"Wir gelten auch als Brückenbauer"

Peter Wittig im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 01.07.2011
Deutschland genießt nach Ansicht des deutschen UN-Botschafters, Peter Wittig, trotz seiner Enthaltung bei der Libyen-Resolution weiterhin viel Respekt bei den Vereinten Nationen. Von Isolation könne überhaupt keine Rede sein, sagte Wittig.
Jörg Degenhardt: Seit Anfang des Jahres sitzt Deutschland mit am Tisch der Mächtigen bei den Vereinten Nationen im UN-Sicherheitsrat, für zwei Jahre als nicht ständiges Mitglied und ohne Vetorecht, aber immerhin, und jetzt im Juli wird Berlin turnusgemäß sogar in diesem Gremium den Hut aufhaben, ihm vorstehen. Ist das mehr als eine protokollarische Fußnote? Welche Akzente lassen sich da setzen? Fragen jetzt an den UN-Botschafter Peter Wittig, er vertritt Deutschland bei den Vereinten Nationen in New York, und wegen der Zeitverschiebung haben wir das Gespräch schon vor der Sendung geführt. Herr Botschafter, im Juli, könnte man meinen, sind viele auf Ferien und Sommerpause eingestellt. Was sagt denn Ihr Terminkalender, ist der voll?

Peter Wittig: Ja, die Zeit der deutschen Präsidentschaft im Sicherheitsrat ist ereignisreich im Juli. Im Sicherheitsrat geht es in dieser Zeit ganz vorrangig um die Bewältigung von einer Reihe von brennenden Konflikten und Krisen in der Welt, denken Sie beispielsweise aktuell an den Sudan oder an die Umwälzungen in der arabischen Welt in Syrien und Libyen, und Deutschland übernimmt deshalb im Juli eine besondere Verantwortung im Sicherheitsrat, der wir gerne gerecht werden möchten.

Degenhardt: Und es geht auch um Klimafragen in diesem Monat.

Wittig: Ja, das ist eine Initiative, die wir uns vorgenommen haben, das ist sozusagen ein deutscher Akzent. Wir wünschen uns, dass der Sicherheitsrat auch vorausschauend handelt, nicht immer nur krisenreaktiv. Er muss aktiv werden, bevor die ersten Toten auf den Straßen liegen, und deshalb wollen wir, dass er auch über die möglicherweise konfliktträchtigen Auswirkungen des Klimawandels debattiert, zum Beispiel, wenn der Meeresspiegel steigt und Menschen flüchten müssen; wie gehen wir mit den Flüchtlingsströmen um, wenn Trinkwasser knapper wird, werden dann Verteilungskämpfe zunehmen? Das alles sind Fragen, die wir uns im Sicherheitsrat gemeinsam mit den anderen Mitgliedern stellen wollen und als verantwortliche Außenpolitik muss man diese Fragen frühzeitig diskutieren.

Degenhardt: Deutschland spielt eine große Rolle in Sachen Klimaschutz, Deutschland ist ein bedeutender Beitragszahler für die Vereinten Nationen. Darüber hinaus: Wie hat sich die Bundesrepublik bisher und seit dem 1. Januar als nicht ständiges Mitglied der Vereinten Nationen einbringen können? Hat die Meinung und hat die Stimme Berlins Gewicht?

Wittig: Unser Land hat hier Gewicht, die Stimme zählt, auf uns wird gehört, wir gelten auch durchaus nicht nur als Vertreter unseres Landes, als Interessenvertreter, sondern wir gelten auch als Brückenbauer, als ausgleichendes Element. Das ist auch wichtig jetzt in der Präsidentschaft, wir wollen gerade in diesem Monat dazu beitragen, dass der Sicherheitsrat effizient und reibungsfrei handeln kann, und diese Brückenbauerfunktion, die ist gerade jetzt gefragt und auch Teil unserer aktiven deutschen Friedenspolitik.

Degenhardt: Als es um die Luftschläge gegen Libyen ging, hat sich Deutschland enthalten. Hat uns das geschadet?

Wittig: Hier wird die souveräne Entscheidung der einzelnen Mitgliedsstaaten respektiert, in New York blickt jetzt alles nach vorne, die Blicke richten sich auf die Zukunft und die Zukunftsgestaltung Libyens: Wie kann rasch ein belastbarer Waffenstillstand hergestellt werden? Wie kann man den politischen Prozess in Libyen gestalten? Was passiert nach einem Waffenstillstand? Das sind die Fragen, die die Menschen und die Diplomaten hier bewegen, und da ist Deutschland ein sehr gefragter und akzeptierter Partner.

Degenhardt: Wenn ich jetzt Ihre diplomatische Antwort entschlüssele, dann entnehme ich, dass uns dieses Verhalten im Zusammenhang mit Libyen nicht geschadet, aber vielleicht auch nicht unbedingt genützt hat. Ist Deutschland nach wie vor so etwas wie ein UN-Musterschüler?

Wittig: Also unsere Entscheidung im Sicherheitsrat, die ist hier akzeptiert worden, von einer Isolation kann überhaupt keine Rede sein. Wir sind und gelten hier als gutes Mitglied mit guten Beiträgen, mit sehr starken finanziellen Unterstützungen für diese Organisation, und wir genießen hier Respekt. Unsere Stimme zählt.

Degenhardt: Das heißt, unsere Chancen sind auch gestiegen auf einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat?

Wittig: Wir konzentrieren uns jetzt auf die vor uns liegenden Aufgaben in dieser Zeit, die sind zahlreich und die müssen wir mit großer Verantwortung, auch mit allen unseren Ressourcen hier angehen. Die Reform des Sicherheitsrates bleibt auf dem Tisch, und auch da sind wir ein Reformmotor, aber wir wägen unsere Politik, die wir hier jetzt konkret im Sicherheitsrat betreiben, nicht jeden Tag im Spiegel der grundsätzlichen Reform der Vereinten Nationen.
Degenhardt: Sie haben die Reform des Sicherheitsrates angesprochen. Wie kommt die denn voran, das Vetorecht zum Beispiel für einige Wenige, das Deutschland nicht hat, das ist ja auch sehr umstritten. Wird auch daran zu rütteln sein?

Wittig: Die Reform des Sicherheitsrates, das wissen Sie sicherlich, wird seit vielen, vielen Jahren hier diskutiert, die wird auch strittig diskutiert, da sind viele Interessen zusammenzubringen. Da geht es auch um wirkliche Machtfragen.

Wir gehören in dieser Diskussion zu den Reformmotoren, aber auch zu den Pragmatikern, wir wollen auch hier Interessengegensätze überbrücken und haben uns unseren Sinn für das Mögliche bewahrt. Jedermann aber sieht ein, dass der Sicherheitsrat über kurz oder lang reformiert werden muss. Er repräsentiert nicht mehr die Welt des 21. Jahrhunderts, und wir wollen daran mitwirken, ihn sozusagen zeitgerecht und den Zukunftsherausforderungen entsprechend mitzugestalten.

Degenhardt: Deutschland führt wie gesagt in diesem Monat den Vorsitz im Weltsicherheitsrat. Kann man diesen Monat, Herr Botschafter, auch als Testlauf sehen und zeigen, dass Deutschland vielleicht sogar noch mehr internationale Verantwortung übernehmen kann oder sind wir bereits ausgelastet?

Wittig: Ich möchte von Testlauf nicht sprechen. Hier geht es um die Bewältigung von konkreten Herausforderungen, denen wir uns widmen müssen. Wir müssen Verantwortung für diese einzelnen Fragen übernehmen. Wir wollen auch Akzente setzen, über die ich sprach in puncto Klimasicherheit, wir wollen eine Resolution einbringen, die Kinder in bewaffneten Konflikten noch besser schützen kann. Das sind die konkreten Herausforderungen, denen wir uns stellen, und daran werden wir im Monat Juli ganz besonders arbeiten.

Degenhardt: Deutschland führt im Juli den Vorsitz im Weltsicherheitsrat, das war UN-Botschafter Peter Wittig, er vertritt die Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen in New York, und wegen der Zeitverschiebung haben wir das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet. Einen guten Tag noch nach New York!

Wittig: Ich danke Ihnen! Wiederhören!