Willehad und die Folgen

Von Thomas Kroll |
Der 32. Evangelische Kirchentag findet in Bremen statt. Etwa 300.000 Christen leben in der Hansestadt, drei Viertel sind Protestanten, ein Viertel Katholiken. Gemeinsam machen sie mehr als 50 Prozent der Bremer Bevölkerung aus. Und doch gilt Bremen als säkulare Stadt. Das war nicht immer so.
"Das Christentum hier in Bremen startet ganz klar mit Willehad."

Ingrid Witte, Pastorin am Bremer Dom.

"Mit ‘ner sehr unerfreulichen Sache fängt’s in Bremen an. Denn die Begleiter des angelsächsischen Missionars Willehad wurden im Jahre 782 in Bremen erschlagen. Und Willehad ist nur deswegen davon gekommen, weil der an diesem Tag in Blexen war."

Willi Tacke, Stadtführer in der Hansestadt und Experte für Bremer Kirchengeschichte.
787 schickt Karl der Große Willehad erneut zur Sachsenmission in das Gebiet an der Unterweser.

"Dort hat er sich natürlich clever den Ort ausgesucht, der die besten Chancen hatte. Auf einer Düne, an der Weser, bei einer Weserfurt. Wo praktisch der Handelsweg von Ost nach West über die Weser ging, dort hat er seine Kirche hingesetzt, und um die Kirche ist dann Bremen entstanden."

Willehad gründet das Bistum Bremen. Ihm folgt Bischof Willerich, dann Bischof Ansgar. Den haben die Wikinger aus Hamburg vertrieben.
Mit Ansgar wird Bremen Erzbistum und gewinnt erstmals europäische Bedeutung. Denn von Bremen aus erfolgt die Mission Skandinaviens. Die reicht von Island, ja von Kanada bis Finnland. Bremen entwickelt sich zum Rom des Nordens.
Dennoch haben die Bremer Christen ein Problem.

"Sie hatten keinen Märtyrer. Und Märtyrer waren die Spitzenreliquien, die man haben konnte."

Im benachbarten Wildeshausen verehrt man Märtyrer-Reliquien aus Rom. Die Pilger strömen – und mit ihnen das Geld. Da kommt den Bremern ein Ereignis zu Hilfe.

"Ein Blinder und seine blinde Tochter begeben sich nach Wildeshausen, beten am Grab des Heiligen Alexander, und einer bekommt das Augenlicht von einem Auge zurück. Sie pilgern weiter nach Bremen, und das Ergebnis kann man sich denken: Drei Augen werden am Grab des Heiligen Willehad sehend. Mit andern Worten: Drei zu eins für Bremen."

Von da an pilgert man vorwiegend nach Bremen – bis zum Anbruch der Reformation, weiß die Pastorin vom St. Petri Dom.

"In Bremen beginnt sie mit der Predigt von Heinrich von Zütphen in Sankt Ansgarii 1522."

"Und die Bremer strömten dann zu ihm hin, sodass es im Grunde zwei Jahre dauerte, und die alte Kirche gab’s nicht mehr, wenn man vom Erzbischof und vom Domkapitel absieht."

Auf die Predigten des Augustineremiten Heinrich Möller aus Zütphen folgt 1532 der Aufstand der 104 Männer. Die revoltieren gegen den Rat der Stadt, gegen die Kaufleute und gegen das Domkapitel.

"Sie marschieren mit dem Prediger Jakob Propst von Unser Lieben Frauen am Palmsonntag in den Dom, klappen den Domkapitularen ihre Breviere zu und sagen Schluss mit Hokuspokus, also Lateinischer Gottesdienst gibt’s nicht mehr."

Das Domkapitel sucht das Weite. Der Rat und die Kaufleute hingegen gewinnen bald wieder die Oberhand.
Von 1581 an erlebt Bremen eine zweite Reformation mit Ankunft des Predigers Christoph Pezelius. Die Hansestadt wird gemäßigt kalvinistisch. Der nunmehr lutherische Dom ist von Refomierten umzingelt. Von Katholiken fehlt fast jede Spur.

"Wenn man in den Dom geht, sieht man: Dort sind mittelalterliche Bildwerke aus der vorreformatorischen Zeit vorhanden. Die sind in anderen Kirchen nicht vorhanden. Die sind kurz und klein geschlagen worden."

Dazu schreibt Louis Ferdinand von Zobeltitz, Leiter der Bremer Kulturkirche Sankt Stephani.

"Christoph Pezelius achtete darauf, dass die Bremer sich keinem radikalen Zwinglialismus verpflichteten, sondern immer auch die Confessio Augustana als Richtschnur ihres Glaubens begriffen. Ihm ist es zu verdanken, dass Bremen nie einem engen Konfessionalismus verfiel und immer das gemeinsame mit den anderen evangelischen Kirchentümern gesucht hat."

"In Bremen gibt es viele Gemeinden, die sich evangelisch nennen. Und wenn man genau hinguckt, dann haben die keine besonders ausgeprägte lutherische Liturgie, aber auch nicht die strenge, nicht vorhandene Liturgie der Reformierten."

Weitere Besonderheiten: Die Bremisch Evangelische Kirche ist eine von 22 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, aber keine Landeskirche.
Das Bremer Pendant zur Landessynode heißt "Kirchentag". Der umfasst 156 Delegierte aus 65 Gemeinden. Die wählen den Kirchenausschuss.

"Das ist das Leitungsgremium, besteht aus zwölf Leuten, also da hat man die Apostelzahl als Maßstab genommen."

Jede Gemeinde hat ihre eigene Verfassung, jede Gemeinde genießt Glaubens-, Lehr- und Gewissensfreiheit. Daher gibt es weder Bischöfin noch Bischof an der Spitze des Kirchenausschusses, wohl aber eine Präsidentin, zwei weitere Laien und einen Theologen. Der trägt den Titel "Schriftführer".

"Und dieser Schriftführer ist der theologische Repräsentant. Anders kann man das gar nicht nennen, weil er wirklich nicht sehr viel mehr Befugnisse hat."

"Eine goldene Brücke hat Bischof Huber gebaut. Er macht den Vorschlag, weshalb man denn nicht daran denkt, der Schriftführer habe die Aufgabe, die Bremisch Evangelische Kirche durch die Schrift zu führen, also ihr die Heilige Schrift nahezubringen."