"Wir haben zurzeit einen kleinen Aufschwung"

Garrelt Duin im Gespräch mit Christopher Ricke · 29.07.2010
Der SPD-Abgeordnete Garrelt Duin hat mehr Investitionstätigkeit in Deutschland gefordert. Der private Konsum allein könne die Binnennachfrage nicht stabilisieren, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Christopher Ricke: Endlich eine ganze Reihe von guten Nachrichten: Die Arbeitslosenzahlen, die heute vorgelegt werden, sind wahrscheinlich deutlich besser als die vor einem Jahr. Das Konsumklima ist gut, die Binnennachfrage stützt die Konjunktur und noch oben drauf, die Preise sind stabil. Wäre die EU eine Schulklasse mit 27 Schülern, wäre Deutschland der Klassenprimus. Also kann die schwarz-gelbe Koalition zufrieden sein. Und mancher munkelt vielleicht schon hinter vorgehaltener Hand, seitdem die Sozialdemokraten nicht mehr in der Bundesregierung sind, geht es aufwärts. Der arbeitsmarktpolitische und wirtschaftspolitische Kurs stimmt also. Ich weiß nicht, ob das einem Sozialdemokraten so gut schmecken kann – Garrelt Duin ist der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Duin!

Garrelt Duin: Schönen guten Morgen!

Ricke: Bevor es gleich Kritik von Ihrer Seite an der Regierung gibt, gibt es auch ein bisschen Respekt und Anerkennung?

Duin: Dieser Aufschwung, der noch nicht ein selbsttragender ist, sondern diese Entwicklung, die wir da jetzt gerade beobachten, die ist ja gekommen trotz dieser Regierung und nicht wegen der Regierung. Also insofern hat das mit Respekt oder Gratulation für die Regierung hier noch nichts zu tun, nein.

Ricke: Na ja, aber die Kennzahlen beweisen doch, dass es besser wird, und CDU/CSU und FDP bemühen sich ja am Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft.

Duin: Ja, er hat sich sehr bemüht, das könnte man vielleicht in das Zeugnis für Herrn Brüderle schon reinschreiben, aber im Ernst, was hat er denn bisher getan oder was hat diese Regierung bisher getan? Es ist kein einziges Gesetz auf den Weg gebracht worden, was irgendetwas an diesem Bereich hätte bewegen können, mit Ausnahme der Senkung der Hotelsteuer – aber das ist, glaube ich, nicht die Ursache für diese für mich ja auch positive Entwicklung, die wollen wir ja gar nicht kleinreden. Aber die Ursachen sind halt andere als das Regierungshandeln.

Ricke: Aber wenn es eine positive Entwicklung gibt und, wie Sie beschreiben, wenig politisches Handeln, dann ist es doch eigentlich logisch, dass man sagt, dann lässt man die Sache so laufen und schießt nicht mit neuen Gesetzen und Regeln quer. Würden Sie da mitgehen?

Duin: Nein, es geht auch nicht darum, dass man jetzt irgendwelche neuen unsinnigen Regelungen macht, sondern man muss einfach gucken, wo sind die Ursachen für diesen Aufschwung und wie können wir es hinkriegen, dass sich Dinge, wie wir sie in den letzten drei Jahren erlebt haben, nicht wiederholen. Und da, finde ich, da muss etwas passieren. Wir haben zurzeit einen kleinen Aufschwung, der aber absolut exportgetrieben ist. Wir haben festgestellt in den letzten drei Jahren, dass eines der Probleme in Deutschland ist, dass wir ein zu großes Ungleichgewicht haben zwischen dem, was wir im Export an Erfolgen haben, und dem, was war an Schwäche noch in der Binnennachfrage haben.

Nun will ich nicht der französischen Ministerin Lagarde das Wort reden und sagen, wir müssen weniger exportieren. Aber etwas zu Stabilisierung der Binnennachfrage zu machen, das wäre dringend notwendig. Und da passiert im Bereich, ich nenne nur mal die Themen Mindestlöhne, Einschränkung von Leiharbeit und so weiter, passiert ja leider überhaupt nichts. Und die Zahlen am Arbeitsmarkt sind auf den ersten Blick positiv, aber viele, viele Menschen sind doch nach wie vor in prekärer Beschäftigung, in prekären Beschäftigungsverhältnissen dort untergekommen, und das ist natürlich nichts, worauf sich stabil etwas aufbauen lässt.

Ricke: Menschen am Arbeitsmarkt, die sich mehr erwarten, die sehen wir auch bei der halben Million Kurzarbeitern, die es noch gibt, die sich sozusagen in der Wirtschaftskrise in der doch recht komfortablen Kurzarbeiterregelung unterstellen konnte. Wann dürfen die denn wieder raus und in die Sonne?

Duin: Na, ich glaube, wenn man mal mit Betroffenen gesprochen hat, dann ist das kein Vergnügen gewesen, in Kurzarbeit zu gehen. Das persönliche Einkommen ist ja dadurch auch deutlich geringer, aber es ist in jedem Fall die bessere Lösung gewesen, als in die Arbeitslosigkeit geschickt zu werden. Und deswegen ist es ja ein Witz, wenn wir jetzt noch mal auf die Ausgangsfrage zurückkommen: Was hat die Regierung damit zu tun?

Herr Brüderle war immer gegen diese Regelung, er wollte sie auch nicht verlängern, und deswegen macht es keinen Sinn, wenn er sich das jetzt ans Revers hängt. Das ist ja noch in der alten Regierung der Großen Koalition forciert worden, das war eine gute Regelung, die viele Menschen davor bewahrt hat, in die Arbeitslosigkeit abzurutschen und deswegen natürlich auch jetzt die Zahlen entsprechend noch gut sind.

Ricke: Wenn Kurzarbeit eine bessere Lösung ist als Zeitarbeit, als Arbeitslosigkeit, Entschuldigung, gilt das dann auch für die Zeitarbeit, denn gerade bei der Zeitarbeit ist ja der Aufschwung gerade sehr deutlich zu sehen.

Duin: Bei der Zeitarbeit ist es dann eine gute Lösung, wenn daraus ein fester Arbeitsplatz wird. Das war auch ursprünglich mal die Idee, als man die Regeln gelockert hat und gesagt hat, wir wollen diesem Bereich einen neuen Schub geben. Aber es passiert eben nicht, im Gegenteil, es werden Stammbelegschaften abgebaut, und stattdessen wird mit eigenen Leiharbeitsfirmen ja zum Teil dann agiert, um die Leute zu schlechteren Bedingungen wieder neu einzustellen. Und das gibt den Menschen keine Sicherheit. Wenn wir darüber reden – gestern ist eine Statistik wieder veröffentlicht wurden, dass wir bei den Geburten Platz 27 haben und nicht Platz 1 wie in der anderen Statistik, von der Sie gerade gesprochen haben.

Die Menschen sind unsicher, die werden keine Familie gründen, werden keine Werte schaffen, wenn sie immer nur sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln und dort viel zu wenig Geld verdienen, ganz schlechte Einkommen bekommen. Das ist einfach eine Situation, die müssen wir ändern, und deswegen gehört es zu unserem Programm jedenfalls, dass man die Leiharbeit wieder zurückdrängt auf das Maß, was wir vorher hatten.

Ricke: Was mir auffällt, Herr Duin, das ist, trotz all dieser Dinge, die Sie kritisieren, und all dieser dunklen Aussichten, die Sie skizzieren, dass die Konsumlaune der Bürger – das ist auch eine Zahl, die erhoben wird, und die hat sehr viel zu tun mit der Binnennachfrage, dass die trotzdem ganz anständig ist –, ist die Stimmung vielleicht besser als die Lage?

Duin: Das ist so ein markanter Satz, aber ich glaube, wir müssen noch mal unterscheiden zwischen dem, was der private Konsum ist, und dem, was wir an Binnennachfrage ja ansonsten auch noch brauchen, also Investitionen, denn alleine dadurch, dass ein bisschen mehr konsumiert wird privat, wird man das auch nicht auf Dauer hinbekommen, dass die Binnennachfrage stabilisiert ist. Wir brauchen ja entsprechende Investitionstätigkeiten in Deutschland selbst, und die sind bei den Firmen, aber auch gerade bei den Kommunen, die in einer dramatischen Situation sind, ja deutlich rückläufig, und deswegen ist das wirklich etwas, was uns beschäftigen soll: Wie können wir über das Steuerrecht, über andere Möglichkeiten dafür sorgen, dass in Deutschland investiert wird?

Denn in der Tat ist ja durchaus Geld vorhanden. Wir haben nach wie vor eine der höchsten Sparquoten hier in Deutschland, und da müssen wir, glaube ich, ansetzen zu überlegen, wie kann man Kapital generieren, auch gerade für den Mittelstand, die nach wie vor oft Probleme haben, von den Banken Geld zu bekommen, um diese Investitionen zu tätigen.

Ricke: Garrelt Duin, der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank, Herr Duin!

Duin: Vielen Dank!