Willkommenskultur in Vorpommern

Die vielen kleinen Schritte

Demonstration unter dem Motto "Willkommen im Abendland - Rostock für alle" am 05.01.2015 in Rostock. Im Vordergrund ein Plakat auf dem "Refugees Welcome - Asylrecht ist Menschenrecht" steht.
Demonstration unter dem Motto "Willkommen im Abendland - Rostock für alle" am 05.01.2015 in Rostock. © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Von Thilo Schmidt · 12.01.2015
Vorpommern will weg vom braunen Image. Bürger in Löcknitz und Torgelow machen vor, wie es geht. Allerdings könnte die rechtsextreme Szene durch die Pegida-Bewegung Auftrieb verspüren.
Reichert: "Dass sich hier schlagartig so viel braunes Gedankengut festhaken konnte, war meines Erachtens auch der Sache geschuldet, dass diese Leute auch einfach dumm und ungebildet waren. Dass sie Parolen von diesen Leuten aufgelaufen sind. Und unser Problem ist es jetzt, und das ist meines Erachtens doch schon wesentlich besser geworden, diese Leute immer mehr in die Defensive zu drängen, damit eben diese braunen Tendenzen niedergehalten werden. Damit Pegida, damit AfD kein Oberwasser bekommt."
Löcknitz bei Pasewalk, auf halbem Weg zwischen Berlin und Stralsund im Grenzgebiet zu Polen. Im November letzten Jahres. Der Demokratieladen Anklam lädt zu einer Filmvorführung über ländliche Neonazi-Strukturen. Ein gutes Dutzend Löcknitzer sind gekommen, denn Vorpommern hat ein erhebliches Problem mit rechten Strukturen, bisweilen und mancherorts gar mit rechtem Mainstream. Tina Rath vom Demokratieladen.
Rath:"Aber es gibt einfach auch viele engagierte Leute, die mehr als nur die Region lieben, sondern einfach mit Menschen zusammenrücken wollen. Und für jeden sozusagen einen guten Platz hier schaffen wollen. Und angefangen von den Flüchtlingen, die jetzt in den letzten Monaten hier immer mehr werden, und hier ankommen, sich dort engagieren und eine schöne Willkommenskultur einfach prägen …"
Es wird unruhig im Saal. Unübersehbar nehmen Neonazis Platz, sie stellen am Ende die Hälfte der Gäste. Die Initiatoren überlegen, wie sie mit der Situation umgehen. Annett Freier vom Demokratieladen Anklam.
Neonazis stören Diskussionsveranstaltung
Freier: "Ich fang voll an zu zittern, weil wir haben mit einigen dieser Protagonisten ne ganz üble Geschichte letztes Jahr erlebt. Die ich nicht kenne, die sind mir eigentlich wurscht, ja? Erstmal. Die Geschichte da in Borken, weißt du? Wir hatten ja da ne ganze Kameradschaft dann im Saal."
Die Organisatoren haben sich geeinigt, die ungebetenen Gäste nicht des Saales zu verweisen. Die anschließende Diskussion beherrschen die Neonazis durch Wortergreifungsstrategie.
Neonazi: "Kriegen sie Geld dafür, dat sie solchen Mist hier verbreiten?"
Hoffmann: "Wir wollen uns hier an die Spielregeln halten, ansonsten brech ich die Veranstaltung ab. …Tumult im Saal …"
Moderator Günther Hoffmann, der die rechten Strukturen Vorpommerns kennt wie kaum ein anderer, hat Mühe, die Störer im Zaum zu halten.
Hoffmann: "… ich habe gerade dafür gestritten, dass sie hier im Raum bleiben können. Weil ich finde die Auseinandersetzungen wichtig. Aber wir halten uns bitte an die Gesprächskultur, das möchte ich hier mal ganz deutlich machen. Ansonsten ist die Veranstaltung beendet."
Die Überfremdungsszenarien der Pegida-Bewegung ähneln denen der Neonazis, auch wenn sie scheinbar harmloser daherkommen. In Vorpommern werden sie seit Jahren öffentlich beschworen. Jeden Tag und vielerorts.
NPD-Werbung an einer Bushaltestelle in Löcknitz im Landkreis Uecker Randow (2011). "Unsere Heimat - unsere Arbeit! Fremdeninvasion stoppen" steht auf dem Wahlplakat.
NPD-Werbung an einer Bushaltestelle in Löcknitz im Landkreis Uecker Randow (2011)© imago/Norbert Fellechner
Neonazi: "Es ist jetzt schon so, dass sich Deutsche – Essen, Duisburg, Frankfurt am Main, Köln – nicht mehr durch Stadtteile bewegen können. Wollen sie das auch in Löcknitz? Ist jetzt mal ne Gegenfrage. Jetzt mal angenommen, es kommen Tausend Vietnamesen hier her. Chinesen, ganz egal was. Und die besetzen ein … Ja sie lachen!"
Rath: "Ich schmunzle. Entschuldigen Sie, weil sie malen gerade ein Bild, was jeder Realität sozusagen fern ist."
Im äußersten Osten des Landes ließ sich lange Zeit kaum jemand blicken, um hinzusehen, müssen Initiativen bis heute alle zwei Jahre um Anschlussförderung betteln.
Auch im Saal: Fine Grafenhorst, die sich in der Region für Flüchtlinge und demokratische Strukturen einsetzt. Sie wohnt in der Gemeinde Viereck, in den letzten Jahren Schauplatz für Veranstaltungen und Konzerte der Neonazi-Szene.
Grafenhorst: "Und wir sind damit hart konfrontiert worden, in diesem Sommer, dass dort die Nazis einfach die Oberhand kriegen konnten. Und das ist ne Gefahr, dass so ein großer Teil der Bevölkerung in den Orten, wo es so ist, einfach sich nicht traut, dagegen was zu sagen. Und sie fallen dann Leuten wie uns, die was organisieren, tatsächlich durch Schweigen in den Rücken."
Bürger in Torgelow kümmern sich um Flüchtlinge
In Torgelow, 30 Kilometer von Löcknitz entfernt, wollen einige engagierte Bürger zeigen, dass es auch anders geht. Dass Vorpommern weltoffen sein will. Sie kümmern sich um die Torgelower Flüchtlinge, die in einem zum Asylbewerberheim umfunktionierten Wohnblock leben. Harald Rinkens ist einer von jenen Torgelowern, die ihre Freizeit mit den Flüchtlingen und für die Flüchtlinge verbringen.
Rinkens: "Wir haben auch ordentlich dagegen gehalten seit 2012. Durch den Bezug des Asylbewerberheims in Torgelow hatten wir ja große Ängste, dass da was passiert, und man muss sagen, in den 14 Monaten, die das Heim jetzt existiert, ist überhaupt nix passiert. Hat uns alle verwundert, verwundert uns auch jetzt noch, und die Veranstaltungen, die wir gemacht haben, zum Thema Willkommenskultur, zum Beispiel, waren immer sehr gut besucht, und die Rechten haben keine Antwort darauf gefunden."
Vorpommern will weg vom braunen Image. Torgelow, könnte man meinen, macht vor, wie es geht. Und es sind die vielen kleinen Schritte, die es am Ende ausmachen. Einer davon: Als die NPD in Torgelow gegen das Asylbewerberheim protestierte und den "besorgten Bürgern" ein Offenes Mikro anbot, war es Patrick Dahlemann, ein junger Politiker der SPD, der spontan und in freier Rede das Wort ergriff.
Dahlemann (vor offenem Mikro der NPD): "Bitte vergessen sie nicht: Das sind Menschen, die freiwillig bereit sind, ihre Heimat zu verlassen. Weil sie Angst um ihr Leben haben, weil sie sich fürchten müssen, ihre politische Meinung zu vertreten, und weil sie aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrer Religion verfolgt werden."
Der SPD-Politiker Patrick Dahlemann aus Torgelow kämpft gegen die Neonazi-Szene in Vorpommern. (aufgenommen 2014)
Der SPD-Politiker Patrick Dahlemann aus Torgelow kämpft gegen die Neonazi-Szene in Vorpommern. © picture alliance / dpa / Daniel Naupold
Dahlemann: "Und ich kann das noch sehr gut vergleichen: Vor dieser Demonstration, vor der Rede am offenen Mikro, haben wir händeringend Leute zusammenkratzen müssen, die bei unserer Anti-Asyl-Tour der NPD – da waren wir zu fünft, da waren wir zu zehnt. Nach diesem, auch nach den Medienberichten, nach dem Engagement, nach den öffentlichen Debatten, sind wir grundsätzlich mehr als die Nazis. 30, 40, 50. Und wenn einen dann die Staatsanwaltschaft freispricht, weil man nicht gegen Versammlungsrecht verstoßen hat, dann lesen das auch alle anderen und sagen: Guck mal hier, es lohnt sich, gegen die Nazis auf die Straße zu gehen. Und da sind wir auf nem guten Weg, und solche Botschaften brauchen wir noch viel, viel mehr."
Dahlemann (vor offenem Mikro der NPD): "Bitte fallen sie an dieser Stelle nicht darauf rein, was ihnen diese aus dem gesamten Land eingeflogenen Neonazis hier zu sagen haben, ich stehe als Torgelower vor ihnen. So wie Sie da stehen. Und ich kann ihnen sagen: Unsere Stadtpräsidentin und ich sind heute unterwegs, verteilen diese Flyer, und wenn Sie Fragen haben, kommen Sie zu uns. Wir werden diese beantworten. Einfache, platte Phrasen wie diese hier werden unsere Probleme nicht lösen."
Rinkens: "Und immer wieder krieg ich auch Unterstützung aus der Bevölkerung. Oder wir.Wenn einer schlecht über die Asylbewerber redet, gibt’s im Nachbarblock zum Beispiel ein paar Leute, die da ganz laut und kräftig dagegenhalten, ja? Also wir nehmen das hier nicht so hin. Also wir betreiben Willkommenskultur, das ist natürlich schwierig. Weil wir nur ein paar Leute sind. Wir könnten also Hilfe immer noch gut gebrauchen."
Salina Tschetschenowa wohnte einige Zeit im Asylbewerberin, neuerdings wohnt sie in einer Wohnung im Ort. Sie kam Ende 2013 aus Naltschik im Nordkaukasus nach Torgelow.
Sie sagt, sie hat drei Kinder. Zwei von ihnen gehen in die Schule. Mit Großherzigkeit werden sie nicht empfangen. Im Gegenteil: Es vergeht kein einziger Tag, an dem nichts passiert. Der Fremdenhass schlägt ihnen vor allem von den deutschen Kindern entgegen.
Ressentiments gegen Ausländer wieder salonfähig
Torgelow-Drögeheide, umgeben von Wäldern und einem riesigen militärischen Areal. In einem Wohnblock des Plattenbauviertels ist das Asylbewerberheim untergebracht. Der Betreiber: "European Homecare", der in Verruf geraten ist, weil in seinen Heimen in Nordrhein-Westfalen Flüchtlinge misshandelt wurden. Zwei Anwohnerinnen:
Anwohnerinnen: "Ich sag mal, so lange sie sich ordentlich benehmen, und uns nicht angreifen, oder Kinder ärgern, haben wir damit kein Problem."
"Wir kennen ja welche auch, Ausländer, auch, mit die verstehen wir uns auch ganz gut, ne? … aber ganz schwarze Ausländer, da hab ich ein bisschen Angst vor."
Thilo Schmidt: "Warum?"
"Ja, weiß ich auch nich. Ick kann dat auch nich beantworten. Aber da geh ich dann lieber aus dem Weg, ne?"
Tsehiye Yemane ist so ein – in Anführungszeichen – ganz schwarzer Ausländer, aus Eritrea. Er bittet um Asyl in Deutschland.
Yemane: "Ja, in Torgelow, das ist nicht leicht for Refugee. Aber immer ich gehe nach der Schule, die sprechen mit mir: 'Hey, Schwarz!' oder 'Nigger', immer 'Nigger, Nigger, Nigger'."
Tagsüber lernt er Deutsch in Pasewalk, und doch bleibt Tsehiye für viele der "Nigger". Und das obwohl, es mittlerweile durchaus viele Menschen gibt, die hier für alle einen guten Platz schaffen wollen. Die Pegida-Bewegung erschwert dieses Engagement nun wieder, macht sie doch Ressentiments gegen Ausländer ein Stück salonfähig. Die Neonazi-Szene wird parteiübergreifend geächtet, bei Pegida müsse man aber differenzieren, heißt es zum Beispiel aus der CSU. Damit wird es wieder legitim, etwas gegen Ausländer zu haben. Man muss ja dazu nicht mehr zur NPD gehen, obwohl diese in Vorpommern längst verstanden hat, den Rostocker Pegida-Ableger "Rogida" für sich zu reklamieren.
Zu wenig Widerspruch von den Parteien
Zu vieles bleibt unwidersprochen zurück, sagt Willehad Grafenhorst, auch er einer von denen, die sich in Torgelow und anderswo engagieren.
Grafenhorst: "Also ich finde es im Moment von der Politik absolut enttäuschend, dass solche Aussagen wie von der CSU unwidersprochen im Raum stehen gelassen werden, dass von der SPD sich sehr wenig positioniert wird gegen Pegida, ich fühl mich da auch an Anfang der Neunziger erinnert, ob da jetzt erst irgendwelche Flüchtlingsheime brennen müssen, oder was passieren muss, bevor jetzt da wirklich im größeren Rahmen was gemacht wird."
Der junge SPD-Politiker Patrick Dahlemann macht bei Kreistagssitzungen indes die Beobachtung, dass die AfD, die inzwischen die Nähe zu "Pegida" sucht, mit den NPD-Abgeordneten kungelt. Pegida, AfD, NPD – es gibt Verbindungen, nicht nur theoretisch. Und den Nährboden für rechtes Gedankengut gibt es hier ohnehin.
Dahlemann: "… aber ich glaube die Tendenz im Engagement gegen Rechtsextremismus und im Erstarken der Demokratie, auch im ländlichen Raum, da sind wir glaub ich wirklich auf nem guten Weg. Und wenn wir jetzt darüber reden, dass wir bei der Rogida-Demonstration in Rostock einen riesengroßen Gegenprotest haben werden, und wir in Vorpommern garantiert nicht die letzten sind, die sich wieder in Busse setzen und da auch mit hinfahren, dann sind das glaub ich auch schon Dinge, die vor zehn Jahren vielleicht sogar noch undenkbar gewesen wären …"
Im Februar werden Patrick Dahlemann und andere Aktive aus Vorpommern eine Reise nach Brüssel machen. Der Verein "Demokratisches Ostvorpommern" wird den Bürgerpreis der Europäischen Union in Empfang nehmen.
Noch so ein kleiner Schritt.

Hören Sie in der Sendung "Länderreport" zudem ein Interview mit Dierk Borstel, Rechtsextremismusforscher an der Fachhochschule Dortmund, über die Unterschiede der Pegida-Bewegung von Bundesland zu Bundesland.

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