"Wir haben keinen Boris Becker des Schachs"

Robert von Weizsäcker im Gespräch mit Frank Meyer |
Am Mittwoch beginnt die 38. Schacholympiade in Dresden. In der deutschen Herren-Nationalmannschaft seien diesmal vor allem große Talente mit osteuropäischen Wurzeln vertreten, sagte Robert von Weizsäcker, Präsident des Deutschen Schachbundes. Schachspielen stärke das Vertrauen in die eigene Disziplin des Entscheidens.
2100 Spitzen-Schachspieler aus über 150 Nationen werden in Dresden an die Bretter gehen. Als Favorit gilt einmal mehr das russische Team, das insgesamt 24 Mal bei der Schacholympiade siegte, die zuletzt 2006 in Turin stattfand. Ihre beste Platzierung erreichte die deutsche Herren-Nationalmannschaft 2000 mit einem zweiten Platz in Istanbul. Auch eine deutsche Frauen-Nationalmannschaft geht in Dresden an den Start. Im Unterschied zur diesjährigen Schach-Weltmeisterschaft in Bonn ist diese keine Einzel- sondern eine Mannschafts-WM.

Deutschlandradio Kultur sprach mit Robert von Weizsäcker, dem Präsident des Deutschen Schachbundes und Professor für Volkswirtschaftslehre in München, über das zweiwöchige Sportereignis. Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Gespräch:

Frank Meyer: Kennen Sie eine gute Erklärung dafür, dass die Russen so überragend sind im Schach – was machen die anders als wir Deutschen zum Beispiel?

Robert von Weizsäcker: Gute Frage! Die frühere UdSSR hat Schach zu einer Art staatstragendem Kulturgut erklärt, und das entsprechend gefördert. Das fing im Kindergarten an, setzte sich über professionelle Trainer fort bis hin zu einer richtigen Schach-Universität in Riga. Hinzu kommt sicher auch, dass das Spiel insbesondere den russischen Talenten liegt. Eine tiefergehende Erklärung außer der systematischen Förderung kenne ich auch nicht.

Meyer: Wo stehen wir Deutschen in der internationalen Schach-Konkurrenz?

Von Weizsäcker: (…) Im Jahr 2000, das war ein sensationeller Erfolg. Und wenn ich eine Prognose abgeben müsste, - natürlich drücke ich uns alle Daumen, die ich habe -, dann werde ich mal sagen, wir werden nicht mit einem zweiten Platz wieder rechnen können. Wir haben sehr gute Spieler! Die meisten Top-Spieler, die wir haben, haben einen Migrationshintergrund. Wenn Sie die Namen sehen, also Arkadij Naiditsch, Igor Khenkin, Daniel Fridman, David Baramidze und Jan Gustafsson - das ist unser Männerteam. In der Tat kommen sie aus osteuropäischen Ländern schwerpunktmäßig. Und wir haben in Deutschland zurzeit keinen Boris Becker des Schachs!

(…)

Meyer: Worin liegt denn für Sie die besondere Schönheit dieses Spiels?

Von Weizsäcker: (…) Es ist eine faszinierende geistige Auseinandersetzung strategischer Natur, die eine abstrakte Fantasie erfordert, die hoch spannend und reizvoll ist. (…) Und man entwickelt so ein Vertrauen in die eigene Disziplin des Entscheidens. Denn Sie haben sehr komplizierte Situationen vor sich, haben immer knappe Zeit und müssen versuchen, möglichst rational Entscheidungen zu treffen. Da entwickeln Sie so eine quasi rationale Kraft zur Entscheidung im Lichte des Ungewissen.


Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 11.4.09 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.