"Wir brauchen fraglos mehr Lehrer"
Der Deutsche Philologenverband hat errechnet, dass eine Million Unterrichtsstunden in den Schulen ausfallen. Dass mehr Lehrer gebraucht werden, bestätigt auch Prof. Klaus Klemm, Leiter der AG Bildungsforschung an der Uni Essen. Gleichzeitig seien 20.000 Lehrer 2005 nicht eingestellt worden. Gesucht würden vor allem Pädagogen für Mathematik, Physik und Informatik.
Schlesinger: Die Zahl muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Million Unterrichtsstunden pro Woche fallen an Deutschlands Schulen aus. Errechnet hat diese Zahl der Deutsche Philologenverband. Und der Grund: Es gebe zu wenig Lehrer, zurzeit fehlten nämlich 14.000 bis 16.000. Nur folgerichtig erscheint da eine Kampagne der Kultusminister. Unter dem Motto "Ticket in die Zukunft" sollen möglichst viele Abiturienten Lehrer werden. Versprochen wird der sichere Job. Dieses Versprechen fuße auf falschen Annahmen, sagt wiederum Professor Klaus Klemm. Er ist Leiter der Arbeitsgemeinschaft Bildungsforschung/Bildungsplanung an der Universität Essen. Ja, was denn nun, fragt man sich, gibt es denn nun einen dramatischen Lehrermangel oder nicht? Schönen guten Morgen, Herr Klemm!
Klemm: Guten Morgen!
Schlesinger: Herr Klemm, die Zahl von einer Million Unterrichtsstunden, die pro Woche in Deutschland ausfallen, können Sie diese bestätigen?
Klemm: Die kann so keiner bestätigen, weil das gar nicht systematisch erhoben wird. Es gibt immer einmal Stichproben in einzelnen Ländern, in einzelnen Städten, wo Unterrichtsausfall erhoben wird, und der Unterrichtsausfall ist erheblich. Er liegt etwa in der Prozentgröße 4 Prozent der Unterrichtsstunden fallen aus. Das ist das, was an Krankheitsständen, an Ausfällen in jedem Beruf, bei der Automobilindustrie ebenso wie im Hochschulbereich wie in der Stahlindustrie, zu beobachten ist. Wir haben große Ausfälle, das ist gar keine Frage, aber ob es eine Million ist, weiß kein Mensch.
Schlesinger: Wenn Sie jetzt diese Vergleiche heranziehen mit der Arbeitswelt, würden Sie dann sagen, dass diese vier Prozent nicht weiter dramatisch sind oder ist es schon dramatisch?
Klemm: Ja, es ist schon schwierig, vor allen Dingen in kleineren Klassen, wenn dann morgens auf einmal die sechste, siebte Stunde ausfällt oder die fünfte, sechste Stunde ausfällt, und die Kinder müssen nach Hause geschickt werden, da sind aber die Eltern noch nicht, oder was immer da passieren kann. Es ist auch schwierig, wenn zuviel Unterricht in einem Fach ausfällt, dann werden die Leistungen nicht erbracht. Das ist alles schwierig, nur, in der Industrie an einem Fließband, da können Sie einen Springer mehr einstellen, und der springt dann an den Arbeitsplatz, wo die Kollegin oder der Kollege krank ist. In der Schule ist die Frage, ob es pädagogisch sehr wertvoll ist, wenn morgens ein Lehrer wegen Grippe ausfällt, in der Klasse 8b einen Mathematiklehrer zu vertreten, durch irgendeinen anderen Lehrer, der dann rechnerisch den Ausfall vermeidet. Das bringt für die Schüler nicht sehr viel.
Schlesinger: Ja und vielleicht gibt es ja auch gar keinen Springer, denn eine weitere Aussage des Deutschen Philologenverbandes lautet, Deutschland befindet sich in der größten Lehrerversorgungskrise seit 30 Jahren. Was sagen Sie dazu?
Klemm: Man kann auf diesen Sachverhalt – haben wir zu viele oder zu wenig Lehrer – zwei verschiedene Blicke werfen. Der eine Blick ist der der Eltern, der Pädagogen, der Lehrerverbände. Der Blick ist richtig und sinnvoll, die kucken auf die Schule und sehen, was da eigentlich besser sein müsste. Man könnte Lehrer gebrauchen für mehr Vertretungen, man könnte Lehrer gebrauchen für kleine Klassen, man braucht dringend Lehrer für die Ausweitung ganztägiger Unterrichtsstunden. Wenn wir das alles sehen, und ich könnte noch mehr aufzählen, was an den Schulen notwendig ist, dann brauchen wir ganz fraglos mehr Lehrer, dann haben wir einen Lehrermangel an den Schulen. Ob das nun 14.000, oder 20.000 oder 8000 sind, weiß ich nicht. Aber wir haben zu wenig Lehrer, je nach Anspruch mehr oder weniger zu wenig. Dann gibt es aber einen zweiten Blick, der geht darauf, was sind denn die, von den Finanzministern in dieser Frage gesteuert, was sind denn die Kultusminister bereit, einzustellen. Gemessen an dem, was sie einstellen wollen, haben wir, wenn man die zehn Jahre vor sich sieht, in etwa das Lehrerangebot, quantitativ, das wir auch brauchen. Dann haben wir nicht diesen katastrophalen Lehrermangel. Also die Frage ist einfach: Gemessen an dem, was in den Schulen wünschbar ist, haben wir dafür zu wenig Lehrer? Ja, dafür haben wir zu wenig Lehrer. Gemessen an dem, was aktuell die Minister oder die Kabinette oder die Landtage, die ja schließlich die Haushalte entscheiden, was die bereit sind einzustellen - daran gemessen kommen wir so ungefähr hin.
Schlesinger: Sie sagen, wir kommen ungefähr in zehn Jahren hin, dass es dann keinen Lehrermangel gibt, wenn ich Sie richtig verstanden habe?
Klemm: Ja, im letzten Jahr sind in Deutschland etwa 20.000 ausgebildete Lehrer nicht eingestellt worden, deshalb stimmen diese globalen Zahlen nicht. In diesen 20.000 sind überwiegend Lehrer von bestimmten Schulstufen, bestimmten Schulformen, bestimmten Unterrichtsfächern, die nicht gebraucht werden, während zugleich andere Fächer fehlen. Ich mache es einmal klar an einem Beispiel: Der Sozialwissenschaftslehrer oder der Geschichtslehrer mit dem zweiten Fach Germanistik oder mit dem zweiten Fach Englisch am Gymnasium hatte in den letzten Jahren große Schwierigkeiten, in Schulen zu kommen, wurde nicht eingestellt vielfach, während zugleich der gewünschte Mathematik-, Physiklehrer nicht gefunden wurde, und deshalb nicht eingestellt wurde. Also wir haben global in etwa immer noch eine ausgeglichene Bilanz, nur leider mit großen Ungleichgewichten, was die fachliche Seite angeht.
Schlesinger: Und vielleicht dröseln wir es noch ein wenig mehr auf, was die verschiedenen Schultypen anbelangt: Gymnasium, Real-, Haupt-, Berufsschule. Laut Philologenverband fehlen Lehrer vor allem an Haupt- und Berufsschulen. Und Sie sagen eben auch noch, es hängt immer wieder von den Unterrichtsfächern ab. Wo und an wem fehlt es Ihrer Meinung nach?
Klemm: Also wenn man es für alle 16 Bundesländer pauschal sagt, dann wird es sehr schwierig, weil das generell in den neuen Bundesländern, aufgrund des Geburtenrückgangs dort, anders aussieht, als in den alten Bundesländern. Und auch in den alten Bundesländern haben wir Ungleichgewichte unterschiedlicher Art. Wenn man jetzt trotzdem einmal in einer Vereinfachung sagt, dann können wir sagen: Wir haben in den Bereichen Haupt-, abgeschwächt Realschule, und wir haben im Bereich berufsbildende Schulen die größte Mangelsituation, zum Teil über alle Fächer hinweg. Und wir haben im Bereich Grundschule eher perspektivisch ein Überangebot, zum Teil auch jetzt schon. Und wir haben in dem Bereich Gymnasium ein sehr starkes Überangebot. Aber in dem Gymnasium ist das Überangebot wiederum nur über die Gesamtzahl gesehen so. Da haben wir dann Mangelsituationen in harten Naturwissenschaften, in Mathematik, aber nicht in Biologie, aber in Physik etwa oder Informatik. Und wir haben Überschusssituationen in zum Beispiel Deutsch, Geschichte.
Schlesinger: Sie hören das Radiofeuilleton auf Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Professor Klaus Klemm. Er leitet an der Universität Essen die Arbeitsgemeinschaft Bildungsforschung/Bildungsplanung. Herr Klemm, wenn es also wieder einmal diese Diskrepanz gibt zwischen verschiedenen Schulformen, der Haupt-, der Realschule, des Gymnasiums, schreit das nicht geradezu nach mehr Gesamtschulen? Das war ja auch eine der Lehren aus dem ersten großen PISA-Schock.
Klemm: Also, ich tue mich schwer, jetzt die Frage nach der Lehrerversorgung mit der Schulstrukturdebatte zu verknüpfen. In der Tat hätten wir weniger Ungleichgewichte, nämlich die Ungleichgewichte zwischen den Schulformen. Wir hätten weniger Ungleichgewichte, wenn wir nicht die verschiedenen Schulformen hätten, mit den sehr unterschiedlichen Bedarfsentwicklungen. Aber da dürfen wir uns nichts vormachen. Ich persönlich bin ein Anhänger einer gemeinsamen Schule für alle, gar keine Frage, aber wir dürfen uns nicht vormachen das Problem, dass wir die großen Ungleichgewichte zwischen den Fachdisziplinen haben, das hätten wir auch in einer wie immer gearteten anderen Schulstruktur. Ich will jetzt nicht jedes Argument für die Gesamtschule heranziehen. Das Hauptproblem ist doch dies, es gibt Fächer, für die die Studenten, die sich dafür interessieren auf dem Arbeitsmarkt wenig Alternativen haben, und es gibt Fächer, wie Physik, wie Mathematik, wie Informatik. Wer sich für diese Fächer interessiert und sich in diesen Fächern etwas zutraut, und das auf gymnasialem Niveau studieren will, der kann wählen zwischen vielen anderen attraktiven Berufsrichtungen im Ingenieurbereich, im Informatikbereich, und da haben wir eben mit Situationen, dass die Studenten sagen den sehr harten Job des Lehrers, den sehr anstrengenden Job des Lehrers, alle sagen, das ist bequem, aber wenn das jemand machen soll, will er es nicht, weil es zu anstrengend ist. Diesen Job, den ziehe ich nicht vor, da werde ich lieber Ingenieur, da werde ich lieber Informatikspezialist und so weiter.
Schlesinger: Und dadurch kommt es dann eben zu diesem Mangel an zum Beispiel Mathematik- und Physiklehrern.
Klemm: Und dann gibt es einen zweiten Grund, der generell diesen, aber auch andere Mangelsituationen, wenn sie auftreten, erklärt: Die Studienanfänger orientieren sich immer an der aktuellen Bedarfslage, nicht an der Bedarfslage, die in acht, neun Jahren ist. Deshalb bin ich auch so ein bisschen vorsichtig und bin auch so ein bisschen besorgt, wenn ich solche Äußerungen, wie die vom Philologenverband vom Sonntag höre. Das kommt bei den Abiturienten, die jetzt in diesen Tagen ihre Studienentscheidung getroffen haben oder treffen werden, so an, dass sie sagen: Aha, Lehrer ist ein Traumjob, Lehrer wird gebraucht, da bin ich auf der sicheren Seite! Und dann studieren sie überwiegend Grundschullehramt oder Gymnasium mit den geisteswissenschaftlichen Fächern, dann haben wir da wieder den Überschuss, der noch größer wird in acht, neun Jahren.
Schlesinger: Nun haben wir so viel über die Zukunft geredet, der Unterricht fällt aber jetzt massenweise aus. Die Rede war von diesem Schuljahr. Wie kann man überhaupt kurzfristig reagieren?
Klemm: Ich sage jetzt etwas, was vielleicht verblüffend klingt und auch ein bisschen irre: Wenn Sie 100 neue Lehrer einstellen und wenn vier Prozent des Unterrichts ausfällt, dann vermehren diese 100 neuen Lehrer den Unterrichtsausfall um vier Lehrerstellen. Jeder Lehrer ist zu vier Prozent krank im Schnitt, also werden zusätzliche Einstellungen den Unterrichtsausfall erhöhen, weil diese Lehrer auch krank werden. Es sei denn, man organisiert die Lehrerarbeit anders, nicht über dieses starre Stundenschema mit den 24 Stunden oder 28 Stunden, die ein Lehrer unterrichten muss. Man braucht andere Arbeitszeitmodelle, in denen die Lehrer flexibler bei mittel- und langfristigen Vertretungen mehr arbeiten können, was ihnen dann an anderen Stellen im nächsten Jahr oder im nächsten Halbjahr zurückgegeben wird. Solange wir einfach sagen, ein Lehrer hat 28 Stunden in der Grundschule oder 28,5 Stunden in der Woche zu unterrichten, in denen setzen wir ihn ein, und wenn wir einen zusätzlichen Lehrer einstellen und geben dem auch 28,5 Stunden, ändert man am Unterrichtsausfall überhaupt nichts.
Schlesinger: Die Meinung von Professor Klaus Klemm, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Bildungsforschung/Bildungsplanung an der Universität Essen.
Klemm: Guten Morgen!
Schlesinger: Herr Klemm, die Zahl von einer Million Unterrichtsstunden, die pro Woche in Deutschland ausfallen, können Sie diese bestätigen?
Klemm: Die kann so keiner bestätigen, weil das gar nicht systematisch erhoben wird. Es gibt immer einmal Stichproben in einzelnen Ländern, in einzelnen Städten, wo Unterrichtsausfall erhoben wird, und der Unterrichtsausfall ist erheblich. Er liegt etwa in der Prozentgröße 4 Prozent der Unterrichtsstunden fallen aus. Das ist das, was an Krankheitsständen, an Ausfällen in jedem Beruf, bei der Automobilindustrie ebenso wie im Hochschulbereich wie in der Stahlindustrie, zu beobachten ist. Wir haben große Ausfälle, das ist gar keine Frage, aber ob es eine Million ist, weiß kein Mensch.
Schlesinger: Wenn Sie jetzt diese Vergleiche heranziehen mit der Arbeitswelt, würden Sie dann sagen, dass diese vier Prozent nicht weiter dramatisch sind oder ist es schon dramatisch?
Klemm: Ja, es ist schon schwierig, vor allen Dingen in kleineren Klassen, wenn dann morgens auf einmal die sechste, siebte Stunde ausfällt oder die fünfte, sechste Stunde ausfällt, und die Kinder müssen nach Hause geschickt werden, da sind aber die Eltern noch nicht, oder was immer da passieren kann. Es ist auch schwierig, wenn zuviel Unterricht in einem Fach ausfällt, dann werden die Leistungen nicht erbracht. Das ist alles schwierig, nur, in der Industrie an einem Fließband, da können Sie einen Springer mehr einstellen, und der springt dann an den Arbeitsplatz, wo die Kollegin oder der Kollege krank ist. In der Schule ist die Frage, ob es pädagogisch sehr wertvoll ist, wenn morgens ein Lehrer wegen Grippe ausfällt, in der Klasse 8b einen Mathematiklehrer zu vertreten, durch irgendeinen anderen Lehrer, der dann rechnerisch den Ausfall vermeidet. Das bringt für die Schüler nicht sehr viel.
Schlesinger: Ja und vielleicht gibt es ja auch gar keinen Springer, denn eine weitere Aussage des Deutschen Philologenverbandes lautet, Deutschland befindet sich in der größten Lehrerversorgungskrise seit 30 Jahren. Was sagen Sie dazu?
Klemm: Man kann auf diesen Sachverhalt – haben wir zu viele oder zu wenig Lehrer – zwei verschiedene Blicke werfen. Der eine Blick ist der der Eltern, der Pädagogen, der Lehrerverbände. Der Blick ist richtig und sinnvoll, die kucken auf die Schule und sehen, was da eigentlich besser sein müsste. Man könnte Lehrer gebrauchen für mehr Vertretungen, man könnte Lehrer gebrauchen für kleine Klassen, man braucht dringend Lehrer für die Ausweitung ganztägiger Unterrichtsstunden. Wenn wir das alles sehen, und ich könnte noch mehr aufzählen, was an den Schulen notwendig ist, dann brauchen wir ganz fraglos mehr Lehrer, dann haben wir einen Lehrermangel an den Schulen. Ob das nun 14.000, oder 20.000 oder 8000 sind, weiß ich nicht. Aber wir haben zu wenig Lehrer, je nach Anspruch mehr oder weniger zu wenig. Dann gibt es aber einen zweiten Blick, der geht darauf, was sind denn die, von den Finanzministern in dieser Frage gesteuert, was sind denn die Kultusminister bereit, einzustellen. Gemessen an dem, was sie einstellen wollen, haben wir, wenn man die zehn Jahre vor sich sieht, in etwa das Lehrerangebot, quantitativ, das wir auch brauchen. Dann haben wir nicht diesen katastrophalen Lehrermangel. Also die Frage ist einfach: Gemessen an dem, was in den Schulen wünschbar ist, haben wir dafür zu wenig Lehrer? Ja, dafür haben wir zu wenig Lehrer. Gemessen an dem, was aktuell die Minister oder die Kabinette oder die Landtage, die ja schließlich die Haushalte entscheiden, was die bereit sind einzustellen - daran gemessen kommen wir so ungefähr hin.
Schlesinger: Sie sagen, wir kommen ungefähr in zehn Jahren hin, dass es dann keinen Lehrermangel gibt, wenn ich Sie richtig verstanden habe?
Klemm: Ja, im letzten Jahr sind in Deutschland etwa 20.000 ausgebildete Lehrer nicht eingestellt worden, deshalb stimmen diese globalen Zahlen nicht. In diesen 20.000 sind überwiegend Lehrer von bestimmten Schulstufen, bestimmten Schulformen, bestimmten Unterrichtsfächern, die nicht gebraucht werden, während zugleich andere Fächer fehlen. Ich mache es einmal klar an einem Beispiel: Der Sozialwissenschaftslehrer oder der Geschichtslehrer mit dem zweiten Fach Germanistik oder mit dem zweiten Fach Englisch am Gymnasium hatte in den letzten Jahren große Schwierigkeiten, in Schulen zu kommen, wurde nicht eingestellt vielfach, während zugleich der gewünschte Mathematik-, Physiklehrer nicht gefunden wurde, und deshalb nicht eingestellt wurde. Also wir haben global in etwa immer noch eine ausgeglichene Bilanz, nur leider mit großen Ungleichgewichten, was die fachliche Seite angeht.
Schlesinger: Und vielleicht dröseln wir es noch ein wenig mehr auf, was die verschiedenen Schultypen anbelangt: Gymnasium, Real-, Haupt-, Berufsschule. Laut Philologenverband fehlen Lehrer vor allem an Haupt- und Berufsschulen. Und Sie sagen eben auch noch, es hängt immer wieder von den Unterrichtsfächern ab. Wo und an wem fehlt es Ihrer Meinung nach?
Klemm: Also wenn man es für alle 16 Bundesländer pauschal sagt, dann wird es sehr schwierig, weil das generell in den neuen Bundesländern, aufgrund des Geburtenrückgangs dort, anders aussieht, als in den alten Bundesländern. Und auch in den alten Bundesländern haben wir Ungleichgewichte unterschiedlicher Art. Wenn man jetzt trotzdem einmal in einer Vereinfachung sagt, dann können wir sagen: Wir haben in den Bereichen Haupt-, abgeschwächt Realschule, und wir haben im Bereich berufsbildende Schulen die größte Mangelsituation, zum Teil über alle Fächer hinweg. Und wir haben im Bereich Grundschule eher perspektivisch ein Überangebot, zum Teil auch jetzt schon. Und wir haben in dem Bereich Gymnasium ein sehr starkes Überangebot. Aber in dem Gymnasium ist das Überangebot wiederum nur über die Gesamtzahl gesehen so. Da haben wir dann Mangelsituationen in harten Naturwissenschaften, in Mathematik, aber nicht in Biologie, aber in Physik etwa oder Informatik. Und wir haben Überschusssituationen in zum Beispiel Deutsch, Geschichte.
Schlesinger: Sie hören das Radiofeuilleton auf Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Professor Klaus Klemm. Er leitet an der Universität Essen die Arbeitsgemeinschaft Bildungsforschung/Bildungsplanung. Herr Klemm, wenn es also wieder einmal diese Diskrepanz gibt zwischen verschiedenen Schulformen, der Haupt-, der Realschule, des Gymnasiums, schreit das nicht geradezu nach mehr Gesamtschulen? Das war ja auch eine der Lehren aus dem ersten großen PISA-Schock.
Klemm: Also, ich tue mich schwer, jetzt die Frage nach der Lehrerversorgung mit der Schulstrukturdebatte zu verknüpfen. In der Tat hätten wir weniger Ungleichgewichte, nämlich die Ungleichgewichte zwischen den Schulformen. Wir hätten weniger Ungleichgewichte, wenn wir nicht die verschiedenen Schulformen hätten, mit den sehr unterschiedlichen Bedarfsentwicklungen. Aber da dürfen wir uns nichts vormachen. Ich persönlich bin ein Anhänger einer gemeinsamen Schule für alle, gar keine Frage, aber wir dürfen uns nicht vormachen das Problem, dass wir die großen Ungleichgewichte zwischen den Fachdisziplinen haben, das hätten wir auch in einer wie immer gearteten anderen Schulstruktur. Ich will jetzt nicht jedes Argument für die Gesamtschule heranziehen. Das Hauptproblem ist doch dies, es gibt Fächer, für die die Studenten, die sich dafür interessieren auf dem Arbeitsmarkt wenig Alternativen haben, und es gibt Fächer, wie Physik, wie Mathematik, wie Informatik. Wer sich für diese Fächer interessiert und sich in diesen Fächern etwas zutraut, und das auf gymnasialem Niveau studieren will, der kann wählen zwischen vielen anderen attraktiven Berufsrichtungen im Ingenieurbereich, im Informatikbereich, und da haben wir eben mit Situationen, dass die Studenten sagen den sehr harten Job des Lehrers, den sehr anstrengenden Job des Lehrers, alle sagen, das ist bequem, aber wenn das jemand machen soll, will er es nicht, weil es zu anstrengend ist. Diesen Job, den ziehe ich nicht vor, da werde ich lieber Ingenieur, da werde ich lieber Informatikspezialist und so weiter.
Schlesinger: Und dadurch kommt es dann eben zu diesem Mangel an zum Beispiel Mathematik- und Physiklehrern.
Klemm: Und dann gibt es einen zweiten Grund, der generell diesen, aber auch andere Mangelsituationen, wenn sie auftreten, erklärt: Die Studienanfänger orientieren sich immer an der aktuellen Bedarfslage, nicht an der Bedarfslage, die in acht, neun Jahren ist. Deshalb bin ich auch so ein bisschen vorsichtig und bin auch so ein bisschen besorgt, wenn ich solche Äußerungen, wie die vom Philologenverband vom Sonntag höre. Das kommt bei den Abiturienten, die jetzt in diesen Tagen ihre Studienentscheidung getroffen haben oder treffen werden, so an, dass sie sagen: Aha, Lehrer ist ein Traumjob, Lehrer wird gebraucht, da bin ich auf der sicheren Seite! Und dann studieren sie überwiegend Grundschullehramt oder Gymnasium mit den geisteswissenschaftlichen Fächern, dann haben wir da wieder den Überschuss, der noch größer wird in acht, neun Jahren.
Schlesinger: Nun haben wir so viel über die Zukunft geredet, der Unterricht fällt aber jetzt massenweise aus. Die Rede war von diesem Schuljahr. Wie kann man überhaupt kurzfristig reagieren?
Klemm: Ich sage jetzt etwas, was vielleicht verblüffend klingt und auch ein bisschen irre: Wenn Sie 100 neue Lehrer einstellen und wenn vier Prozent des Unterrichts ausfällt, dann vermehren diese 100 neuen Lehrer den Unterrichtsausfall um vier Lehrerstellen. Jeder Lehrer ist zu vier Prozent krank im Schnitt, also werden zusätzliche Einstellungen den Unterrichtsausfall erhöhen, weil diese Lehrer auch krank werden. Es sei denn, man organisiert die Lehrerarbeit anders, nicht über dieses starre Stundenschema mit den 24 Stunden oder 28 Stunden, die ein Lehrer unterrichten muss. Man braucht andere Arbeitszeitmodelle, in denen die Lehrer flexibler bei mittel- und langfristigen Vertretungen mehr arbeiten können, was ihnen dann an anderen Stellen im nächsten Jahr oder im nächsten Halbjahr zurückgegeben wird. Solange wir einfach sagen, ein Lehrer hat 28 Stunden in der Grundschule oder 28,5 Stunden in der Woche zu unterrichten, in denen setzen wir ihn ein, und wenn wir einen zusätzlichen Lehrer einstellen und geben dem auch 28,5 Stunden, ändert man am Unterrichtsausfall überhaupt nichts.
Schlesinger: Die Meinung von Professor Klaus Klemm, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Bildungsforschung/Bildungsplanung an der Universität Essen.