"Wir haben einen immensen Handlungsbedarf"

Moderation: Marie Sagenschneider |
Nicht nur die ostdeutschen, sondern auch viele westdeutsche Gemeinden haben mit den Folgen des demographischen Wandels zu kämpfen. Die Zahl der Bewohner sinkt, das Durchschnittsalter steigt. Vor diesem Hintergrund sei es vor allem wichtig, die Lebensbedingungen für ältere Menschen zu verbessern und als Wohnort attraktiver für junge Familien zu werden, sagte Klaus Jacobi, der hauptamtliche Bürgermeister von Gevelsberg bei Hagen.
Marie Sagenschneider: Das Statistische Landesamt in Nordrhein-Westfalen ermittelt regelmäßig das Durchschnittsalter seiner Bevölkerung und das aktuelle Ergebnis in Nordrhein-Westfalen fällt ziemlich dramatisch aus, denn bis 2020 wird die Anzahl der jungen Menschen im Schulalter um 19 Prozent sinken, die Anzahl der über 75-jährigen um 50 Prozent zunehmen. Das ist der berühmte demographische Wandel, der natürlich einige Kommunen weniger, andere hingegen mit voller Wucht trifft und eben nicht nur die Regionen im Osten, wie der Südharz oder die ums Stettiner Haff, die die Bundesregierung ja zu Modellregionen in Sachen demographischer Wandel erklärt hat und die sie mit je zwei Millionen Euro unterstützt. Wie die Stadt Gevelsberg bei Hagen, also in Nordrhein-Westfalen, sich auf diesen Wandel einstellt, darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Klaus Jacobi sprechen. Er ist der hauptamtliche Bürgermeister von Gevelsberg. Guten Morgen Herr Jacobi!

Klaus Jacobi: Guten Morgen Frau Sagenschneider!

Sagenschneider: Wie stellt sich das bei Ihnen dar?

Jacobi: Wir haben natürlich auch in Gevelsberg immensen Handlungsbedarf. Wir können uns von der Entwicklung nicht ausnehmen. Hagen – Sie nannten ja gerade unser Oberzentrum – hat einen Rückgang an Bevölkerung von 16 Prozent in den nächsten etwa 20 Jahren zu erwarten, aber auch Gevelsberg im Ennepe-Ruhr-Kreis muss mit 6 Prozent Rückgang rechnen und wir haben mittlerweile auch ein Durchschnittsalter von 44 Jahren in der Bevölkerung und immerhin einen Anteil von 27 Prozent über 60-jähriger Menschen.

Sagenschneider: Sie wollen jetzt einen Demographie- und Integrationsbericht erstellen lassen. Das aber erstmals oder?

Jacobi: Ja, erstmals. Das ist ein Handlungsauftrag auch des Stadtrates. Wir wollen einmal durch ein externes Expertenteam einen Demographiebericht erstellen lassen, der nicht nur die aktuelle Situation in Gevelsberg untersucht, sondern uns auch die Entwicklung dann etwas passgenauer auf die Kommune zugeschnitten aufweist.

Sagenschneider: Gut, aber jetzt ist für Sie schon klar: Sie werden weniger Einwohner haben. Sie werden ältere Einwohner haben. Was folgt daraus für eine 33.000-Einwohner-Stadt wie Gevelsberg?

Jacobi: Für eine 33.000-Einwohner-Stadt wie Gevelsberg müssen Sie zunächst berücksichtigen, dass hier das urbane Umfeld sehr dicht ist. Das heißt, hier in der südlichen Ballungsrandzone des Ruhrgebietes geht es Stadt in Stadt auch über, und sie haben natürlich einen enormen Wettbewerb. In diesem Wettbewerb der Städte müssen sie sich intensiv auch um die Neuansiedlung von jungen Familien in das Stadtgebiet hinein bemühen.

Wir haben beispielsweise in Gevelsberg eine Flächennutzungsplanung, die vorsieht, so viele neue Wohngebiete auszuweisen, dass in etwa ein Nettozuzug von 200 Bürgern pro Jahr in das Stadtgebiet hinein erfolgt. Damit können sie in etwa die Bevölkerungszahl stabil halten. Die gute Infrastruktur Gevelsbergs lässt auch diese Ansiedlung zu.

Sagenschneider: Das heißt, das bewirkt schon einiges, denn Sie konkurrieren ja immerhin mit Zentren wie Düsseldorf, Dortmund, Wuppertal und Hagen, wie eben schon genannt.

Jacobi: Ja, sehr stark sogar. Wenn Sie diese Achse der Rhein-Ruhr-Schiene auch in Richtung Düsseldorf beschreiben, dann müssen wir dort konkurrieren. Das ist aber auch unsere große Chance, denn ich sage mal eine Stadt, die beispielsweise vier S-Bahnhöfe auch in unmittelbarer Anbindung an Düsseldorf hat, kann natürlich auch hier Bürgerinnen und Bürger ansiedeln, die dann in den benachbarten Oberzentren leben und arbeiten.

Sagenschneider: Junge Menschen heranzuziehen ist das eine, aber die Stadt muss ja auch ich nenne es mal altersfest gemacht werden.

Jacobi: Das ist richtig!

Sagenschneider: Wie machen Sie das?

Jacobi: Was Sie ansprechen ist ja die Notwendigkeit, neben die Problemvermeidungsstrategie auch eine klare Anpassungsstrategie zu setzen. Für uns ist es wichtig, dass wir den alten Menschen, die bei uns sind, auch ein selbstverantwortetes Leben in der Stadt ermöglichen, das dann gleichzeitig natürlich auch das Stadtsäckel massiv mit entlastet. Wir werden ein Seniorenbüro auch aufgrund einer politischen Initiative einrichten, wo jeder ältere Mensch in Gevelsberg für seine täglichen Bedürfnisse, für sein Leben in Würde im Alter auch alle möglichen Ratschläge und Unterstützungen bekommt, denn wir müssen ja insbesondere stationäre Pflege vermeiden. Das wird ja das Pulverfass sein, auf dem alle Kommunen sitzen. Da werden in hohen Millionenzahlen wirklich auch künftig die Kosten entstehen.

Sagenschneider: Und wie viel investieren Sie in diese Maßnahme und Projekte? Zeichnet sich das für Sie schon ab?

Jacobi: Das zeichnet sich ab. Ich nenne mal das Seniorenbüro. Das werden wir mit drei Vollzeitstellen hier im Rathaus auch ausstatten. Dazu wird uns der Ennepe-Ruhr-Kreis im Rahmen eines Modellprojektes auch 50 Prozent der Personalkosten einer Stelle erstatten, weil der Kreis natürlich ein ganz hohes Interesse daran hat, dass möglichst wenige alte Menschen in Heime kommen, sondern ambulant zu Hause würdig und auch mit viel Lebensqualität versorgt werden.

Sagenschneider: Erleben Sie eigentlich auch einen Zuzug von älteren Menschen? Man hört das ja immer wieder, dass in Dörfern, in denen die Infrastruktur langsam aber sicher schlapp macht, weil die Leute wegziehen, auch die älteren Menschen sagen, was soll ich hier. Es gibt keinen Einkaufsladen, der Bus fährt einmal am Tag und was auch immer. Jetzt ziehe ich in die nächstgrößere Stadt, um wenigstens diese Infrastruktur zu haben und die Wege nicht so lang sind.

Jacobi: Das erleben wir ganz klar. Das erlebt man aber insbesondere dann, wenn man schon viele Senioreneinrichtungen in einer Stadt hat. Das ist völlig klar. Auch alte Menschen suchen natürlich ein bedarfsgerechtes Umfeld. Aber da komme ich wieder zurück zu dieser Problembewusstseinsstrategie. Man muss also die Anpassung der Lebensverhältnisse an eine älter werdende Bevölkerung wirklich mit einer massiven Bewerbung von jungen Familien verbinden und ich sage mal dazu muss insbesondere die soziale Infrastruktur stimmen. In Gevelsberg haben wir mittlerweile flächendeckend in allen Gevelsberger Grundschulen ein attraktives Ganztagesangebot für die Beschulung der Jungen und Mädchen und das werden wir auf die weiterführenden Schulen jetzt ausweiten. Das ist unverzichtbar, wenn wirklich auch der Altersmix langfristig wieder stimmen soll.

Sagenschneider: Wie ist das eigentlich in Nordrhein-Westfalen, Herr Jacobi? Kämpft da jede Kommune für sich alleine, oder gibt es auch so etwas wie einen Masterplan seitens der Landesregierung oder auch finanzielle Unterstützung möglicherweise?

Jacobi: Es gibt nicht unmittelbar einen Masterplan. Das habe ich zumindest jetzt hier in der Zusammenarbeit Kommune/Land nicht festgestellt. Man muss aber natürlich sagen, dass auch das Land jetzt unabhängig von parteipolitischen Ausrichtungen natürlich mit bemüht, Infrastruktur in die Städte zu bringen. Die Innenstadt von Gevelsberg beispielsweise hat auch mit hohen Landeszuweisungen insgesamt umgestaltet werden können. Wir haben eine Südumgehung in Form eines Tunnelbaus, ein Projekt von fast 30 Millionen Euro, realisieren können, um die ganze Innenstadt zu revitalisieren, zu beruhigen. Wir werden beispielsweise auch Industriebrachflächen in Gevelsberg zu parkähnlichen Landschaften umgestalten, um einfach auch in der unmittelbaren Innenstadt wieder ein attraktives Wohnumfeld zu schaffen.

Sagenschneider: Das heißt Sie gehören nicht zu den Bürgermeistern aus dem Westen, die mit großem Neid Richtung Osten blicken, weil dort in den letzten Jahren ja sehr viel Geld hingeflossen ist?

Jacobi: Nein. Ich sage mal Neid bringt auch insofern für eine Kommune nichts, als er manchmal auch die eigene Handlungsfähigkeit lähmen kann. Gevelsberg hat in den letzten Jahren in sehr schwierigem finanziellen Fahrwasser gestanden. Wir haben es aber geschafft, auch durch eine externe Beratung, die den gesamten Verwaltungsapparat auf Optimierung hin durchgecheckt hat, doch strukturell schon etwa eine Million Euro aus dem Verwaltungshaushalt einzusparen. Wir sind jetzt auch durch wieder etwas verbesserte Steuerkraft dahin gekommen, dass wir den Haushalt haben ausgleichen können und wieder in geordneten Finanzsituationen stehen.