"Wir haben die Faschisten von der Macht herunter geholt"

Mamdouh Habashi im Gespräch mit Nana Brink · 10.10.2013
Die Entmachtung der Islamisten in Äygpten war ein "notwendiger Volksaufstand", sagt der sozialistische Politiker Mamdouh Habashi. Die Armee habe nur dabei geholfen, den Willen des Volkes durchzusetzen. Die politischen Differenzen im Land seien aber noch lange nicht beigelegt.
Nana Brink: Die blutigen Auseinandersetzungen in Ägypten halten an, seit Mohammed Mursi Anfang Juli 2013 nach tagelangen Unruhen durch das Militär als Präsident gestürzt worden ist. Seitdem wird er an einem geheimen Ort festgehalten und soll auch Anfang November vor Gericht gestellt werden. Die Unterstützer Mursis demonstrieren seit seinem Sturz für die Wiedereinsetzung des Ex-Präsidenten, und jedes Wochenende gibt es Dutzende von Toten, weil die Gewalt zwischen den Muslimbrüdern und dem Militär eskaliert. Das Land also kommt nicht zur Ruhe. Einer, der die Entwicklung der Proteste aus nächster Nähe erlebt hat und immer noch erlebt, ist Mamdouh Habashi, Mitbegründer der sozialistischen Partei Ägyptens. Schönen guten Morgen, Herr Habashi!

Mamdouh Habashi: Ja, guten Tag, Frau Brink!

Brink: Manchmal hat man von hier aus den Eindruck, das Land wird bestimmt von der Auseinandersetzung zwischen den Muslimbrüdern und dem Militär. Wie sehen Sie das?

Habashi: Ja, nicht ganz. Erstens: Das liegt an der Art der Auseinandersetzung. Es ist keine politische Auseinandersetzung, sodass man von einer Opposition spricht und wie man halt in Europa eine politische Auseinandersetzung austrägt, sondern hier geht es um Kampf gegen Gewalt, gegen Terror, gegen Brandsätze und Schießereien in die Menge und so weiter. Diese Art Auseinandersetzung erfordert einfach den Einsatz der Uniformierten, ob das jetzt Militärs oder Polizei sind. Das ist die Nummer eins. Natürlich: Die politische Auseinandersetzung darüber findet auf allen anderen Ebenen statt. Aber wenn geschossen wird und wenn gebrannt wird und bombardiert und so, dann treten halt die Stimmen der Vernunft und der politischen Auseinandersetzung in den Hintergrund.

Brink: Wir blicken ja dann auch immer wieder auf die Muslimbrüder. Wie stark sind sie denn wirklich?

Habashi: Das ist eine ziemlich große Frage, und zwar: Stark sind sie schon, aber sie sind finanziell stark, und ihre Verankerung in der Bevölkerung ist jetzt nicht mehr wie vor einigen Monaten oder vor einigen Jahren sogar. Die Muslimbruderschaft haben im Grunde – im Laufe der Mubarak-Zeit und davor auch Sadat-Zeit – an Land gewonnen in der Bevölkerung aufgrund der Tatsache, dass sie sich als Opposition ausgegeben haben, was auch überhaupt nicht gestimmt hat. Sie waren von Anfang an ein untrennbarer Bestandteil des Regimes, ob das jetzt Sadats Regime oder Mubaraks Regime war, obwohl die ganze Zeit eben sie erschien als Opposition und das Regime manchmal sehr viele davon auch in den Knast gesteckt hat und so weiter.

Brink: Sie haben es schon erwähnt: Diese gewaltsame Auseinandersetzung, die wir jetzt sehen die überdeckt jede politische Auseinandersetzung. Sie haben ja nun eine Partei gegründet, die sozialistische Partei Ägyptens, gleich nach dem Sturz von Mubarak. Werden Sie gar nicht wahrgenommen, haben Sie keine Chance?

Habashi: Wahrgenommen werden wir auf jeden Fall, und die anderen Parteien auch. Und meine einzige Beanstandung an dem Einführungstext, was Sie dann anfangs aufgesagt haben, war, dass nicht die Militärs die Muslimbrüder gestürzt haben, sondern eine breite Koalition, und hauptsächlich das Volk. Die gesamte ägyptische Bevölkerung stand auf und die Militärs haben nur das getan, was getan werden musste, das heißt, den Willen des Volkes einfach durchsetzen. Dieser Wille hätte auch auf jeden Fall durchgesetzt werden müssen, nur: Ohne Einsatz von Uniformierten, ohne Einsatz des Staates wäre das natürlich viel katastrophaler ausgefallen, hätten wir wahrscheinlich Zustände wie in Syrien zurzeit, so – deswegen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Differenzen zwischen den verschiedenen Komponenten dieser breitesten Koalition dadurch erloschen sind. Das sind sie nicht.

Brink: Wo sind denn die Differenzen?

Habashi: Viele, viele! Ich sage Ihnen, im Grunde – das alte Regime, wogegen auch der gesamte Aufstand vom 25. Januar 2011 entstanden ist, ist wieder auferstanden, auch die Liberalen und Konservativen und die Nationalisten. Das heißt, der Staatsapparat, vertreten durch das alte Regime, ist wieder aufgestanden. Das heißt, die Muslimbrüder – mit der Wahl von Mursi, sie haben einen mega-großen Kredit bekommen von allen Kräften, teilweise auch von den Linken. Die Leute hatten die Nase voll von Korruption und von der Übergangsphase des Militärrates und so weiter, und sie wollten endlich mal Ägypten auf dem Wege zur Entwicklung sehen. Und deswegen, haben sie gesagt, geben wir jetzt den Muslimbrüdern eine Chance.

Brink: Aber haben Sie nicht auch Skepsis gegenüber dem Militär, wenn Sie sagen, der alte Apparat ist wieder auferstanden? Auch das Militär ist ja Teil dieses Apparates, wenn auch ein sehr autonomer, gewesen.

Habashi: Aber selbstverständlich. Ich sage Ihnen, ganz einfach vergleichbar: Wir haben die Faschisten jetzt von der Macht heruntergeholt. Der Kampf gegen Faschismus erfordert immer so eine ganz breite Masse der Koalition, also eine breite Koalition von extrem links bis extrem rechts. Der gemeinsame Feind ist besiegt, aber das heißt noch lange nicht, dass diese Differenzen zwischen den Partnern in dieser Koalition nicht mehr da sind. Das stimmt überhaupt nicht.

Brink: Also wird Ägypten weiter instabil sein?

Habashi: Ja, wir hoffen nicht. Aber diese chronische Stabilität, an der Ägypten gelitten hat unter Mubarak, die ist vorbei. Verstehen Sie, was ich meine? Ägypten wird jetzt seine Revolution durchsetzen müssen, sonst haben wir gar nichts erreicht – und das bedeutet, dass die nächste Zeit uns politische Auseinandersetzungen mit sich bringen, was wir alle begrüßen. Das heißt, dass wir uns dann im Parlament oder in den Medien auseinandersetzen und nicht durch schießen und bombardieren. Verstehen Sie, was ich meine? Das ist, was ich hoffe. Aber ich glaube nicht, dass das so schnell erreichbar ist und ich glaube auch nicht, dass sich das so schnell einpendelt mit der Gewalt, denn die Muslimbrüder als Antidemokraten, die sind noch nicht ganz aus dem Spiel und sie sind als Phase noch nicht ausgestanden. Wir haben Nachwehen.

Brink: Mamdouh Habashi, Mitbegründer der sozialistischen Partei Ägyptens. Schönen Dank, Herr Habashi, für das Gespräch!

Habashi: Danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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