„Wir halten das für legitim“
Konrad von Bonin vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) hat sich dafür ausgesprochen, dass die Kirchen auf politische Entscheidungen Einfluss nehmen. Man könne nicht allein „abstrakt neutrale Interessenpolitik“ machen, sagte von Bonin im Deutschlandradio Kultur. Auf Basis der Verfassung müssten klare Grundpositionen vorhanden sein, die konkreter Hintergrund der Außenpolitik sein sollten.
Herbert A. Gornik: Dr. Konrad von Bonin ist Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Entwicklungsdienstes. Der sitzt in Bonn und ist die Zentrale aller großen kirchlich-sozialen Projekte weltweit. Wir beide kennen noch aus der Kindheit die Redewendung, „besser ein Onkel, der was mitbringt, als eine Tante, die Klavier spielt“. Wenn Konrad von Bonin weltweit in den Kirchen und Gemeinden herumfährt, dann hat man manchmal den Eindruck, die sagen „besser ein Bonin, der was mitbringt, als eine Käßmann, die nur predigt“. Sind Sie derjenige, der das Geld verteilt?
Konrad von Bonin: Nun, ich bin befreundet mit Bischöfin Margot Käßmann, und ich höre ihren Predigten gerne zu. Sie ist so klar in der Sprache, dass ich anstrebe, auch manchmal genauso zu sein. Wir sind nicht diejenigen, die Geld verteilen, sondern zunächst mal sind wir diejenigen, die Geld entgegennehmen, und zwar aus Kirchensteuern und aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, und versuchen, mit diesem Geld gute, richtige, vernünftige Programme für die Armen in der Welt zu finanzieren.
Gornik: Was können Sie denn anderen Kirchen, die der Entwicklung bedürfen, weltweit anbieten?
von Bonin: Zunächst mal bieten wir ihnen an, dass sie selber ihre Entwicklungsprogramme entwickeln sollen und durchführen sollen. Und wir unterscheiden uns von vielen anderen Entwicklungsorganisationen darin, dass nicht wir in die Länder fahren, tun, das wir für richtig halten, und das in der Art tun, wie das bei uns Praxis ist, sondern wir arbeiten mit anderen Kirchen, auch Nicht-Regierungsorganisationen zusammen bei der Durchführung dessen, was aus ihrer Sicht zugunsten der Armen notwendig ist.
Gornik: Wenn man die Friedensdenkschrift der evangelischen Kirche in Deutschland liest oder auch an die Armutsdenkschrift denkt, dann hat man den Eindruck, hier wird eindeutig formuliert, auch die Außenpolitik, die Politik soll wertgeleitet sein. Nun stockt man da ja und denkt, ja soll sie nicht eigentlich weltanschaulich neutral sein? In welcher Position sind Sie?
von Bonin: Ich bin in der Tat eindeutig der Auffassung, wie das Auswärtige Amt übrigens selber, dass man heute keine abstrakt-neutrale Interessenpolitik alleine betreiben kann, sondern dass auf der Basis unserer Verfassung klare Grundpositionen vorhanden sein müssen, die auch Hintergrund für die konkreten Aktionen der Außenpolitik sind.
Gornik: Sind die Werte unserer Verfassung identisch mit christlichen Werten?
von Bonin: Die Menschenrechte und die Grundrechte sind sehr nahe christlichen Werten. Das hat auch mit der Geschichte zu tun. Man kann die Menschenwürde Artikel 1 Grundgesetz nicht verstehen ohne das Bild der Gottesebenbildlichkeit des Menschen in der Bibel. Man kann die Freiheitsrechte nicht verstehen, wenn man sich nicht erinnert an die Kämpfe um Freiheit und Gleichheit nach der Reformation, wie sie dann in der Zeit der Aufklärung weiterging. Man kann die Demokratie übrigens, und damit auch die demokratischen Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und übrigens auch Glaubens- und Gewissensfreiheit, nicht verstehen, wenn man sich nicht daran erinnert, dass die Reformatoren Calvin und Martin Luther die Gleichheit aller Menschen gepredigt haben und den unmittelbaren Zugang jedes einzelnen Menschen zu Gott, ohne dass es eine Vermittlung durch eine andere Autorität braucht.
Gornik: Sie haben gerade gesagt, selbst unter Außenpolitikern und Menschen wie Ihnen herrscht dort Konsens in der Frage, dass Außenpolitik wertgeleitet sein muss. Halten nicht manchmal doch Außenpolitiker kirchlichen Vertretern auch vor, dass sie ja einen Wahrheitsanspruch haben als Kirche und Religion, der doch mit politischen Gesichtspunkten manchmal schlecht kompatibel ist?
von Bonin: Zunächst mal ist es so, dass aus unserer protestantischen Tradition es klar ist, dass wir Anhänger der Trennung von Staat und Kirche sind, dass wir befürworten einen säkularen Staat – wir wollen keinen Gottesstaat –, dass wir der Auffassung sind, dass die Religion gerade dann geschützt wird, wenn nicht der Staat über sie bestimmt, wie es vielleicht manchmal im staatlichen Religionsunterricht oder Ethikunterricht hätte sein können. Diese Trennung ist für uns ganz wichtig. Und auf dieser Basis sagen wir in der Tat, dass wir auch als kirchliches Werk, auch als Religionsgemeinschaften einen Beitrag leisten können zu einer Qualifizierung der Politik. Das Bundesverfassungsgericht hat einmal gesagt, Demokratie setzt voraus einen freien und offenen Prozess der politischen Willensbildung in der Gesellschaft. An dieser politischen Willensbildung sind viele beteiligt, darunter auch die sogenannte Zivilgesellschaft und darunter auch die Kirche oder die Kirchen. Und übrigens auch andere Religionsgemeinschaften wie die Muslime hier im Lande.
Gornik: Noch einmal rückgefragt: Revidieren Sie sozusagen Ihren Wahrheitsanspruch, wenn Sie in Ländern arbeiten, in denen es konkurrierende oder befreundete Religionen gibt, die ja auch einen Wahrheitsanspruch formulieren?
von Bonin: Der Wahrheitsanspruch bezieht sich auf die Inhalte des Glaubens, er bezieht sich nicht auf die Politik. Das ist genau die Trennung von Kirche und Staat, das ist die Trennung von Religion und Politik. In der Politik nehmen wir teil an einem Diskurs, und wir streiten übrigens auch in der Kirche über die Wahrheit.
Gornik: Konrad von Bonin ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur in der Sendung „Religionen“. Konrad von Bonin ist Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Entwicklungsdienstes. In welchen Bereichen ist der Einfluss der Kirche auf die Außenpolitik besonders deutlich?
von Bonin: Nun, wenn wir auf die letzten 30, 40 Jahre Geschichte schauen, dann gibt es einige hervorgehobene Beispiele. Denken wir an die berühmte Ostdenkschrift der evangelischen Kirche, die große Folgen für die Versöhnung mit Polen hatte. Denken wir an die Rolle der Kirchen in der Friedensdebatte in den 80er Jahren. Eine übrigens der Implikationen der Friedensdebatte war, dass sie in der DDR und in Westdeutschland stattfand und durchaus nicht ohne Wirkung auf die friedliche Form des Übergangs zu einem gemeinsamen Deutschland war. Denken wir an die Überwindung der Apartheid. Die Kirchen hatten eine ganz zentrale Rolle in Deutschland zusammen mit dem ökumenischen Rat der Kirchen und den Schwesterkirchen in Südafrika an dieser Überwindung der Apartheid. Denken wir an die Entschuldung der ärmsten Länder der Welt. 1999 fand in Köln ein G7-Gipfel statt, also ein Gipfel der sieben damals mächtigsten und wirtschaftlich wichtigsten Staaten. Parallel zu diesem Gipfel war der Evangelische Kirchentag in Stuttgart, und in Stuttgart und in Köln gab es große Veranstaltungen. Und in der Tat hat dieser Gipfel beschlossen den Beginn der Entschuldung. Denken wir übrigens an die Diskussionen zur Überwindung der Armut bis 2015 jetzt beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Auch hier hatten die Kirchen eine ganz große Rolle. Das heißt, wir wissen, dass wir die Politik, auch die Außenpolitik beeinflussen. Wir wollen das mit demokratischen Mitteln, und wir halten das auch für legitim.
Gornik: Der schon verstorbene rheinische Präses Peter Beyer und damals designierter Ratsvorsitzender – wenn er denn nicht gestorben wäre, wäre er es wohl geworden – hat einmal gesagt, die Aufgabe der Kirchen, das Hauptthema der Kirchen im 21. Jahrhundert sei die Armutsbekämpfung. Haben Sie den Eindruck, wenn Sie auf die Entschuldung außen und auf die Armut im eigenen Land sehen, dass dies in der evangelischen Kirche in Deutschland schon so mehrheitsfähig ist, dass Armut das große Thema ist?
von Bonin: Wenn wir auf den internationalen Bereich gucken, wenn wir schauen auf die Debatte zwischen unseren Schwesterkirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika und uns, steht dort die Bekämpfung der Armut in dem jeweiligen Land und auch der weltweiten Armut im Zentrum. Wenn wir auf die Diskussion in Deutschland schauen, ist das eines der wichtigen Themen. Ich würde nicht sagen, es steht im Zentrum. Wir sind übrigens nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch mit der Politik in der Diskussion über die Überwindung der Armut, und da sind wir im Moment in einer durchaus manchmal etwas schwierigen Lage, denn es gibt eine Tendenz, zum Beispiel im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, sich etwas zu entfernen, sage ich mal vorsichtig, von dem Ziel der Armutsbekämpfung und mehr sich zu konzentrieren auf sogenannte internationale Strukturpolitik. Das halten wir für falsch. Und gemeinsam mit unserer katholischen Schwesterorganisation Misereor haben wir interveniert, damit die Regierung konsequent bleibt.
Gornik: Blicken wir noch einmal auf den innerkirchlichen Bereich: Gute Worte in tatkräftige Projekte umzusetzen, kostet unter anderem auch Geld. Es gab vor Jahren eine Forderung, dass alle Landeskirchen aus ihrem Etat mindestens vier Prozent für die Entwicklungsförderung, politische Projekte ausgeben sollen. Wo stehen Sie heute?
von Bonin: Heute tragen die Landeskirchen mit ungefähr 1,5 Prozent der Kirchensteuereinnahmen zur Gemeinschaftsaufgabe kirchlicher Entwicklungsdienst bei. Und dieser Betrag, der etwas höher ist als 40 Millionen Euro pro Jahr, ist ein Betrag, mit dem wir als evangelischer Entwicklungsdienst unsere Programme durchführen können. Diese Summe ist eine Ergänzung zu den staatlichen Mitteln, die etwa doppelt so hoch sind. Und der Staat mahnt uns manchmal, wenn wir unsere Ausgaben steigern, wie sieht es denn bei euch in der Kirche aus. Ich möchte aber ergänzen, zusätzlich zu diesen Mitteln geben viele, viele Kirchengemeinden und viele einzelne Christen und viele Menschen, die auch der Kirche gar nicht mehr nahestehen, eine hohe Summe an Spenden zum Beispiel für „Brot für die Welt“ und die Projekte von „Brot für die Welt“. Und man muss diese Mittel zusammenzählen. Es sind nicht nur die Kirchensteuern, sondern es sind die Mittel, die direkt aus dem eigenen Portemonnaie kommen, die zählen.
Gornik: Konrad von Bonin, unter Ihren Gesprächspartnern werden jetzt schon und in Zukunft viele Politiker sein, die nicht mehr bruchlos kirchlich-christlich sozialisiert sind. Wenn die fragen, braucht eigentlich der säkulare Staat die Mitwirkung der Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Formulierung seiner Außenpolitik in Theorie und Praxis, was antworten Sie denen, die den kirchlichen Positionen etwas ferner stehen?
von Bonin: Zunächst mal zu dem Hintergrund Ihrer Frage: Viele sagen heute, wir beobachten einen Trend zur Religion. Die wichtigste Publikation in der internationalen Politik, der „Economist“, hat gerade ein Sonderheft zum Thema „Weltmacht Religion“ herausgegeben. Das Auswärtige Amt hat vor kurzem eine Konferenz organisiert zum Thema „Rolle der Religionen in der Außenpolitik“. Innerhalb dieser Konferenz wurde berichtet, dass übrigens der Anteil der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die Mitglied einer Kirche oder Religionsgemeinschaft sind, höher ist als noch vor zehn Jahren heute. Es gibt dennoch viele Abgeordnete und viele Politiker und Politikerinnen, die, ja, distanziert zur Religion sind oder von Religion nichts wissen. Und es gibt auch einige Parteien, die sagen, die Unterstützung kirchlicher Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit ist nicht so wichtig. Wir sagen ihnen das weiter, was übrigens andere Politiker uns sagen. Die sagen, wir als Regierung können in der Entwicklungszusammenarbeit nur mit Staaten arbeiten, und wir haben Schwierigkeiten mit dem Zugang an die Basis. Sie sagen uns, ihr als Kirchen habt geborene Partner, nämlich in vielen, vielen Ländern gibt es Kirchen, gibt es christlich organisierte Nicht-Regierungsorganisationen, und sie sagen, wenn wir als Politik unmittelbar an die Bedürfnisse der Menschen herankommen wollen – Krankenhäuser, Schulen, Landwirtschaft –, dann nutzen wir die Kirchen als Kanal, als Channel, um das, was wir als Armutsbekämpfung wollen. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn tatsächlich nicht nur Strukturpolitik, sondern Armutsbekämpfung im Mittelpunkt steht.
Gornik: Konrad von Bonin, Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Entwicklungsdienstes, war zu Gast im Deutschlandradio Kultur in der Sendung „Religionen“.
Konrad von Bonin: Nun, ich bin befreundet mit Bischöfin Margot Käßmann, und ich höre ihren Predigten gerne zu. Sie ist so klar in der Sprache, dass ich anstrebe, auch manchmal genauso zu sein. Wir sind nicht diejenigen, die Geld verteilen, sondern zunächst mal sind wir diejenigen, die Geld entgegennehmen, und zwar aus Kirchensteuern und aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, und versuchen, mit diesem Geld gute, richtige, vernünftige Programme für die Armen in der Welt zu finanzieren.
Gornik: Was können Sie denn anderen Kirchen, die der Entwicklung bedürfen, weltweit anbieten?
von Bonin: Zunächst mal bieten wir ihnen an, dass sie selber ihre Entwicklungsprogramme entwickeln sollen und durchführen sollen. Und wir unterscheiden uns von vielen anderen Entwicklungsorganisationen darin, dass nicht wir in die Länder fahren, tun, das wir für richtig halten, und das in der Art tun, wie das bei uns Praxis ist, sondern wir arbeiten mit anderen Kirchen, auch Nicht-Regierungsorganisationen zusammen bei der Durchführung dessen, was aus ihrer Sicht zugunsten der Armen notwendig ist.
Gornik: Wenn man die Friedensdenkschrift der evangelischen Kirche in Deutschland liest oder auch an die Armutsdenkschrift denkt, dann hat man den Eindruck, hier wird eindeutig formuliert, auch die Außenpolitik, die Politik soll wertgeleitet sein. Nun stockt man da ja und denkt, ja soll sie nicht eigentlich weltanschaulich neutral sein? In welcher Position sind Sie?
von Bonin: Ich bin in der Tat eindeutig der Auffassung, wie das Auswärtige Amt übrigens selber, dass man heute keine abstrakt-neutrale Interessenpolitik alleine betreiben kann, sondern dass auf der Basis unserer Verfassung klare Grundpositionen vorhanden sein müssen, die auch Hintergrund für die konkreten Aktionen der Außenpolitik sind.
Gornik: Sind die Werte unserer Verfassung identisch mit christlichen Werten?
von Bonin: Die Menschenrechte und die Grundrechte sind sehr nahe christlichen Werten. Das hat auch mit der Geschichte zu tun. Man kann die Menschenwürde Artikel 1 Grundgesetz nicht verstehen ohne das Bild der Gottesebenbildlichkeit des Menschen in der Bibel. Man kann die Freiheitsrechte nicht verstehen, wenn man sich nicht erinnert an die Kämpfe um Freiheit und Gleichheit nach der Reformation, wie sie dann in der Zeit der Aufklärung weiterging. Man kann die Demokratie übrigens, und damit auch die demokratischen Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und übrigens auch Glaubens- und Gewissensfreiheit, nicht verstehen, wenn man sich nicht daran erinnert, dass die Reformatoren Calvin und Martin Luther die Gleichheit aller Menschen gepredigt haben und den unmittelbaren Zugang jedes einzelnen Menschen zu Gott, ohne dass es eine Vermittlung durch eine andere Autorität braucht.
Gornik: Sie haben gerade gesagt, selbst unter Außenpolitikern und Menschen wie Ihnen herrscht dort Konsens in der Frage, dass Außenpolitik wertgeleitet sein muss. Halten nicht manchmal doch Außenpolitiker kirchlichen Vertretern auch vor, dass sie ja einen Wahrheitsanspruch haben als Kirche und Religion, der doch mit politischen Gesichtspunkten manchmal schlecht kompatibel ist?
von Bonin: Zunächst mal ist es so, dass aus unserer protestantischen Tradition es klar ist, dass wir Anhänger der Trennung von Staat und Kirche sind, dass wir befürworten einen säkularen Staat – wir wollen keinen Gottesstaat –, dass wir der Auffassung sind, dass die Religion gerade dann geschützt wird, wenn nicht der Staat über sie bestimmt, wie es vielleicht manchmal im staatlichen Religionsunterricht oder Ethikunterricht hätte sein können. Diese Trennung ist für uns ganz wichtig. Und auf dieser Basis sagen wir in der Tat, dass wir auch als kirchliches Werk, auch als Religionsgemeinschaften einen Beitrag leisten können zu einer Qualifizierung der Politik. Das Bundesverfassungsgericht hat einmal gesagt, Demokratie setzt voraus einen freien und offenen Prozess der politischen Willensbildung in der Gesellschaft. An dieser politischen Willensbildung sind viele beteiligt, darunter auch die sogenannte Zivilgesellschaft und darunter auch die Kirche oder die Kirchen. Und übrigens auch andere Religionsgemeinschaften wie die Muslime hier im Lande.
Gornik: Noch einmal rückgefragt: Revidieren Sie sozusagen Ihren Wahrheitsanspruch, wenn Sie in Ländern arbeiten, in denen es konkurrierende oder befreundete Religionen gibt, die ja auch einen Wahrheitsanspruch formulieren?
von Bonin: Der Wahrheitsanspruch bezieht sich auf die Inhalte des Glaubens, er bezieht sich nicht auf die Politik. Das ist genau die Trennung von Kirche und Staat, das ist die Trennung von Religion und Politik. In der Politik nehmen wir teil an einem Diskurs, und wir streiten übrigens auch in der Kirche über die Wahrheit.
Gornik: Konrad von Bonin ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur in der Sendung „Religionen“. Konrad von Bonin ist Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Entwicklungsdienstes. In welchen Bereichen ist der Einfluss der Kirche auf die Außenpolitik besonders deutlich?
von Bonin: Nun, wenn wir auf die letzten 30, 40 Jahre Geschichte schauen, dann gibt es einige hervorgehobene Beispiele. Denken wir an die berühmte Ostdenkschrift der evangelischen Kirche, die große Folgen für die Versöhnung mit Polen hatte. Denken wir an die Rolle der Kirchen in der Friedensdebatte in den 80er Jahren. Eine übrigens der Implikationen der Friedensdebatte war, dass sie in der DDR und in Westdeutschland stattfand und durchaus nicht ohne Wirkung auf die friedliche Form des Übergangs zu einem gemeinsamen Deutschland war. Denken wir an die Überwindung der Apartheid. Die Kirchen hatten eine ganz zentrale Rolle in Deutschland zusammen mit dem ökumenischen Rat der Kirchen und den Schwesterkirchen in Südafrika an dieser Überwindung der Apartheid. Denken wir an die Entschuldung der ärmsten Länder der Welt. 1999 fand in Köln ein G7-Gipfel statt, also ein Gipfel der sieben damals mächtigsten und wirtschaftlich wichtigsten Staaten. Parallel zu diesem Gipfel war der Evangelische Kirchentag in Stuttgart, und in Stuttgart und in Köln gab es große Veranstaltungen. Und in der Tat hat dieser Gipfel beschlossen den Beginn der Entschuldung. Denken wir übrigens an die Diskussionen zur Überwindung der Armut bis 2015 jetzt beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Auch hier hatten die Kirchen eine ganz große Rolle. Das heißt, wir wissen, dass wir die Politik, auch die Außenpolitik beeinflussen. Wir wollen das mit demokratischen Mitteln, und wir halten das auch für legitim.
Gornik: Der schon verstorbene rheinische Präses Peter Beyer und damals designierter Ratsvorsitzender – wenn er denn nicht gestorben wäre, wäre er es wohl geworden – hat einmal gesagt, die Aufgabe der Kirchen, das Hauptthema der Kirchen im 21. Jahrhundert sei die Armutsbekämpfung. Haben Sie den Eindruck, wenn Sie auf die Entschuldung außen und auf die Armut im eigenen Land sehen, dass dies in der evangelischen Kirche in Deutschland schon so mehrheitsfähig ist, dass Armut das große Thema ist?
von Bonin: Wenn wir auf den internationalen Bereich gucken, wenn wir schauen auf die Debatte zwischen unseren Schwesterkirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika und uns, steht dort die Bekämpfung der Armut in dem jeweiligen Land und auch der weltweiten Armut im Zentrum. Wenn wir auf die Diskussion in Deutschland schauen, ist das eines der wichtigen Themen. Ich würde nicht sagen, es steht im Zentrum. Wir sind übrigens nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch mit der Politik in der Diskussion über die Überwindung der Armut, und da sind wir im Moment in einer durchaus manchmal etwas schwierigen Lage, denn es gibt eine Tendenz, zum Beispiel im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, sich etwas zu entfernen, sage ich mal vorsichtig, von dem Ziel der Armutsbekämpfung und mehr sich zu konzentrieren auf sogenannte internationale Strukturpolitik. Das halten wir für falsch. Und gemeinsam mit unserer katholischen Schwesterorganisation Misereor haben wir interveniert, damit die Regierung konsequent bleibt.
Gornik: Blicken wir noch einmal auf den innerkirchlichen Bereich: Gute Worte in tatkräftige Projekte umzusetzen, kostet unter anderem auch Geld. Es gab vor Jahren eine Forderung, dass alle Landeskirchen aus ihrem Etat mindestens vier Prozent für die Entwicklungsförderung, politische Projekte ausgeben sollen. Wo stehen Sie heute?
von Bonin: Heute tragen die Landeskirchen mit ungefähr 1,5 Prozent der Kirchensteuereinnahmen zur Gemeinschaftsaufgabe kirchlicher Entwicklungsdienst bei. Und dieser Betrag, der etwas höher ist als 40 Millionen Euro pro Jahr, ist ein Betrag, mit dem wir als evangelischer Entwicklungsdienst unsere Programme durchführen können. Diese Summe ist eine Ergänzung zu den staatlichen Mitteln, die etwa doppelt so hoch sind. Und der Staat mahnt uns manchmal, wenn wir unsere Ausgaben steigern, wie sieht es denn bei euch in der Kirche aus. Ich möchte aber ergänzen, zusätzlich zu diesen Mitteln geben viele, viele Kirchengemeinden und viele einzelne Christen und viele Menschen, die auch der Kirche gar nicht mehr nahestehen, eine hohe Summe an Spenden zum Beispiel für „Brot für die Welt“ und die Projekte von „Brot für die Welt“. Und man muss diese Mittel zusammenzählen. Es sind nicht nur die Kirchensteuern, sondern es sind die Mittel, die direkt aus dem eigenen Portemonnaie kommen, die zählen.
Gornik: Konrad von Bonin, unter Ihren Gesprächspartnern werden jetzt schon und in Zukunft viele Politiker sein, die nicht mehr bruchlos kirchlich-christlich sozialisiert sind. Wenn die fragen, braucht eigentlich der säkulare Staat die Mitwirkung der Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Formulierung seiner Außenpolitik in Theorie und Praxis, was antworten Sie denen, die den kirchlichen Positionen etwas ferner stehen?
von Bonin: Zunächst mal zu dem Hintergrund Ihrer Frage: Viele sagen heute, wir beobachten einen Trend zur Religion. Die wichtigste Publikation in der internationalen Politik, der „Economist“, hat gerade ein Sonderheft zum Thema „Weltmacht Religion“ herausgegeben. Das Auswärtige Amt hat vor kurzem eine Konferenz organisiert zum Thema „Rolle der Religionen in der Außenpolitik“. Innerhalb dieser Konferenz wurde berichtet, dass übrigens der Anteil der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die Mitglied einer Kirche oder Religionsgemeinschaft sind, höher ist als noch vor zehn Jahren heute. Es gibt dennoch viele Abgeordnete und viele Politiker und Politikerinnen, die, ja, distanziert zur Religion sind oder von Religion nichts wissen. Und es gibt auch einige Parteien, die sagen, die Unterstützung kirchlicher Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit ist nicht so wichtig. Wir sagen ihnen das weiter, was übrigens andere Politiker uns sagen. Die sagen, wir als Regierung können in der Entwicklungszusammenarbeit nur mit Staaten arbeiten, und wir haben Schwierigkeiten mit dem Zugang an die Basis. Sie sagen uns, ihr als Kirchen habt geborene Partner, nämlich in vielen, vielen Ländern gibt es Kirchen, gibt es christlich organisierte Nicht-Regierungsorganisationen, und sie sagen, wenn wir als Politik unmittelbar an die Bedürfnisse der Menschen herankommen wollen – Krankenhäuser, Schulen, Landwirtschaft –, dann nutzen wir die Kirchen als Kanal, als Channel, um das, was wir als Armutsbekämpfung wollen. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn tatsächlich nicht nur Strukturpolitik, sondern Armutsbekämpfung im Mittelpunkt steht.
Gornik: Konrad von Bonin, Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Entwicklungsdienstes, war zu Gast im Deutschlandradio Kultur in der Sendung „Religionen“.

Konrad von Bonin© www.eed.de