"Wir halten Hörsaalbesetzungen für falsch"
Der Prorektor der Universität Heidelberg, Thomas Pfeiffer, verurteilt Hörsaalbesetzungen als Protest gegen die Bologna-Reformen. "Es hat immer auch den Hauch des Totalitären und Undemokratischen", so Pfeiffer. Er sei jedoch bereit, über "möglichst gute Studienbedingungen" zu sprechen.
Liane von Billerbeck: Verschulung, Überregulierung, Prüfungsstress – das sind die Schlagworte, mit denen Kritiker den sogenannten Bologna-Prozess verbinden, die europaweit beschlossene Reform des Hochschulstudiums. Gegen die Auswirkungen dieser Reform streiken die Studenten derzeit auch in Heidelberg, wo sie seit drei Wochen einen Hörsaal besetzt halten. Vor der morgigen Hochschulrektorenkonferenz in Leipzig wollen wir über Dialog und Bildungsstreik und die Aussichten für die Reform des Studiums sprechen und haben uns dazu mit Professor Thomas Pfeiffer verabredet. Er ist an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg kommissarischer Prorektor für Lehre und Studium und telefonisch zugeschaltet. Ich grüße Sie!
Thomas Pfeiffer: Guten Tag, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Seit drei Wochen ist an Ihrer Uni ein Hörsaal besetzt, Sie haben nicht die Polizei geholt. Warum haben Sie Verständnis mit den streikenden Studenten?
Pfeiffer: Ich will zunächst einmal – und bin dankbar für die Gelegenheit – Folgendes klarstellen: Dass wir die Polizei nicht geholt haben, um den Hörsaal sofort räumen zu lassen, schließt ja mitnichten aus, dass wir das nicht tun, wenn wir dazu Veranlassung sehen in Zukunft. Wir haben es nur bisher nicht getan – das ist eine ganz wichtige Klarstellung –, wir schließen diese Option nicht aus. Wir hielten es aber zum bisherigen Zeitpunkt für nicht klug und glücklich, auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit. Es ist uns bisher jedenfalls gelungen, den Hörsaal und dessen Ausfall durch andere Ausgleichsmaßnahmen zu verkraften. Wir sind aber auf die Räume bei bestimmten Gelegenheiten angewiesen, das will ich ausdrücklich sagen.
Ich will auch dazusagen, dass wir das Mittel der Hörsaalbesetzung für falsch halten. Wer so etwas tut, setzt seine eigene Meinung absolut. Es hat immer auch den Hauch des Totalitären und Undemokratischen, das lehnen wir entschieden ab, und die Besetzer müssen sich dafür, jedenfalls in der politischen Diskussion, verantworten, denn sie stellen sich damit, jedenfalls im gewissen Rahmen, außerhalb eines Dialogzusammenhangs. Ich glaube, sie tun ihrer eigenen Sache damit nicht gut.
von Billerbeck: Seit Juli hat Ihre Uni den sogenannten Heidelberger Weg eingeschlagen, also einen Prozess im Dialog mit den Studenten. Was ist dessen konkreter Inhalt?
Pfeiffer: Wir wollen mit unseren Studierenden über möglichst gute Studienbedingungen sprechen. Das halten wir für wichtig. Und wir glauben auch, dass die Studierenden dazu einen unersetzlichen Beitrag leisten können. Und auf den wollen wir, weil er eben unersetzlich ist, auch nicht verzichten. Wir diskutieren über die Frage, wie wir das in Heidelberg am besten organisatorisch einbinden – das ist der Kerngegenstand dieses Dialogs, zu dem ich mich bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich bekennen möchte.
von Billerbeck: Es ist ja immer kritisiert worden, dass die Studenten im Rahmen des Bologna-Prozesses zu wenig Mitbestimmung hatten – wird sich das mit dem Heidelberger Weg bei Ihnen ändern?
Pfeiffer: Das hoffe ich. Das hängt natürlich auch davon ab, inwieweit die Studierenden die Möglichkeiten, die wir schaffen wollen, auch wahrnehmen. Da muss ich sagen, bin ich noch nicht sicher, ob das gelingt, wir werden es auf jeden Fall versuchen. Wir haben gerade eine wesentliche Vereinfachung unserer Studienstruktur bereits beschlossen in Heidelberg. Zur Umsetzung hatten wir eine Arbeitsgruppe gebildet und Vertreter der Studierenden zur Mitwirkung eingeladen. Das ist leider, ich will mal sagen, nur sehr unregelmäßig und auch nicht sehr intensiv wahrgenommen worden. Wir sind bisher noch nicht davon überzeugt, dass hinter den Worten, wir wollen mehr Mitbestimmung haben, auch entsprechende Handlungen stehen, aber vielleicht können wir das noch erreichen, und dann wollen wir das auch tun.
von Billerbeck: Sie haben gesagt, die Struktur des Studiums in Heidelberg haben Sie schon verändert. Wie müssen wir uns das vorstellen? Sind das schon konkrete Versuche, die Bologna-Reformen doch, ja, rückgängig zu machen, abzumildern oder in eine andere Richtung zu schieben?
Pfeiffer: Zunächst einmal aus meiner Sicht Folgendes: Das Falscheste, was man jetzt tun könnte, wäre, auf die große Eile und Hektik, mit der die Bologna-Reform durchgeführt werden musste, mit einer ebenso hektischen Gegenreformation reagieren zu wollen. Ich glaube, das würde völlig in die Irre führen. Wir haben nur bei der Umsetzung und nach unseren ersten Erfahrungen festgestellt, dass ein Problem unseres neuen Angebots darin bestand, dass die Studienstruktur recht unübersichtlich sich gestaltet hat. Und da haben wir bestimmte Studiengänge, da sind wir kurz davor und werden das jetzt umsetzen, jetzt wieder zusammengefasst, einfach um das Angebot einfacher und übersichtlicher und damit handhabbarer für Studienanfänger werden zu lassen.
von Billerbeck: Bologna und Bildungsstreik. Der Prorektor der Heidelberger Universität, Professor Thomas Pfeiffer, ist mein Gesprächspartner. Ihre, die Heidelberger Universität ist ja auch Exzellenzuni, also eine Vorzeigeuniversität. Die Frage steht bei vielen auch dieser Universitäten: Ist da zu viel Exzellenz und wird zu wenig Wert auf die Lehre gelegt?
Pfeiffer: Ich glaube, dass das eine Scheinalternative ist, denn was heute in der Lehre aus unserer Sicht ganz wichtig ist, in einem Unterschied im Vergleich zu früheren Zeiten darstellt, ist ja das Folgende: Wir können heute viel weniger als früher sicher sein, dass wir in der Zeit unseres Berufslebens mit dem, was wir an der Universität erfahren, auch wirklich auskommen. Das bedeutet, dass die Fähigkeit, mit unbekannten und neuen Herausforderungen zurechtzukommen, einen ungeheuren Rang hat und in der akademischen Lehre haben muss. Und der beste Weg, sich auf das Unbekannte, Neue einzustellen, besteht darin, frühzeitig damit konfrontiert zu werden. Das bedeutet, nichts ist so zukunftsträchtig wie eine forschungsunterlegte Lehre.
Das Zweite ist: In einer Vielzahl von Bereichen, fast überall kann man sagen, dass die Infrastruktur, die wir für die Forschung vorhalten und anschaffen, natürlich auch der Lehre zugutekommt. Wenn ich ein Gerät morgens in einem Laboratorium für die Forschung benutze, kann dort ein Praktikum nachmittags stattfinden, an dem Studierende mitwirken. Ein Buch, das ich in der Bibliothek habe, das steht für die Forschung genauso zur Verfügung wie für die Lehre.
Und dann kommt noch eins dazu: Man kann überall in Heidelberg sehen, dort, wo viel Forschungsaktivitäten stattfinden, da sind die Institute und Einrichtungen der Universität lebendig, da gibt es sehr viel Geld, da ist die Ausstattung gut, da sind auch die Infrastrukturbedingungen für die Lehre gut. Aus meiner Sicht, wer einen Gegensatz zwischen der Exzellenzinitiative auf der einen Seite und Lehre auf der anderen Seite konstruieren will, ignoriert das alles. Ich glaube, der hat von den realen Verhältnissen nicht wirklich einen Eindruck. Und ich habe das Gefühl, es ist vor allem ideologisch bedingt, dass man alles, was sozusagen die Vorsilbe Exzellenz trägt, für nicht wünschenswert hält. Und da muss ich sagen: Die Praxis ist schlichtweg eine andere.
von Billerbeck: Morgen tagt ja in Leipzig die Hochschulrektorenkonferenz. Welche Forderungen oder welche Hoffnungen haben Sie auf diese Konferenz?
Pfeiffer: Also, zunächst einmal wünsche ich mir natürlich, dass eines ganz klargemacht wird: Eine große Zahl der deutschen Universitäten, das mag an anderen Hochschulen teilweise anders gewesen sein, aber eine große Zahl der deutschen Universitäten war mit dem Ob und dem Wie der Umsetzung des Bologna-Prozesses nicht glücklich. Es waren jedenfalls nicht die deutschen Universitäten, die danach gerufen haben. Es erscheint mir deswegen nicht als angemessen, wenn zum Teil in der politischen Debatte beobachtet werden kann, dass nun den Universitäten der Schwarze Peter zugeschoben werden soll, das empfinde ich aus verschiedenen Gründen als unfair. Man muss auch sehen, Bologna ist ja für die Universitäten mit einem erheblich größeren Aufwand verbunden. Das kommt daher, dass Bologna wesentlich prüfungsintensiver ist, als es sein müsste …
von Billerbeck: Und man braucht schlicht mehr Personal.
Pfeiffer: Man braucht mehr Personal, man braucht mehr Prüfungen, es ist in vielen Fällen wegen der stärkeren Durchstrukturierung komplizierter. Wir haben Bachelor und Master, wo es früher nur Diplom und Magister gab, also zwei Studiengänge, die zu verwalten sind, statt einem, zwei Einschreibverfahren, zwei Abschlussprüfungen und so weiter und so weiter. So kann man das durchdeklinieren. Und auch, wenn man es mal zusammenzählt: Bachelor drei Jahre plus Master zwei Jahre sind fünf Jahre als Regelstudienzeit. Das hatten wir vorher praktisch nie. Und für all das hat es keinen finanziellen Ausgleich für die Universitäten gegeben. Also insofern kann ich nur sagen, der Schwarze Peter …
von Billerbeck: … liegt eigentlich bei der Politik?
Pfeiffer: Ja, jedenfalls nicht bei uns aus meiner Sicht.
von Billerbeck: Vor zehn Jahren ist der sogenannte Bologna-Prozess eingeläutet worden. Wenn Sie mal eine Bilanz ziehen sollen, Herr Professor Pfeiffer, wie ist Ihre persönliche Bilanz dieser zehn Jahre?
Pfeiffer: Also, für eine endgültige Bilanz, das muss ich sagen, ist es noch zu früh. Wir haben – das kann man nüchtern sehen – in Deutschland das getan, was wir als Deutsche gerne tun, wir haben mit teutonischer Gründlichkeit den Versuch unternommen, möglichst intensiv und möglichst detailreich Bologna zu verwirklichen. Etwas weniger wäre vielleicht klüger gewesen. Das ist die eine Lehre. Zum Zweiten kann ich sagen, ob das System sich endgültig bewährt, ob wir endgültig bei dieser ich will mal sagen recht dezidiert verfolgten Zweierstruktur von Bachelor und Master bleiben müssen, das wird man noch zu sehen haben.
Aber es kommt jetzt darauf an, dass wir innerhalb der bestehenden Struktur die ein oder andere Korrektur vornehmen müssen. Es kommt auch darauf an, dass wir bereit sind, die Ergebnisse von Bologna einer Überprüfung zu unterziehen. Ich kann aber auch sagen, bisherige Absolventenbefragungen von Studierenden, die bereits Bachelor- und Master-Studiengänge absolviert haben, deuten nicht darauf hin, dass die Studierendenunzufriedenheit insgesamt gesunken ist, sondern die Zufriedenheit ist im Master-Bereich sogar etwas gestiegen und im Bachelor-Bereich auch nicht niedriger, als wir das bisher hatten. Insofern bin ich noch nicht sicher, ob es wirklich ein so schlechtes System ist, wie im Moment teilweise behauptet wird.
von Billerbeck: Der Prorektor Professor Thomas Pfeiffer von der Heidelberger Universität über die bisherigen Ergebnisse der Bologna-Reform. Morgen um 7 Uhr 20 können Sie in der Sendung "Ortszeit" ein politisches Feuilleton zum Thema hören, "Bildungsstreik und Bologna", von Professor Franz Häuser, dem Rektor der Universität Leipzig.
Thomas Pfeiffer: Guten Tag, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Seit drei Wochen ist an Ihrer Uni ein Hörsaal besetzt, Sie haben nicht die Polizei geholt. Warum haben Sie Verständnis mit den streikenden Studenten?
Pfeiffer: Ich will zunächst einmal – und bin dankbar für die Gelegenheit – Folgendes klarstellen: Dass wir die Polizei nicht geholt haben, um den Hörsaal sofort räumen zu lassen, schließt ja mitnichten aus, dass wir das nicht tun, wenn wir dazu Veranlassung sehen in Zukunft. Wir haben es nur bisher nicht getan – das ist eine ganz wichtige Klarstellung –, wir schließen diese Option nicht aus. Wir hielten es aber zum bisherigen Zeitpunkt für nicht klug und glücklich, auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit. Es ist uns bisher jedenfalls gelungen, den Hörsaal und dessen Ausfall durch andere Ausgleichsmaßnahmen zu verkraften. Wir sind aber auf die Räume bei bestimmten Gelegenheiten angewiesen, das will ich ausdrücklich sagen.
Ich will auch dazusagen, dass wir das Mittel der Hörsaalbesetzung für falsch halten. Wer so etwas tut, setzt seine eigene Meinung absolut. Es hat immer auch den Hauch des Totalitären und Undemokratischen, das lehnen wir entschieden ab, und die Besetzer müssen sich dafür, jedenfalls in der politischen Diskussion, verantworten, denn sie stellen sich damit, jedenfalls im gewissen Rahmen, außerhalb eines Dialogzusammenhangs. Ich glaube, sie tun ihrer eigenen Sache damit nicht gut.
von Billerbeck: Seit Juli hat Ihre Uni den sogenannten Heidelberger Weg eingeschlagen, also einen Prozess im Dialog mit den Studenten. Was ist dessen konkreter Inhalt?
Pfeiffer: Wir wollen mit unseren Studierenden über möglichst gute Studienbedingungen sprechen. Das halten wir für wichtig. Und wir glauben auch, dass die Studierenden dazu einen unersetzlichen Beitrag leisten können. Und auf den wollen wir, weil er eben unersetzlich ist, auch nicht verzichten. Wir diskutieren über die Frage, wie wir das in Heidelberg am besten organisatorisch einbinden – das ist der Kerngegenstand dieses Dialogs, zu dem ich mich bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich bekennen möchte.
von Billerbeck: Es ist ja immer kritisiert worden, dass die Studenten im Rahmen des Bologna-Prozesses zu wenig Mitbestimmung hatten – wird sich das mit dem Heidelberger Weg bei Ihnen ändern?
Pfeiffer: Das hoffe ich. Das hängt natürlich auch davon ab, inwieweit die Studierenden die Möglichkeiten, die wir schaffen wollen, auch wahrnehmen. Da muss ich sagen, bin ich noch nicht sicher, ob das gelingt, wir werden es auf jeden Fall versuchen. Wir haben gerade eine wesentliche Vereinfachung unserer Studienstruktur bereits beschlossen in Heidelberg. Zur Umsetzung hatten wir eine Arbeitsgruppe gebildet und Vertreter der Studierenden zur Mitwirkung eingeladen. Das ist leider, ich will mal sagen, nur sehr unregelmäßig und auch nicht sehr intensiv wahrgenommen worden. Wir sind bisher noch nicht davon überzeugt, dass hinter den Worten, wir wollen mehr Mitbestimmung haben, auch entsprechende Handlungen stehen, aber vielleicht können wir das noch erreichen, und dann wollen wir das auch tun.
von Billerbeck: Sie haben gesagt, die Struktur des Studiums in Heidelberg haben Sie schon verändert. Wie müssen wir uns das vorstellen? Sind das schon konkrete Versuche, die Bologna-Reformen doch, ja, rückgängig zu machen, abzumildern oder in eine andere Richtung zu schieben?
Pfeiffer: Zunächst einmal aus meiner Sicht Folgendes: Das Falscheste, was man jetzt tun könnte, wäre, auf die große Eile und Hektik, mit der die Bologna-Reform durchgeführt werden musste, mit einer ebenso hektischen Gegenreformation reagieren zu wollen. Ich glaube, das würde völlig in die Irre führen. Wir haben nur bei der Umsetzung und nach unseren ersten Erfahrungen festgestellt, dass ein Problem unseres neuen Angebots darin bestand, dass die Studienstruktur recht unübersichtlich sich gestaltet hat. Und da haben wir bestimmte Studiengänge, da sind wir kurz davor und werden das jetzt umsetzen, jetzt wieder zusammengefasst, einfach um das Angebot einfacher und übersichtlicher und damit handhabbarer für Studienanfänger werden zu lassen.
von Billerbeck: Bologna und Bildungsstreik. Der Prorektor der Heidelberger Universität, Professor Thomas Pfeiffer, ist mein Gesprächspartner. Ihre, die Heidelberger Universität ist ja auch Exzellenzuni, also eine Vorzeigeuniversität. Die Frage steht bei vielen auch dieser Universitäten: Ist da zu viel Exzellenz und wird zu wenig Wert auf die Lehre gelegt?
Pfeiffer: Ich glaube, dass das eine Scheinalternative ist, denn was heute in der Lehre aus unserer Sicht ganz wichtig ist, in einem Unterschied im Vergleich zu früheren Zeiten darstellt, ist ja das Folgende: Wir können heute viel weniger als früher sicher sein, dass wir in der Zeit unseres Berufslebens mit dem, was wir an der Universität erfahren, auch wirklich auskommen. Das bedeutet, dass die Fähigkeit, mit unbekannten und neuen Herausforderungen zurechtzukommen, einen ungeheuren Rang hat und in der akademischen Lehre haben muss. Und der beste Weg, sich auf das Unbekannte, Neue einzustellen, besteht darin, frühzeitig damit konfrontiert zu werden. Das bedeutet, nichts ist so zukunftsträchtig wie eine forschungsunterlegte Lehre.
Das Zweite ist: In einer Vielzahl von Bereichen, fast überall kann man sagen, dass die Infrastruktur, die wir für die Forschung vorhalten und anschaffen, natürlich auch der Lehre zugutekommt. Wenn ich ein Gerät morgens in einem Laboratorium für die Forschung benutze, kann dort ein Praktikum nachmittags stattfinden, an dem Studierende mitwirken. Ein Buch, das ich in der Bibliothek habe, das steht für die Forschung genauso zur Verfügung wie für die Lehre.
Und dann kommt noch eins dazu: Man kann überall in Heidelberg sehen, dort, wo viel Forschungsaktivitäten stattfinden, da sind die Institute und Einrichtungen der Universität lebendig, da gibt es sehr viel Geld, da ist die Ausstattung gut, da sind auch die Infrastrukturbedingungen für die Lehre gut. Aus meiner Sicht, wer einen Gegensatz zwischen der Exzellenzinitiative auf der einen Seite und Lehre auf der anderen Seite konstruieren will, ignoriert das alles. Ich glaube, der hat von den realen Verhältnissen nicht wirklich einen Eindruck. Und ich habe das Gefühl, es ist vor allem ideologisch bedingt, dass man alles, was sozusagen die Vorsilbe Exzellenz trägt, für nicht wünschenswert hält. Und da muss ich sagen: Die Praxis ist schlichtweg eine andere.
von Billerbeck: Morgen tagt ja in Leipzig die Hochschulrektorenkonferenz. Welche Forderungen oder welche Hoffnungen haben Sie auf diese Konferenz?
Pfeiffer: Also, zunächst einmal wünsche ich mir natürlich, dass eines ganz klargemacht wird: Eine große Zahl der deutschen Universitäten, das mag an anderen Hochschulen teilweise anders gewesen sein, aber eine große Zahl der deutschen Universitäten war mit dem Ob und dem Wie der Umsetzung des Bologna-Prozesses nicht glücklich. Es waren jedenfalls nicht die deutschen Universitäten, die danach gerufen haben. Es erscheint mir deswegen nicht als angemessen, wenn zum Teil in der politischen Debatte beobachtet werden kann, dass nun den Universitäten der Schwarze Peter zugeschoben werden soll, das empfinde ich aus verschiedenen Gründen als unfair. Man muss auch sehen, Bologna ist ja für die Universitäten mit einem erheblich größeren Aufwand verbunden. Das kommt daher, dass Bologna wesentlich prüfungsintensiver ist, als es sein müsste …
von Billerbeck: Und man braucht schlicht mehr Personal.
Pfeiffer: Man braucht mehr Personal, man braucht mehr Prüfungen, es ist in vielen Fällen wegen der stärkeren Durchstrukturierung komplizierter. Wir haben Bachelor und Master, wo es früher nur Diplom und Magister gab, also zwei Studiengänge, die zu verwalten sind, statt einem, zwei Einschreibverfahren, zwei Abschlussprüfungen und so weiter und so weiter. So kann man das durchdeklinieren. Und auch, wenn man es mal zusammenzählt: Bachelor drei Jahre plus Master zwei Jahre sind fünf Jahre als Regelstudienzeit. Das hatten wir vorher praktisch nie. Und für all das hat es keinen finanziellen Ausgleich für die Universitäten gegeben. Also insofern kann ich nur sagen, der Schwarze Peter …
von Billerbeck: … liegt eigentlich bei der Politik?
Pfeiffer: Ja, jedenfalls nicht bei uns aus meiner Sicht.
von Billerbeck: Vor zehn Jahren ist der sogenannte Bologna-Prozess eingeläutet worden. Wenn Sie mal eine Bilanz ziehen sollen, Herr Professor Pfeiffer, wie ist Ihre persönliche Bilanz dieser zehn Jahre?
Pfeiffer: Also, für eine endgültige Bilanz, das muss ich sagen, ist es noch zu früh. Wir haben – das kann man nüchtern sehen – in Deutschland das getan, was wir als Deutsche gerne tun, wir haben mit teutonischer Gründlichkeit den Versuch unternommen, möglichst intensiv und möglichst detailreich Bologna zu verwirklichen. Etwas weniger wäre vielleicht klüger gewesen. Das ist die eine Lehre. Zum Zweiten kann ich sagen, ob das System sich endgültig bewährt, ob wir endgültig bei dieser ich will mal sagen recht dezidiert verfolgten Zweierstruktur von Bachelor und Master bleiben müssen, das wird man noch zu sehen haben.
Aber es kommt jetzt darauf an, dass wir innerhalb der bestehenden Struktur die ein oder andere Korrektur vornehmen müssen. Es kommt auch darauf an, dass wir bereit sind, die Ergebnisse von Bologna einer Überprüfung zu unterziehen. Ich kann aber auch sagen, bisherige Absolventenbefragungen von Studierenden, die bereits Bachelor- und Master-Studiengänge absolviert haben, deuten nicht darauf hin, dass die Studierendenunzufriedenheit insgesamt gesunken ist, sondern die Zufriedenheit ist im Master-Bereich sogar etwas gestiegen und im Bachelor-Bereich auch nicht niedriger, als wir das bisher hatten. Insofern bin ich noch nicht sicher, ob es wirklich ein so schlechtes System ist, wie im Moment teilweise behauptet wird.
von Billerbeck: Der Prorektor Professor Thomas Pfeiffer von der Heidelberger Universität über die bisherigen Ergebnisse der Bologna-Reform. Morgen um 7 Uhr 20 können Sie in der Sendung "Ortszeit" ein politisches Feuilleton zum Thema hören, "Bildungsstreik und Bologna", von Professor Franz Häuser, dem Rektor der Universität Leipzig.