs präzise Vorstellung über die Dimension der Verschuldung aller öffentlichen Haushalte, unter Einschluss der Haushalte der sozialen Sicherungssysteme, zu haben. Wir müssen dafür sorgen, dass auch die Bevölkerung die Situation so erkennt, weil sie auch die Basis für die Politik ist, die wir machen wollen. Wir haben noch mal eine Besonderheit, dass die jetzige Bundesregierung es offensichtlich ablehnt, obwohl es ihre Pflicht ist, für das nächste Jahr einen Bundeshaushalt vorzulegen. Die Weigerung, in einem Schlussdokument der Regierung zu sagen, das ist unser finanzieller Abschluss, spricht ja auch Bände. Ich glaube, zu dem Wissen um die Dimension der Verschuldung kommt noch mal hinzu, dass der aktuelle Bundeshaushalt völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Das muss man fairerweise dazu sagen.
Deutschlandradio Kultur: Also: Kassensturz kein Argument.
Röttgen: Nicht für die Legitimation unserer Politik, dass wir sagen, wir müssen erst mal in die Bücher gucken, um zu wissen, wie die finanzielle Lage ist. Die ist dramatisch schlecht. Das wissen wir. Das sagen wir vorher und das ist die Grundlage für politisch notwendige Maßnahmen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben soeben gesagt, dass sich die Union, also CDU und CSU, über die Prinzipien ihrer Politik einig sind. Nun sind ja Prinzipien schön. Es ist nur ein bisschen wenig konkret für den Wahlkampf - wir sind alle für Freiheit, für Gerechtigkeit usw... Lassen Sie uns mal gemeinsam versuchen, etwas konkreter zu werden. Wird es unter einer unionsgeführten Regierung eine Mehrwertsteuererhöhung geben?
Röttgen: Ich bin dringend dafür und sage es auch, dass - wenn wir die Vereinzelung in der Diskussion der Themen nicht fortsetzen...
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sind wir wieder bei den Prinzipien.
Röttgen: Nein. Sie haben Recht, ich stimme Ihnen zu, dass eine reine Prinzipiendiskussion unpolitisch ist, weil die Menschen ja verstehen müssen, was heißt das Prinzip für die Lösung von Problemen. Das wäre falsch. Genauso falsch wäre es, wenn wir nun die Einzelheiten durchhecheln, ohne den Menschen die Chance zu geben zu verstehen, was der Zusammenhang der Politik ist.
Deutschlandradio Kultur: In anderen Worten: Mehrwertsteuererhöhung ja, aber unter den richtigen Bedingungen und für die richtigen Gründe?
Röttgen: Nein, in anderen Worten, wir müssen beim Prinzip anfangen und dann zum Problem kommen. Das Prinzip lautet: Wenn wir es so weitermachen, dass soziale Sicherheit allein weiterhin über den Lohn finanziert wird, dann vernichten wir Arbeitsplätze, weil es Arbeit teuer macht.
Deutschlandradio Kultur: Das war das Prinzip. Wir hätten es gern konkret.
Röttgen: Das war das Prinzip. Und jetzt komme ich dazu: Das heißt, dass, wenn wir soziale Sicherung, etwa die Krankenversicherung, nicht mehr allein über Beiträge finanzieren wollen, wir eben auch, jedenfalls die solidarischen Elemente, z. B. die Versicherung von Kindern, über Steuern finanzieren müssen, weil das gerechter ist und arbeitsplatzschaffend ökonomisch positiv ist. Darum brauchen wir dafür Steuermittel.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt ist die Frage: Wo kommen die her? Aus der Mehrwertsteuer, ja oder nein?
Röttgen: Die kommen aus dem Aufkommen aus den indirekten Steuern, wie der Mehrwertsteuer.
Deutschlandradio Kultur: Die Tabaksteuer würde nicht reichen.
Röttgen: Richtig, die Tabaksteuer wird nicht reichen.
Deutschlandradio Kultur: Die Ökosteuer werden Sie auch nicht erhöhen.
Röttgen: Und die Ökosteuer werden wir nicht erhöhen. Wir werden sie aber auch nicht abschaffen. Darum werden wir in unserem Regierungsprogramm zu dieser Frage eine präzise Angabe machen. Aber wir werden sie machen im Zusammenhang des Prinzips und der daraus folgenden Maßnahme, was bedeutet das z. B. und insbesondere für die Mehrwertsteuer. Diese Aussage wird es klar geben.
Deutschlandradio Kultur: Aber nicht jetzt von Ihnen?
Röttgen: Nicht jetzt von mir, weil der 11. Juli für uns ein wichtiges Datum ist und weil es auch wichtig ist, dass wir die Diskussion zu einem solchen Programm hinführen und nicht Einzelne, insbesondere diejenigen, die es auch mit erarbeiten, dann schon vorher Festlegungen machen. Aber dass dieser Zusammenhang besteht, kann ich heute schon bestätigen. Es ist auch keine originelle Bestätigung, sondern dieser Zusammenhang besteht und wir werden ihn dann präzise herstellen.
Deutschlandradio Kultur: O. k., nächster Punkt: Einkommensteuersenkung – ja oder nein? Und wenn ja, wie schnell?
Röttgen: Das Prinzip lautet…
Deutschlandradio Kultur: Herr Röttgen, das Prinzip haben wir verstanden.
Röttgen: Dann nennen Sie es mir.
Deutschlandradio Kultur: Wir hätten doch gern, dass Sie auf unsere Frage antworten.
Röttgen: Ja, und ich hätte so gerne, wenn Sie unseren Ansatz mit vollzögen, der nicht in der Vereinzelung der Themen liegt. Wenn wir die machen, dann sind wir nach fünf Monaten so weit wie die jetzige Regierung ist. Darum nenne ich Ihnen das Prinzip der Steuerreform. Es ist das Freiheitsprinzip. Das jetzige System ist ein System, in dem der Staat durch Regulierung, durch Anreize, aber noch mehr durch Sanktionierung den Bürgern sagt, wie sie sich verhalten sollen. Wenn du dich so verhältst, dann kriegst du Geld von uns. Wenn du dich so verhältst, dann musst du zahlen.
Deutschlandradio Kultur: Das nennt man Steuern durch Steuern. Das wollen Sie abschaffen?
Röttgen: Das wollen wir in einem weiten Umfange abschaffen. Dann entscheidet der Einzelne darüber, was er mit dem macht, was er verdient hat. Das motiviert den Einzelnen, etwas zu verdienen. Es macht das System einfacher, effizienter und gerechter. Das wollten Sie eben ausführen.
Deutschlandradio Kultur: Gleichzeitig will die Union die Steuersätze senken. Wie diese Rechnung aufgeht zwischen der Abschaffung von Ausnahmetatbeständen und der Senkung der Sätze und der zusätzlichen Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme aus Steuern - denn das Prinzip hatten wir ja auch gerade - das können Sie uns noch nicht genau sagen. Das kommt am 11. Juli.
Röttgen: Das ist eine Frage, die wir noch beantworten werden. Wird die Finanzierung - auch der Umstrukturierung, nicht nur der Beitragssatzsenkung, das ist nicht nur das Entscheidende, sondern die Umstrukturierung der sozialen Sicherungssysteme, dass sie verlässlich werden – nur aus dem Aufkommen der indirekten, oder auch der direkten Steuern erfolgen, das ist noch eine offene Frage. Kurzfristig sind jedenfalls größere Spielräume für Entlastungen bei der Einkommenssteuer nicht zu erwarten. Die Rendite wird nicht kurzfristig sein, sondern sie wird sich auf längere Sicht einstellen. Das ist bei Umstrukturierungen so. Es wird neu gebaut. Es muss zuerst investiert werden, bevor man erntet.
Deutschlandradio Kultur: Wenn das Gespräch so weitergeht, werden Sie uns am 11. Juli noch einladen, weil wir inzwischen in Ihren Prinzipien fit sind.
Röttgen: Das wäre doch ein Erfolg des Gespräches.
Deutschlandradio Kultur: Die dritte Frage werden Sie wahrscheinlich dann ganz eindeutig mit Ja beantworten.
Röttgen: Empfehlen Sie mir jetzt schon Antworten für Ihre Fragen?
Deutschlandradio Kultur: Wir vermuten einfach.
Röttgen: Und im Gegenzug stelle ich Ihnen gleich die Fragen.
Deutschlandradio Kultur: Das wäre auch ein 'Systemwechsel'. Sie nennen das solidarische Gesundheitsprämie. Andere nennen das Kopfpauschale. Sagen wir neutral: Gesundheitsreform wird kommen – sicher?
Röttgen: Ja. Ich nehme Ihre Empfehlung für die Antwort an – ein klares Ja.
Deutschlandradio Kultur: Obwohl ja einige Stimmen aus der Union, aber auch aus der Wirtschaft sagen, dass das mit dem Prinzip von Einfachheit und Bürokratieabbau überhaupt nicht zusammenpasst. Ich will nur mal diesen wundervollen Satz von Arbeitgeberpräsident Hundt zitieren, der die Gesundheitspauschale mit gedeckelten Arbeitgeberanteil und steuerlich finanziertem sozialen Ausgleich ein 'Mistmodell' genannt hat und dann dazu sagte, es sei "eine gemischt lohnabhängige arbeitgeberbeitragsfondsteuerergänzungsfinanzierte Teilpauschalprämie".
Röttgen: Wenn Herr Hundt das so bezeichnet haben sollte, dann ist das jedenfalls nicht die Auffassung praktisch aller Experten, was das Modell anbelangt. Bis in die SPD hinein, bis hin zum Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung sagen alle, das Modell der Gesundheitsprämie ist das, auf das wir umsteigen müssen. Und wir werden es darum auch realisieren.
Deutschlandradio Kultur: Obwohl Friedrich Merz – ein ja nicht ganz unbekannter, unbedeutender Unionspolitiker…
Röttgen:... auch für das Projekt ist.
Deutschlandradio Kultur: ... gesagt hat, er kann sich nicht vorstellen, dass die so kommt, weil sie viel zu kompliziert ist und viel zu bürokratisch. Da sind wir wieder bei den faulen Kompromissen mit der CSU.
Röttgen: Wir haben aber noch keinen Gesetzentwurf geschrieben, sondern wir haben eine Einigung erreicht, die ihren Wert hat in der Verständigung auf die Prinzipien, die Sie so sehr schätzen. Und wenn wir einen Gesetzentwurf formulieren, wird auch über Einzelheiten geredet werden. Das ist dann handwerklich möglicherweise sogar zu bereinigen, aber jedenfalls zu machen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Röttgen, lassen Sie uns noch einen Moment über politische Psychologie reden, was ja nicht ganz so unerheblich ist. Schwarz-Gelb tritt im Herbst, wenn denn gewählt wird, damit an, dass sie mehr von der Art Reformen angehen wollen als die, für die Rot-Grün möglicherweise durch Abwahl abgestraft wird, weil es den Leuten zu weit geht, weil es sie verunsichert, weil sie reformmüde sind. Wie wollen Sie das denn sozusagen Ihren Wählern 'verkaufen’? Also: Mehr von dem, wovon ihr die Nase schon voll habt, bekommt ihr von uns.
Röttgen: Ich würde dieses Produkt den Bürgern eben auch so nicht anbieten, weil es nicht unser Produkt ist. Wir wollen ja nicht nur ein Mehr, sondern wir wollen ein Anders haben.
Deutschlandradio Kultur: Die Prinzipien - da sind sie wieder!
Röttgen: Sie fangen an, unseren überzeugenden Ansatz aufzunehmen. Es fängt damit an, dass der jetzige Bundeskanzler mindestens 2002 - 98 war noch mal ein anderer Fall - nicht die Traute hatte, ein Mandat von den Bürgern zu erbitten für die Politik, die er dann gemacht hat. Damit fängt es an.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns mal nicht so sehr in die Vergangenheit gucken.
Röttgen: Ich wollte auch weniger in die Vergangenheit gucken, sondern wollte sagen: daraus lernen wir und werden es anders machen. Darum werden wir das Mandat erbitten. Dann kommen handwerkliche Fehler dazu. Man sieht jetzt bei dem Auflösungsprozess der Koalition, dass sie noch nicht einmal in der Lage sind, handwerklich ihr eigenes Abseilen aus der Verantwortung zu organisieren. Letzter Punkt: Was sie in der Steuerreform überhaupt nicht gemacht haben und nur ansatzweise bei Hartz IV, sind Strukturreformen.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem möchten wir Ihnen zur Kommentierung vorsetzen, was Ihr Kollege Norbert Lammert, das ist der NRW-Landesgruppenchef, gesagt hat. Er hat jetzt schon gewarnt. 'Zwischen dem, was die CDU an Reformen für nötig hält, wie die Gesundheitsreform, und dem, was die Leute nachvollziehen wollen, gibt es ein gewisses 'Kommunikationsproblem'. Was Sie machen wollen und das den Leuten dann auch nahe bringen, wählbar machen, sind ja zwei verschiedene Paar Schuhe.
Röttgen: Ich traue mich schon gar nicht mehr, auf die Prinzipien hinzuweisen, weil die natürlich die Brücke zwischen beidem sind. Ja, wir müssen Politik erklären. Das ist das größte Versäumnis, das meinte ich mit dem fehlenden Mandat. Der Bundeskanzler und die jetzige Regierung haben sich dem nicht unterzogen, ihre Politik zu erklären. Sie haben auch nicht erklärt, wozu machen wir eigentlich Politik. Ich behaupte im Übrigen, dass das auch der Strukturmangel dieser Regierung ist, dass sie Regierung werden wollte, ohne zu wissen wozu. Das ist wahrscheinlich die wichtigste Lehre, die wir aus der jetzigen Regierungszeit für uns ziehen müssen, dass wir es erstens wissen müssen, wozu Politik, wozu Regierung, und dass wir es erklären müssen.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben doch in den letzten zweieinhalb Jahren, auch bei Landtagswahlen, gerade Zulauf gehabt von den so genannten kleinen Leuten, also den sozialen Schichten, wie materiell weniger gut ausgestattet sind. Die erwarten natürlich von Ihnen, dass sie unter einer unionsgeführten Regierung in irgendeiner Form besser gestellt werden. Das können Sie noch nicht mal vermitteln mit dem, was Sie vorhaben, geschweige denn versprechen.
Röttgen: Ich glaube nicht, dass es die Erwartung der Menschen ist, es wird jetzt kurzfristig mehr Geld geben. So dumm sind die Menschen nicht, weil sie ein Gefühl dafür haben, wie die Lage ist. Das ist übrigens auch die Chance der neuen Regierung, dass sie nicht auf eine solche kurzfristige Erwartung setzt, die sie den Leuten sozusagen erst mal selber einredet, um dann erkennen zu müssen, wir können das, was wir selber den Menschen eingeredet haben, dann nicht realisieren.
Norbert Röttgen, geboren am 2. Juli 1965 in Meckenheim; römisch-katholisch; verheiratet; zwei Söhne und eine Tochter. 1984 Abitur; 1984 bis 1989 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn; 1989 erste, 1993 zweite juristische Staatsprüfung, 2001 Promotion zum Dr. jur. in Bonn. 1993 Zulassung als Rechtsanwalt am Landgericht Köln; 1999 Zulassung am Oberlandesgericht Köln. 1982 Eintritt in die CDU; Mitglied im Kreisvorstand der CDU Rhein-Sieg und im Bezirksvorstand der CDU Mittelrhein, 1992 bis 1996 Landesvorsitzender der Jungen Union NRW; seit 2000 stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landesgruppe NRW im Deutschen Bundestag; seit 2001 Vorsitzender des Bundesarbeitskreises Christlich-Demokratischer Juristen (BACDJ); 2002 - 2005 rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion; seit Januar 2005 1. Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Deutschlandradio Kultur: Das hätte doch keinen überzeugt, das hätte nie ausgereicht.
Röttgen: Das sagen Sie. Die Umfragen im Jahr 2004 sind für die Union runter gegangen, als wir mit den Programmdiskussionen begonnen haben. Im Verdruss gegen Rot-Grün hätte man in der Situation für die jeweilige Landtagswahl vielleicht noch die meiste Zustimmung gewinnen können, aber wir wären intellektuell und geistig verharrt und auf der Stelle geblieben. So hat es Konflikte gegeben, die wir zu einem Ergebnis geführt haben.
Deutschlandradio Kultur: Eben, die Ernte müsste doch eigentlich sein, dass Sie mit einer ganz geschlossenen Stimme sprechen, weil Sie diese ganzen Auseinandersetzungen hatten. Das tun Sie aber nicht.
Röttgen Die Grundfragen, Strukturfragen, mit denen wir es zu tun haben - wie gestalten wir unsere Sozialsysteme um, wie bekommen wir unser Steuersystem wieder in den Griff und das vor dem Hintergrund praktisch nicht mehr vorhandener fiskalischer Spielräume, also überschuldeter öffentlicher Haushalte, Bund, Länder, Gemeinden und Sozialsysteme - diese Grundfragen sind so schwierig, dass ich es im Grunde auch nicht erwarte, dass ich es im Grunde auch nicht erwarte, dass wir auf Knopfdruck und mit Kommandowirtschaft das nun hinbekommen. Darum gibt es diese Diskussionsbeiträge. Ich gebe zu, dass ich mit etwas weniger auch gut leben könnte. Aber das Entscheidende ist, dass wir einen Zeitplan haben. Wir haben den 11. Juli, an dem das Regierungsprogramm vorgelegt werden wird. Das Wichtigste ist, dass wir ein hohes Einvernehmen zwischen CDU und CSU als Parteien und in den Personen der Vorsitzenden haben. Wenn es unterhalb dieser Ebene, auch unter denjenigen, die sich führend mit der Programmerstellung beschäftigen, dann unterschiedliche Beiträge gibt, ist das auch eine Vorbereitung auf notwendige Politik, die stattfinden wird.
Deutschlandradio Kultur: Zurück zur Ausgangsfrage: Die Union hat bisher immer stolz von sich gesagt, 'wir machen es besser als Schröder und die SPD, wir diskutieren vorher, was wir, wenn wir - aus Ihrer Sicht 'hoffentlich' - an die Regierung kommen, dann umsetzen wollen'. Aber es zeigt sich, dass Sie diese Diskussion zwar geführt haben, aber die Kompromisse - wenn wir an die Kompromisse zwischen CDU und CSU bei der Steuerreform oder Gesundheitsreform denken – offensichtlich nur halbseidene Kompromisse sind. Sonst hätten Sie doch jetzt die Diskussion nicht.
Röttgen: Nein, wir haben ja insbesondere keine Diskussion um die Prinzipien unserer Politik. Das finde ich auch das Entscheidende. Ob die eine Einzelheit so oder anders gemacht wird, ob wir bei der Besteuerung von Kapitalerträgen und Zinsen die Abgeltungssteuer haben oder ob sie der Einkommenssteuer unterliegen, ist eine wichtige Diskussion. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das finde ich aber o. k., weil es einfach ein fachliches Pro und Kontra gibt. Aber über die Prinzipien der Reform des Steuersystems, über die Prinzipien der Reform der sozialen Sicherungssysteme, nämlich Verabschiedung vom System Bismarck, das für die Finanzierung sozialer Sicherheit allein die Arbeitnehmer und Arbeitgeber über Sozialbeiträge zuständig sind und die Solidargemeinschaft der Steuerzahler nicht in Anspruch genommen wird, besteht Konsens. Ich halte es für den ganz entscheidenden Punkt, dass wir klar machen, was sind die Leitprinzipien unserer Politik. Da haben wir glasklare Positionen und Konsens im Unionslager.
Deutschlandradio Kultur: Es wird aber immer wieder aus Reihen der Union angeführt, dass diese Prinzipien in ihrer Umsetzung dem berühmten Kassensturz obliegen könnten, dass man also erst mal gucken muss, wie es denn eigentlich mit der Finanzlage aussieht. Das erscheint uns dann doch ein bisschen als ein vorgeschobenes Argument. Denn jeder weiß, dass wir zwischen 1,2 oder 1,4 Billionen Euro Staatsschulden haben. Da muss man nicht erst die Kasse stürzen, da weiß man, wo die Probleme liegen.
Röttgen: Da haben Sie völlig Recht. Darum habe ich z. B. in der Öffentlichkeit, natürlich auch intern, dieses Kassensturzargument auch noch nicht verwendet. Ich glaube, auch als nicht finanzpolitischer Experte eine halbwegs präzise Vorstellung über die Dimension der Verschuldung aller öffentlichen Haushalte, unter Einschluss der Haushalte der sozialen Sicherungssysteme, zu haben. Wir müssen dafür sorgen, dass auch die Bevölkerung die Situation so erkennt, weil sie auch die Basis für die Politik ist, die wir machen wollen. Wir haben noch mal eine Besonderheit, dass die jetzige Bundesregierung es offensichtlich ablehnt, obwohl es ihre Pflicht ist, für das nächste Jahr einen Bundeshaushalt vorzulegen. Die Weigerung, in einem Schlussdokument der Regierung zu sagen, das ist unser finanzieller Abschluss, spricht ja auch Bände. Ich glaube, zu dem Wissen um die Dimension der Verschuldung kommt noch mal hinzu, dass der aktuelle Bundeshaushalt völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Das muss man fairerweise dazu sagen.
Deutschlandradio Kultur: Also: Kassensturz kein Argument.
Röttgen: Nicht für die Legitimation unserer Politik, dass wir sagen, wir müssen erst mal in die Bücher gucken, um zu wissen, wie die finanzielle Lage ist. Die ist dramatisch schlecht. Das wissen wir. Das sagen wir vorher und das ist die Grundlage für politisch notwendige Maßnahmen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben soeben gesagt, dass sich die Union, also CDU und CSU, über die Prinzipien ihrer Politik einig sind. Nun sind ja Prinzipien schön. Es ist nur ein bisschen wenig konkret für den Wahlkampf - wir sind alle für Freiheit, für Gerechtigkeit usw... Lassen Sie uns mal gemeinsam versuchen, etwas konkreter zu werden. Wird es unter einer unionsgeführten Regierung eine Mehrwertsteuererhöhung geben?
Röttgen: Ich bin dringend dafür und sage es auch, dass - wenn wir die Vereinzelung in der Diskussion der Themen nicht fortsetzen...
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sind wir wieder bei den Prinzipien.
Röttgen: Nein. Sie haben Recht, ich stimme Ihnen zu, dass eine reine Prinzipiendiskussion unpolitisch ist, weil die Menschen ja verstehen müssen, was heißt das Prinzip für die Lösung von Problemen. Das wäre falsch. Genauso falsch wäre es, wenn wir nun die Einzelheiten durchhecheln, ohne den Menschen die Chance zu geben zu verstehen, was der Zusammenhang der Politik ist.
Deutschlandradio Kultur: In anderen Worten: Mehrwertsteuererhöhung ja, aber unter den richtigen Bedingungen und für die richtigen Gründe?
Röttgen: Nein, in anderen Worten, wir müssen beim Prinzip anfangen und dann zum Problem kommen. Das Prinzip lautet: Wenn wir es so weitermachen, dass soziale Sicherheit allein weiterhin über den Lohn finanziert wird, dann vernichten wir Arbeitsplätze, weil es Arbeit teuer macht.
Deutschlandradio Kultur: Das war das Prinzip. Wir hätten es gern konkret.
Röttgen: Das war das Prinzip. Und jetzt komme ich dazu: Das heißt, dass, wenn wir soziale Sicherung, etwa die Krankenversicherung, nicht mehr allein über Beiträge finanzieren wollen, wir eben auch, jedenfalls die solidarischen Elemente, z. B. die Versicherung von Kindern, über Steuern finanzieren müssen, weil das gerechter ist und arbeitsplatzschaffend ökonomisch positiv ist. Darum brauchen wir dafür Steuermittel.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt ist die Frage: Wo kommen die her? Aus der Mehrwertsteuer, ja oder nein?
Röttgen: Die kommen aus dem Aufkommen aus den indirekten Steuern, wie der Mehrwertsteuer.
Deutschlandradio Kultur: Die Tabaksteuer würde nicht reichen.
Röttgen: Richtig, die Tabaksteuer wird nicht reichen.
Deutschlandradio Kultur: Die Ökosteuer werden Sie auch nicht erhöhen.
Röttgen: Und die Ökosteuer werden wir nicht erhöhen. Wir werden sie aber auch nicht abschaffen. Darum werden wir in unserem Regierungsprogramm zu dieser Frage eine präzise Angabe machen. Aber wir werden sie machen im Zusammenhang des Prinzips und der daraus folgenden Maßnahme, was bedeutet das z. B. und insbesondere für die Mehrwertsteuer. Diese Aussage wird es klar geben.
Deutschlandradio Kultur: Aber nicht jetzt von Ihnen?
Röttgen: Nicht jetzt von mir, weil der 11. Juli für uns ein wichtiges Datum ist und weil es auch wichtig ist, dass wir die Diskussion zu einem solchen Programm hinführen und nicht Einzelne, insbesondere diejenigen, die es auch mit erarbeiten, dann schon vorher Festlegungen machen. Aber dass dieser Zusammenhang besteht, kann ich heute schon bestätigen. Es ist auch keine originelle Bestätigung, sondern dieser Zusammenhang besteht und wir werden ihn dann präzise herstellen.
Deutschlandradio Kultur: O. k., nächster Punkt: Einkommensteuersenkung – ja oder nein? Und wenn ja, wie schnell?
Röttgen: Das Prinzip lautet…
Deutschlandradio Kultur: Herr Röttgen, das Prinzip haben wir verstanden.
Röttgen: Dann nennen Sie es mir.
Deutschlandradio Kultur: Wir hätten doch gern, dass Sie auf unsere Frage antworten.
Röttgen: Ja, und ich hätte so gerne, wenn Sie unseren Ansatz mit vollzögen, der nicht in der Vereinzelung der Themen liegt. Wenn wir die machen, dann sind wir nach fünf Monaten so weit wie die jetzige Regierung ist. Darum nenne ich Ihnen das Prinzip der Steuerreform. Es ist das Freiheitsprinzip. Das jetzige System ist ein System, in dem der Staat durch Regulierung, durch Anreize, aber noch mehr durch Sanktionierung den Bürgern sagt, wie sie sich verhalten sollen. Wenn du dich so verhältst, dann kriegst du Geld von uns. Wenn du dich so verhältst, dann musst du zahlen.
Deutschlandradio Kultur: Das nennt man Steuern durch Steuern. Das wollen Sie abschaffen?
Röttgen: Das wollen wir in einem weiten Umfange abschaffen. Dann entscheidet der Einzelne darüber, was er mit dem macht, was er verdient hat. Das motiviert den Einzelnen, etwas zu verdienen. Es macht das System einfacher, effizienter und gerechter. Das wollten Sie eben ausführen.
Deutschlandradio Kultur: Gleichzeitig will die Union die Steuersätze senken. Wie diese Rechnung aufgeht zwischen der Abschaffung von Ausnahmetatbeständen und der Senkung der Sätze und der zusätzlichen Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme aus Steuern - denn das Prinzip hatten wir ja auch gerade - das können Sie uns noch nicht genau sagen. Das kommt am 11. Juli.
Röttgen: Das ist eine Frage, die wir noch beantworten werden. Wird die Finanzierung - auch der Umstrukturierung, nicht nur der Beitragssatzsenkung, das ist nicht nur das Entscheidende, sondern die Umstrukturierung der sozialen Sicherungssysteme, dass sie verlässlich werden – nur aus dem Aufkommen der indirekten, oder auch der direkten Steuern erfolgen, das ist noch eine offene Frage. Kurzfristig sind jedenfalls größere Spielräume für Entlastungen bei der Einkommenssteuer nicht zu erwarten. Die Rendite wird nicht kurzfristig sein, sondern sie wird sich auf längere Sicht einstellen. Das ist bei Umstrukturierungen so. Es wird neu gebaut. Es muss zuerst investiert werden, bevor man erntet.
Deutschlandradio Kultur: Wenn das Gespräch so weitergeht, werden Sie uns am 11. Juli noch einladen, weil wir inzwischen in Ihren Prinzipien fit sind.
Röttgen: Das wäre doch ein Erfolg des Gespräches.
Deutschlandradio Kultur: Die dritte Frage werden Sie wahrscheinlich dann ganz eindeutig mit Ja beantworten.
Röttgen: Empfehlen Sie mir jetzt schon Antworten für Ihre Fragen?
Deutschlandradio Kultur: Wir vermuten einfach.
Röttgen: Und im Gegenzug stelle ich Ihnen gleich die Fragen.
Deutschlandradio Kultur: Das wäre auch ein 'Systemwechsel'. Sie nennen das solidarische Gesundheitsprämie. Andere nennen das Kopfpauschale. Sagen wir neutral: Gesundheitsreform wird kommen – sicher?
Röttgen: Ja. Ich nehme Ihre Empfehlung für die Antwort an – ein klares Ja.
Deutschlandradio Kultur: Obwohl ja einige Stimmen aus der Union, aber auch aus der Wirtschaft sagen, dass das mit dem Prinzip von Einfachheit und Bürokratieabbau überhaupt nicht zusammenpasst. Ich will nur mal diesen wundervollen Satz von Arbeitgeberpräsident Hundt zitieren, der die Gesundheitspauschale mit gedeckelten Arbeitgeberanteil und steuerlich finanziertem sozialen Ausgleich ein 'Mistmodell' genannt hat und dann dazu sagte, es sei "eine gemischt lohnabhängige arbeitgeberbeitragsfondsteuerergänzungsfinanzierte Teilpauschalprämie".
Röttgen: Wenn Herr Hundt das so bezeichnet haben sollte, dann ist das jedenfalls nicht die Auffassung praktisch aller Experten, was das Modell anbelangt. Bis in die SPD hinein, bis hin zum Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung sagen alle, das Modell der Gesundheitsprämie ist das, auf das wir umsteigen müssen. Und wir werden es darum auch realisieren.
Deutschlandradio Kultur: Obwohl Friedrich Merz – ein ja nicht ganz unbekannter, unbedeutender Unionspolitiker…
Röttgen:... auch für das Projekt ist.
Deutschlandradio Kultur: ... gesagt hat, er kann sich nicht vorstellen, dass die so kommt, weil sie viel zu kompliziert ist und viel zu bürokratisch. Da sind wir wieder bei den faulen Kompromissen mit der CSU.
Röttgen: Wir haben aber noch keinen Gesetzentwurf geschrieben, sondern wir haben eine Einigung erreicht, die ihren Wert hat in der Verständigung auf die Prinzipien, die Sie so sehr schätzen. Und wenn wir einen Gesetzentwurf formulieren, wird auch über Einzelheiten geredet werden. Das ist dann handwerklich möglicherweise sogar zu bereinigen, aber jedenfalls zu machen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Röttgen, lassen Sie uns noch einen Moment über politische Psychologie reden, was ja nicht ganz so unerheblich ist. Schwarz-Gelb tritt im Herbst, wenn denn gewählt wird, damit an, dass sie mehr von der Art Reformen angehen wollen als die, für die Rot-Grün möglicherweise durch Abwahl abgestraft wird, weil es den Leuten zu weit geht, weil es sie verunsichert, weil sie reformmüde sind. Wie wollen Sie das denn sozusagen Ihren Wählern 'verkaufen’? Also: Mehr von dem, wovon ihr die Nase schon voll habt, bekommt ihr von uns.
Röttgen: Ich würde dieses Produkt den Bürgern eben auch so nicht anbieten, weil es nicht unser Produkt ist. Wir wollen ja nicht nur ein Mehr, sondern wir wollen ein Anders haben.
Deutschlandradio Kultur: Die Prinzipien - da sind sie wieder!
Röttgen: Sie fangen an, unseren überzeugenden Ansatz aufzunehmen. Es fängt damit an, dass der jetzige Bundeskanzler mindestens 2002 - 98 war noch mal ein anderer Fall - nicht die Traute hatte, ein Mandat von den Bürgern zu erbitten für die Politik, die er dann gemacht hat. Damit fängt es an.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns mal nicht so sehr in die Vergangenheit gucken.
Röttgen: Ich wollte auch weniger in die Vergangenheit gucken, sondern wollte sagen: daraus lernen wir und werden es anders machen. Darum werden wir das Mandat erbitten. Dann kommen handwerkliche Fehler dazu. Man sieht jetzt bei dem Auflösungsprozess der Koalition, dass sie noch nicht einmal in der Lage sind, handwerklich ihr eigenes Abseilen aus der Verantwortung zu organisieren. Letzter Punkt: Was sie in der Steuerreform überhaupt nicht gemacht haben und nur ansatzweise bei Hartz IV, sind Strukturreformen.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem möchten wir Ihnen zur Kommentierung vorsetzen, was Ihr Kollege Norbert Lammert, das ist der NRW-Landesgruppenchef, gesagt hat. Er hat jetzt schon gewarnt. 'Zwischen dem, was die CDU an Reformen für nötig hält, wie die Gesundheitsreform, und dem, was die Leute nachvollziehen wollen, gibt es ein gewisses 'Kommunikationsproblem'. Was Sie machen wollen und das den Leuten dann auch nahe bringen, wählbar machen, sind ja zwei verschiedene Paar Schuhe.
Röttgen: Ich traue mich schon gar nicht mehr, auf die Prinzipien hinzuweisen, weil die natürlich die Brücke zwischen beidem sind. Ja, wir müssen Politik erklären. Das ist das größte Versäumnis, das meinte ich mit dem fehlenden Mandat. Der Bundeskanzler und die jetzige Regierung haben sich dem nicht unterzogen, ihre Politik zu erklären. Sie haben auch nicht erklärt, wozu machen wir eigentlich Politik. Ich behaupte im Übrigen, dass das auch der Strukturmangel dieser Regierung ist, dass sie Regierung werden wollte, ohne zu wissen wozu. Das ist wahrscheinlich die wichtigste Lehre, die wir aus der jetzigen Regierungszeit für uns ziehen müssen, dass wir es erstens wissen müssen, wozu Politik, wozu Regierung, und dass wir es erklären müssen.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben doch in den letzten zweieinhalb Jahren, auch bei Landtagswahlen, gerade Zulauf gehabt von den so genannten kleinen Leuten, also den sozialen Schichten, wie materiell weniger gut ausgestattet sind. Die erwarten natürlich von Ihnen, dass sie unter einer unionsgeführten Regierung in irgendeiner Form besser gestellt werden. Das können Sie noch nicht mal vermitteln mit dem, was Sie vorhaben, geschweige denn versprechen.
Röttgen: Ich glaube nicht, dass es die Erwartung der Menschen ist, es wird jetzt kurzfristig mehr Geld geben. So dumm sind die Menschen nicht, weil sie ein Gefühl dafür haben, wie die Lage ist. Das ist übrigens auch die Chance der neuen Regierung, dass sie nicht auf eine solche kurzfristige Erwartung setzt, die sie den Leuten sozusagen erst mal selber einredet, um dann erkennen zu müssen, wir können das, was wir selber den Menschen eingeredet haben, dann nicht realisieren.
Norbert Röttgen, geboren am 2. Juli 1965 in Meckenheim; römisch-katholisch; verheiratet; zwei Söhne und eine Tochter. 1984 Abitur; 1984 bis 1989 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn; 1989 erste, 1993 zweite juristische Staatsprüfung, 2001 Promotion zum Dr. jur. in Bonn. 1993 Zulassung als Rechtsanwalt am Landgericht Köln; 1999 Zulassung am Oberlandesgericht Köln. 1982 Eintritt in die CDU; Mitglied im Kreisvorstand der CDU Rhein-Sieg und im Bezirksvorstand der CDU Mittelrhein, 1992 bis 1996 Landesvorsitzender der Jungen Union NRW; seit 2000 stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landesgruppe NRW im Deutschen Bundestag; seit 2001 Vorsitzender des Bundesarbeitskreises Christlich-Demokratischer Juristen (BACDJ); 2002 - 2005 rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion; seit Januar 2005 1. Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.