Wir haben das geschafft (Teil 1)

Deutsche Flüchtlingshilfe vor 60 Jahren

Sudetendeutsche verlassen im Juli 1946 mit Sack und Pack ein Lager in Liberec (Reichenberg) in Nordböhmen in Richtung Deutschland.
Nach 1945 kamen Millionen Flüchtlinge und Vertriebene nach Deutschland. © picture alliance / dpa / CTK_Photo
Von Martin Hartwig · 21.10.2015
Der 1952 in Kraft getretene Lastenausgleich war eine beispiellose Solidaritätsleistung. Die Bundesrepublik musste zehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten integrieren.
"Die Bundesregierung legt Ihnen hiermit einen Gesetzentwurf von einer Wichtigkeit und Bedeutung vor, wie er in der Geschichte der deutschen Parlamente wahrscheinlich selten zur Beratung und zur Behandlung gestellt ist, einen Gesetzentwurf, der eine der allergrößten Fragen des Volkes lösen soll, eine Frage, die nur gelöst werden kann, wenn das deutsche Volk an ihre Lösung mit sittlichem Ernst und in innerem Zusammenhalt und Gemeinsinn herantritt."
"Ich wundere mich manchmal, wie rasch ein Mensch und wie rasch ein Volk vergessen kann. Vergessen haben vielleicht viele von denen, die damals die Goebbels-Frage "Wollt ihr den totalen Krieg?" mit "Ja" beantwortet haben, welche Verantwortung sie für das Schicksal eines gesamten Volkes auf sich genommen haben."
Vertriebenenverbände waren für "quotalen Ausgleich"
Deutschland hatte den Krieg verloren. Aber die Lasten des Krieges und seiner Folgen waren höchst ungleich verteilt. Am schlimmsten betroffen waren die Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, sie hatten alles verloren.
"Wir werden bemüht sein, den endgültigen Lastenausgleich baldigst zu verabschieden und die Ungewissheit zu beseitigen, die seit so langer Zeit sowohl auf den Geschädigten wie auf der zu belastenden Wirtschaft liegt."
Dies erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer am 20. September 1949 in seiner ersten Regierungserklärung. Aus der "baldigen Verabschiedung des Lastenausgleichs" wurde jedoch nichts, denn die Verhandlungen in den Ausschüssen zogen sich hin. Die SPD wollte ein Bündel allgemeiner Sozial- und Fördergesetze zugunsten der besonders Geschädigten verabschieden und dies durch eine Sondersteuer, eine Art Solidaritätszuschlag, finanzieren. Große Teile der CDU und der Vertriebenenverbände bevorzugten den sogenannten "quotalen Ausgleich". Der Idee nach sollte jeder Gutsbesitzer aus Pommern, jeder Danziger Krämer und jeder Hamburger Hausbesitzer seinen Verlustes individuell ersetzt bekommen - von denen, die von Zerstörungen verschont geblieben sind.
126 Milliarden Mark an Entschädigung
"Denn nach diesen Ziffern würde der quotale Gedankengang zu einem Konkursverfahren der deutschen Volkes wegen Überschuldung führen müssen, und in einem Konkursverfahren muss man sich bekanntlich auch nach der vorhandenen Masse letzten Endes richten."
Der am 16. Mai 1952 in dritter Lesung verhandelte Gesetzentwurf stellte schließlich einen Kompromiss zwischen beiden Konzepten dar.
Westdeutsche, die einen Betrieb, ein Haus, Sparguthaben oder Aktien besaßen, sollten darauf eine Vermögensabgabe entrichten. Konkret hieß das, wer ein Haus besaß, das an diesem Tag 100.000 Mark wert war, sollte bis 1979 50.000 Mark Vermögensabgabe entrichten.
Mit den Stimmen der Regierungsfraktion wurde das "Gesetz über einen allgemeinen Lastenausgleich" verabschiedet. Es trat am 1.September 1952 in Kraft und am 13.September des Jahres erhielt eine 103-jährige Berlinerin die erste Zahlung aus dem Lastenausgleich. Bis Dezember 1998 wurden im Rahmen des Lastenausgleiches126 Milliarden Mark an Entschädigung für im Krieg erlittene materielle Verluste ausgezahlt. Nur gut ein Drittel davon stammte letztlich aus der Vermögensabgabe, die weniger oder gar nicht Geschädigte geleistet haben, den Rest zahlte der Staat. Trotzdem war der Lastenausgleich eine der größten Umverteilungsmaßnahme, die je in einem kapitalistischen Land stattgefunden hat.
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