"Wir haben sehr viel über Einsamkeit gesprochen"

Moderation: Dieter Kassel · 21.05.2008
Knapp zwei Jahre lang hat die Filmemacherin Nicola Graef den inzwischen verstorbenen Künstler Jörg Immendorf begleitet. Der "körperliche Verfall" sei in dem Film "überstark sichtbar", berichtete Graef.
Dieter Kassel: Ziemlich genau ein Jahr nach dem Tod Jörg Immendorfs ist dieser Film ab morgen in zahlreichen deutschen Kinos zu sehen, und bei mir im Studio ist jetzt die Frau, die Jörg Immendorf für diesen Film knapp zwei Jahre lang begleitet hat, Nicola Graef. Schönen guten Tag, Frau Graef!

Nicola Graef: Guten Tag!

Kassel: Bevor die eigentlichen Filmarbeiten losgingen, was hat Sie da mehr interessiert, wirklich der Künstler Immendorf oder der sehr kranke Mann Immendorf?

Graef: Mich hat persönlich eigentlich immer der Künstler stärker interessiert, weil ich selber sehr kunstaffin bin, kunstbegeistert bin und auf Umwegen immer mit ihm zu tun hatte, weil ich selber einen Ausstellungsraum hatte, in dem ich sehr junge Künstler gezeigt habe, unter anderem auch einige seiner Studenten. Dann gab es aber mit dem WDR eben gemeinsam die Idee, ein großes Porträt zu realisieren, was mich natürlich sehr gefreut hat, ich hatte da mit meiner Redakteurin Christiane Hinz auch immer wieder drüber gesprochen, dass wir das unbedingt mal machen müssen. Und dann war aber natürlich auch klar, dass die Krankheit und der kranke Mensch Jörg Immendorf eine sehr große Rolle spielen würde, abgesehen davon, dass diese Krankheit ja auch ganz starker Anteil seiner Kunst ist und wurde.

Kassel: Bei den ersten Gesprächen zu diesem Film … Es wird ja auch klar, wenn man Immendorf sieht, teilweise schon in einem körperlich sehr schwachen Zustand, im Rollstuhl, er hat, wie man auch sieht, fast bis zum Schluss geraucht und schafft es kaum noch, die Zigarette in den Mund zu kriegen, trotzdem ist er sehr willensstark, das sieht man. Er dominiert auch sein eigenes Atelier. Wie war das in der Zusammenarbeit? Hat er auch diese Filmarbeiten dominiert?

Graef: Dass er ein sehr dominanter und ein sehr zum Teil auch barscher und rabiater Mensch ist, das war von Anfang an klar. Das ist Jörg Immendorf, der ist also keiner, der erst mal besonders charming oder freundlich ist. Aber das ist auch ein Spiel, auf das musste und wollte ich mich auch einlassen. Ich glaube, das war auch eine Entscheidung seinerseits, mit mir den Film zu machen, dass er gemerkt hat, bei aller Notwendigkeit, die ich eben auch als Filmemacherin habe, dass ich eben bestimmte Sachen drehen muss, sonst kann ich keinen guten Film machen, muss ich ihm auch manchmal auf die Nerven gehen. Aber ich denke, es war auch so eine gegenseitige – im schönen Sinne – Gewöhnung und auch ein gegenseitiger Respekt, der da gewachsen ist.

Kassel: Wie hat sich in diesen ja fast zwei Jahren, die Sie ihn dann sehr regelmäßig gesehen haben, Ihr Verhältnis geändert? Zum Beispiel habe ich gerade gemerkt, denn das ist ja einer der Filme, man hört Sie nicht, man hört immer nur seine Antworten … So wie Sie es gerade geschildert haben, haben Sie sich am Anfang gesiezt. Ist das zum Beispiel so geblieben bis zum Schluss?

Graef: Ja, immer. Das tue ich aber eigentlich mit allen Menschen, mit denen ich Filme mache, denn ich finde es sehr wichtig, dass man auch auf jeden Fall eine gewisse Distanz wahrt. Und dann zumal noch zu einem Künstler wie Jörg Immendorf war es mir einfach wichtig, dass auch klar ist: Ich beobachte ihn, ich treffe ihn, ich lerne ihn sehr gut kennen, aber trotzdem bleibt eine große Distanz auch zwischen uns. Und Jörg Immendorf ist niemand, mit dem man sich auch mal ganz schnell so anfreundet. Das war auch nie mein Sinn, also es war schon immer von Anfang an klar, ich bin die Beobachterin und das soll auch bis zum Schluss zu bleiben.

Kassel: Bei uns im Studio im Deutschlandradio Kultur ist Nicola Graef, die Autorin und Regisseurin des Films "Ich. Immendorf". Wir haben vorhin in den Ausschnitten aus Ihrem Film auch etwas gehört, was Immendorf gesagt hat nach einem schweren Krankheitsschub. Das war noch eine ganze Weile vor seinem Tod, aber er lag damals – ich glaube, Ende 2005 – im Koma, hat einen Luftröhrenschnitt bekommen. Das sieht man dann auch im zweiten Teil des Films, weil er tatsächlich zum Atmen so ein kleines Röhrchen im Hals hat. Und da redet er ja darüber, er habe nun irgendwie weder im weißen Tunnel gelegen noch habe sein Leben an ihm so wie im Film plötzlich vorbeilaufen können, er sagt aber auch, trotz dieser Nähe zum Tod war der Tod immer noch nicht greifbar. Das ist eine der ganz wenigen Stellen, wo es so direkt wird. War das Immendorf oder waren das Sie, dass Sie nicht zu nah ran an Tod, an Krankheit wollten?

Graef: Ich denke mal, erstens mal ist die Krankheit natürlich sowieso permanent sichtbar gewesen im Film. Wir sind in einem visuellen Medium, dem Film, und der körperliche Verfall war ja geradezu überstark sichtbar, insbesondere ganz zum Schluss, wo er auch einfach körperlich zu nur noch sehr wenigen Dingen in der Lage war, so dass für mich auch klar war, es gibt bestimmte – sage ich mal – Grundthemen des Menschseins, die mir in dem Sinne wichtiger waren, weil das Visuelle da schon so stark präsent war. Das heißt, wir haben ja sehr viel auch über Einsamkeit gesprochen, über Verlorensein – was bedeutet das unabhängig jetzt davon, dass man krank ist, sich mit sehr existenziellen Themen sowieso auseinandersetzen zu müssen als Künstler, was er ja auch immer zeit seines Lebens getan hat? Von daher fand ich eben auch diese Sequenz, vor allem nach dem Luftröhrenschnitt, wo er auch tatsächlich das Bedürfnis hatte, über den Tod zu sprechen, die stärkste und sinnfälligste Stelle. Deswegen haben wir die auch bewusst dann erst mal in der Konzentration dort gelassen.

Kassel: Selbst knapp 100 Minuten – so lang ist Ihr Film am Ende geworden – sind wahrscheinlich bei so viel Material, wie man nach zwei Jahren haben dürfte, immer noch recht wenig. Sie mussten ja auch eine Auswahl treffen, wer wirklich vorkommen soll in diesem Film. Sie haben viel mehr Leute interviewt als zu sehen sind. Ich nehme an, bei einigen Beispielen wie Immendorfs Mutter, seiner ersten und zweiten Frau war es klar, aber bei den vielen anderen, auch Malerkollegen: Wie haben Sie entschieden, wen Sie nehmen, wen Sie rauslassen?

Graef: Im Grunde genommen ist so eine Entscheidung relativ einfach. Ich habe die immer getroffen mit der Stärke der Interviews, da ist eine Aussage, die aus einer sehr persönlichen Sicht entspringt. Und vor allem, was mir auch wichtig war, ist die Intensität, die Immendorf in diesem Film beziehungsweise als Person sowieso in sich trug, die auch fortzusetzen durch die Interviewsequenzen der Gesprächspartner. Das war für mich wichtig, dass man wirklich auch die unterschiedlichen Stimmungen, mit denen die Menschen ihm begegnet sind, darstellen konnte und aber eben auch die Seriosität des Themas weiterhin gewährleistet hat.

Kassel: War es Ihnen wichtig, keine Stimmen zu haben in einem Immendorf-Porträt, in so einer sensiblen Phase, in den letzten zwei Jahren, die zu kritisch sind? Denn jemand, der wie Immendorf über Jahrzehnte die deutsche Kunst und nicht nur die – er war ja auch ein Akteur in anderen bereichen – dominiert hat, hat ja auch Feinde. Von denen habe ich nun niemanden gesehen.

Graef: Ich habe tatsächlich auch immer überlegt, wen könnte man da so reinnehmen? Das wären dann vielleicht Menschen, wie sie auch sein Gallerist Michael Werner angesprochen hat, Künstlerkollegen wie Gerhard Richter oder Sigmar Polke, wobei der Begriff "Feinde" ist da auch wesentlich zu überdimensioniert.

Kassel: Sagen wir, heftige Kritiker.

Graef: Kritiker, die geben sowieso erst mal gar keine Interviews, und dann muss man wirklich auch sagen, die, die ihn nicht mochten, die möchten auch gar nicht zu ihm befragt werden. Ich finde aber, und das war mir schon auch sehr wichtig, dass Jörg Immendorf jetzt nicht nur als der positive Künstler rüberkommt, der jetzt eine ausschließlich glorifizierende Hommage da bekommt, sondern einmal: Er als Typ ist ja in großen Strecken des Films unglaublich unsympathisch, und das war er auch bisweilen. Insbesondere in der Zusammenarbeit auch mit den Menschen, die seine Bilder gemalt haben, wo man ja eigentlich denken könnte, entschuldige mal, das sind die Leute, auf die du angewiesen bist, die machen deine Bilder. Aber das war ja überhaupt gar kein Thema, mit denen kann man ja umspringen, wie man möchte bisweilen. Auf der anderen Seite ja dann doch immer wieder so diese kleinen Spitzen, sowohl von seinem Galleristen, der, denke ich, viele Mythen auch durchbrochen hat, von denen ich selber gar nicht wusste, dass man sie durchbrechen kann – sei es die Freundschaft mit (…) beispielsweise, dem großen DDR-Künstler, wo der Gallerist ja dann an einer Stelle sagt, ja, die beiden hatten sich ja gar nichts zu sagen, oder wo der Gallerist sagt, ja, der Polke und der Richter, die fanden den einfach nur total bescheuert. Das sind schon so Sachen, denke ich, die auch noch mal ins rechte Licht rücken, dass Immendorf auch innerhalb einer künstlerischen Szene seiner Generation oder auch der Künstlergeneration, die ein bisschen älter ist als er, doch auch durchaus nicht besonders geschätzt war von vielen.

Kassel: Sie haben ja zugegeben, dass einer der Gründe, diesen Film zu machen, einer der Gründe für den Wunsch, ihn überhaupt machen zu wollen, schon auch eine gewisse Begeisterung für das Werk von Jörg Immendorf gewesen ist ursprünglich. Hat sich eigentlich durch dieses doch relativ nahe Rankommen an den Mann in so langer Zeit Ihr Blick auf das Werk verändert?

Graef: Ja. Es ist so, dass mich eigentlich seine Kunst sehr oft verwirrt, verstört und irritiert hat. Ich habe sie ganz oft auch gar nicht verstanden. Trotzdem, das war eigentlich auch so ein Grund, überhaupt diesen Film zu machen, so wie ich grundsätzlich eigentlich auch die Sujets für meine Filme auswähle: Es sind fast immer Menschen oder Themen, die mir irgendwie fremd sind, die ich nicht verstehe, die mir Zugriff auf die Welt und das Leben ermöglichen, den ich in meiner Lebenssituation nicht habe. Und so war das auch mit seinem Werk. Je mehr ich da eingetaucht bin und auch gerade, wenn man sich Stunden um Stunden in so einem Atelier – das ist ja fast wie so ein heiliger Ort – aufhält und die ganze Zeit dann auch noch zusätzlich mit dem Produktionsprozess konfrontiert ist, das ist schon fantastisch, weil man wirklich so viele Möglichkeiten hat, auf Details zu achten. Man versteht mehr und mehr, wie sehr auch seine Biografie, der politische Kontext und der historische Kontext Deutschlands eine Rolle spielt, wo ironische Sentenzen drin sind und so weiter, das heißt, dann auch zum Schluss ganz brutal ja seine Krankheit eine riesige Rolle auch in der Malerei gespielt hat. Mir wurde mehr und mehr deutlich, und das war, glaube ich, für mich die größte Erkenntnis: Dieser Mann hat wirklich sich selber auf die Leinwand gebannt, in seinem persönlichen, aber auch in seinem politisch-gesellschaftlichen Kontext.

Kassel: Haben Sie eigentlich Werke von Immendorf zu Hause?

Graef: Leider nein. Ich muss gestehen, ich habe immer eigentlich am allerliebsten diese kleinen Skulpturen gemocht, überhaupt seine Skulpturen finde ich ganz fantastisch, diese kleinen Affen. Und es gab immer eine Skulptur, wo Beys einen Affen an der Hand hält und ich muss gestehen, ich war immer so kurz davor, ihn zu fragen, ob ich die nicht irgendwie ihm abkaufen kann oder so, aber das habe ich nie gemacht. Auch da war für mich immer klar, bis zum Ende des Films würde ich da nicht in irgendeiner Form aktiv werden. Und ich habe auch bis heute keine und überlege aber immer, wie viel Geld ich noch zusammensparen muss, damit ich mir diese eine kleine Skulptur vielleicht noch kaufen kann.

Kassel: Ich denke, das ist ein Grund mehr, dem Film viele Zuschauer zu wünschen. Immendorfs sind nicht billig, und das hat sich natürlich auch durch den Tod des Meistes nicht gerade geändert. Nicola Graef, Ihr Film "Ich. Immendorf" ist ab morgen tatsächlich Gott sei Dank – sehr selten für deutsche Dokumentarfilme – in einigen Städten ganz regulär in den Kinos zu sehen, und zwar zunächst mal in München, Münster, Köln, Berlin und Duisburg, das finde ich sehr schön, da komme ich nämlich her, und danach dann später wird er auch noch in zahlreichen anderen Städten zu sehen sein. Ich danke Ihnen, dass Sie zu uns gekommen sind.

Graef: Vielen Dank Ihnen auch.