"Wir haben durch den Euro mehr Stabilität"

Moderation: Birgit Kolkmann |
Zehn Jahre nach der Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat Luxemburgs Premier- und Finanzminister, Jean-Claude Juncker, den Euro als Erfolgsgeschichte gewürdigt. Durch die gemeinsame Währung habe die Europäische Union eine wesentliche finanzielle und haushaltspolitische Gesundung erlebt, sagte Juncker.
Birgit Kolkmann: Zehn Jahre Europäische Zentralbank, neuneinhalb Jahre Euro. Heute wird gefeiert am Sitz der EZB in Frankfurt. Für die Bürger gab es gestern einen Tag der offenen Tür. Heute treffen sich Europas Spitzenpolitiker in der Alten Oper. Dabei will die Bundeskanzlerin die Erfolgsgeschichte des Euro würdigen. Sind die Kritiker, die vor zehn Jahren versuchten, den Euro per Klage in Karlsruhe zu stoppen, verstummt? – Wilhelm Hankel, der Wirtschaftswissenschaftler jedenfalls nicht. Er sagte vor knapp zwei Stunden hier im Interview von Deutschlandradio Kultur:

Wilhelm Hankel: Der Euro hat uns weder die Stabilität der D-Mark erhalten. Vor allen Dingen aber hat er uns nicht das gute Wirtschaftswachstum und das soziale Klima der D-Mark erhalten. Europa zeigt heute größere Inflationsunterschiede als je zuvor und Deutschland steht unter dem Druck, diesen Inflationsimport abwehren zu müssen. Gerade diese Schwierigkeiten, die liegen ja wie Felsbrocken auf dem Weg der politischen Einigung Europas.

Deutschland ist heute der Bankier praktisch von drei Viertel aller Euro-Staaten. Deutschland hat enorme Überschüsse. Die sind auch gut verdient. Aber die Gegenwerte der Überschüsse, die werden von den anderen verfrühstückt, denn damit finanzieren wir die Defizite in Irland, in Spanien, in Portugal, in Italien, in Griechenland und neuerdings auch in Frankreich.

Kolkmann: Das war Wilhelm Hankel, der Wirtschaftswissenschaftler und Euro-Kritiker. – Jean-Claude Juncker hat bereits jetzt zugehört, Luxemburgs Regierungschef und Finanzminister in Personalunion. Einen schönen guten Morgen!

Jean-Claude Juncker: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Juncker, Deutschland der Verlierer der Währungsunion. Teilen Sie die Meinung von Hankel ganz und gar nicht?

Juncker: Ich teile die Meinung von Herrn Hankel, den ich schätze, ganz und gar nicht, und ich habe auch seine Vorwarnungen, die er Mitte der 90er Jahre permanent auf das deutsche Publikum losgelassen hat, nie voll umfänglich ernsthaft würdigen können, weil vieles, was er vorausgesagt hat, ist nicht eingetreten. Er hatte vorausgesagt (er und viele andere auch), dass es eine Beschäftigungskrise im Euro-Land gäbe; es gab keine. Wir haben 16 Millionen Arbeitsplätze seit der Euro-Einführung geschaffen, doppelt so viele wie in den zehn Jahren vorher.

Wir hatten in der Euro-Zone eine Inflationsrate von acht Prozent in den 80er Jahren, von vier Prozent in den 90er Jahren und jetzt seit der Euro-Einführung und trotz gegenwärtiger übererhöhter Inflation von 2,2 Prozent. Also es ist einfach nicht wahr, dass Deutschland die Defizite – wie hat er gesagt? – von Spanien, Portugal und von Irland finanzieren würde, weil Spanien und Irland haben wesentlich größere Haushaltsüberschüsse in Bruttoinlandprozentpunkten als Deutschland. Das stimmt also nicht.

Kolkmann: Der Euro ist ja nun eine besonders starke Währung. Deutschland als Exportweltmeister bekommt das nun auch schon wieder negativ zu spüren, wenn es nicht um den Binnenmarkt geht. Ist also doch was dran an der Kritik, zumindest was das angeht?

Juncker: Nein. Ich habe ja eben verstanden, dass sich darüber Sorgen gemacht wurde, dass der Euro nicht die D-Mark-Stabilität hatte. Der Euro hat sehr wohl die D-Mark-Stabilität, weil das was wir an so genannter Euro-Stärke zurzeit erleben, entspricht im Schnitt genau dem, was wir auch zu D-Mark-Zeiten hatten. Dass dieser hohe Außenkurs im Verhältnis zum Dollar und im realen Verhältnis zu allen führenden Währungen der Welt auf der Exportseite Schwierigkeiten mit sich bringen kann, dies stimmt wohl, aber daran ist die deutsche Volkswirtschaft gewohnt (auch in langen Jahren der D-Mark-Stabilität) und Deutschland steckt die Schwierigkeiten, die in dem etwas hohen Euro-Außenkurs liegen, ohne Probleme weg.

Kolkmann: Schauen wir noch mal auf die gesamte Union. Wenn wir uns den hohen Euro-Kurs anschauen, gerade beim Beispiel der Flugzeugindustrie, in der ja traditionell in Dollar abgerechnet wird, da versuchen ja die Europäer mit der Airbus-Industrie ganz besonders ein Bein in die Tür zu kriegen und haben es auch. Aber stellen sie sich mit dem starken Euro da selbst ein Bein?

Juncker: Es gibt sektoriell sehr unterschiedliche Auswirkungen des Euro-Kurses. In dem von Ihnen angesprochenen Sektor macht sich dies etwas deutlicher bemerkbar als in anderen Sektoren. Aber insgesamt gilt, dass obwohl ich die Probleme nicht klein reden möchte, der gegenwärtige hohe Euro-Kurs einige Probleme stellt, aber insgesamt gilt auch, dass beispielsweise dieser hohe Euro-Kurs uns davor bewahrt hat, dass wir den gesamten Impakt der Erdölpreiserhöhung nach Europa importiert hätten. Wäre der Euro nicht da und hätten wir noch die Mark oder die anderen nationalen Währungen, die Benzinpreise an der Pumpe wären um 20, 30 Prozent höher. Das hat Herr Hankel vergessen zu erwähnen, als er die Vorzüge des Euros nicht erwähnen wollte.

Kolkmann: Haben denn die Verbraucher nun durch die Währungsunion mehr Sicherheit, mehr Vergleichbarkeit? Drei Viertel der Menschen in der Euro-Zone sagen ja, sie haben den Euro ganz lieb.

Juncker:Es ist so unerheblich nicht, dass erst nach zehn Jahren Euro und erst acht Jahre nach der Euro-Einführung - das werden wir im Jahre 2010 ja erlebt haben; acht Jahre richtiges Geldpapier in der Hand - 75 Prozent sich zu dieser europäischen und ihrer gleichzeitig nationalen Währung bekennen. Das ist ein sehr hoher Durchschnittswert. Die Menschen wissen auch, dass es einfach nicht stimmt, obwohl viele das denken, weil sie es so fühlen, dass der Euro Inflationsschübe mit sich gebracht hätte.

Alle Studien zeigen, dass der Euro-Anteil an der erhöhten Inflation zirka 0,2 Prozent beträgt. Es ist also nicht der Euro, der vor allem die Produkte des alltäglichen Verbrauchs und Gebrauchs verteuert hat. Dies sind andere Faktoren. Es gibt in der Euro-Zone niedrigere Zinsen (historisch niedrige Zinsen), als wir es vorher je hatten, und es gibt auch in der gesamten Zone und im Übrigen auch teilweise je nach Jahren betrachtet eine niedrigere Inflation mit Euro als mit der D-Mark in alten Zeiten.

Kolkmann: Sind denn nun auch die öffentlichen Haushalte unter besserer Kontrolle als vor der Währungsunion, obwohl ja die Sünder nicht wirklich bestraft werden?

Juncker: Ich habe ja an diesen Vorverhandlungen, die zum Maastricht-Vertrag geführt haben, intensiv auch im EU-Vorsitz mitarbeiten können. Haushaltsdefizite und Schuldenstände waren damals in einigen Ländern substanziell höher, als dies heute der Fall ist. Wir hatten im Schnitt des Jahres 2007 eine durchschnittliche Defizit-Performance von 0,6 Prozent erreicht. Dies ist eine wesentliche finanzielle und haushaltspolitische Gesundung, die sie in den letzten Jahren erlebt haben.

Ich weiß auch, dass dies im Jahre 2008 und 2009 wieder etwas schwieriger wird. Die Finanzpolitik wird sich in engerem Rahmen bewegen müssen. Aber es gibt den Druck in der Euro-Gruppe, deren Vorsitz ich inne habe, auf die Defizitsünder in einem sehr erheblichen Maße. Früher haben wir in Europa ja nie über die Haushaltsdefizite und die Schuldenstände der anderen geredet. Wir haben uns doch früher nie über deutsche Arbeitsmarktreformen und andere Strukturreformen in Deutschland in Frankreich und Spanien und sonst wo kontrovers und intensiv unterhalten. Wir haben durch den Euro mehr Stabilität gekriegt und wir haben auch eine Intensivierung der grenzüberschreitenden politischen Debatte erlebt.

Kolkmann: Vielen Dank! – Das waren positive Schlussfolgerungen aus fast zehn Jahren Euro in Europa zum Jubiläum der Europäischen Zentralbank. Danke Jean-Claude Juncker, Luxemburgs Regierungschef und Finanzminister.

Juncker: Danke! Auf Wiederhören!