„Wir kommen ja nicht weiter, wenn jeder an dem Tischtuch immer nur zerrt“

Jan-Hendrik Olbertz im Gespräch mit Joachim Scholl |
Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz hat sich skeptisch zu Forderungen geäußert, die Kulturfinanzierung für die Kommunen zur Pflichtaufgabe zu machen. Er sei nicht sicher, ob das Geld noch reichen werde, sagte der parteilose Politiker.
Joachim Scholl: Es kommen harte Zeiten auf die deutschen Kommunen zu. Die angekündigten Steuersenkungen werden tiefe Löcher in die Haushaltskassen reißen, man rechnet bis zu zwölf Milliarden Euro weniger pro Jahr für die gesamte Legislaturperiode. Was bedeuten diese Mindereinnahmen für die Kultur der Länder? Am Telefon ist jetzt Professor Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister von Sachsen-Anhalt. Herr Olbertz, ich grüße Sie!

Jan-Hendrik Olbertz: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Wie hart wird es denn die Kultur in Sachsen-Anhalt voraussichtlich treffen?

Olbertz: Das kann ich so nicht vorhersagen, und ich bin auch nicht so sehr froh, dass wir die Kultur eigentlich immer über Kassandrarufe platzieren. Es ist ja durchaus die Möglichkeit gegeben, vor dem Hintergrund des Ausgleichs, den der Bund mit diesem Gesetz den Ländern zahlt, auch die Schwerpunkte in den Haushalten neu zu disponieren. Es gibt wesentlich mehr Geld für Bildung, damit kriegt man den Rücken eventuell ein bisschen frei, andere Dinge in Bezug auf die Kultur zu machen, die man vorher nicht konnte.

Im Übrigen kann man auch aus der Not eine Tugend machen. Denken Sie an das Konjunkturprogramm, da hat Sachsen-Anhalt immerhin über den Daumen gepeilt fast 50 Millionen Euro in Kulturprojekte gegeben, allerdings investive Mittel natürlich.

Scholl: Lassen Sie uns darauf zurückkommen. Viele Kommunen haben schon angekündigt aber, dass sie das bisherige Kulturangebot nicht aufrechterhalten werden können. Diese Leistungen von Bibliotheken, Museen, Theatern sind freiwillig. Nun hat der Vorsitzende des deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, hier in unserem Programm gerade die Länder dazu aufgefordert, aus diesen freiwilligen Leistungen jetzt Pflichtaufgaben zu machen. Hören wir uns das mal an:

Olaf Zimmermann: Ich glaube, dass es dringend notwendig ist, dass wir uns überlegen, wie wir eben Kulturfinanzierung pflichtiger machen können. Da haben es in erster Linie die Länder in der Hand, die können Gesetze erlassen, zum Beispiel Musikschulgesetze oder Theatergesetze oder Museumsgesetze, wo diese Pflichtigkeit festgelegt wird.

Scholl: Der Vorsitzende des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, hier im Deutschlandradio Kultur. Was antworten Sie denn auf diese Forderung nach gesetzlichen Regelungen, Herr Olbertz, die die Länder sozusagen erlassen könnten?

Olbertz: Also vom Grundsatz gebe ich Herrn Zimmermann in zwei Punkten recht. Ich habe das Interview ja auch in Gänze gehört, als er es Ihnen gegeben hat. Der eine Punkt ist in der Tat die Frage der Pflichtaufgaben. Ich bin eben nur nicht sicher, ob, wenn wir am Ende nur noch Pflichtaufgaben in den Länderverfassungen haben, ob dann das Geld reichen wird, denn letzten Endes vermehrt eine solche Regelung das Geld nicht, sondern schafft nur verbindliche Schwerpunkte, die nur dann verwirklicht werden können, wenn sie auf Kosten irgendwelcher anderen Verantwortungsbereiche eines öffentlichen Haushaltes verwirklicht werden. Das ist für mich so ein bisschen das Dilemma.

Diese Forderung ist ja sehr schnell aufgestellt und geht einem auch gut über die Lippen, nur die Konsequenzen, über die muss man noch mal nachdenken. Solange es noch freiwillige Aufgaben gibt, die immer weniger werden, wird man überlegen müssen, wo man das Geld hernimmt. Deswegen bin ich eher der Meinung, dass man stärkere Verbindlichkeiten in die Gesetze tatsächlich reinschreiben muss, ohne dass unbedingt eine unabweisbare Pflichtaufgabe daraus wird.

Wir haben in Sachsen-Anhalt ein Musikschulgesetz und auch Gesetze zur Theaterförderung, die sehr verbindlich formulieren, am Ende aber den Kommunen nicht wirklich vorschreiben, wofür sie Geld ausgeben dürfen und wofür nicht. Es hat natürlich was Appellatives, und es ist eine Selbstbindung, aber es funktioniert auch, weil es die Lobby stärkt, die wirklich mit Verve für die Kultur eintritt. Vielleicht ist das ein Mittelweg, den man gehen kann. Und in dem zweiten Punkt, wo ich Herrn Zimmermann aber immer schon recht gebe, ist, dass wir Kultur tatsächlich als wichtiges Staatsziel auch im Grundgesetz verankern sollten. Das ist aber auch für mich eine neue Situation.

Scholl: Da kommen wir gleich drauf, Herr Olbertz, aber noch mal nachgefragt, also mit diesen gesetzlichen Regelungen, also freiwillige Leistungen zu Pflichtaufgaben. Sie haben jetzt gesprochen für Sachsen-Anhalt, dass Sie praktisch schon Kooperationen, ja Verträge, oder wie muss man sich das vorstellen, geschlossen haben.

Also mehrere Kommunen haben ja in Deutschland schon angekündigt zum Beispiel, wirklich Theater zu schließen. Das scheint bei Ihnen dann wahrscheinlich gar nicht zu passieren oder passieren zu können, warum?

Olbertz: Nein, das ist wirklich schon seit vielen Jahren nicht mehr passiert. Wir machen Theaterverträge, und zwar sind die sozusagen dreiseitig. Das Land, die Trägerkommune und das Theater selbst sind die Partner. Und wir haben jetzt vor einem halben Jahr die neuen Verträge für vier Jahre unterzeichnet und das erste Mal die Haushaltszahlen, die da drinstehen, also die Geldsummen, nicht nur verbindlich von der Landesseite aus verankert, also im Vertrag mit Hausnummer genannt, sondern auch verbindlich von der kommunalen Seite, die ja die Theater tragen und den größten Teil der Finanzierung übernehmen, zwischen 50 und 70 Prozent ungefähr.

Das ist nicht einfach, von der Kommunalaufsicht dafür die Genehmigung zu bekommen, weil man vier Jahre voraus Haushaltsansätze planen muss, über die es noch gar keine Beschlüsse gibt. Trotzdem hat die Kommunalaufsicht das am Ende nach einigen Konflikten genehmigt, und de facto ist es damit für vier Jahre eine Pflichtaufgabe geworden.

Scholl: Das heißt, die Kommunen kommen jetzt auch nicht raus, selbst jetzt nach diesen neuen Zahlen. Nun könnten Sie auch sagen: Na, wir haben jetzt dieses Wachstumsbeschleunigungsgesetz, konnten wir 2008 noch nicht absehen, wir haben das Geld einfach nicht.

Olbertz: Also ich kann da nur zu sagen, ich garantiere als derjenige, der landesseitig den Vertrag unterschrieben hat, dass dieser Vertrag auch erfüllt ist. Wir haben ja schon diverse Notlagen in Sachsen-Anhalt durchlaufen, und wir haben nie einen Theatervertrag gekündigt.

Natürlich stehen die haushaltsrechtlich immer unter einem sogenannten Sperrhaushaltsvorbehalt oder wie das heißt, also einer letzten Absicherung für den Fall, dass der öffentliche Haushalt völlig kollabiert, dass man dann noch handlungsfähig bleibt. Aber wir haben diese Regelung noch niemals gezogen.

Und ich finde es auch wichtig, weil das die Vertrauenswürdigkeit der Vertragspartner einander gegenüber ja berührt. Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht passieren und ist wie gesagt in Sachsen-Anhalt – auch mit den Hochschulen im Übrigen, die ähnliche Verträge haben oder den Kulturstiftungen – noch niemals vorgekommen.

Scholl: Kultur in Zeiten vermutlich ziemlich leerer Kassen in Zukunft. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Kultusminister von Sachsen-Anhalt, Jan-Hendrik Olbertz. Herr Olbertz, Herr Zimmermann hat im Weiteren plädiert, hier bei uns im Programm, für einen Kulturnothilfefonds des Bundes. Kultur sei zwar Ländersache, aber in harten Zeiten wäre es durchaus angebracht laut Herrn Zimmermann, dass der Kulturstaatsminister Neumann doch ein wenig mehr Flagge zeigt. Sehen Sie das auch so?

Olbertz: Na, erst mal zeigt er ja eine ganze Menge Flagge, und wir kommen ja nicht weiter, wenn jeder an dem Tischtuch immer nur zerrt, und Leidenschaft alleine genügt ja nicht. Es muss so eine Spur Raffinesse dazu und ein bisschen Strategie auch, um die nötigen Ressourcen für die Kultur auch freizubekommen. So ein Nothilfefonds wäre dann, wenn diese Not nachgewiesen wird, gar keine so schlechte Idee.

Wir haben ja auch die Möglichkeit, zwischen Bund und Ländern neue Kooperationsformen auszuprobieren, wenn das wirtschaftliche Gleichgewicht zum Beispiel gestört ist. So war ja damals sogar ein Ganztagsschulprogramm mal motiviert. Und wenn man diesen Joker ziehen muss und kann, dann sollte man das schon machen.

Ich würde nur eben davor warnen, einfach die gesamte Diskussion über die Zukunft der Kultur auf die Geldfrage zu begrenzen beziehungsweise auf ein Szenario, das letzten Endes Untergang bedeutet. Wir werden immer in Situationen sein, in denen mehr Geld für die Kultur da ist und man wirklich wunderbare Projekte anstoßen kann und ein bisschen freien Atem hat, und auf der anderen Seite werden wir immer mal auch Zeiten haben, wo der Gürtel enger geschnallt werden muss.

Wichtig ist nur, dass danach wieder neue Projekte in Gang gesetzt werden. Denn alles immer konstant halten, ist auch eine Art von Kontinuität, die für die Kultur möglicherweise gar nicht der beste Weg ist.

Scholl: Dann gehen wir mal Weg vom schnöden Mammon, Herr Olbertz, und gehen zu den hehren, großen geistigen Zielen. Sie hatten das Wort schon ins Spiel gebracht: das Staatsziel Kultur. Wir hatten im vergangenen Jahr die Debatte darum, ja, und die fehlgeschlagene, abgeschlagene Initiative muss man wohl sagen, also nicht die Festschreibung im Grundgesetz, jetzt also im Zusammenhang mit den drohenden Kürzungen hat Olaf Zimmermann dieses Staatsziel wieder ins Gespräch gebracht. Würde eine solche Verankerung helfen, was meinen Sie?

Olbertz: Na ja, sie würde natürlich nicht dazu führen, dass man plötzlich mehr Geld hat, daran glaube ich ja nicht. Wie gesagt, wenn man nur noch Staatsziele hat, bleibt der Haushalt trotzdem konstant und zumindest begrenzt. Aber sie würde, glaube ich, eine öffentliche Bindungswirkung entfalten und ein öffentliches Bewusstsein über die Verpflichtung, die wir haben, unser kulturelles Erbe zu pflegen, die zeitgenössische Kunst und Kultur zu entwickeln und die Kultur auch zu öffnen für die junge Generation, also kulturelle Bildungsprojekte auszugestalten.

Deswegen würde ich mir das schon sehr wünschen, abgesehen davon, dass es einer Kulturnation wie Deutschland auch gut anstünde, Kultur in ihrem Grundgesetz als öffentliches sichtbares Staatsziel zu verankern. Das ist nicht nur ein Appell, und das ist wie gesagt nicht nur Leidenschaft, das ist auch eine Absicherung, wie soll ich sagen, einer kulturellen Grundversorgung, wenn ich das mal so unterkühlt formulieren darf, zu der wir einfach verpflichtet sind und die eigentlich nicht abgewogen werden kann gegen irgendwelche anderen Ausgabebereiche.

Scholl: Gäbe es denn für Sie noch weitere Möglichkeiten, also wie Bund und Länder vielleicht enger kooperieren könnten, um jene kulturelle Grundversorgung in den Kommunen zu festigen?

Olbertz: Also das sind ja zwei Ebenen: Einmal die Verbindung zwischen den Kommunen und dem Bund, das geschieht ja in aller Regel über Projektförderprogramme, um die man sich bewerben kann, und das andere ist die Kooperation zwischen Bund und Ländern. Und zwischen Bund und Ländern finde ich schon, dass man viel mehr Gemeinschaftsaufgaben, also gesamtstaatliche Aufgaben formulieren sollte.

Das wäre im Übrigen auch eine Folge des Staatsziels, dass man eine gesamtstaatliche Aufgabe formulieren kann, die Bund und Länder dann eben gemeinsam an bestimmten Projekten erfüllen. Der Bund beteiligt sich ja, übrigens sogar an der institutionellen Förderung einiger Kultureinrichtungen, die in Landesträgerschaft sind, in Sachsen-Anhalt auch einige der großen Kulturstiftungen, nehmen wir mal das „Bauhaus“ beispielsweise. Und das auszubauen im Sinne einer Gemeinschaftsaufgabe, hielte ich für sehr vernünftig. Denn immer dort, wo Bund und Länder ihre Kräfte zusammenlegen, bringen sie auch einiges zuwege. In der Forschungsförderung können Sie das studieren.

Scholl: Die Kulturfinanzierung der Zukunft. Das war der Kultusminister aus Sachsen-Anhalt, Jan-Hendrik Olbertz. Ich danke Ihnen sehr!

Olbertz: Ich danke Ihnen auch!