Wim Wenders zum 75. Geburtstag

Der Regisseur, der die Musik zum Hauptdarsteller macht

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Aufnahme von Wim Wenders zusammen mit Nick Cave.
Nick Cave (links) mit Wim Wenders: Der Musiker hatte für Regisseur Wenders eine ganz besondere Bedeutung. © Getty Images / Patrick McMullan
Vincent Neumann im Gespräch mit Mascha Drost · 14.08.2020
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Wim Wenders feiert seinen 75. Geburtstag. Er ist nicht nur ein großer Regisseur, sondern hat auch ein tiefes Gespür für Musik. Für seine Filme ist sie auf viele Arten bedeutsam.
Wim Wenders gehört zu den bekanntesten Regisseuren im deutschsprachigen Raum: Spätestens in den 80er-Jahren etablierte er sich mit Filmen wie "Paris, Texas" und "Der Himmel über Berlin" als einer der einflussreichsten Autorenfilmer seiner Generation.

Musik auf der tieferen Ebene der Filme

Wenders habe zudem eine ganz besondere Beziehung zur Musik, sagt unser Musikredakteur Vincent Neumann. Das erkenne man sofort, wenn man Wenders Filmografie anschaue: die Musikdokumentationen, allen voran der "Buena Vista Social Club", den Tanzfilm "Pina" und Kooperationen mit deutschen Bands wie BAP und die Toten Hosen.
Musik spielt eine große Rolle im Werk von Wenders: "Er ist einer der ganz wenigen Filmemacher, die sich schon vorab oder in einer ganz frühen Phase eines Projekts mit dem Soundtrack, mit möglichen Musikstücken und ihrer Wirkung im Film beschäftigen."
Wenders denke nicht nur visuell, meint Neumann. Der Regisseur berichtete von sich selbst, dass die Musik, die er hört und die ihn bewegt, während er einen Film schreibt oder dreht, häufig auch im Film landet - und nicht erst später hinzugefügt wird.

Nick Caves Bedeutung für Wim Wenders

Ein gutes Beispiel sei "Der Himmel über Berlin" von 1987 – ein sehr eindrucksvolles Stimmungsbild der damals noch geteilten Stadt, mit tollen Kameraeinstellungen, aber eben auch einem ganz besonderen Klang, meint Neumann.
Wenders habe dazu einmal gesagt, dass es ohne Nick Cave im Berlin der 80er-Jahre für ihn nicht das Gefühl gegeben hätte, Berlin sei ab und an der Mittelpunkt der Welt. Cave habe dort eine Musik gemacht, die ihre Zeit besser definiert habe als jede andere irgendwo anders.
Es sei also sehr passend, dass sich dann im Film der Engel Damiel und seine Angebetete zum ersten Mal bei einem Konzert von Nick Cave and the Bad Seeds treffen: "Die Musik war in gewissem Maße Auslöser für den Film, sie wird im Film selbst thematisiert - so wie das zum Beispiel auch ein Quentin Tarantino in seinen Filmen macht. Die Figuren reden über die Songs oder die Künstler - und dieser düstere Sound, der prägt eben auch das Klangbild des Films."

Musiker als bessere Sinnsucher

Den Toten-Hosen-Frontmann Campino hat Wenders sogar in "Palermo Shooting" als Schauspieler eingesetzt. Das sei natürlich auch ein Risiko, sagt Neumann: "Das ist Rock'n'Roll. Jemandem, der wirklich null Schauspielerfahrung hat, die Hauptrolle in so einem Film zu geben. Aber genau darum ging es Wim Wenders in diesem speziellen Fall."
Campino spielt Finn Gilbert in dem Film. In dieser Szene steht er im Vordergrund im Freien, im Hintergrund sind Gebäude angeleuchtet.
Campino spielt in Wim Wenders Film "Palermo Shooting" Finn Gilbert.© imago / Mary Evans AF Archive Neue Road Movies
Wenders habe bei "Palermo Shooting" die Musik komplett in den Vordergrund rücken wollen, sie sei für ihn der Ausgangspunkt für das ganze Projekt gewesen, schon bevor es ein Drehbuch gab. Im Film begleitet die Musik die Hauptfigur die ganze Zeit über Kopfhörer.
Für den Film von 2008 habe Wender dann auch selbst einen wirklich großartigen Soundtrack zusammengestellt – ein musikalisches Gesamtkunstwerk mit Songs von The Velvet Underground über Portishead bis hin zu Get Well Soon und Stücken von CAN-Urgestein Irmin Schmidt.

Langjährige Freundschaft mit Ry Cooder

Den klassischen Score gebe es bei Wenders weniger, meint Neumann: Die ganz großen Orchesterklänge höre man bei Wenders eher selten. Er habe über die Jahre mit den verschiedensten Komponisten zusammengearbeitet - auch mit internationalen Größen wie T-Bone Burnett - und war dabei stilistisch sehr offen:
"Die faszinierendste Kooperation war aber sicherlich die mit seinem langjährigen Freund Ry Cooder, mit dem er nicht nur das 'Buena Vista Social Club'-Projekt verwirklicht hat, sondern der ihm eben auch mit seinen charakteristischen Slide-Guitar-Klängen die triste Roadmovie-Atmosphäre von 'Paris, Texas' erschaffen hat."
Die beiden Gitarristen Compay Segundo (links) aus Kuba und Ry Cooder aus den USA geben 1998 zusammen ein Konzert. Der Auftritt ist Teil des Kinofilms "Buena Vista Social Club", für den der deutsche Regisseur Wim Wenders die Zusammenarbeit zwischen seinem langjährigen Freund Cooder und verschiedenen kubanischen Musiklegenden über mehrere Monate hinweg filmisch dokumentierte.
Die beiden Gitarristen Compay Segundo (links) aus Kuba und Ry Cooder aus den USA geben 1998 zusammen ein Konzert, der Auftritt ist Teil des Films "Buena Vista Social Club". © Picture Alliance / dpa Fotoreport / Senator
Während Wim Wenders sonst die Musik zu seinen Filmen in der Regel schon vorab im Kopf habe, sei es bei "Paris, Texas" andersherum gewesen: "Da war nichts geplant oder aufgeschrieben. Ry Cooder setzte sich einfach mit seiner Gitarre vor den Bildschirm, spielte live zum Film, immer und immer wieder – bis es halt genau richtig war."
Wim Wenders und die Musik – da stecke viel Herzblut, viele Ideen und Experimentierfreude drin, erklärt Vincent Neumann. "Passend dazu sagte er mal: Einen Film zu drehen, in dem Musik nicht eine zentrale Rolle spielt, das könne er sich kaum vorstellen. Aber das muss er zum Glück ja auch nicht."
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