"Wir brauchen in den Hochschulen Planungssicherheit"

Moderation: Jürgen König · 14.11.2006
Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, hat angesichts rasant steigender Studentenzahlen Planungssicherheit über das Jahr 2010 hinaus gefordert. Mit dem so genannten Hochschulpakt sollen bis dahin 90.000 neue Studienplätze geschaffen werden. Es bedürfe weiterer Kraftanstrengungen von Bund und Ländern, um den kommenden Belastungen zu begegnen.
König: An den deutschen Hochschulen treffen im Moment zwei Entwicklungen aufeinander: Es gibt so viele Studienanfänger wie noch nie. Ausgerechnet jetzt aber sollen die Hochschulen sehr viel Geld einsparen. Das schließt sich eigentlich gegenseitig aus. Das Hilfsinstrument, das im Moment am meisten diskutiert wird, nachdem die Debatte um Studiengebühren sich wieder etwas beruhigt hat, das ist der so genannte Hochschulpakt. 1,9 Milliarden Euro sollen es werden, damit Studienplätze ausgebaut werden können. Gesichert sind davon 565 Millionen Euro, die der Bund bis 2010 für 90.000 zusätzliche Studienplätze zur Verfügung stellen will. Am Freitag tagten dazu die Wissenschaftsminister der Länder. In einer Stunde tritt auch zum Thema Hochschulpakt die Hochschulrektorenkonferenz zusammen, deren Vorsitzende ist Professor Margret Wintermantel, sie ist auch Präsidentin der Universität des Saarlandes. Guten Morgen!

Wintermantel: Guten Morgen, Herr König!

König: Frau Wintermantel, ich weiß, über diesen Hochschulpakt haben Sie gesagt, 1,9 Milliarden, das sei viel zuwenig, um den Studentenansturm zu bewältigen, brauche man mindestens 3,4 Milliarden. Lassen Sie uns dennoch auf die Sitzung der Wissenschaftsminister letzten Freitag eingehen. Da gingt es ja vor allem um die Frage, wie diese 565 Bundesmillionen aufgeteilt werden sollen. Am Ende hieß es, für die alten Länder habe man sich auf die Verteilung der Gelder verständigt, nach einem bestimmten Schlüssel werde berechnet, wie viele der 90.000 zusätzlichen Studienanfänger ein Land stellen müsste, dafür bekäme es dann die Unterstützung. Was bedeutet das, wie finden Sie das?

Wintermantel: Also zunächst muss man sicher akzeptieren und muss einfach das positiv sehen, dass es zu einer Einigung kommt zwischen Bund und Ländern, dass tatsächlich hier doch erhebliche Mittel bereitgestellt werden, bedeutet schon ein Kraftakt von beiden Seiten. Wir wissen, dass es überall Schwierigkeiten gibt der Finanzierung, also von daher zunächst mal ist das sicherlich sehr positiv zu bewerten, dass man sich einigen möchte, dass man sich einigen wird, das hatten wir ja vor einigen Wochen noch nicht unbedingt erwarten können.

König: Frau Schavan war ja auch schon ganz ungeduldig.

Wintermantel: Es ist so, dass wir ja alle doch sehen, dass die steigenden Studierendenzahlen eine große Chance für Deutschland bedeuten. Wir wollen mehr Absolventen von Studiengängen haben, wir brauchen mehr junge Leute, die eine hervorragende Ausbildung genossen haben, wir brauchen sie, und darüber reden wir, und wir sollten ihnen die Möglichkeit geben, entsprechende Studiengänge dann auch durchlaufen zu können. Das heißt, die Hochschulen sind wirklich bereit, zusätzliche Studienplätze einzurichten, nur müssen dazu natürlich die entsprechenden Mittel vorhanden sein, und im Augenblick sieht die Einigung so aus, dass tatsächlich bis Ende 2010 90.000 Studienplätze damit finanziert werden können, 90.000 zusätzlich, nur nach 2010, und das wird auch ein Punkt sein, den wir heute in Berlin diskutieren werden, nach 2010 ist nicht gesichert, ob das nun weitergeht.

König: Ohnehin, wenn ich lese, dass die Studierendenzahl von 2 auf 2,7 Millionen im Jahr 2013 steigen soll, sind da nicht 90.000 Studienplätze zwar schön und gut, aber letztlich bringen sie auch nicht viel?

Wintermantel: Also 90.000 Studienplätze sind ja nicht nichts. Das ist schon eine erhebliche Zahl, nur: dieses ist bis 2010 gedacht, und nach 2010 wissen wir nicht, wie es aussieht, und dann sind die jungen Leute ja in den Hochschulen und sind noch nicht fertig mit ihrem Studium. Wenn sie zum Beispiel 2008 oder 2009 angefangen haben, sind sie 2010 noch nicht fertig, das heißt, was nach 2010 wird, ist vollkommen unklar. Deshalb brauchen wir hier einfach eine Sicherheit, und wir brauchen Vertrauen, dass auch nach 2010 zum einen die dann eingeschriebenen Studierenden weiter ausgebildet werden können und zum anderen dass die dann zusätzlich wieder hinzukommenden Studierenden auch entsprechende Studienplätze erhalten.

König: Also das wäre eine Forderung von Ihnen, Erweiterung über das Jahr 2010 hinaus?

Wintermantel: Ja, wir brauchen die Sicherheit, und das ist deshalb wichtig, das muss man, glaube ich, auch erklären, das ist deshalb wichtig, weil natürlich jetzt, wenn zusätzliches Personal in den Hochschulen eingestellt wird, um der zusätzlichen Belastung entsprechend zu begegnen, dann kann man die Leute ja nicht von jetzt bis Ende 2010 nur einstellen. Die müssen ja irgendwie auch eine längerfristige Perspektive haben. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir Planungssicherheit für die Zeiten des größten Studierendenandrangs nach 2010 haben.

König: Lassen Sie uns über die neuen Bundesländer reden. Die Wissenschaftsminister haben sich geeinigt, die neuen Länder sollen 15 Prozent der Bundesgelder bekommen, wenn sie denn keine Studienplätze abbauen. Im Osten geht es ja, weil die Studentenzahlen dort sinken, vor allem darum, die bestehenden Kapazitäten aufrechtzuerhalten. 15 Prozent, das wäre eine Finanzspritze von 85 Millionen Euro. Wird dieser Hochschulpakt dem Osten hinreichend helfen können?

Wintermantel: Das ist auch eine Forderung der Hochschulrektorenkonferenz, dass wir sagen, die Studienplätze, die man in den ostdeutschen Universitäten und Fachhochschulen eingerichtet hat, die muss man natürlich erhalten. Das wäre ja volkswirtschaftlich barer Unsinn, wenn man diese Studienplätze jetzt reduziert. Deshalb haben wir gefordert, und man kommt uns da wohl auch entgegen, dass man den Erhalt dieser Studienplätze zusätzlich finanzieren möchte, dass man also diese Studienplätze auf jeden Fall behält. Wir müssen natürlich dann auch dafür sorgen, dass tatsächlich auch die Studierenden entsprechend diese Studienplätze nutzen, also die Verteilung der Studierenden auf die Studienplätze, die nun zusätzlich eingerichtet werden, muss natürlich auch gesichert sein.

König: Und da muss man vielleicht auch ein bisschen nachhelfen?

Wintermantel: Da muss man zumindest mit Imagekampagnen, Marketingaktionen dazu beitragen, dass auch klar wird, dass auch bekannt wird, welche sehr guten Studienbedingungen in ostdeutschen Hochschulen sind.

König: Frau Stange, die Wissenschaftsministerin Sachsens, sagte am Freitag, die demografische Entwicklung lasse in den nächsten Jahren rund die Hälfte der Studienanfänger im Osten wegbrechen, wie sie es nannte. Ihr Kollege aus Sachsen-Anhalt, Jan-Hendrik Olbertz, fügte hinzu, "wir haben zu gut Deutsch eine halbierte Generation, es ist eine Dramatik ohnegleichen". Wie dramatisch sehen Sie die Lage im Osten?

Wintermantel: Wir sehen, dass dort gute Studienbedingungen herrschen. Wir sehen tatsächlich, dass Studierende nach Westdeutschland kommen, und wir müssen etwas dafür tun, dass die Studierenden die sehr guten Studienangebote dort auch sehen, dass sozusagen auch aus dem Westen Leute an ostdeutsche Hochschulen gehen.

König: Was am Freitag nicht geklärt werden konnte, die Beteiligung der Stadtstaaten an den Bundesgeldern für zusätzliche Studienplätze, also Berlin, Hamburg, Bremen, eine Strategie müsse entwickelt werden, vor allem für das hoch verschuldete Berlin, dort studieren viele Studenten aus anderen Bundesländern, also die Hauptstadt bildet über ihren eigenen Bedarf hinaus aus. Jürgen Zöllner, Wissenschaftsminister Rheinland-Pfalz, gab sich kampfesmutig: "Weil wir das Problem lösen müssen, werden wir es lösen", sagte er. Wie sehen Sie das?

Wintermantel: Die Stadtstaaten, ja nun, wir erwarten, dass es auch hier eine Lösung gibt. Wenn junge Leute in Berlin und Hamburg studieren möchten, dann müssen sie das auch tun dürfen, aber sicherlich kann man nachvollziehen, dass es hier einen finanziellen Ausgleich geben muss.

König: "So viele Studenten wie noch nie" haben wir dieses Gespräch überschrieben. Wie sollen Unis und Professoren mit dem Ansturm fertig werden, was wäre Ihr Konzept, das Problem zu lösen?

Wintermantel: Also die Hochschulen sind bereit, zusätzliche Studienplätze einzurichten, aber wir müssen natürlich auch sehen, im Zuge des Bologna-Prozesses, der ja die Realität in den Hochschulen bestimmt, Sie wissen, dass alle Studienangebote in die Bachelor-Master-Struktur überführt werden, hierzu brauchen wir zusätzliches Lehrpersonal, hierzu brauchen wir aber auch zusätzliche Investitionen, und in diese Situation kommen wir jetzt mit den zusätzlichen neuen Studienplätzen. Das heißt, wir haben in den Hochschulen eine Situation, in der wir eine Unterfinanzierung ja schon die ganze Zeit haben, das wissen wir ja alle, und nun in diese Situation hinein kommt jetzt die Forderung nach zusätzlichen Studienplätzen.

Wir brauchen in den Hochschulen Planungssicherheit, und wir brauchen auch Flexibilität im Umgang mit dieser Situation. Wir müssen den Hochschulen überlassen, die Hochschulen müssen entscheiden, ob sie beispielsweise vorgezogene Professuren besetzen, das heißt, dass Professoren, die erst in einigen Jahren in den Ruhestand gehen, dass sie deren Professuren jetzt schon praktisch besetzen, so dass wir zwei Professuren haben, dass auch Seniorprofessuren möglich sind in der Lehre und auch die Personalkategorie des Lectures, auch daran muss man denken. Das heißt, wir müssen die Möglichkeiten flexibel nutzen in den Hochschulen, und die Hochschulen müssen auch darüber entscheiden können, welche Studienplätze sie nun einrichten wollen in welchen Fächern. Sie müssen mit ihren Ländern darüber verhandeln, und sie müssen sozusagen angemessen an ihr je eigenes Profil diese Studienplätze einrichten.

König: Wir haben ja gerade die erste Stufe für die Föderalismusreform erlebt. Für die Bildung sind nur noch die Länder zuständig. Nun haben ja die Länder alle nicht wirklich Geld. Läuft das nicht, was das Finanzielle angeht, letztlich immer darauf hinaus, dass Frau Schavan doch mehr wird zahlen müssen?

Wintermantel: Nun, wir haben jetzt mit dem Hochschulpakt ja gleichsam einen ersten Test für nach der Föderalismusreform, und wir sehen ja, dass es doch offensichtlich möglich ist, dass der Bund die Finanzierung des Bildungssystems in den Ländern auch unterstützen kann, und wir hoffen, dass das tatsächlich ein guter Anfang ist.

König: Frau Wintermantel, vielen Dank, und ich wünsche Ihnen eine konstruktive Sitzung!

Wintermantel: Dankeschön!