Windkraft in der Kritik

Klimaheilmittel und Krankmacher

Ein beschädigtes Windrad
Ein beschädigtes Windrad © dpa/Bernd Thissen
Von Heinz-Jörg Graf · 19.04.2018
Manch einer wird beim Anblick von Windrädern nostalgisch: Ähnlich wie beim Mühlbauern früher muss heute nur das Windrad klappern und schon rollt der Taler. Aber die Widerstände von Anwohnern wachsen und auch die Warnungen von Ärzten.
"Für mich ist der Hauptgrund immer noch die Gerechtigkeit, die Verteilungsgerechtigkeit, dass das nicht richtig sein kann, dass es faktisch keine freien Sichtachsen mehr gibt, das macht die Menschen verrückt, das macht sie wahnsinnig, so kennen sie ihre Landschaft nicht. Sie sind hier aufgewachsen mit einem sehr weiten Blick, das sind hier Hochflächen, wir sind in einer Karstregion. Hier sehen Sie einen ganz wichtigen Effekt: Hier sind die Kammlagen bebaut, was dann in der Landschaft noch mal eine viel deutlichere Wirkung entwickelt." Unterwegs mit Reiner Allerdissen, dem Bürgermeister von Borchen, einer gut 13.000 Einwohner zählenden Flächengemeinde im Kreis Paderborn.
Wohin man auch blickt: Die Gegend ist zugepflastert mit Windenergieanlagen. Etwa 500 stehen im Kreisgebiet. Überall ragen graue Kolosse in den Himmel, belagern die Orte, umzingeln sie. Wenn es nach dem Willen der Investoren ginge – da ist sich der Bürgermeister sicher – würde sich die Zahl noch einmal verdoppeln.
"Hier: überall die Anlagen. Das sind auch die bestimmenden Orte: Lichtenau, Wünnenberg, Büren, Borchen. Das ist südliches Paderborner Land, und da geht das richtig ab. Etteln - da ist wirklich... , da brennt es, da brennt es unterm Dach, da ist wirklich was los. Das ist sowieso ein krabatziges Volk, wie ich immer zu sagen pflege."
Etteln ist ein Ortsteil von Borchen, und wenn Reiner Allerdissen die Ettelner ein "krabatziges Volk" nennt, dann ist das anerkennend gemeint. Wie ihr Bürgermeister, so wehren sich auch die meisten Ettelner gegen weitere Windenergieanlagen an ihrem Dorfrand. 20 stehen dort schon. Und mit größerem Abstand gesellen sich 50 weitere dazu. Darunter Riesentürme, über 200 Meter hoch.

Krank von den Rädern

Die Ettelner wollen auch deshalb keine weiteren Anlagen, weil sie krank werden, seitdem die Türme in der Nähe ihrer Häuser stehen.
Sigrid Tschischke: "Man hat so ein bisschen das Gefühl, als wenn ein Sturm ist, so muss man sich das vorstellen, und dann hört man immer noch so ein Wupp, Wupp, Wupp dabei, das ist schon beängstigend."
In Etteln, im Wohnzimmer von Sigrid und Volker Tschischke sitzen ansässige Bürger und Bürgerinnen und erzählen. Fast alle klagen über Schlaflosigkeit.
Regina Dietz: "Man wird wach von Ohrensausen, als wenn tausend Bienen in den Ohren 'rumsummen. Bis zu gravierenden Ohrenschmerzen, Kopfschmerzen, Herzrasen, schwindelig, tagsüber auch. Gleichgewichtsstörungen. Man meint, man könne sich noch halten, und dann liegt man da."
Volker Tschischke ist Manager einer Technologiefirma. Seine Frau Sigrid Tschischke und Sonja Striewe arbeiten in der Gesundheits- und Schönheitspflege. Regina Dietz ist Rentnerin.
Volker Tschischke: "Man hat so ein Beklommenheitsgefühl in der Brust, und man kann nicht einschlafen. Man denkt, man bekommt gleich keine Luft mehr. Dann sieht man morgens vor dem Spiegel eine geplatzte Ader im Auge, sodass ich jetzt seit einigen Jahren Bluthochdruck habe. Jetzt auch seit einem Jahr Tinnitus."
Sigrid Tschischke: "Ja, bevor die Windräder standen, habe ich auf jeden Fall besser geschlafen. Was meiner Meinung nach hier auch in Etteln ist, da ist die Krebsrate gestiegen. Ich persönlich hatte vor fünf Jahren Brustkrebs, und ich weiß, seit den letzten fünf Jahren hatten wir hier noch 16 oder 17 andere Krebsfälle, davor waren es vielleicht fünf, haben wir durchgezählt."
Sonja Striewe: "Bei uns ist es so, wenn Ostwind ist, dann kann das ganze Haus, - also wir wohnen mit sechs Mann in einem Haus - , ob es die Kinder, ob es die Erwachsenen sind: Wir können alle nicht schlafen, haben eine Unruhe. Mein Mann hat Tinnitus, also, der steht wirklich am Fenster und sagt: Ist draußen jemand? Läuft unten das Auto? Haben wir die Spülmaschine an? Das summt doch hier."

Die Dorfgemeinschaft ist gespalten

Die Stimmung in Etteln ist angespannt. Die Dorfgemeinschaft ist gespalten. Eine große Mehrheit der 1400 Einwohner ist gegen den Ausbau der Windenergieanlagen. Eine Minderheit ist dafür. Weil auf ihren Wiesen und Äckern die Anlagen stehen und sie mit der Verpachtung ordentlich Geld verdienen. Volker Tschischke wirkt auf die Landbesitzer wie ein rotes Tuch.
Volker Tschischke: "Man muss aufpassen, dass einem nicht sogar Gewalt angedroht wird, das ist die nächste Stufe. Das ist mir persönlich aber noch nicht gesagt worden; ich bin auch nicht unbedingt der Kleinste. Aber es gibt schon einige Leute, die dann hinterm Rücken – man bekommt das durch Bekannte mit -, dem müsste mal der Garaus gemacht werden, das ist ein Spinner."
Windenergieanlagen können ein Landschaftsbild kaputt machen. Dass sie auch der Gesundheit schaden können, spricht sich erst langsam herum. Noch werden Betroffene mit ihren Beschwerden kaum ernst genommen. Sie bildeten sich ihre Krankheit nur ein, werfen ihnen Befürworter von Windenergie gerne vor.
Die Initiative "Ärzte für Immissionsschutz" (AEFIS) ist anderer Meinung. Der Initiative gehören Ärzte verschiedener Fachrichtungen an, die sich in der Umweltmedizin engagieren.
Thomas Carl Stiller ist promovierter Biophysiker und Landarzt in Adelebsen, einem Ort in der Nähe von Göttingen. Seit einigen Jahren ist seine Praxis zu einer Anlaufstelle für Patienten geworden, die unter Emissionen von Windenergieanlagen leiden:
"Alle, die ich kennengelernt habe, sind keine psychisch-labilen Menschen. Das sind ganz normale, arbeitende und klar denkende Patienten, die sich diese Situation nicht deuten konnten. Sie waren lange Zeit auch alleingelassen mit ihren Symptomen, weil, sie sind weggeschickt worden: Wir finden bei Ihnen nichts und haben auch dieses Schamgefühl: Irgendwas muss es ja sein, aber was kann es denn sein?"
AEFIS – 2013 gegründet – nimmt die Patienten ernst, hört ihnen zu und registriert ihre Beschwerden.
Thomas Carl Stiller: "Wir sind dabei, dieses Feld durch Befragung, durch Anamnese zu beackern, und wir finden heraus, dass sich da Gemeinsamkeiten ergeben. Und eins muss man sagen: Wenn Patienten aus ganz Deutschland uns aufsuchen und ohne voneinander zu wissen, ähnliche Beschwerden schildern und Symptome haben, dann ist es für die Medizin statthaft, daraus ein Syndrom zu kreieren."

Windturbinensyndrom - das gibt es

Mit dem Syndrom, das Thomas Carl Stiller hier anspricht, meint er das sogenannte Windturbinensyndrom. Der Begriff wurde vor neun Jahren von der US-amerikanischen Kinderärztin Nina Pierpont geprägt. Sie hatte Fallgeschichten von Patienten gesammelt, die in der Nähe von Windenergieanlagen lebten und sie in einem Buch veröffentlicht. Die Beschwerden sind die gleichen, die heute auch AEFIS von ihren Patienten hört. Die Liste ist inzwischen nur länger geworden: Schlafstörungen, Schwindel, Übelkeit, Bluthochdruck, Konzentrationsstörungen, Tinnitus, Müdigkeit, Depressionen, Herzrythmusstörungen, Angsterkrankungen...
Die Fallgeschichten von Nina Pierpont regten weltweit Studien an. In den Mittelpunkt des Forscherinteresses rückte die Frage, ob tieffrequenter Schall, der sich von Windenergieanlagen ausbreitet, für Anwohner gefährlich werden kann. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er handfeste Beschwerden verursachen kann, nicht bei allen Anwohnern, aber bei vielen.
Thomas Carl Stiller: "Frau Pierpont ist die Pionierin. Mittlerweile wissen wir: Dass das, was die Patienten dort geschildert haben, sich immer wieder reproduzieren lässt. Es sind empfindliche Menschen auf und nach der aktuellen Lage sind etwa 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung, die diese Empfindlichkeit entwickeln können oder auch schon mitbringen, und dann diese Symptome haben."
Heyo Eckel, Radiologe und langjähriger Präsident der Ärztekammer von Niedersachsen, ergänzt: "Der Infraschall ist etwas, der im Grunde genommen Auswirkungen auf das Gehirn hat, Auswirkungen auf das Sehen hat und, ganz offensichtlich, auch Auswirkungen auf das vegetative Nervensystem hat. Erforscht ist das ganze ursprünglich sogar im militärischen Bereich. Die Amerikaner haben Versuche unternommen, dass man mit Infraschall Truppen außer Gefecht setzen kann, weil sie nicht mehr agieren, nicht mehr kämpfen konnten."
Mit tieffrequentem Schall sind der sogenannte Hörschall und der Infraschall gemeint. Man misst sie von 100 Hz abwärts bis 10 Hz. Ab einer Frequenz von ca. 20 – 16 Hz geht der Hörschall in den für den Menschen nicht mehr hörbaren Infraschall über. Je niedriger seine Frequenz ist, desto weiter wird er übertragen.
Thomas Carl Stiller: "Eine Familie möchte ich exemplarisch nennen. Die wohnten in einem kleinen Dorf, 140 Seelendorf, und hatten einen Bauernhof und waren der Sache sehr aufgeschlossen, haben auch sogar die ersten"
Fotovoltaikanlagen auf's Dach gepackt und fanden es prima. 700 Meter von ihrem Bauernhof wurden Windkraftanlagen errichtet, etwa 150 bis 200 Meter groß. Dann haben die auch entsprechend große Betonfundamente. Der Boden war sehr sedimentreich, also sehr steinig und konnte dementsprechend gut Körperschall weiterleiten.

Die Beschwerden treten erst nach der Installation auf

Die Beschwerden tauchten auf, als die Windenergieanlagen installiert waren.
Thomas Carl Stiller: "Die Kinder haben keinen Schlaf gefunden. Die ganze Familie nicht. Schulisch ist die Leistung ´runtergegangen, die Arbeitsleistung am Arbeitsplatz ging zurück, die Krankheitstage häuften sich, die wussten nicht, woher es kommt. Dann wurde bei ihnen gemessen und dann hat man entsprechende Infraschall-Belastung, auch die entsprechende Körperschallbelastung im Haus feststellen können. Mittlerweile haben diese Befürworter der Energiewende den Bauernhof für einen Bruchteil des Preises verkauft und sind weggezogen und sind jetzt beschwerdefrei."
Vertreter der Windenergie aus Politik und Wirtschaft erkennen zwar durchaus an, dass die Beschwerden real sind, nur dass diese durch tieffrequenten Schall ausgelöst würden, diesen Zusammenhang streiten sie ab. Die Betroffenen bildeten sich den nur ein. Die Vertreter berufen sich häufig auf eine Untersuchung, die Wissenschaftler der Universität Sydney vor zehn Jahren durchführten. Nicht tieffrequenter Schall, so legt die Studie nahe, sondern das Buch "Windturbinensyndrom" von Nina Pierpont habe die Beschwerden ausgelöst. Denn – erst nach dessen Veröffentlichung – seien die Beschwerden sprunghaft gestiegen, vorher sei von ihnen kaum die Rede gewesen.
Mit anderen Worten: Allein die Vorstellung, dass eine Windenergieanlage krank machen kann, soll die Beschwerden auslösen, nicht aber die Anlage selbst.
Doch das ist wenig glaubhaft. Zum einen wächst die Zahl der Menschen ständig, die in der Nähe von Anlagen unter Beschwerden leiden. Sie alle unter Generalverdacht zu stellen, ihnen vorzuwerfen, dass sie nicht positiv genug dächten, ist unseriös. Und ergibt auch keinen Sinn, zumindest keinen wissenschaftlichen. Zum anderen: Viele Menschen, die krank werden, befürworten die Energiewende, wollen die die Windenergie, nur sie wollen nicht darunter leiden.

Streit um Gesundheitseinschränken bei tieffrequentem Schall

Zudem: Auch Tiere leiden unter Windenergieanlagen. Können die etwa lesen?
Sven Johannsen betreibt in Birkenau, einem Ort in der Nähe von Mannheim, eine Firma für Umweltmessungen. Für seine Messungen ist er bundesweit unterwegs. In den letzten Jahren erreichen ihn immer häufiger Anfragen von Menschen, die unter dem sogenannten Windturbinensyndrom leiden. Sie wollen wissen, wie stark sie tieffrequentem Schall ausgesetzt sind.
Die Stärke hängt auch von der Länge der Flügel ab, die sich an den Windtürmen drehen.
Sven Johannsen: "Es ist ein physikalisches Gesetz, wenn man drehende Rotoren hat, dass sich dann mit zunehmender Größe meine Schallemission in den Tieffrequenzbereich verlege. Das passiert unter anderem durch diese Luftabrisse der Wirbelschleppen, die entstehen, wenn jeweils ein Flügel am Mast vorbeizieht."
Je länger die Rotoren werden, desto tieffrequenter ist die Belastung.
Sven Johannsen: "Ich gehe aus diesem gut hörbaren Bereich in diesen unangenehmen Brumm-Tiefbereich rein, den ich irgendwann auch nicht mehr akustisch wahrnehme, sondern nur noch körperlich empfinde."
Tieffrequente Schallwellen können sich kilometerweit ausbreiten.
Sven Johannsen: "Wenn ich eine hohe Schallquelle, eine Windkraftanlage, habe, kommen die so bei 700 Metern erst richtig auf dem Boden an und gehen dann teilweise zwei, drei Kilometer. Das weiteste, was wir gemessen haben, eine Einzelanlage, waren zehn Kilometer, wo man das noch feststellen konnte."
Die Belastung durch tieffrequenten Schall ist keine angenehme. Weder in Etteln in Westfalen noch anderswo.
Sven Johannsen: "Ich kenne es aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Ostfriesland, da gibt es ältere Menschen, die wirklich suizidale Gedanken tragen, das nicht mehr aushalten, auch warten, dass sie sterben, weil sie keine Möglichkeit haben, sich zu wehren. Niemand nimmt sie ernst, man sieht da sehr viel Leid."
Die bisher umfassendste Studie zu Auswirkungen von Infraschall auf den Menschen brachte 2014 das Umweltbundesamt heraus. Darin heißt es:
Eine detaillierte Analyse der verfügbaren Literatur zeigt, dass Schall, der sich auf den tieffrequenten Bereich konzentriert, das mentale Wohlbefinden schon bei niedrigen Pegeln deutlich beeinträchtigen kann. Der Effekt verstärkt sich mit zunehmender Verschiebung zu tiefen Frequenzen bis in den Infraschallbereich.
Detlef Krahé ist einer von drei Verfassern der Studie. Er ist Akustikexperte und Emeritus der Bergischen Universität Wuppertal. Zu den Symptomen von Infraschall sagt er: "Die Wirkung auf den Menschen ist noch nicht so klar. Wie spielt sie sich ab? Ist die jetzt mehr im sensorischen Bereich, also vom Ohr her, da gibt es schon Vermutungen. Ist es auch die Verarbeitung im Nervensystem und auch das Zusammenspiel zwischen dem Sensor Ohr und dem Nervensystem? Dass eine längere Beschallung mit diesem tieffreqenten Schall oder Infraschall besondere Symptome nach sich zieht, das ist klar."

Schallverschmutzung auf Haus und Mensch

Symptomverstärkend wirkt, dass tieffrequenter Luftschall und die Vibrationen am Boden gemeinsam auf Haus und Menschen treffen.
Detlef Krahé: "Die kommen ja aus derselben Quelle, die breiten sich dann aus und treffen auf das Haus. Einmal über die Luftübertragung, einmal über den Boden übertragen. Man weiß auch, dass Menschen, die etwas hören und gleichzeitig als Vibration fühlen, das in der Summe sogar noch verstärkt wahrnehmen."
Sven Johannsen hat auch in Etteln, in Westfalen, gemessen. Im Haus von Regina Dietz. Dort waren die Vibrationen so stark, dass man sie körperlich wahrnehmen konnte, einfach durch Handauflegen auf die Wände.
Infraschall, so wird immer noch gerne behauptet, sei ungefährlich, weil man ihn nicht höre.
Thomas Carl Stiller von der Initiative "Ärzte für Immissionsschutz" ficht diese Meinung an: "Wir wissen aus ersten Studien der physikalisch-technischen Bundesanstalt und auch von der Charité, dass Menschen tatsächlich tiefer Schall wahrnehmen als bislang in der Hals-Nasen-Ohrenkunde vermittelt worden ist. Dass sie es aber nicht als Hörschall deuten, sondern dass sie empfinden mit dem ganzen Körper. Ich empfinde, was du nicht hörst sagen viele Betroffene. Es ist nicht nur die Hörwahrnehmung selbst, sondern bei Infraschall-Betroffenen kann der ganze Körper Signalgeber sein. Hier ist wirklich Forschungsbedarf, hier müssen wir weiterkommen."
Bei Tieren weiß die Forschung inzwischen mehr.
Thomas Carl Stiller: "Nach vielen Stunden deutlicher Infraschall-Beschallung, gibt es morphologische, feingewebliche Veränderungen, zum Beispiel an Laborratten. Da ändert sich die Oberflächenstruktur von Schleimhäuten, da ändert sich sozusagen die Dicke von Herzen und vor allen Dingen, das Innenohrorgan hat sich morphologisch verändert. Es gibt also patho-physiologisch biochemische Veränderungen."
Manche Tiere zeigen ein seltsames Verhalten in der Nähe von Windenergieanlagen. Als ob sie eine Gefahr witterten. Volker Tschischke und Sonja Striewe aus Etteln.
Volker Tschischke: "Was ich bei unserem Hund immer feststelle, wenn wir in dem Bereich Windenergieanlagen spazieren gehen, dann weicht er keinen Meter von unserer Seite, sonst läuft er frei rum, wahrscheinlich, weil er Angst hat."
Sonja Striewe: "Unser Hund, also, wenn wir den Kofferraum aufmachen, normalerweise freut er sich, dass er 'raus darf, aber, der bleibt sitzen, der will nicht."
Windkraft scheint das Zeug zu haben, nicht nur Strom, sondern auch Krankheiten zu erzeugen.
Bisher geben sich Politiker und Betreiber von Windenergieanlagen unbeeindruckt.
Sie berufen sich auf Messberichte staatlicher Stellen, die gesundheitliche Gefährdungen durch Windenergieanlagen ausschließen. Und scheinen nicht zu wissen, dass die Ämter bei ihren Messungen manchmal trickreich verfahren.* (Anmerkung am Ende des Beitrags)
Das Landesumweltamt Baden-Württemberg zum Beispiel ordnete 2015 eine Messung bei voller Windstärke an. Ein gravierender Schönheitsfehler im Mess-Design.
Sven Johannsen: "Hier wurde gemessen, das ist ein Anachronismus: Man misst bei 95 Prozent Lastgang der Windkraftanlagen. Wenn man weiß, dass Windkraftanlagen in der Mittelgebirgssituation bei 13 bis 14 Prozent Lastgang laufen und an der See zwischen 20 und 30 Prozent im Jahresmittel, dann weiß man: Für 95 Prozent Wind muss sehr, sehr viel Wind da sein. Das ist eben dieser typische Infraschall, der durch die Natur selbst erzeugt wird. Der ist dann sehr laut, der überdeckt natürlich diese Messung, die ich haben möchte, also diese Frequenzspitzen der Anlagen."
Die tauchten nicht mehr auf. Dass der Wind in Deutschland aber immer so kräftig weht, ist eher die Ausnahme als die Regel.
Sven Johannsen: "Das sind aber sehr seltene Ereignisse, wo wir so viel Wind haben. Das entspricht auch nicht dem normalen Lauf der Anlagen, wo Leute am meisten gestört sind. Also messe ich an solchen Tagen, kriege ich natürlich keine vernünftigen Messergebnisse und genau das ist hier passiert. Weil die Vorgaben des Landesumweltamtes, wie zu messen ist genauso waren und infolgedessen konnte auch nur das 'rauskommen."

Das Problem mit den offiziellen Messungen

Ein weiteres Problem bei offiziellen Messungen liegt darin, dass sie bisher keine Infraschallfrequenzen unter 10 Hz berücksichtigen. Thomas Carl Stiller von AEFIS:
Thomas Carl Stiller: "Wir untersuchen ja einen Bereich unter 20 Hz und die aktuelle Messtechnik und die Messvorschriften bilden das nicht ab. Wir haben an Windkraftanlagen Schwingungen, die liegen von 0,1 bis 8 Hz. Das sind Spitzen, die werden in der aktuellen Schallmessung weggeglättet oder erst gar nicht gemessen und diese sind definitionsgemäß keine Geräusche, sondern das ist eine lang einwirkende, regelmäßig besondere Tonalität und Periodizität, wenn man so will, und das ist, was den Patienten stört. Und das entsteht, wenn die Anlage nicht unter Volllast läuft."
Die tieffrequente Schallbelastung regelt hierzulande die DIN-Norm 45680. Seit über neun Jahren schon tagt ein Ausschuss, der die Norm überarbeiten soll. Detlef Krahé ist Mitglied in diesem Gremium.
Detlef Krahé: "Wir hatten einen Vorschlag erarbeitet, der als Entwurf 2013 an die Öffentlichkeit kam. Der ist von allen Seiten beschossen worden."
Gemessen werden sollte bis acht Herz.
"Den einen war es zu viel, den anderen zu wenig. Da gibt es die Betroffenen, die gesagt haben, das muss viel kritischer werden, und da gibt es die potentiellen Verursacher, die gesagt haben, dann müssen wir ein Drittel der Betriebe stilllegen."
Windkraft ist ein Milliardengeschäft. Mit erfreulichen Gewinnen. 20.000 € an Pacht kann ein Landwirt pro Windkraftanlage im Jahr erzielen, wenn er seine Äcker und Wiesen zur Verfügung stellt.
Reiner Allerdissen: "Projektierer oder Leute, die es selbst betreiben, verdienen noch mehr, die brauchen keine andere Arbeit mehr zu machen…" Reiner Allerdissen ist Bürgermeister von Borchen und weiß, wovon er redet: "Sie müssen sich vorstellen, wenn Sie hier herfahren, die letzten Tage war so viel Wind hier, dass die Anlagen abgeschaltet waren, die sind ja deswegen abgeschaltet, weil das Netz komplett überlastet ist. Jetzt sollte man denken, die armen Betreiber, deren Anlagen jetzt abgeschaltet sind, aber da ist nichts arm dran, die kriegen das Geld weiter in der Zeit, wo die stehen."
Deshalb kämpfen die Betreiber von Windenergieanlagen auch mit harten Bandagen, wenn sich jemand gegen ihre Geschäfte stellt. Reiner Allerdissen kann davon ein Lied singen. Weil er auf seinem Gemeindegebiet weitere Anlagen ablehnt.
Reiner Allerdissen: "Sie glauben nicht, mit welcher Aggressivität die Investoren vorgehen. Die hören nicht auf, definitiv nicht, die rufen bei mir an, heute noch. Ich sage: das macht keinen Sinn, ich mache einen Flächennutzungsplan, ihr werdet nicht .. Ist uns scheißegal, wir klagen, völlig scheißegal. Das ist aggressiv ohne Ende. Der Auslöser ist Gier."

Gegenseitige Drohungen in Reaktion auf Windrad-Bauverzögerungen

Als der Gemeinderat in Borchen 2015 gegen den weiteren Ausbau von Windenergieanlagen Klage einreichte, drohte der örtliche Betreiber wegen Bauverzögerung mit Schadensersatzforderungen in Höhe von neun Millionen Euro. Ohne rechtliche Grundlage, sagt Reiner Allerdissen. Doch der Gemeinderat knickte ein, zog die Klage zurück. Das rief wütende Bürger auf den Plan. Sie forderten ein Bürgerbegehren. An einem Wochenende sammelten sie innerhalb von Stunden die erforderlichen Stimmen ein. Sonja Striewe aus Etteln.
Sonja Striewe: "Ich hatte eine Mappe in der Hand, da gingen die Haustüren schon auf, wir wollen auch unterschreiben, gib her, das war Wahnsinn. Denen lag das am Herzen, dass das in die Wege geleitet wurde. Die waren alle sehr enttäuscht, dass das sofort abgeblockt wurde."
Und zwar durch ein Gerichtsurteil: Ein Bürgerbegehren dürfe keine Ratsentscheidung rückgängig machen, so der Beschluss.
Seitdem schwankt die Stimmung in Borchen zwischen Wut und Resignation.
Reiner Allerdissen: "Wenn Leute mir sagen, ich werde nie wieder an Bürgerbegehren teilnehmen, das ist ja das Instrument, was man in den letzten Jahren öffentlichkeitswirksam als Teilhabeinstrument an Demokratie immer befördert hat. Wenn man da sagt, das mache ich nicht wieder, dann würde ich den Effekt für das, was Akzeptanz gegenüber diesem Land angeht, dann würde ich das überhaupt nicht unterschätzen. Halte das wirklich für eine ganz gefährliche Mischung."
Die Zahl der Untersuchungen wächst, die im Infraschall eine Gefahr sehen. Auch in Deutschland. Die Einführung der 10-H-Regelung wäre ein erster Schritt, diese Gefahr abzuschwächen.
Die 10-H-Regel besagt, dass der Abstand einer Windenergieanlage zu Wohnungen mindestens zehn Mal so weit sein soll wie die Anlage hoch ist. Bei einem 200 Meter hohen Windrad – das ist heutzutage Standard – wären das 2.000 Meter.
Wenn es um die 10-H-Regelung geht, wird die Diskussion schnell unsachlich.
Thomas Carl Stiller: "Dann kommt die Lobby rein. Dann wird gesagt: Der Infraschall macht doch nichts, das hört man doch nicht. Was ich nicht höre, kann auch nicht sein, und da müssen wir als Ärzte wirklich mahnen: Wir sehen hier Handlungsbedarf, wir sehen hier Gefahrenpotenzial, es gibt eine Prävention und die Bevölkerung hat ein Recht auf Schutz."

Das Gefahrenpotential nicht erkannt

Die Länder könnten eine 10-H-Regelung beschließen. Bayern hat es 2014 getan. Weil die CSU das Stimmvolk nicht verärgern und die Touristen nicht vergraulen wollte. Doch ausgerechnet Maria Krautzberger, die Präsidentin des Umweltbundesamtes, warnte damals die anderen Bundesländer, dem Beispiel Bayerns zu folgen. Sonst gefährdeten sie die Energiewende.
Kaum zu glauben, dass die Präsidentin von der Machbarkeitsstudie ihres Amtes nichts wusste. Und ihr das Gefahrenpotenzial durch Infraschall unbekannt war. Doch sie setzte eine andere Priorität.
Für größeren Abstand zwischen Windrad und Wohnbebauung könnte auch die Aktualisierung der DIN-Norm 45680 sorgen. Dann nämlich, wenn die Grenzfrequenz bei der Messung von tieffrequentem Schall von aktuell 10 Hz auf einen deutlich geringeren frequenzwert abgesenkt würde. Schon seit vielen Jahren brütet ein Ausschuss darüber. In dem Gremium sitzen vor allem Vertreter der öffentlichen Hand, Landesumweltämter zum Beispiel.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Zur Zeit stehen in Deutschland etwa 30.000 Windenergieanlagen. Bis zum Jahre 2050 sollen es 50.000 sein. Die erneuerbaren Energien deckten dann 80% der Stromversorgung hierzulande ab. Ob die Windenergie ihr Soll erfüllen kann, bezweifelt Thomas Carl Stiller.
Mehrere Windräder wurden mit einer Drohne von oben aufgenommen und sind im Abendlicht zu sehen.
Windräder im Abendlicht.© Imago/Chromorange
Thomas Carl Stiller: "Unser großes Problem und physikalisches Dilemma ist, dass wir den Windstrom, wenn er da ist, nicht speichern können und auch nicht wissen, wann er kommt und meistens ist gar nicht so viel Wind in Deutschland, wie man immer gerne hätte. Die Windkraftanlagen bleiben derzeit auf 25 Prozent ihrer tatsächlichen theoretischen Leistung. Leider wird in der Politik immer wieder die theoretische Nennleistung als installierte Kapazität verkauft, aber installiert ist viel, geliefert wird wenig. Deshalb kann das so nicht funktionieren."
Sollte die Politik bei ihrem Verkaufsmarketing bleiben, könnte das Windturbinensyndrom Karriere machen und sich zu einer Volkskrankheit entwickeln, die Demenz- oder Krebserkrankungen durchaus den Rang abliefe. Zehn bis dreißig Prozent der Bevölkerung – so die Schätzungen von Ärzten – reagieren auf tieffrequenten Schall empfindlich. Das sind acht bis 24 Millionen Menschen in Deutschland.
Deshalb warnt die Initiative "Ärzte für Immissionsschutz" AEFIS:
"Was AEFIS macht, ist ja etwas, das aus der Praxis von Ärzten kommt. Und ich bin nun sehr lange, seit 1984, in der Umweltmedizin tätig. Da war es immer so, dass Ärzte aus ihren Beobachtungen der Praxis auf das Ganze zugesteuert sind und gesagt haben: Hier ist ein Problem, das viel genereller ist, als das, was uns Patienten in ihren Beschwerdebildern schildern. AEFIS macht aufmerksam auf die Probleme, die uns in Zukunft erreichen werden, denn, wenn wir immer mehr Windkraftanlagen haben, werden wir auch immer mehr Beschwerden bekommen bei den Patienten."
Um Zeit zu gewinnen und genauer untersuchen zu können, wie sich tieffrequenter Schall auf Menschen auswirken kann, fordert AEFIS ein Ausbaumoratorium von Windkraftanlagen. Thomas Carl Stiller:
Thomas Carl Stiller: "Wir müssen das systematisch erforschen, von der Petri-Schale, wie reagieren Zellen im Brutschrank auf Infraschall, dann, wie reagieren sie nicht, wie sieht das mit den Patienten aus. Und das muss über einen längeren Zeitraum gemacht werden, wie es die Betroffenen in Wirklichkeit auch erleben. Der Mensch zählt mehr als das Megawatt."
Die Zahl der Menschen wächst, die sich gegen die Verspargelung ihrer Landschaft durch Windenergieanlagen wehren. Der Bürgerprotest wird lauter. Langsam gewinnen auch die Stimmen an Gewicht, die in den Anlagen eine gesundheitliche Bedrohung für die Bevölkerung sehen.
Es lohnt sich, auf sie zu hören.
Sonst könnte Infraschall zum Bumerang der Energiewende werden.

*Bei den von der LUBW beauftragten und begleiteten Messungen wurde weder "trickreich" verfahren, noch wurden Vorgaben zu den Windstärken gemacht. Anmerkung der Redaktion: Die Durchführung der Messungen entsprach den geltenden Regelwerken.
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