Wind machen für Forschungszwecke

Von Monika Seynsche |
In zwei Jahren sollen in Deutschland die ersten Windkraftanlagen auf See ans Stromnetz gehen. Höchste Zeit also, herauszufinden, was die Riesen mit den nassen Füßen für ihre Umwelt bedeuten. Dafür ist im Jahr 2003 mitten in der Nordsee eine Forschungsplattform gebaut worden. Die misst nicht nur, wie viel Wind denn nun wirklich über der Nordsee weht, sondern untersucht auch, wie die Meeresbewohner auf den neuen Nachbarn reagieren.
Der Hubschrauber ist seit einer halben Stunde unterwegs. Von Wilhelmshaven über die ostfriesischen Inseln hinaus aufs offene Meer. 45 km nördlich von Borkum taucht das Ziel der Reise im Wasser auf. Der Hubschrauber geht in den Sinkflug und die Umrisse des seltsamen Bauwerks werden deutlich: ein rot-weiß gestreifter Gittermast von achtzig Meter Höhe auf einer Plattform - so groß wie eine Sechs-Zimmer-Wohnung. Oberhalb der Plattform: das Helikopterdeck, kreisrund und grün angestrichen Der Hubschrauber setzt zur Landung an.

Herausgeklettert aus der engen Kabine geht es eine Treppe hinunter auf die eigentliche Plattform. Dort wartet schon der Hausherr, Christian Nath. Beim Schiffs-TÜV Germanischer Lloyd ist er verantwortlich für die Offshore-Windenergie. Um ihn herum fünf blaue Baucontainer.

" Wenn Sie sich diese Container hier ansehen, dann haben wir hinter uns, wo der Krach herkommt, die Energieversorgung. Dort stehen zwei Generatoren drin, einer der ständig läuft - das ist noch das angenehme Geräusch. Wenn wir Dinge wie den großen Kran oder auch diese Greiferanlage für die Bodenproben nehmen, dann brauchen wir den größeren Generator und dann ist es etwas lauter und für diese Begrüßung habe ich gebeten den abzuschalten, dass Sie mich auch verstehen können. "

Der Germanische Lloyd hat die Forschungsplattform im Auftrag des Bundesumweltministeriums vor zwei Jahren gebaut. Seitdem liefert die "Forschungsplattform in der Nordsee", kurz FINO, Daten über die Windgeschwindigkeit und die Strömungsverhältnisse auf See.

Kaiser: "Das hier gilt als eines der besten Windreviere auf der Welt. Von den zwei, drei weltbesten Windrevieren ist die Nordsee eines. Was umgekehrt heißt, hier ist der Bär los, wenn der Wind weht, und dann müssen wir natürlich sehr, sehr gut aufpassen was das praktische heißt. "

Reinhard Kaiser ist beim Umweltbundesministerium zuständig für die erneuerbaren Energien. Im Auftrag des Ministeriums untersuchen Biologen, ob die Forschungsplattform Vögel oder Meeresbewohner beeinflusst.

Jetzt muss er doch angeschaltet werden - der große Generator. Das anstehende Experiment braucht reichlich Strom. Die Biologin Tanja Joschko vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung steht mit einem gelben Bauarbeiterhelm auf dem Kopf auf einem schmalen Ausleger am Rand der Forschungsplattform:

Joschko: "Wir fahren jetzt den Greifer, das ist so ne kleine Baggerschaufel auf den Meeresgrund, das ist 28 Meter Wassertiefe und dann holt der uns ne bestimmte Menge von dem Meeresboden sozusagen nach oben. Und wir gucken uns dann an wie das Sediment ist, also die Bodenbeschaffenheit, "

Denn genau die hat sich verändert durch die Plattform: am deutlichsten sieht man das an den vielen leeren Muschelschalen, dem so genannten Schill, den die Forscher am Fuß der Plattform finden.

Joschko: "Die werden aufgrund der Strömungsveränderungen, die hier diese Plattform erzeugt, hat freigespült und wenn man sich unten den Meeresboden sozusagen angucken würde, dann haben wir eine Auskolkung, also ne, ja wie soll ich das sagen ... ne Aushöhlung des Sediments. Es ist halt weggespült worden, und diese Muschelschalen bleiben halt da, weil sie schwerer sind…"

Die Muschelschalen beeinflussen wiederum andere Meeresbewohner. Denn die brauchen den weichen Meeresboden, der hier normalerweise vorkommt. Auf harten Muschelschalen fühlen sie sich nicht wohl. Dafür wandern jetzt Arten hier hin, die einen harten Untergrund mögen: Die Artenzusammensetzung ändert sich, und damit das ganze Nahrungsnetz, denn die neuen Arten haben andere Fressfeinde. Also finden einige Fischarten durch die Plattform mehr Nahrung, andere weniger.

Die Forscher wollen herausfinden, wie weit von der Plattform entfernt sich der Meeresboden verändert hat. Vom Fuß der Stahlpfeiler bis in 15 Meter Entfernung können die Forscher mit ihrer Baggerschaufel Proben entnehmen.

Die Baggerschaufel, die Tanja Joschko und ihr Kollege Alexander Schröder gerade auf einen kniehohen Rost wuchten, hat Meeresboden aus fünf Meter Entfernung von der Plattform mitgebracht.

Schröder: "Ja hier sieht das doch schon ganz anders aus, ich weiß nicht, Sie haben die andere Probe nicht mitgekriegt, da war nur Schill drin, das war direkt bei der Plattform. Hier sehen wir ein Sediment, was hier eigentlich normalerweise vorkommt, das ist ein Feinsand der relativ homogen ist, also da ist kaum Schlick zwischen und nur wenig Schill. Und an der braunen Farbe erkennt man, dass da der Sauerstoff durchaus auch tiefer eindringt, wenn wir den gleich aufmachen, können wir sehen, ob ne Schichtung da ist oder nicht. Hier direkt an der Plattform hatten wir ganz schwarzes Sediment, wo kein Sauerstoff tief eindringt. "

Wie der Meeresboden und die Tiere reagieren werden, wenn nicht ein Pfeiler, sondern Hunderte davon in der Nordsee stehen, wollen die Forscher jetzt mit Modellen berechnen. Für die Lebewesen im Boden könnten die Windmühlen im Meer ein Problem darstellen. Dagegen bieten sie Fischen vielleicht ein wichtiges Schutzgebiet. Aus Sicherheitsgründen werden die zukünftigen Windparks für Fischkutter gesperrt sein. Noch wird in diesem Teil der Nordsee vor allem mit Schleppnetzen gefischt. 500 Meter rund um FINO ist das Fischen bereits verboten.

Schröder: "Das sind erstmals Bereiche in der Nordsee, die nicht befischt werden. Normalerweise wird dieser Bereich hier gerade sehr intensiv von Baumkurren-Fischern mit zwölf Metern Baumkurren befischt, wir haben eine durchschnittliche Befischung von vier bis sechs mal pro Jahr, dass jeder Quadratmeter hier befischt wird und da können sich natürlich längerlebige und empfindliche Arten schlecht halten, die können sich ja auch schlechter reproduzieren und für diese Arten können solche Rückzugsgebiete durchaus von Vorteil sein, so dass sich da stabilere Populationen wieder entwickeln können, die im Moment stark im Rückgang sind. "

Aber nicht nur unter Wasser wird sich durch die Windmühlen einiges ändern. Umweltschützer befürchten, dass die riesigen Windräder Zugvögeln schaden könnten. Die Seeanlagenverordnung schreibt deshalb vor, dass ein Windpark im Meer nur gebaut werden darf, wenn er den Vogelzug nicht gefährdet.

Nur, wie stellt man das fest?
Möglich ist, dass Vögel bei Nacht und Nebel mit den Windrädern kollidieren - Oder: die Windräder könnten wie eine Barriere wirken und die Vögel dazu zwingen, einen Umweg zu fliegen. Das wiederum könnte verhängnisvolle Folgen haben, denn Zugvögel machen es wie Langstreckenflugzeuge: sie nehmen nur so viel Treibstoff - in ihrem Fall Fett - mit, wie notwendig. Kommt ihnen jetzt mitten auf dem Weg auf einmal ein Hindernis in die Quere, dem sie ausweichen müssen, könnte es sein, dass sie ihre Fettreserven aufbrauchen, bevor sie das Land erreichen. Deswegen beobachten Biologen von der Vogelwarte Helgoland, wann welche Vögel über die Forschungsplattform ziehen und in welcher Höhe sie fliegen. Alexander Schröder vom Alfred-Wegener Institut arbeitet mit den Helgoländer Forschern zusammen.

"Im Grunde genommen, was wir hier, oder die Vogelforscher hier in erster Linie untersuchen wollten, war das Zugverhalten, wie viel Vögel sind hier überhaupt? Hier gibt es zwei Radaranlagen, die zur Erfassung der Vögel sind. Einmal hinter Ihnen ein Vertikalradar, dass nach oben guckt und die Zughöhe erfasst und hier draußen ein Horizontalradar, was die Zugrichtung erfasst. Zusätzlich gibt es eine Wärmebildkamera oben an der Plattform und Videokameras, die auch ferngesteuert werden können und hier hinter dem Container auch noch akustische Aufnahmen, wo über die Rufe der Vögel die Dichte abgeschätzt werden soll. "

Seit anderthalb Jahr liefern die Kameras und Radargeräte nun Daten.
Das Ergebnis: je nach Witterung fliegen 20 bis 60 Prozent der Vögel genau auf Höhe der zukünftigen Windmühlen. Die Gefahr für die Vögel ist also real. Allein auf der Forschungsplattform haben die Forscher im vergangenen Jahr mehrere Hundert tote Vögel gefunden. Bei gutem Wetter und klarer Sicht können die Vögel dem neuen Hindernis problemlos ausweichen. Kritisch wird es erst, wenn das Wetter auf See plötzlich schlecht wird: Dann werden die Tiere von den Signallichtern der Plattform magisch angezogen und kollidieren massenweise mit dem Bauwerk. Damit es dazu nicht kommt, untersuchen die Wissenschaftler der Vogelwarte Helgoland jetzt, ob man die Windräder anders beleuchten kann, so dass sie die Vögel weniger stark anziehen. Ganz abschalten lassen sich die Lichter nicht, denn das würde die Windräder zu gefährlichen Hindernissen für vorbeifahrende Schiffe machen.

Christian Nath vom Germanischen Lloyd zeigt auf einen Container neben sich:

" Hier haben wir einen Container, davon habe ich noch gar nichts erzählt, hier werden Schiffszählungen durchgeführt von den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen, die erst jetzt genaue Zahlen erheben können für die Schiffe, die hier in den beiden Verkehrstrennungsgebieten vorbeifahren. "

Denn das sind die Schiffsautobahnen der Nordsee. Um Kollisionen zwischen Schiffen zu verhindern, sind die beiden Fahrtrichtungen durch mehrere Seemeilen voneinander getrennt. Auf diesem Mittelstreifen liegt die Forschungsplattform und genau dort soll auch der erste Offshore-Windpark entstehen. Die Wissenschaftler beobachten, wo genau die Schiffe herfahren. Damit wollen sie herauszufinden, wie groß die Gefahr ist, dass irgendwann einmal ein Schiff - schlimmstenfalls ein Öltanker - gegen eine Windkraftanlage fährt und zerbirst. Denn das ist das Horrorszenario der Anwohner, also der Menschen auf den ostfriesischen Inseln.

Ganz ausschließen lässt sich die Gefahr nicht.
Deshalb müssen die zukünftigen Windräder mindestens zwei Seemeilen von den Schifffahrtsrouten entfernt sein. Das schreibt das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie vor. Zusätzliche Sicherheit könnte ein Automatisches Identifikationssystem bringen. Installiert auf jedem Windpark, soll es Kapitäne und die Windparkbetreiber rechtzeitig warnen, wenn ein Schiff auf Kollisionskurs geht.

Die ersten Windräder vor Borkum werden in voraussichtlich zwei Jahren in Betrieb gehen.

Kaiser: "Warum dauert das so lange, habe ich auch noch mal gefragt. Warum erst 2007 und nicht nächstes Jahr? Weil alle Rechte sind ja da, die haben die Genehmigung für den Park, die haben die Genehmigung für die Kabelanbindungen an Land ... Lieferzeiten! Simpel technische Vorlaufzeiten für die Errichtung der Anlagen. Geht nicht schneller. "

Reinhard Kaiser vom Bundesumweltministerium ist davon überzeugt, dass die Anlagen gebaut werden - selbst wenn im September die Regierung wechselt.

Kaiser: "Sehen Sie, die Förderung der Windenergie, die Förderung der Erneuerbaren Energien, der Klimaschutz, das sind in Deutschland gesellschaftliche Konsensprojekte, immer gewesen. Das vergisst man so in Wahlkampfzeiten. Das erste Förderprogramm für den Wind ist aufgelegt worden von Walter Wallmann, Bundesumweltminister, 1989, aufgestockt worden von Klaus Töpfer, 1991. "

Deutschland ist nicht das erste Land, das seine Windräder ins Wasser stellt.
Aber die deutschen Offshore-Gebiete sind nicht vergleichbar mit den schon gebauten Parks in Dänemark oder Schweden. Denn die stehen nahe vor der Küste in flachem Wasser. In Deutschland sind dagegen Anlagen geplant, die in Wassertiefen von über 25 Metern stehen werden. Das ist eine Weltneuheit.

Kaiser: "… So wie sich das für uns im Moment darstellt: Probleme ohne Ende, beherrschbar auf der Basis: Wir probieren, wir tasten uns voran. Also es gibt nicht den Sturmlauf, wir bauen jetzt 50 Anlagen und schauen was passiert, sondern wir arbeiten mit Pilotanlagen, testen die aus und gehen danach zügig weiter. Aber, unser Eindruck ist, das ist alles auf gutem Wege. "