"Wir haben überlegt, was gibt es als Alternative"

Christian Haase im Gespräch mit Nana Brink |
Die Stadt Beverungen in Nordrhein-Westfalen setzt schon seit Langem auf erneuerbare Energien. Politisch sei der Ausstieg kontrovers diskutiert worden, sagt Bürgermeister Christian Haase, "aber im Nachhinein können wir sagen, dass wir da alles richtig gemacht haben".
Nana Brink: Der Atomausstieg ist nach dem Beschluss der Bundesregierung sozusagen regierungsamtlich. Jetzt wird über das Wann und Wie gestritten. Ein Prozess, den das 15.000-Einwohner-Städtchen Beverungen im Osten von Nordrhein-Westfalen schon hinter sich hat. Beverungen setzte seit Langem auf erneuerbare Energien und sie haben es geschafft. Heute ist Beverungen autark, was die Stromversorgung anbelangt. Der Atommeiler Würgassen, gleich vor der Haustür, wird abgebaut und stattdessen gibt es Windräder-Parks und eine Biogas-Anlage. Am Telefon ist jetzt der CDU-Bürgermeister von Beverungen, Christian Haase. Einen schönen guten Morgen, Herr Haase!

Christian Haase: Guten Morgen!

Brink: Wann haben Sie auf den Atomstrom für die Gemeinde verzichtet und warum?

Haase: Ja, das ist schon eine Zeit lang her. Wir haben ’96 die Nachricht erfahren, dass das AKW bei uns im Ort, in Würgassen, nicht weiterbetrieben werden kann. Damals stand eine Revision an, und man stellte fest, dass es Risse gab im Reaktor, und das hat dazu geführt, dass einen auf den anderen Tag dieses Atomkraftwerk nicht weitergeführt werden konnte, und wir standen dann im Grunde vor dem Riesenproblem, was jetzt, was kommt in Zukunft auf uns zu.

Brink: Das heißt, es gab große Einbußen für Sie, also sowohl was die Beschäftigten anbelangt wie auch die Gewerbesteuern?

Haase: Ja. In unserem Kernkraftwerk arbeiten mehrere hundert Beschäftigte, die natürlich auch ihren Wohnort hier haben. Das Atomkraftwerk investiert jedes Jahr Millionen-Summen hier in der regionalen Wirtschaft und nicht zuletzt sind weggefallen die hohen Gewerbesteuereinnahmen, die man als Stadt durchaus auch bei einem Kraftwerksbetrieb bekommt.

Brink: Was haben Sie dann gemacht als Bürgermeister?

Haase: Wir haben zunächst einmal hier überlegt, haben uns zusammengesetzt, wie kann es weitergehen, wie können wir neue Firmen akquirieren, die möglicherweise diese Kaufkraft ersetzen können. Aber wir mussten jetzt nach 15 Jahren resümieren, dass uns das in keinster Weise gelungen ist. Das liegt an unserer Lage hier und der mangelnden Infrastruktur-Anbindung, sodass wir auch überlegen mussten, wo gibt es möglicherweise neue Betätigungsfelder für die Stadt, was können wir auch energietechnisch neu tun.

Brink: Man setzt ja nicht über Nacht auf erneuerbare Energien. Wie haben Sie es gemacht in dieser ja schwierigen Lage, wie Sie es skizziert haben?

Haase: Ja! Wir haben überlegt, was gibt es als Alternative, was sind möglicherweise neue Energiequellen, auf die man setzen muss, und seinerzeit begann so ganz zaghaft das Thema Windkraft über das Land zu ziehen und hier in der Region gab es schnell Investoren, und Gott sei Dank waren es Investoren, die jetzt nicht von außerhalb auf die Stadt zukamen, sondern es waren unsere eigenen Leute, die Landwirte, die gesagt haben, ja, wir wollen in Zukunft auch nicht nur unsere Felder bestellen, indem wir landwirtschaftliche Produkte anbieten, sondern wir bieten auch zukünftig Energie an, und dann ist zunächst das Thema Windkraft hier sehr breit diskutiert worden.

Brink: Das heißt, Sie haben also Windkraft-Betreiber anstatt des AKWs gefunden?

Haase: Ja, richtig. Die Leute sind selbst initiativ geworden. Sie sind von der Stadt dann natürlich auch unterstützt worden. Wir haben überlegt, wo können wir denn überhaupt im Stadtgebiet Windkraft-Zonen ausweisen, haben das mit den entsprechenden Investoren diskutiert. Das war die eine Seite, aber man darf dabei natürlich auch die andere Seite nicht vergessen.

So eine neue Technik, das birgt erst mal Unsicherheiten in der Bevölkerung, das Landschaftsbild wird beeinträchtigt, und für uns war es immer wichtig, vor allen Dingen möglichst viel unsere Bürger hier auch mitzunehmen, dass sie auf der einen Seite sehen, es kommt etwas Neues, aber auch sehen, das bringt uns als Stadt auch ein Stückchen weiter.

Brink: Da muss ich jetzt noch mal ein bisschen nachhaken. Ich kann mir vorstellen, an einem Standort, wo ja auch viele Arbeitsplätze mit dem Atomkraftwerk verbunden waren, war es nicht einfach zu sagen, hey, hört mal zu, ihr müsst jetzt umdenken und in Windkraft denken. Gab es großen Widerstand?

Haase: Ja, Anfangs schon. Die Bedenken, dass das überhaupt etwas bringt für die Stadt und wozu das nötig ist und warum gerade bei uns, die waren erst mal doch da, und wir mussten Bürgerversammlungen durchführen, politisch ist es sehr kontrovers diskutiert worden. Aber ich glaube, im Nachhinein können wir sagen, dass wir da alles richtig gemacht haben und dass wir in Zukunft hier auch noch im Stadtgebiet verstärkt auf Windstrom setzen wollen.

Brink: Das heißt, wie haben Sie denn konkret diese Widerstände überwunden?

Haase: Ja, reden, reden, reden! Ich glaube, das ist das Wichtigste, was man machen kann, und das ist das, was mir im Augenblick an der aktuellen Energiediskussion in Deutschland noch so ein bisschen fehlt. Man hat den Eindruck, es wird hier jetzt übers Knie gebrochen, man hat sich drei Monate Zeit genommen, nachdem die AKWs abgeschaltet wurden, und auf einmal ist die Welt ganz anders als vorher, aber mit den Bürgern hat noch niemand so richtig gesprochen. Und wenn demnächst die Diskussionen anfangen, dann befürchte ich schon, dass es da natürlich auch weiterhin Widerstand in der Bevölkerung gibt, den wir dann hier vor Ort im Grunde auch wieder auffangen müssen.

Brink: Das heißt, was halten Sie von den Plänen der Bundesregierung, Ausstieg bis 2022?

Haase: Ich halte sie für ziemlich sportlich, will ich mal so sagen. Ich fand schon das alte Konzept ziemlich ambitioniert, halt so schnell so viel erneuerbare Energien in Deutschland zu akquirieren, und das hat man ja im Grunde jetzt noch mal verschärft. Ich wünsche mir, dass es so kommt. Wir wollen auch sicherlich unseren Teil dazu beitragen, wo wir immer das auch können.

Aber ich mache da auch ein paar Fragezeichen, ob es wirklich so schnell geht, und man muss gucken, dass man da guckt, wie man die Hintertürchen schließt, ob man das eine oder andere AKW da jetzt noch laufen lässt, oder ob man darauf setzt, dann halt aus dem Ausland zuzukaufen.

Brink: Das heißt, Fragezeichen in dem Sinne, dass Sie 15 Jahre gebraucht haben oder vielleicht 10, um Ihre Leute zu überzeugen, dass es zum Beispiel Windräder gibt oder einen Ausbau des Netzes?

Haase: Richtig. Wir müssen über Speicherkraftwerke oder etwas Ähnliches reden, und es wird natürlich Eingriffe in die Landschaft geben, an die wir uns gewöhnen müssen. Aber die halte ich lange nicht für so dramatisch, wenn man auf der anderen Seite sieht den Gewinn an Sicherheit durch die Abschaltung der Atomkraftwerke, denn das muss man den Leuten ja auch immer klar machen, was gewinnen wir auf der anderen Seite, und ich glaube, dass wir durchaus dann auch eine im positiven Sinne Vorreiterrolle in Europa einnehmen können und die anderen Länder uns über kurz oder lang da auch folgen werden.

Brink: Der CDU-Bürgermeister von Beverungen, Christian Haase. Schönen Dank für das Gespräch.