"Wir haben die Apartheid überlebt"
Auch 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid sind die Grenzen zwischen Schwarzen und Weißen in vielen Gegenden Südafrikas deutlich spürbar. Vor allem auf dem Land leben die Menschen bis heute weitgehend nach Hautfarbe getrennt.
Freitagnacht im Nsako, einem Kulturzentrum in Brixton, Johannesburg. Junge Südafrikaner tanzen zu den Rhythmen der Live-Band. Ein gemischtes, kosmopolitisches Publikum: Schwarze und Weiße, Studenten, Geschäftsleute und Künstler. Die Atmosphäre ist entspannt. Als hätte es die Apartheid nie gegeben. Das ist das neue Südafrika. Aber es existiert nur in den Zentren den Großstädte oder in der Nähe von Universitäten.
Hinter der Bar steht Sifiso Ntuli, der Besitzer des Nsako. Ein schlanker 47-Jähriger, lässig elegant gekleidet. An einem Ort wie diesem habe ich meine Freundin Ashley kennen gelernt, erzählt er mit einem Lächeln:
"1996 treffe ich in einem Club wie dem Nsako, in dem sie Reggae und afrikanische Musik spielen, einen Freund in Begleitung einer Frau namens Ashley Heron. Ich unterhalte mich mir ihr. Es war ein wirklich interessantes Gespräch und das führen wir eigentlich bis heute fort. Wir haben zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, eine Bilderbuchfamilie."
Sifiso Ntuli öffnet ein Bier, reicht es einem blonden Studenten über die Theke, kassiert, gießt sich selbst einen Kaffee ein, lässt seinen Blick über seine Gäste streifen.
"Man möchte mit dem Menschen eine Familie gründen, dem man sich verbunden fühlt. Ashley und ich stammen zwar aus unterschiedlichen Kulturen, haben verschiedene Hautfarben, aber in vielerlei Hinsicht sind wir uns sehr ähnlich. Zum Beispiel darin, wie wir aufgewachsen sind und was wir vom Leben erwarten. Dieses Kulturzentrum hier ist ein gemeinsamer Traum von uns beiden. Ein Ort an dem jeder akzeptiert wird und willkommen ist. Es geht nicht darum, ob man schwarz oder weiß ist. Das ist ein Mythos. Wichtig ist, mit wem man sich versteht."
Sifiso und Ashley wuchsen in den 60er- und 70er-Jahren auf. Es war die Zeit der Apartheid. Südafrikaner lebten nach Hautfarben getrennt in unterschiedlichen Wohnvierteln. Mischehen und -beziehungen waren verboten und wurden mit Gefängnis bestraft. Bereits fünf Jahre vor der Freilassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis wurde das Gesetz außer Kraft gesetzt. Doch Paare mussten weiterhin soziale Ausgrenzungen, Sanktionen und gewaltsame Übergriffe fürchten. Die Gesellschaft war tief gespalten. Die Mehrheit der weißen Südafrikaner lebte in einem wohlbehüteten Kokon, Schwarze kamen nur zum Arbeiten in ihre Häuser, kehrten danach zurück in ihre Townships. Gegenden, um die die meisten weißen Südafrikaner noch heute einen großen Bogen machen. Ashley Heron wuchs in einem wohlhabenden weißen Vorort von Johannesburg auf. Ihre Eltern waren keine ausgewiesenen Rassisten, aber sie akzeptierten die politische Ordnung. So wie die meisten ihrer weißen Landsleute. Nach der Schule studierte Ashley Kunst an der Universität von Grahamstown. Schwarze Kommilitonen hatte sie damals nicht.
"Als ich studiert habe, wurde in Südafrika der Ausnahmezustand verhängt. Nachts konnten wir hören, was im Township vor sich ging: Polizei und Armee setzten Tränengas ein und es fielen Schüsse. Tagsüber fuhren die gepanzerten Militärfahrzeuge durch Stadt. Es war ein krasser Widerspruch: Weiße Studenten, die ihre Freiheit genießen und gleichzeitig all diese furchtbaren Ereignisse um uns herum. So nah aber gleichzeitig auch so weit weg."
Ashleys heutiger Partner und Vater ihrer Kinder, lebte damals auf der anderen Seite. In Sabie, einer Stadt in der Provinz Mpumalanga. Seine Familie wurde aus ihrem Haus vertrieben, als die Gegend zu einem Viertel für Farbige erklärt wurde. Schwarze wie die Ntulis mussten in ein Township an den Stadtrand umziehen. Doch Sifiso war privilegiert: Seine Eltern ermöglichten ihm eine Schulbildung in Swaziland. Einem kleinen Nachbarstaat, in dem keine Rassentrennung herrschte. Nach dem Abschluss studierte Sifiso an der Universität in Johannesburg. Auch das eine Ausnahme, denn 90 Prozent der Studienplätze waren Weißen vorbehalten. Schwarze und farbige Südafrikaner mussten eine Genehmigung des Erziehungsministeriums vorweisen, um zugelassen zu werden. Politisches Engagement war streng verboten. Über diese Regel setzte sich Sifiso hinweg: Er nahm an einer Demonstration teil, wurde festgenommen und exmatrikuliert. Er ging ins Exil nach Tansania, dann nach Kanada und kehrte erst nach der demokratischen Wende Mitte der 90er-Jahre zurück.
"Die Apartheid war für alle von uns furchtbar. Sie hat unser Denken geprägt. Es gibt immer noch Momente, in denen ich wütend nach Hause komme und in Gegenwart von Ashley alle Weißen verfluche. Es wird noch einige Zeit dauern, bis diese Wunden verheilt sind. Die südafrikanische Nation ist ja gerade mal im Teenager-Alter."
Eine ruhige Nebenstraße in Brixton, Einfamilienhäuser hinter Mauern und Zäunen, gefegte Bürgersteige. In dem ehemals weißen Viertel leben heute überwiegend schwarze Südafrikaner und Einwanderer aus Asien, Weiße wie Ashley Heron sind in der Minderheit. Die dunkelhaarige, schlanke Frau sitzt im kleinen Garten ihres Hauses, trinkt Kaffee, genießt die ersten Sonnenstrahlen des Tages. Neben ihr am Tisch sitzt ihre Tochter und malt. Ihre beiden Hunde dösen im Gras. Sifiso ist schon wieder unterwegs, nach einer kurzen Nacht plant er die nächste Veranstaltung für sein Kulturzentrum. Ashley hilft ihm bei der Buchhaltung, manchmal auch hinter der Theke. Während der Woche arbeitet sie als Innenarchitektin. Die beiden sind ein harmonisches, modernes Paar, finanziell geht es ihnen gut, sie gehören zur südafrikanischen Mittelschicht. Schwer vorstellbar, dass dieses friedliche Familienidyll erst erkämpft werden musste.
"Zwei Wochen, nachdem ich Sifiso kennen gelernt hatte, habe ich es meiner Mutter am Telefon erzählt. Ich sagte, dass es jemanden gebe und sie freute sich richtig. Doch dann fragte sie, wie er heißt und ich antwortete "Sifiso". Meine Mutter schwieg daraufhin und fragte erst nach einer ganzen Weile: "Ist er schwarz?" Ich bejahte und sie flippte richtig aus. Wir haben danach eine furchtbare Zeit durchgemacht. Meine Eltern hatten all diese Vorurteile: dass er nur mein Geld will, dass er nicht treu sein würde und dieser ganze Mist. Es wurden viele böse Worte gewechselt und ich war damals sehr unglücklich über die Reaktion meiner Eltern."
Diese Erfahrung ist kein Einzelfall. Fast alle Paare stoßen erstmal auf Ablehnung, vor allem in der Familie des weißen Partners, betont Emily Mapula Mojapelo-Batka, eine Psychologin, die ihre Doktorarbeit über Mischehen und -beziehungen in Südafrika geschrieben hat, eine schwarze Südafrikanerin, die selbst mit einem Weißen verheiratet ist. Noch sind Partnerschaften wie diese in der südafrikanischen Gesellschaft die Ausnahme.
"Erstmal leistet die Familie des weißen Partners Widerstand, manchmal geht das so weit, dass jemand enterbt wird. In den schwarzen Familien dagegen wird die Beziehung generell akzeptiert. Nur sehr traditionelle Schwarze, die noch an die Macht der Ahnen glauben, haben damit Schwierigkeiten. Sie sind überzeugt, dass ihre Vorfahren die Beziehung nicht gutheißen, den weißen Partner nicht anerkennen. Das hat ihrem Glauben zufolge schwerwiegende Folgen, denn wer die Ahnen verärgert, wird in seinem Leben Pech und Misserfolg haben. Dagegen steht bei der Ablehnung weißer Familien der Verlust des gesellschaftlichen Status im Vordergrund."
"Was sollen wir bloß unseren Freunden sagen?" - Das sei eine der größten Sorgen ihrer Eltern gewesen, betont auch Ashley, nippt an ihrem Kaffee. Das Verhältnis verbesserte sich erst nach Jahren, nach der Geburt ihres ersten Kindes.
"Es war wirklich bizarr: Meine Mutter hat Sifiso zum ersten Mal getroffen, nachdem unser Sohn geboren wurde. Sifiso hat sie damals sogar vom Flughafen abgeholt. Danach hat sich die Situation immer weiter entspannt. Inzwischen sehen meine Eltern in Sifiso den Mann an meiner Seite. Natürlich wäre ihnen lieber, wir wären verheiratet, aber das ist ein anderes Thema. Zu Beginn hatten sie noch die Sorge, dass unsere Kinder als Farbige sozial geächtet oder zu Opfern würden, aber auch das ist nie passiert."
Oft haben die Paare selbst Schwierigkeiten damit, dass ihre Kinder in der südafrikanischen Gesellschaft als Farbige gelten und damit weder von Schwarzen noch von Weißen akzeptiert werden. Denn die Klassifikationen der Apartheid haben sich tief ins Bewusstsein eingeprägt. Noch immer werden mit der Hautfarbe bestimmte Charaktereigenschaften, sozialer Status und kulturelle Zugehörigkeit verbunden.
"Sobald das Paar über Heirat redet, oder ein Kind unterwegs ist, verändert sich die Haltung der Eltern zum jeweiligen Partner zum Positiven. Aber sie haben dann ein neues Problem: Wie sollen sie mit einem farbigen Enkelkind umgehen? Auch für schwarze Afrikaner ist das eine Hürde, denn Blut hat in unserer Kultur eine symbolische Bedeutung. Die Verbindung zu den Vorfahren wird über Blut hergestellt. Das weiße, gemischte Blut der Nachkommen sorgt für Verwirrung in der Familie – unter den Lebenden und den Toten."
In Sifisos Familie gab es deswegen keine Verwirrung. Dennoch musste sich auch seine Mutter erst an die neue Situation gewöhnen, wenn auch anderen Gründen: Brixton, das Johannesburger Viertel, in dem das Paar lebt, war während der Apartheid berüchtigt als Sitz einer Spezialeinheit der Polizei, die für Gewaltverbrechen zuständig war und dafür bekannt, Verdächtige zu foltern. Nur ein paar Straßen weiter war das Hauptquartier. Ein strategisch wichtiger Ort in Johannesburg, der höchste Punkt der Stadt. Heute wirkt das Wohnviertel dagegen verschlafen. Die Nebenstraße ist sauber, die Einfamilienhäuser, die hier in den 30er- und 40er -ahren gebaut wurden, sind gepflegt. Holzböden, hohe Decken, kleine Gärten.
"Als Ashley und ich nach Brixton gezogen sind, vor über zwölf Jahren, hat sich meine Mutter geweigert, uns hier zu besuchen. Die Erinnerungen waren einfach noch zu frisch: Während der Apartheid war es für Schwarze unmöglich hierher zu kommen, es sei denn man arbeitete in einem der Häuser. Überall waren scharfe Hunde und Polizisten, die es auf einen abgesehen hatten. Aber heute ist es unser Zuhause. Es gibt immer noch einige Buren, die hier leben, weil sie es sich nicht leisten können, umzuziehen, aber inzwischen ist das Viertel ziemlich gemischt, es gibt viele Einwanderer aus Asien aber überwiegend wohnen hier Schwarze aus allen Teilen Afrikas."
Auch gut 15 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika wirken die während der Apartheid geschürten Vorbehalte spürbar nach. Die Mehrheit der Bevölkerung bewegt sich weiterhin in Kreisen mit derselben Hautfarbe. Durchbricht man diese gesellschaftlichen Grenzen, fallen die Reaktionen von Schwarzen und Weißen sehr unterschiedlich aus, erzählt Ashley.
"Wenn ich zum Beispiel zu einem seiner Familientreffen gehe, dann fasziniert das die Leute. Sie wollen mich kennen lernen und mit mir sprechen. Wenn ich dagegen Sifiso zu einer ähnlichen Veranstaltung mitnehme, meiden uns die Leute entweder oder sie wollen über Politik diskutieren und entschuldigen sich geradezu für die Vergangenheit."
Ein schlechtes Gewissen gepaart mit Skepsis und Angst, diese Gefühle sind weit verbreitet in der weißen Bevölkerungsminderheit. Die Vorbehalte und Vorurteile gegen die jeweils anderen sind noch sehr lebendig. Nelson Mandelas Traum einer Regenbogennation existiert nur in den größeren Städten und auch dort nur innerhalb der Mittelschicht, meint Psychologin Mojapelo-Batka.
"In meiner Studie haben mir einige der Paare erzählt, dass sie sich in einer kosmopolitischen Umgebung, wie Sandton in Johannesburg am wohlsten fühlen. Denn hier fallen sie nicht auf. Keiner starrt sie an. Auf dem Land dagegen werden sie bis heute beschimpft. In ländlichen Gebieten und niedrigen sozialen Schichten ist die Missbilligung gemischter Paare wesentlich ausgeprägter."
Auch Sifiso Ntuli und Ashley Heron haben entsprechende Erfahrungen gemacht. Die Vorbehalte haben auch ihren Alltag erschwert: Das Paar musste lange nach einem Haus suchen. Viele Vermieter erfanden abenteuerliche Entschuldigungen, sobald sie die beiden zu Gesicht bekamen, oder verlangten plötzlich einen wesentlich höheren Mietpreis. Denn selbst in den Großstädten sind viele Viertel noch fast zu 100 Prozent weiß, farbig oder schwarz. Auf dem Land ist die Trennungslinie noch klarer. Nur in den Mittelklasse-Vororten ändert sich das Bild langsam.
"Einmal, da waren wir gerade eingezogen und hatten noch keine Kinder, sind wir abends ausgegangen. Als wir spät in der Nacht wieder nach Hause kamen, hatte jemand die Garage mit einem dicken Vorhängeschloss versehen. Ein echter Sabotageakt. Solche Dinge sind öfter passiert, aber wir haben uns nicht einschüchtern lassen. Wir wohnen jetzt seit über zwölf Jahren in diesem Haus und wir lieben es."
Inzwischen allerdings erregen Paare wie Sifiso und Ashley auf den Straßen südafrikanischer Großstädte kein Aufsehen mehr. Zwar gibt es keine Statistiken, aber die Zahl der Mischehen und -beziehungen nimmt sichtbar zu, auch unter Prominenten: Der einzige weiße Fußball-Nationalspieler Matthew Booth ist mit einer ehemaligen Miss Südafrika verheiratet und ANC-Schwergewicht Tokyo Sexwale, Minister in der Regierung Zuma, hat eine weiße Frau. Er drückte einmal aus, was viele Paare fühlen: "Wenn Schwarze verletzt werden, werde ich verletzt. Wenn Weißen etwas angetan wird, dann gilt das auch für meine Frau. Und wenn Farbigen etwas zustößt, dann geht es um meine Kinder." Deutliche Worte wie diese sind leider selten, sagt Emily Mapula Mojapelo-Batka.
"Ich habe beobachtet, dass Prominente und Politiker nur wenig über ihre Beziehung reden. Sie behandeln sie als Privatsache, übernehmen also keine öffentliche Vorbildfunktion. Vielleicht haben sie Angst vor Ablehnung. Ein Beispiel dafür ist Alan Boesak, ein ANC-Politiker, der eine weiße Frau geheiratet hat und danach mit heftigen Widerständen in seiner Partei kämpfen musste. Der Grund dafür liegt in der Apartheid und dem Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen."
Bei älteren Südafrikanern sitzt dieses Misstrauen noch sehr tief. Doch in der jungen Generation spielt die Hautfarbe eine immer geringere Rolle. Auf den Straßen und in den Einkaufszentren der Städte verbringen schwarze und weiße Jugendliche mit derselben Schuluniform gemeinsam ihre Freizeit. Studenten treffen sich abends unabhängig von der Hautfarbe gemeinsam in den Clubs und Cafés der Stadtzentren. Südafrika findet so in gewisser Weise zurück zu seinen Wurzeln, glaubt Sifiso Ntuli.
"In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, hatten wir farbige und weiße Nachbarn, bevor wir während der Apartheid in unterschiedliche Wohnviertel umgesiedelt wurden. Heute wachsen meine Kinder wieder in einer ähnlichen, gemischten Nachbarschaft auf. Das Leben geht also weiter. Wir haben die Apartheid überlebt."
Hinter der Bar steht Sifiso Ntuli, der Besitzer des Nsako. Ein schlanker 47-Jähriger, lässig elegant gekleidet. An einem Ort wie diesem habe ich meine Freundin Ashley kennen gelernt, erzählt er mit einem Lächeln:
"1996 treffe ich in einem Club wie dem Nsako, in dem sie Reggae und afrikanische Musik spielen, einen Freund in Begleitung einer Frau namens Ashley Heron. Ich unterhalte mich mir ihr. Es war ein wirklich interessantes Gespräch und das führen wir eigentlich bis heute fort. Wir haben zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, eine Bilderbuchfamilie."
Sifiso Ntuli öffnet ein Bier, reicht es einem blonden Studenten über die Theke, kassiert, gießt sich selbst einen Kaffee ein, lässt seinen Blick über seine Gäste streifen.
"Man möchte mit dem Menschen eine Familie gründen, dem man sich verbunden fühlt. Ashley und ich stammen zwar aus unterschiedlichen Kulturen, haben verschiedene Hautfarben, aber in vielerlei Hinsicht sind wir uns sehr ähnlich. Zum Beispiel darin, wie wir aufgewachsen sind und was wir vom Leben erwarten. Dieses Kulturzentrum hier ist ein gemeinsamer Traum von uns beiden. Ein Ort an dem jeder akzeptiert wird und willkommen ist. Es geht nicht darum, ob man schwarz oder weiß ist. Das ist ein Mythos. Wichtig ist, mit wem man sich versteht."
Sifiso und Ashley wuchsen in den 60er- und 70er-Jahren auf. Es war die Zeit der Apartheid. Südafrikaner lebten nach Hautfarben getrennt in unterschiedlichen Wohnvierteln. Mischehen und -beziehungen waren verboten und wurden mit Gefängnis bestraft. Bereits fünf Jahre vor der Freilassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis wurde das Gesetz außer Kraft gesetzt. Doch Paare mussten weiterhin soziale Ausgrenzungen, Sanktionen und gewaltsame Übergriffe fürchten. Die Gesellschaft war tief gespalten. Die Mehrheit der weißen Südafrikaner lebte in einem wohlbehüteten Kokon, Schwarze kamen nur zum Arbeiten in ihre Häuser, kehrten danach zurück in ihre Townships. Gegenden, um die die meisten weißen Südafrikaner noch heute einen großen Bogen machen. Ashley Heron wuchs in einem wohlhabenden weißen Vorort von Johannesburg auf. Ihre Eltern waren keine ausgewiesenen Rassisten, aber sie akzeptierten die politische Ordnung. So wie die meisten ihrer weißen Landsleute. Nach der Schule studierte Ashley Kunst an der Universität von Grahamstown. Schwarze Kommilitonen hatte sie damals nicht.
"Als ich studiert habe, wurde in Südafrika der Ausnahmezustand verhängt. Nachts konnten wir hören, was im Township vor sich ging: Polizei und Armee setzten Tränengas ein und es fielen Schüsse. Tagsüber fuhren die gepanzerten Militärfahrzeuge durch Stadt. Es war ein krasser Widerspruch: Weiße Studenten, die ihre Freiheit genießen und gleichzeitig all diese furchtbaren Ereignisse um uns herum. So nah aber gleichzeitig auch so weit weg."
Ashleys heutiger Partner und Vater ihrer Kinder, lebte damals auf der anderen Seite. In Sabie, einer Stadt in der Provinz Mpumalanga. Seine Familie wurde aus ihrem Haus vertrieben, als die Gegend zu einem Viertel für Farbige erklärt wurde. Schwarze wie die Ntulis mussten in ein Township an den Stadtrand umziehen. Doch Sifiso war privilegiert: Seine Eltern ermöglichten ihm eine Schulbildung in Swaziland. Einem kleinen Nachbarstaat, in dem keine Rassentrennung herrschte. Nach dem Abschluss studierte Sifiso an der Universität in Johannesburg. Auch das eine Ausnahme, denn 90 Prozent der Studienplätze waren Weißen vorbehalten. Schwarze und farbige Südafrikaner mussten eine Genehmigung des Erziehungsministeriums vorweisen, um zugelassen zu werden. Politisches Engagement war streng verboten. Über diese Regel setzte sich Sifiso hinweg: Er nahm an einer Demonstration teil, wurde festgenommen und exmatrikuliert. Er ging ins Exil nach Tansania, dann nach Kanada und kehrte erst nach der demokratischen Wende Mitte der 90er-Jahre zurück.
"Die Apartheid war für alle von uns furchtbar. Sie hat unser Denken geprägt. Es gibt immer noch Momente, in denen ich wütend nach Hause komme und in Gegenwart von Ashley alle Weißen verfluche. Es wird noch einige Zeit dauern, bis diese Wunden verheilt sind. Die südafrikanische Nation ist ja gerade mal im Teenager-Alter."
Eine ruhige Nebenstraße in Brixton, Einfamilienhäuser hinter Mauern und Zäunen, gefegte Bürgersteige. In dem ehemals weißen Viertel leben heute überwiegend schwarze Südafrikaner und Einwanderer aus Asien, Weiße wie Ashley Heron sind in der Minderheit. Die dunkelhaarige, schlanke Frau sitzt im kleinen Garten ihres Hauses, trinkt Kaffee, genießt die ersten Sonnenstrahlen des Tages. Neben ihr am Tisch sitzt ihre Tochter und malt. Ihre beiden Hunde dösen im Gras. Sifiso ist schon wieder unterwegs, nach einer kurzen Nacht plant er die nächste Veranstaltung für sein Kulturzentrum. Ashley hilft ihm bei der Buchhaltung, manchmal auch hinter der Theke. Während der Woche arbeitet sie als Innenarchitektin. Die beiden sind ein harmonisches, modernes Paar, finanziell geht es ihnen gut, sie gehören zur südafrikanischen Mittelschicht. Schwer vorstellbar, dass dieses friedliche Familienidyll erst erkämpft werden musste.
"Zwei Wochen, nachdem ich Sifiso kennen gelernt hatte, habe ich es meiner Mutter am Telefon erzählt. Ich sagte, dass es jemanden gebe und sie freute sich richtig. Doch dann fragte sie, wie er heißt und ich antwortete "Sifiso". Meine Mutter schwieg daraufhin und fragte erst nach einer ganzen Weile: "Ist er schwarz?" Ich bejahte und sie flippte richtig aus. Wir haben danach eine furchtbare Zeit durchgemacht. Meine Eltern hatten all diese Vorurteile: dass er nur mein Geld will, dass er nicht treu sein würde und dieser ganze Mist. Es wurden viele böse Worte gewechselt und ich war damals sehr unglücklich über die Reaktion meiner Eltern."
Diese Erfahrung ist kein Einzelfall. Fast alle Paare stoßen erstmal auf Ablehnung, vor allem in der Familie des weißen Partners, betont Emily Mapula Mojapelo-Batka, eine Psychologin, die ihre Doktorarbeit über Mischehen und -beziehungen in Südafrika geschrieben hat, eine schwarze Südafrikanerin, die selbst mit einem Weißen verheiratet ist. Noch sind Partnerschaften wie diese in der südafrikanischen Gesellschaft die Ausnahme.
"Erstmal leistet die Familie des weißen Partners Widerstand, manchmal geht das so weit, dass jemand enterbt wird. In den schwarzen Familien dagegen wird die Beziehung generell akzeptiert. Nur sehr traditionelle Schwarze, die noch an die Macht der Ahnen glauben, haben damit Schwierigkeiten. Sie sind überzeugt, dass ihre Vorfahren die Beziehung nicht gutheißen, den weißen Partner nicht anerkennen. Das hat ihrem Glauben zufolge schwerwiegende Folgen, denn wer die Ahnen verärgert, wird in seinem Leben Pech und Misserfolg haben. Dagegen steht bei der Ablehnung weißer Familien der Verlust des gesellschaftlichen Status im Vordergrund."
"Was sollen wir bloß unseren Freunden sagen?" - Das sei eine der größten Sorgen ihrer Eltern gewesen, betont auch Ashley, nippt an ihrem Kaffee. Das Verhältnis verbesserte sich erst nach Jahren, nach der Geburt ihres ersten Kindes.
"Es war wirklich bizarr: Meine Mutter hat Sifiso zum ersten Mal getroffen, nachdem unser Sohn geboren wurde. Sifiso hat sie damals sogar vom Flughafen abgeholt. Danach hat sich die Situation immer weiter entspannt. Inzwischen sehen meine Eltern in Sifiso den Mann an meiner Seite. Natürlich wäre ihnen lieber, wir wären verheiratet, aber das ist ein anderes Thema. Zu Beginn hatten sie noch die Sorge, dass unsere Kinder als Farbige sozial geächtet oder zu Opfern würden, aber auch das ist nie passiert."
Oft haben die Paare selbst Schwierigkeiten damit, dass ihre Kinder in der südafrikanischen Gesellschaft als Farbige gelten und damit weder von Schwarzen noch von Weißen akzeptiert werden. Denn die Klassifikationen der Apartheid haben sich tief ins Bewusstsein eingeprägt. Noch immer werden mit der Hautfarbe bestimmte Charaktereigenschaften, sozialer Status und kulturelle Zugehörigkeit verbunden.
"Sobald das Paar über Heirat redet, oder ein Kind unterwegs ist, verändert sich die Haltung der Eltern zum jeweiligen Partner zum Positiven. Aber sie haben dann ein neues Problem: Wie sollen sie mit einem farbigen Enkelkind umgehen? Auch für schwarze Afrikaner ist das eine Hürde, denn Blut hat in unserer Kultur eine symbolische Bedeutung. Die Verbindung zu den Vorfahren wird über Blut hergestellt. Das weiße, gemischte Blut der Nachkommen sorgt für Verwirrung in der Familie – unter den Lebenden und den Toten."
In Sifisos Familie gab es deswegen keine Verwirrung. Dennoch musste sich auch seine Mutter erst an die neue Situation gewöhnen, wenn auch anderen Gründen: Brixton, das Johannesburger Viertel, in dem das Paar lebt, war während der Apartheid berüchtigt als Sitz einer Spezialeinheit der Polizei, die für Gewaltverbrechen zuständig war und dafür bekannt, Verdächtige zu foltern. Nur ein paar Straßen weiter war das Hauptquartier. Ein strategisch wichtiger Ort in Johannesburg, der höchste Punkt der Stadt. Heute wirkt das Wohnviertel dagegen verschlafen. Die Nebenstraße ist sauber, die Einfamilienhäuser, die hier in den 30er- und 40er -ahren gebaut wurden, sind gepflegt. Holzböden, hohe Decken, kleine Gärten.
"Als Ashley und ich nach Brixton gezogen sind, vor über zwölf Jahren, hat sich meine Mutter geweigert, uns hier zu besuchen. Die Erinnerungen waren einfach noch zu frisch: Während der Apartheid war es für Schwarze unmöglich hierher zu kommen, es sei denn man arbeitete in einem der Häuser. Überall waren scharfe Hunde und Polizisten, die es auf einen abgesehen hatten. Aber heute ist es unser Zuhause. Es gibt immer noch einige Buren, die hier leben, weil sie es sich nicht leisten können, umzuziehen, aber inzwischen ist das Viertel ziemlich gemischt, es gibt viele Einwanderer aus Asien aber überwiegend wohnen hier Schwarze aus allen Teilen Afrikas."
Auch gut 15 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika wirken die während der Apartheid geschürten Vorbehalte spürbar nach. Die Mehrheit der Bevölkerung bewegt sich weiterhin in Kreisen mit derselben Hautfarbe. Durchbricht man diese gesellschaftlichen Grenzen, fallen die Reaktionen von Schwarzen und Weißen sehr unterschiedlich aus, erzählt Ashley.
"Wenn ich zum Beispiel zu einem seiner Familientreffen gehe, dann fasziniert das die Leute. Sie wollen mich kennen lernen und mit mir sprechen. Wenn ich dagegen Sifiso zu einer ähnlichen Veranstaltung mitnehme, meiden uns die Leute entweder oder sie wollen über Politik diskutieren und entschuldigen sich geradezu für die Vergangenheit."
Ein schlechtes Gewissen gepaart mit Skepsis und Angst, diese Gefühle sind weit verbreitet in der weißen Bevölkerungsminderheit. Die Vorbehalte und Vorurteile gegen die jeweils anderen sind noch sehr lebendig. Nelson Mandelas Traum einer Regenbogennation existiert nur in den größeren Städten und auch dort nur innerhalb der Mittelschicht, meint Psychologin Mojapelo-Batka.
"In meiner Studie haben mir einige der Paare erzählt, dass sie sich in einer kosmopolitischen Umgebung, wie Sandton in Johannesburg am wohlsten fühlen. Denn hier fallen sie nicht auf. Keiner starrt sie an. Auf dem Land dagegen werden sie bis heute beschimpft. In ländlichen Gebieten und niedrigen sozialen Schichten ist die Missbilligung gemischter Paare wesentlich ausgeprägter."
Auch Sifiso Ntuli und Ashley Heron haben entsprechende Erfahrungen gemacht. Die Vorbehalte haben auch ihren Alltag erschwert: Das Paar musste lange nach einem Haus suchen. Viele Vermieter erfanden abenteuerliche Entschuldigungen, sobald sie die beiden zu Gesicht bekamen, oder verlangten plötzlich einen wesentlich höheren Mietpreis. Denn selbst in den Großstädten sind viele Viertel noch fast zu 100 Prozent weiß, farbig oder schwarz. Auf dem Land ist die Trennungslinie noch klarer. Nur in den Mittelklasse-Vororten ändert sich das Bild langsam.
"Einmal, da waren wir gerade eingezogen und hatten noch keine Kinder, sind wir abends ausgegangen. Als wir spät in der Nacht wieder nach Hause kamen, hatte jemand die Garage mit einem dicken Vorhängeschloss versehen. Ein echter Sabotageakt. Solche Dinge sind öfter passiert, aber wir haben uns nicht einschüchtern lassen. Wir wohnen jetzt seit über zwölf Jahren in diesem Haus und wir lieben es."
Inzwischen allerdings erregen Paare wie Sifiso und Ashley auf den Straßen südafrikanischer Großstädte kein Aufsehen mehr. Zwar gibt es keine Statistiken, aber die Zahl der Mischehen und -beziehungen nimmt sichtbar zu, auch unter Prominenten: Der einzige weiße Fußball-Nationalspieler Matthew Booth ist mit einer ehemaligen Miss Südafrika verheiratet und ANC-Schwergewicht Tokyo Sexwale, Minister in der Regierung Zuma, hat eine weiße Frau. Er drückte einmal aus, was viele Paare fühlen: "Wenn Schwarze verletzt werden, werde ich verletzt. Wenn Weißen etwas angetan wird, dann gilt das auch für meine Frau. Und wenn Farbigen etwas zustößt, dann geht es um meine Kinder." Deutliche Worte wie diese sind leider selten, sagt Emily Mapula Mojapelo-Batka.
"Ich habe beobachtet, dass Prominente und Politiker nur wenig über ihre Beziehung reden. Sie behandeln sie als Privatsache, übernehmen also keine öffentliche Vorbildfunktion. Vielleicht haben sie Angst vor Ablehnung. Ein Beispiel dafür ist Alan Boesak, ein ANC-Politiker, der eine weiße Frau geheiratet hat und danach mit heftigen Widerständen in seiner Partei kämpfen musste. Der Grund dafür liegt in der Apartheid und dem Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen."
Bei älteren Südafrikanern sitzt dieses Misstrauen noch sehr tief. Doch in der jungen Generation spielt die Hautfarbe eine immer geringere Rolle. Auf den Straßen und in den Einkaufszentren der Städte verbringen schwarze und weiße Jugendliche mit derselben Schuluniform gemeinsam ihre Freizeit. Studenten treffen sich abends unabhängig von der Hautfarbe gemeinsam in den Clubs und Cafés der Stadtzentren. Südafrika findet so in gewisser Weise zurück zu seinen Wurzeln, glaubt Sifiso Ntuli.
"In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, hatten wir farbige und weiße Nachbarn, bevor wir während der Apartheid in unterschiedliche Wohnviertel umgesiedelt wurden. Heute wachsen meine Kinder wieder in einer ähnlichen, gemischten Nachbarschaft auf. Das Leben geht also weiter. Wir haben die Apartheid überlebt."