"Wir können dabei helfen, dass Muslime sich hier in Deutschland heimisch fühlen"

Walter Homolka im Gespräch mit Christopher Ricke |
Anlässlich der Eröffnung der neuen Synagoge in Mainz wertet der Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, Walter Homolka, das Leben der jüdischen Gemeinden in Deutschland als "recht unproblematisch" und würdigt den Islam als "Schwesterreligion".
Christopher Ricke: Mainz hat ab heute eine neue Synagoge, nach zwei Jahren Bauzeit ist das jüdische Gotteshaus jetzt fertig, heute feierliche Eröffnung. Der Bundespräsident kommt, der Ministerpräsident, die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, der israelische Botschafter. Der Festakt beginnt mit einem Gottesdienst in der alten Synagoge, dann werden in einer öffentlichen Prozession die Thorarollen unter einem Baldachin feierlich zur neuen Synagoge gebracht.

Ich spreche jetzt mit Walter Homolka, das ist der Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs für die Ausbildung von Rabbinerinnen und Rabbinern. Herr Homolka, ist das heute ein besonderer Tag für die deutschen Juden?

Walter Homolka: Ich glaube, das ist ein sehr erfreulicher Moment, nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern auch ganz allgemein. Man sieht, dass sich das jüdische Leben hier stabilisiert, dass auch neue Synagogen gebaut werden – das ist ja nicht nur in Mainz so, war vor Kurzem in Schwerin, in Bielefeld, in Hannover, allenorts entstehen neue Gotteshäuser. Und dass das auch in der öffentlichen Wahrnehmung so deutlich ist, das macht uns natürlich sehr froh.

Ricke: Trotzdem gibt es an solch einem Tag mehr Polizeischutz als vielleicht bei der Einweihung einer christlichen Kirche, und das kann man nicht nur auf die Anwesenheit des Bundespräsidenten zurückführen. Wie steinig ist der Weg denn noch, zwei Generationen nach dem Holocaust?

Homolka: Nun, die Sicherheitsfrage hängt ja nicht davon ab, wie die Integration der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gelungen ist, das hängt ja auch von anderen Dingen ab, etwa dem Nahostkonflikt oder dem Verhältnis zwischen Islamismus und Judentum, insofern würde ich das davon völlig getrennt sehen. Insgesamt sind die Einrichtungen des Judentums hier sehr gut integriert.

Ich finde, dass das gerade für die jungen Leute gilt, ich bin ja auch selbst Leiter des Begabtenförderwerks der jüdischen Gemeinschaft, des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerks, habe deswegen mit vielen studierenden Juden hier zu tun, und ich glaube, dass das, ich möchte das Wort Normalisierung nicht verwenden, aber dass das also seinen Weg geht und recht unproblematisch funktioniert.

Ricke: Die jüdischen Gemeinden in Deutschland gelten als vital, sie wachsen, es gab und gibt Zuzügler aus der ehemaligen Sowjetunion – definiert sich das Judentum in Deutschland gerade neu?

Homolka: Das tut es schon seit 20 Jahren. Also eine Gemeinschaft, die 1989 20.000 Mitglieder hatte und jetzt einen Zuwachs von 200.000 zu verkraften hatte, ist in einem ständigen Prozess der Neudefinierung. Es ist natürlich auch klar, dass da ganz andere Mentalitäten gekommen sind, dass man nicht davon ausgehen kann, dass diese Menschen besonders religiös geprägt waren, und insofern steht da ein enormer Erziehungs- und Bildungsprozess seit den letzten 15 Jahren ins Haus. Das ist auch für die Rabbinerausbildung natürlich wesentlich, denn ohne professionelle Hauptamtliche in jüdischen Gemeinden kann man das gar nicht bewältigen.

Ricke: Wir haben in Deutschland drei große Religionen mit denselben Wurzeln, die älteste ist das Judentum, dann kommt das Christentum, die jüngste ist der Islam - auch in Deutschland ist der Islam sozusagen die jüngste Religion. Und gegenüber dem Islam gibt es heftige Widerstände, der Protest gegenüber einer neuen Moschee zum Beispiel ist vielleicht viel, viel größer, als ein Protest gegenüber einer neuen Synagoge jemals sein könnte. Wie erreichen wir denn ein friedliches Miteinander der drei monotheistischen Religionen?

Homolka: Ich glaube, es ist Aufgabe des Judentums, immer wieder deutlich zu machen, dass die Entfernung von Judentum zu Christentum nicht geringer ist als die zwischen Judentum und Islam. Es handelt sich aus unserer Sicht um zwei Schwesterreligionen, und wir können dabei helfen, dass Muslime sich hier in Deutschland heimisch fühlen, wenn wir ihnen ein bisschen von unserer Erfahrung, auch der institutionellen Erfahrung, wie man in Deutschland eben mit Religion umgeht und welche organisatorische administrativen Fragen da zu klären sind.

Wenn wir das ein bisschen mit begleiten, dann haben wir sicher auch was getan, um deutlich zu machen, dass es sich zwischen Judentum und Islam sozusagen um ein geschwisterliches Verhältnis handelt – zwei Halbbrüder.

Ricke: Nun haben wir ja gerade eine erhebliche politische Debatte, die Sarrazin-Debatte, die richtet sich in der Diskussion und der Wahrnehmung sehr gegen die Moslems. Müssen Juden und Christen sich jetzt schützend vor ihre Halbbrüder stellen?

Homolka: Ich sehe da sehr positive Entwicklungen, etwa die wirklich bildungsbürgerlichen Initiativen etwa der Gülen-Bewegung, und ich denke, man muss fördern, wenn sich aus dem Islam heraus Bewegungen entwickeln, die versuchen, dieses Bildungsmoment, dieses Erziehungsmoment zu stärken und zu fördern.

Das setzt aber auch voraus, dass man dann keine Schwierigkeiten hat, etwa mit islamischen Schwerpunktschulen. Genauso wie es katholische Internate gibt, warum soll es auch keine Schulen geben, die schwerpunktmäßig sich um die Bildung von Muslimen kümmern?

Ricke: Müssen wir dann noch mehr Toleranz lernen?

Homolka: Ach, Toleranz kann nie schaden, das ist immer gut, und die Problemlagen verändern sich, aber die – wie soll man sagen – das etwas tolerante Umgehen und halt die Dinge auch immer nicht so hoch zu hängen, das täte uns, glaube ich, ganz gut.

Ricke: Walter Homolka, der Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs für die Ausbildung von Rabbinerinnen und Rabbinern. Vielen Dank, Herr Homolka!

Homolka: Dankeschön!