"Wir baden etwas aus, was aus längst vergangen Zeiten stammt“
Angesichts der gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüche und Herausforderungen gelten die Deutschen als zukunftsängstlich und reformscheu. Bereits in den 80er Jahren war daher von der "German Angst" die Rede. Die Journalistin Sabine Bode ging in ihrem Buch "Die deutsche Krankheit" den Ursachen dafür auf den Grund. Ihre These: Die unsichtbaren Nachwirkungen der Nazi-Zeit und des Zweiten Weltkrieges lösen die "German Angst" aus.
Jürgen König: Warum erwarten wir Deutsche stets das Schlimmste? Sind wir auf Katastrophen geprägt? Kann es sein, dass die Hauptursachen für "German Angst", für Schwarzmalerei und Mutlosigkeit in einer Zeit zu suchen sind, die schon über 60 Jahre zurückliegt? Sind es die unsichtbaren Nachwirkungen von Scham, Kriegsgewalt und Leid, die unsere Gesellschaft massiv verunsichern, nun da die Wohlstandsdecke Löcher aufweist? Diese Fragen kamen der Journalistin Sabine Bode vor drei Jahren, sie stellt sie gleich im Vorwort ihres Buches, die deutsche Krankheit, "German Angst", dieses Buch erscheint heute. Guten Morgen Frau Bode!
Sabine Bode: Schönen guten Morgen Herr König!
König: Wie würden Sie die Antwort auf diese Fragen bündig zusammenfassen?
Bode: Also ich gehe davon aus, dass wir in dieser Mutlosigkeit und Schwarzmalerei etwas ausbaden, was in der Tat vor 60 Jahren faktisch zu Ende gegangen ist. Also es sind Auswirkungen noch aus der Kriegszeit und es sind Auswirkungen aus der NS-Zeit.
König: Sie haben für das Buch drei Jahre lang recherchiert. Sie haben mit Menschen gesprochen, die diese letzten 60 Jahre miterlebt haben. Mit Politikern wie Norbert Blüm, Hans Koschnick oder Jürgen Schmude oder auch dem früheren US-Botschafter in Deutschland John Kornblum. Wie ein Mosaik schreiben Sie, entstand ein Deutschlandbild, dessen Anfänge Sie so beschreiben, "Ich wurde in eine Welt hineingeboren, die im Rückblick deutliche Spuren von Verstörung und Zerstörung zeigte, auch im Verhalten vieler Erwachsener, die man heute als gebrochene Charaktere bezeichnen würde. Ein verlässlich selbstbewusster oder gar lebensfroher Lehrer war eine Rarität." Wie konnte es sein, dass gebrochene Charaktere so lange Wirkung zeitigen konnten?
Bode: Ja heute weiß man immer mehr als früher und man weiß es unter anderem deshalb, weil wir heute sehr viel mehr über die Trauma-Forschung und deren Ergebnisse wissen. Wir wissen einfach, dass sehr viele Dinge, sehr viele Schwierigkeiten, unverarbeitete Probleme und Erlebnisse vor allen Dingen, dass die doch an nächste Generationen weitergereicht werden. Das ist ja richtig, dass bei uns immer wieder dieses Schweigen beklagt worden ist, also über diese Zeit ist halt in den meisten Familien nur sehr ungern geredet worden. Man hat sich ein paar Anekdoten zurechtgelegt und das war es dann in den meisten Fällen. Also was man eine lebendige Erzähltradition in Familien nennt, die man auch zum Beispiel im amerikanischen Roman immer wieder findet, über drei, vier Generationen, diese Erzähltradition ist bei uns 1945 schlagartig abgebrochen.
König: Was ist denn mit diesem viel zitierten Wir-sind-wieder-wer-Gefühl der 50er Jahre oder auch mit dem großen Bruch der 68er, die große Auseinandersetzung, manche sagen auch die Abrechnung der Nachkriegsgeneration mit ihren Eltern. Das könnte man auch als Befreiung sehen. Was ist mit diesen beiden Einschnitten Mitte der 50er, Ende der 60er Jahre?
Bode: Naja, also der Schriftsteller Dieter Wellershoff, mit dem ich auch gesprochen habe, der nennt das Wirtschaftswunder das große Antidepressiva, also solange es immer aufwärts ging, solange die Mauern immer höher wurden, hatten wir ein großes Sicherheitsgefühl. Es befriedigte unser extremes existenzielles Sicherheitsbedürfnis und ich bin halt irgendwann drauf gekommen, dass dieser Sozialstaat, der extrem kostspielig ist und in der DDR war es dann eben diese Staatsfürsorge, dass die sozusagen noch mit anderen Dingen aufgeladen ist, mit Versprechen. Also nie wieder Angst, nie wieder Angst vor Verelendung, nie wieder ohne Dach über dem Kopf, nie wieder Krieg vor allen Dingen. Also all das, was untergründig beunruhigte, wurde damit ruhig gestellt und das hat sehr gut funktioniert.
König: Also ist verstehe richtig, DDR-Versorgungsstaat und auf der anderen Seite bundesrepublikanischer Sozialstaat sozusagen als Schutzwall gegen die alten unbewussten Ängste?
Bode: Richtig, richtig und ich denke, da hat diese Generation der Kriegskinder eine Schlüsselrolle. Damit meine ich ungefähr die Jahrgänge von 1930 bis 1945. Denen war eigentlich erst bis vor kurzem nicht bewusst, was sie wirklich Schlimmes erlebt haben. Also sie haben es gefühlsmäßig nicht gewusst, sie haben es immer beiläufig erwähnt, vor allen Dingen die in den 30er Geborenen. Aber sie haben nicht daraus Schlüsse gezogen. Sie haben nicht gesagt, das steuert uns. Sie haben nicht gesagt, das ist das zentrale Erlebnis unseres Lebens. Ganz anders die Soldatengeneration. Die wussten ganz genau, was sie geprägt hat und sie wussten ganz genau, welche Schlüsse sie daraus gezogen haben. Deshalb war die Politik damals, auch das muss man im Rückblick sagen, klarer.
König: Dieser Ausdruck "German Angst" kam in den 80er Jahren auf. Diese 80er Jahre, Friedensbewegung, Proteste gegen Nachrüstung, der Kampf so vieler gegen den Bau von Atomkraft werken. Muss das unbedingt, wie es damals geschehen ist, als ängstliche Technikfeindlichkeit gesehen werden? Könnte das nicht auch einfach ein anderer Politikentwurf gewesen sein, mutig vorangebracht von jungen Leuten, die eine Partei gründeten, immerhin, die heute fest verankert ist in unserem Staat?
Bode: Ja, da teile ich Ihre Ansicht, nur: Der Begriff blieb. Er könnte ja irgendwann mal fallengelassen werden. Er ist aber in den angelsächsischen Ländern als geflügeltes Wort geblieben und es ist dann in der Mitte der 90er Jahre ungefähr auch in Deutschland übernommen worden so als Begriff, mit dem man so die kollektive Gefühlslage beschreibt. Wolfgang Thierse sagt dann, von "German Angst" spricht man im Ausland mit Blick auf unsere kollektive Gefühlslage. Aber Angst wovor? Also im Gegenteil, es ist ja immer stärker geworden. Also wenn es nur das ist, dass man sagt, also wir sind die Vernünftigeren, wenn man sagt, dass es darum geht, Risiken abzuschätzen mit neuen Technologien, dann wäre das irgendwann eingeschlafen.
König: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit der Journalistin Sabine Bode über ihr Buch " Die Deutsche Krankheit, German Angst", das heute erscheint. Frau Bode Sie schreiben, "Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass der deutschen Mutlosigkeit unbewusste, sehr vagabundierende Ängste zugrunde liegen, die aus noch unverarbeiteten Kriegserlebnissen stammen und an die folgenden Generationen weitergegeben wurden." Das haben Sie ja auch eben schon so ausgeführt. "Aus noch unverarbeiteten Kriegserlebnissen", als ich das gelesen habe, habe ich mich gefragt, hat sich je ein Volk intensiver mit der eigenen Geschichte, mit der eigenen Verantwortung beschäftigt?
Bode: Also ich glaube nicht, dass es das jemals vorher schon einmal gegeben hat. Das ist völlig richtig, nur was wir wahrscheinlich nicht getan haben ist, dass wir das ganze emotional verarbeitet haben und darum geht es. Also Sie kennen doch noch aus den 60er Jahren den Begriff der Unfähigkeit zu Trauern. Das Ehepaar Mitscherlich hat damals diesen Bestseller geschrieben. Das ist ja völlig richtig, aber daraus sind nie wirklich Erkenntniskonsequenzen gezogen worden. Das wurde zum Schlagwort. "Ach, wir Deutschen können nicht trauen, na unser Pech, reden wir nicht mehr drüber". Was sind aber die Auswirkungen, wenn man nicht trauert? Die Auswirkungen, das kennt jeder aus individuellem Erleben, wenn er einen schweren Verlust erlitten hat, wenn diese Trauerphase nicht eintritt, dann hat man keine wirkliche Kraft für einen Neubeginn. Und in Deutschland, das ist meine These, haben wir das kompensiert mit Wohlstand.
König: Und jetzt, da der Wohlstand nicht mehr so ungehindert möglich ist, in einer globalisierten Welt, wird das gute Leben von früher hüben wie drüben einem zum Hindernis.
Bode: Ja, zumindest tun wir uns unendlich schwer mit diesen Wohlstandsverlusten angemessen und vernünftig umzugehen.
König: Sie haben ja auch Kritiker. Sie zitieren sie auch. Das finde ich sehr schön. Im Buch sagte Juli Zeh, "German Angst" als Altlast des Krieges das könne gar nicht sein, das sei so lange her, die Gesellschaft hätte sehr viele verschiedene Stadien durchgemacht und immer daraus gelernt. Klingt doch vernünftig.
Bode: Ich kann es nur wiederholen. Es wird ja nicht besser, also wir haben jetzt ja wahrscheinlich alle gedacht, jetzt mit der großen Koalition wird die Stimmung wirklich besser und es wird vor allen Dingen konstruktiver Politik gemacht, aber Sie sehen, die Blockaden gehen weiter.
König: War der neue Patriotismus der letzten Monate nicht ein gutes Zeichen, so in Ihrem Sinne für ein Land auf dem richtigen Weg zu mehr Selbstbewusstsein?
Bode: Also wenn wir davon nur 20 Prozent rüber retten, sähe es bei uns in Zukunft sehr viel besser aus. Ich hoffe, dass das passiert. Ich befürchte, es wird nicht passieren, ohne dass ich jetzt hier in die Schwarzmalerei verfalle.
König: Sie sind jetzt in der Pflicht Frau Bode.
Bode: Nein, ich hoffe es wirklich nur. Es ist natürlich sehr viel einfacher zusammenzuhalten, wenn es um ein schönes Sportereignis geht, als Zusammenzuhalten wenn es darum geht, wirklich die Altlasten von 20 Jahren aufzuarbeiten.
König: Was soll, was kann wer uns jetzt zuhört denn konkret tun, um beizutragen zum Abbau der "German Angst".
Bode: Also ich glaube, es ist etwas sehr Schlichtes. Wir sollten endlich anfangen, uns gegenseitig unsere Familiengeschichten zu erzählen. Die Geschichten der Eltern und Großeltern. Wir sollten auch recherchieren noch, wo das möglich ist. Das kann man teilweise heute sehr viel besser als vor 20 Jahren, weil Archive offen sind. Man sollte es ruhig tun, unaufgeregt. Es geht nicht darum, sich jetzt noch mal den Schrecken ins Haus zu holen, sondern es geht einzig und allein darum, zu wissen, was sind meine Wurzeln, wo komme ich her? Was habe ich übernommen? Was kann ich jetzt endlich loswerden? Und schauen Sie, wir sind doch jetzt wirklich in einer Zeit, in der man, warum denn nicht, offen drüber reden kann. Es ist doch wirklich niemand Schuld. Wir baden doch wirklich etwas aus, was aus längst vergangen Zeiten noch stammt.
König: Aber wie schwer es ist, sich über die Vergangenheit zu unterhalten, erleben wir gerade jetzt in Weimar oder der Streit um die Vertriebenenausstellung. Das sind ja alles schon noch sehr verminte Gelände, auf denen wir uns da bewegen.
Bode: Ja aber das müssen sie nicht sein. Wenn wirklich so eine gewisse Neugier entstehen könnte noch mal auf die eigene Familiengeschichte, im Austausch mit anderen. Ich denke, es ist was ganz anderes, wenn man mit Scham dahinguckt, als wenn man sagt, jetzt will ich es doch mal wissen oder ich will mit meinen Freunden darüber reden. Also wirklich analog dazu wie diese Generation der Kriegskinder vor zwei Jahren oder vor einem Jahr angefangen hat herauszufinden, ja was hat mich denn tatsächlich geprägt? Was war denn damals genau und man trifft sich wirklich noch einmal auf den Schulfesten, auf den alten Klassenfesten wird jetzt über ganz anderes geredet. Auf Familienfesten wird etwas anderes geredet. In der Kur wird drüber geredet. Das ist doch alles ein heilsamer Prozess.
König: Dann möge es so weiter gehen. "Das Vergangene ist nicht tot, es ist noch nicht einmal vergangen." Auch dieses Zitat von William Faulkner bringt Sabine Bode in ihrem buch. Die "Deutsche Krankheit, German Angst" erschienen ist es bei Klett-Cotta, hat 287 Seiten, kostet 19,50 Euro. Frau Bode vielen Dank!
Sabine Bode: Schönen guten Morgen Herr König!
König: Wie würden Sie die Antwort auf diese Fragen bündig zusammenfassen?
Bode: Also ich gehe davon aus, dass wir in dieser Mutlosigkeit und Schwarzmalerei etwas ausbaden, was in der Tat vor 60 Jahren faktisch zu Ende gegangen ist. Also es sind Auswirkungen noch aus der Kriegszeit und es sind Auswirkungen aus der NS-Zeit.
König: Sie haben für das Buch drei Jahre lang recherchiert. Sie haben mit Menschen gesprochen, die diese letzten 60 Jahre miterlebt haben. Mit Politikern wie Norbert Blüm, Hans Koschnick oder Jürgen Schmude oder auch dem früheren US-Botschafter in Deutschland John Kornblum. Wie ein Mosaik schreiben Sie, entstand ein Deutschlandbild, dessen Anfänge Sie so beschreiben, "Ich wurde in eine Welt hineingeboren, die im Rückblick deutliche Spuren von Verstörung und Zerstörung zeigte, auch im Verhalten vieler Erwachsener, die man heute als gebrochene Charaktere bezeichnen würde. Ein verlässlich selbstbewusster oder gar lebensfroher Lehrer war eine Rarität." Wie konnte es sein, dass gebrochene Charaktere so lange Wirkung zeitigen konnten?
Bode: Ja heute weiß man immer mehr als früher und man weiß es unter anderem deshalb, weil wir heute sehr viel mehr über die Trauma-Forschung und deren Ergebnisse wissen. Wir wissen einfach, dass sehr viele Dinge, sehr viele Schwierigkeiten, unverarbeitete Probleme und Erlebnisse vor allen Dingen, dass die doch an nächste Generationen weitergereicht werden. Das ist ja richtig, dass bei uns immer wieder dieses Schweigen beklagt worden ist, also über diese Zeit ist halt in den meisten Familien nur sehr ungern geredet worden. Man hat sich ein paar Anekdoten zurechtgelegt und das war es dann in den meisten Fällen. Also was man eine lebendige Erzähltradition in Familien nennt, die man auch zum Beispiel im amerikanischen Roman immer wieder findet, über drei, vier Generationen, diese Erzähltradition ist bei uns 1945 schlagartig abgebrochen.
König: Was ist denn mit diesem viel zitierten Wir-sind-wieder-wer-Gefühl der 50er Jahre oder auch mit dem großen Bruch der 68er, die große Auseinandersetzung, manche sagen auch die Abrechnung der Nachkriegsgeneration mit ihren Eltern. Das könnte man auch als Befreiung sehen. Was ist mit diesen beiden Einschnitten Mitte der 50er, Ende der 60er Jahre?
Bode: Naja, also der Schriftsteller Dieter Wellershoff, mit dem ich auch gesprochen habe, der nennt das Wirtschaftswunder das große Antidepressiva, also solange es immer aufwärts ging, solange die Mauern immer höher wurden, hatten wir ein großes Sicherheitsgefühl. Es befriedigte unser extremes existenzielles Sicherheitsbedürfnis und ich bin halt irgendwann drauf gekommen, dass dieser Sozialstaat, der extrem kostspielig ist und in der DDR war es dann eben diese Staatsfürsorge, dass die sozusagen noch mit anderen Dingen aufgeladen ist, mit Versprechen. Also nie wieder Angst, nie wieder Angst vor Verelendung, nie wieder ohne Dach über dem Kopf, nie wieder Krieg vor allen Dingen. Also all das, was untergründig beunruhigte, wurde damit ruhig gestellt und das hat sehr gut funktioniert.
König: Also ist verstehe richtig, DDR-Versorgungsstaat und auf der anderen Seite bundesrepublikanischer Sozialstaat sozusagen als Schutzwall gegen die alten unbewussten Ängste?
Bode: Richtig, richtig und ich denke, da hat diese Generation der Kriegskinder eine Schlüsselrolle. Damit meine ich ungefähr die Jahrgänge von 1930 bis 1945. Denen war eigentlich erst bis vor kurzem nicht bewusst, was sie wirklich Schlimmes erlebt haben. Also sie haben es gefühlsmäßig nicht gewusst, sie haben es immer beiläufig erwähnt, vor allen Dingen die in den 30er Geborenen. Aber sie haben nicht daraus Schlüsse gezogen. Sie haben nicht gesagt, das steuert uns. Sie haben nicht gesagt, das ist das zentrale Erlebnis unseres Lebens. Ganz anders die Soldatengeneration. Die wussten ganz genau, was sie geprägt hat und sie wussten ganz genau, welche Schlüsse sie daraus gezogen haben. Deshalb war die Politik damals, auch das muss man im Rückblick sagen, klarer.
König: Dieser Ausdruck "German Angst" kam in den 80er Jahren auf. Diese 80er Jahre, Friedensbewegung, Proteste gegen Nachrüstung, der Kampf so vieler gegen den Bau von Atomkraft werken. Muss das unbedingt, wie es damals geschehen ist, als ängstliche Technikfeindlichkeit gesehen werden? Könnte das nicht auch einfach ein anderer Politikentwurf gewesen sein, mutig vorangebracht von jungen Leuten, die eine Partei gründeten, immerhin, die heute fest verankert ist in unserem Staat?
Bode: Ja, da teile ich Ihre Ansicht, nur: Der Begriff blieb. Er könnte ja irgendwann mal fallengelassen werden. Er ist aber in den angelsächsischen Ländern als geflügeltes Wort geblieben und es ist dann in der Mitte der 90er Jahre ungefähr auch in Deutschland übernommen worden so als Begriff, mit dem man so die kollektive Gefühlslage beschreibt. Wolfgang Thierse sagt dann, von "German Angst" spricht man im Ausland mit Blick auf unsere kollektive Gefühlslage. Aber Angst wovor? Also im Gegenteil, es ist ja immer stärker geworden. Also wenn es nur das ist, dass man sagt, also wir sind die Vernünftigeren, wenn man sagt, dass es darum geht, Risiken abzuschätzen mit neuen Technologien, dann wäre das irgendwann eingeschlafen.
König: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit der Journalistin Sabine Bode über ihr Buch " Die Deutsche Krankheit, German Angst", das heute erscheint. Frau Bode Sie schreiben, "Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass der deutschen Mutlosigkeit unbewusste, sehr vagabundierende Ängste zugrunde liegen, die aus noch unverarbeiteten Kriegserlebnissen stammen und an die folgenden Generationen weitergegeben wurden." Das haben Sie ja auch eben schon so ausgeführt. "Aus noch unverarbeiteten Kriegserlebnissen", als ich das gelesen habe, habe ich mich gefragt, hat sich je ein Volk intensiver mit der eigenen Geschichte, mit der eigenen Verantwortung beschäftigt?
Bode: Also ich glaube nicht, dass es das jemals vorher schon einmal gegeben hat. Das ist völlig richtig, nur was wir wahrscheinlich nicht getan haben ist, dass wir das ganze emotional verarbeitet haben und darum geht es. Also Sie kennen doch noch aus den 60er Jahren den Begriff der Unfähigkeit zu Trauern. Das Ehepaar Mitscherlich hat damals diesen Bestseller geschrieben. Das ist ja völlig richtig, aber daraus sind nie wirklich Erkenntniskonsequenzen gezogen worden. Das wurde zum Schlagwort. "Ach, wir Deutschen können nicht trauen, na unser Pech, reden wir nicht mehr drüber". Was sind aber die Auswirkungen, wenn man nicht trauert? Die Auswirkungen, das kennt jeder aus individuellem Erleben, wenn er einen schweren Verlust erlitten hat, wenn diese Trauerphase nicht eintritt, dann hat man keine wirkliche Kraft für einen Neubeginn. Und in Deutschland, das ist meine These, haben wir das kompensiert mit Wohlstand.
König: Und jetzt, da der Wohlstand nicht mehr so ungehindert möglich ist, in einer globalisierten Welt, wird das gute Leben von früher hüben wie drüben einem zum Hindernis.
Bode: Ja, zumindest tun wir uns unendlich schwer mit diesen Wohlstandsverlusten angemessen und vernünftig umzugehen.
König: Sie haben ja auch Kritiker. Sie zitieren sie auch. Das finde ich sehr schön. Im Buch sagte Juli Zeh, "German Angst" als Altlast des Krieges das könne gar nicht sein, das sei so lange her, die Gesellschaft hätte sehr viele verschiedene Stadien durchgemacht und immer daraus gelernt. Klingt doch vernünftig.
Bode: Ich kann es nur wiederholen. Es wird ja nicht besser, also wir haben jetzt ja wahrscheinlich alle gedacht, jetzt mit der großen Koalition wird die Stimmung wirklich besser und es wird vor allen Dingen konstruktiver Politik gemacht, aber Sie sehen, die Blockaden gehen weiter.
König: War der neue Patriotismus der letzten Monate nicht ein gutes Zeichen, so in Ihrem Sinne für ein Land auf dem richtigen Weg zu mehr Selbstbewusstsein?
Bode: Also wenn wir davon nur 20 Prozent rüber retten, sähe es bei uns in Zukunft sehr viel besser aus. Ich hoffe, dass das passiert. Ich befürchte, es wird nicht passieren, ohne dass ich jetzt hier in die Schwarzmalerei verfalle.
König: Sie sind jetzt in der Pflicht Frau Bode.
Bode: Nein, ich hoffe es wirklich nur. Es ist natürlich sehr viel einfacher zusammenzuhalten, wenn es um ein schönes Sportereignis geht, als Zusammenzuhalten wenn es darum geht, wirklich die Altlasten von 20 Jahren aufzuarbeiten.
König: Was soll, was kann wer uns jetzt zuhört denn konkret tun, um beizutragen zum Abbau der "German Angst".
Bode: Also ich glaube, es ist etwas sehr Schlichtes. Wir sollten endlich anfangen, uns gegenseitig unsere Familiengeschichten zu erzählen. Die Geschichten der Eltern und Großeltern. Wir sollten auch recherchieren noch, wo das möglich ist. Das kann man teilweise heute sehr viel besser als vor 20 Jahren, weil Archive offen sind. Man sollte es ruhig tun, unaufgeregt. Es geht nicht darum, sich jetzt noch mal den Schrecken ins Haus zu holen, sondern es geht einzig und allein darum, zu wissen, was sind meine Wurzeln, wo komme ich her? Was habe ich übernommen? Was kann ich jetzt endlich loswerden? Und schauen Sie, wir sind doch jetzt wirklich in einer Zeit, in der man, warum denn nicht, offen drüber reden kann. Es ist doch wirklich niemand Schuld. Wir baden doch wirklich etwas aus, was aus längst vergangen Zeiten noch stammt.
König: Aber wie schwer es ist, sich über die Vergangenheit zu unterhalten, erleben wir gerade jetzt in Weimar oder der Streit um die Vertriebenenausstellung. Das sind ja alles schon noch sehr verminte Gelände, auf denen wir uns da bewegen.
Bode: Ja aber das müssen sie nicht sein. Wenn wirklich so eine gewisse Neugier entstehen könnte noch mal auf die eigene Familiengeschichte, im Austausch mit anderen. Ich denke, es ist was ganz anderes, wenn man mit Scham dahinguckt, als wenn man sagt, jetzt will ich es doch mal wissen oder ich will mit meinen Freunden darüber reden. Also wirklich analog dazu wie diese Generation der Kriegskinder vor zwei Jahren oder vor einem Jahr angefangen hat herauszufinden, ja was hat mich denn tatsächlich geprägt? Was war denn damals genau und man trifft sich wirklich noch einmal auf den Schulfesten, auf den alten Klassenfesten wird jetzt über ganz anderes geredet. Auf Familienfesten wird etwas anderes geredet. In der Kur wird drüber geredet. Das ist doch alles ein heilsamer Prozess.
König: Dann möge es so weiter gehen. "Das Vergangene ist nicht tot, es ist noch nicht einmal vergangen." Auch dieses Zitat von William Faulkner bringt Sabine Bode in ihrem buch. Die "Deutsche Krankheit, German Angst" erschienen ist es bei Klett-Cotta, hat 287 Seiten, kostet 19,50 Euro. Frau Bode vielen Dank!