Facebook

Zuckerberg als perfekter Sündenbock

Mark Zuckerberg sitzt an einem Tisch in einem Raum des US-Kongresses, hinter ihm eine Gruppe von Menschen
Mark Zuckerberg trägt zur Anhörung vor dem US-Kongress den Anzug wie ein Büßerhemd, meint Enno Park. © picture alliance / dpa / Alex Brandon
Von Enno Park · 16.04.2018
Mark Zuckerberg im US-Senat "gegrillt" zu sehen, war für viele eine wahre Genugtuung. Der Jungmilliardär eignet sich als perfekter Sündenbock. Trotzdem wird hier der falsche Mann mit falschen Gründen für die falsche Sache bestraft, meint der Informatiker Enno Park.
Nach dem Religionsphilosophen René Girard wird ein Sündenbock immer dann gebraucht, wenn eine Gemeinschaft gespalten ist und sich bedroht fühlt. Ihn verantwortlich zu machen hilft, diese Bedrohung nach außen zu verlagern und die Gemeinschaft wieder zu vereinen. Dieser Mechanismus lässt sich gerade in Echtzeit beobachten: Die Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica erschleicht sich Daten von Millionen Facebook-Nutzern und versucht anschließend, damit den US-Wahlkampf zu beeinflussen. Dafür fließt Geld von republikanischen Wahlkampfmanagern, neurechten Gruppen und aus russischen Quellen. Doch im Focus der Öffentlichkeit steht Facebook. Demonstrativ stellen etliche Firmen ihre dortigen Aktivitäten ein und Anleger fordern sogar den Rücktritt von Mark Zuckerberg.

Die Senatoren fragen am eigentlichen Skandal vorbei

Der trägt zur Anhörung vor dem US-Kongress den ungewohnten Anzug wie ein Büßerhemd und entschuldigt sich als erstes im voraus für die Fehler seines Unternehmens. Die Senatoren fragen, ob Zuckerberg nicht auch finde, dass Facebook längst ein Monopol habe. Sie möchten wissen, wie Facebook eigentlich Geld verdient und sorgen sich, dass die Nutzung süchtig machen könne. Zweifelsohne wichtige Fragen. Die allerdings mit dem eigentlichen Skandal wenig bis nichts zu tun haben. Die Anhörung wirkt, als sei ein Damm gebrochen. Lauter Themen rund um Facebook, die sich über etliche Jahre angestaut haben, ergießen sich in einem Schwall. Darunter vieles, was längst erschöpfend diskutiert wurde. Man bekommt den Eindruck, dass die netzpolitischen Debatten der letzten zehn Jahre völlig spurlos an vielen der Senatoren vorbei gegangen sind.

Gewollte Planlosigkeit und kein Geschäftsmodell

Im Zentrum dieser Debatten stehen einige Mythen, die nicht tot zu kriegen sind. Ein solcher Mythos ist die ewig wiederholte Behauptung, Facebook verkaufe Daten. Das ist nicht der Fall. Facebook verkauft Werbung, die anhand dieser Daten zielgenau angezeigt wird. Aber wie konnte es dann geschehen, dass Cambridge Analytica überhaupt an Nutzerdaten gelangen konnte? Dazu müssen wir einen Blick in die Geschichte der Internet-Ökonomie werfen. Jahrelang war es üblich, dass Internet-Startups kein richtiges Geschäftsmodell hatten, sondern sorglos alles mögliche ausprobierten. Hauptsache Daten sammeln und Dienste austüfteln. Einnahmen stellen sich dann schon irgendwie ein. Diese gewollte Planlosigkeit wurde von den Kapitalgebern sogar noch befeuert und von Experten gefeiert.

Cambridge-Analytica-Skandal ist eine Folge der Sorglosigkeit

Anfang des Jahrzehnts wollten die sozialen Medien eine Art Ökosystem für Apps sein. Und eine so eine App wurde missbraucht, um die Nutzerdaten zu sammeln. Facebook reagierte und schränkte die Möglichkeiten solcher Apps nach und nach wieder ein. Aber die Sorglosigkeit setzte sich fort, als Facebook im Wahlkampf offenbar nicht so genau hinsah, was für politische Werbung die Platform eigentlich verbreiten hilft. Der Cambridge-Analytica-Skandal ist eine Folge dieser Sorglosigkeit. Gewollt planlos, wahrscheinlich naiv, sicherlich auch verantwortungslos: Mark Zuckerberg ist ein Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wird.
Darüber gerät jedoch die Frage in Vergessenheit, ob es Firmen wie Cambridge Analytica geben darf, deren Geschäft darin besteht, Wahlen zu beeinflussen. Und dass es US-Politiker und Wahlkampfmanager gibt, die diese Firmen beauftragen. Daran wird sich so bald nichts ändern, denn diese Politiker sind in den USA bis auf weiteres an der Macht.

Zuckerberg als perfekter Sündenbock

Die eigentlich verstörende Frage ist jedoch: Wie kann es sein, dass so viele Amerikaner willens und bereit waren, jemanden wie Donald Trump zum Präsidenten zu wählen? Das ist für die Gesellschaft eine sehr unangenehme Frage, die mit Wahlbeeinflussung nicht mal ansatzweise beantwortet werden kann und auf tiefer liegende Probleme hindeutet. Wie bequem ist es da, sich damit nicht beschäftigen zu müssen, weil mit Facebook und Mark Zuckerberg der perfekte Sündenbock gefunden scheint.

Enno Park ist Journalist und Wirtschaftsinformatiker. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Gesellschaft bis hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine.

Seit er Cochlea-Implantate trägt, bezeichnet er sich selbst als Cyborg und ist einer der Gründer des Cyborgs e.V. in Berlin.

© Deutschlandradio / Cara Wuchold
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