Wildtierforschung

Wie der Fuchs in der Stadt zurechtkommt

06:49 Minuten
Ein Fuchs auf dem Wirtschaftshof des Auguste-Viktoria-Klinikums in der Rubensstraße in Berlin, aufgenommen 2014, er schaut direkt in die Kamera.
Sind Füchse erst einmal in der Stadt, bleiben sie in der Regel auch dort, haben Wildtierforscher herausgefunden. © imago / Olaf Wagner
Von Carolin Born · 25.04.2019
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Sie haben Stammplätze, legen nachts bis zu 15 Kilometer zurück und leben viel kürzer als ihre Artgenossen auf dem Land: die Stadtfüchse. In Berlin haben Forscher die Wildtiere mit Sendern ausgestattet – und sind so ihrem Verhalten auf der Spur.
"Ich hab mir tatsächlich vor Ort angeschaut, wo Portus schläft."
Portus ist ein Stadtfuchs. Rotbraunes, dichtes Fell, am Bauch weiß, und vor allem: gut genährt. Nachts streift er am liebsten durch den Berliner Bezirk Lichtenberg. Wenn er mittags müde wird, hat er einen Stammplatz. Und den kennt Sophia Kimmig.
"Das ist ein typischer älterer Berliner Hinterhof. Nicht zu aufgeräumt, sodass es noch ein paar schöne Verstecke für den Fuchs gibt. Einen alten Schuppen, ein bisschen Gestrüpp, wo man sich verkriechen kann. Ich hab aber auch Tiere gehabt, die haben auf Fußballplätzen geschlafen, direkt an dem Fußballrasen unter einer Hecke."

Halsbandsender verrät den Aufenthaltsort

Sophia Kimmig ist Biologin und Fuchsforscherin. Von Portus dachte sie ursprünglich, dass er im nahen Tierpark lebt, weil es dort viel Futter gibt. Dann hat sie aber festgestellt, dass Portus nie in den Tierpark geht. Seine Bewegungsdaten haben es ihr verraten. Um seinen Aufenthaltsorte zu bestimmen, trägt Portus ein kleines Halsband. 100 Gramm wiegt es etwa. In ihrem Büro hat Kimmig ein früheres Modell aufbewahrt.
"Was wir hier sehen, ist: Wir haben einen größeren, schweren Teil, der am Halsbandsender angebracht ist. Das ist so ein Kunststoff-ummanteltes Gehäuse, in dem sich die Batterie befindet. Das ist genauso wie bei der Elektromobilität und bei allen anderen Dingen, wo wir Strom brauchen: Der limitierende Faktor in der Technik ist immer noch die Batterie und deren Leistung. Das ist tatsächlich auch das Einzige, was dem Halsband ein bisschen Gewicht verleiht. Was unsere Daten erhebt, also technisch anspruchsvoll ist, ist also die leichte Komponente am Halsband."
Wildtierforscherin Sophia Kimmig schaut in eine Fuchsfalle in Berlin.
Fuchsfalle in Berlin – sie werden nur zu Forschungszwecken verwendet.© Carolin Born
Um den Fuchs sozusagen zu besendern, hat Kimmig in Berlin Fallen aufgestellt. Auch Portus ist damals in diese Falle getappt. Ein Holzkasten, zwei Meter lang, damit das Tier nicht verletzt wird. Mehrmals musste Kimmig mitten in der Nacht aufstehen, weil die Falle zugeschnappt hat. Aber nicht immer sitzt dann ein Fuchs darin.
"Wenn wir die mal aufmachen, dann ist hier innen noch so ein Schutzgitter, damit man die Klappe öffnen und sich anschauen kann, was in der Falle sitzt, ohne dass es einem gleich ins Gesicht springt. Das ist besonders wichtig, wenn da zum Beispiel ein Eichhörnchen drin sitzt, denn die sind ziemlich flink. Die möchte ich ungern direkt auf meinem Kopf sitzen haben, wenn ich die Falle aufmache. Das heißt, ich öffne erstmal nur die Klappe und schaue durch das Gitter, was ich drinsitzen habe."
Mittlerweile hat Kimmig genug Fuchs-Daten gesammelt. Sophia Kimmig promoviert am Leibniz Institut für Zoo- und Wildtierforschung darüber, ob der Fuchs in der Stadt gut zurechtkommt – und was das Stadtleben mit dem Fuchs macht. Mit dem Halsbandsender überprüft Kimmig außerdem: Hat der Berliner Fuchs einen Lieblingskiez oder kommt er viel rum?
"Was ich bisher in meinen Daten sehen kann, ist dass die Füchse schon ziemlich viel unterwegs sind. Das heißt, dass sie zwar ihr Revier haben, aber manchmal in einer einzigen Nacht 15 Kilometer laufen, durch verschiedene andere Stadtteile. Bisher ist es erst einmal vorgekommen, dass einer der besenderten Füchse die Stadt tatsächlich verlassen hat und quasi aus Berlin nach Brandenburg ausgewandert und dort auch geblieben ist. Das war aber bisher die Ausnahme."

In der Stadt ist der Fuchs eher Sammler als Jäger

Ein Pendler ist der Fuchs also eher nicht: Er bleibt für gewöhnlich entweder in der Stadt oder auf dem Land. Denn in der Stadt findet der Fuchs ausreichend Nahrung, hier ist er eher Sammler als Jäger. Womöglich will er deshalb gar nicht aufs Land.
Den Landfuchs hingegen könnten zum Beispiel der Asphalt oder die vielen Häuser in der Stadt abschrecken. Diese Hypothesen bearbeitet Kimmig in ihrer Doktorarbeit. Sie geht der Frage nach, ob der Stadtfuchs sogar eine eigene Population sein könnte. Dafür analysiert sie nicht nur, wo sich der Fuchs aufhält, sondern auch, was er dort macht. Im Halsband steckt dafür ein Beschleunigungs-Sensor:.
"Der merkt, wenn das Halsband im dreidimensionalen Raum bewegt wird, also von oben nach unten, von rechts nach links und schräg. Diese drei Achsen messen die Beschleunigung, wenn das Tier irgendwelche Bewegungen macht."
Mit dem Datensatz allein kann Sophia Kimmig nichts anfangen. Denn die Kurven sagen noch nichts über das Fuchsverhalten aus. Deshalb hat eine Kollegin von Kimmig besenderte Füchse im Zoo beobachtet – was weniger aufwändig war als den Fuchs in der Stadt zu verfolgen. Dadurch kann Kimmig den Beschleunigungskurven ein Verhalten zuordnen. Sie erkennt also, ob der Fuchs gerade schläft, frisst oder Kontakt zu anderen Füchsen hat. Ihr Kollegen Wanja Rast hat das ganze in einer Grafik dargestellt.
"Zeig nochmal die neuen Plots, die du gemacht hast. Wir haben ja die alten mit den Linien gehabt, jetzt haben wir die neu als Balkendiagramme. Dieses Lagerverhalten, das sieht man jetzt hier so ein bisschen. Das ist vorher komplett untergegangen. Jetzt sieht man, dass es ab und zu mal auftaucht, bei dem Fuchs hier. Da kann man vielleicht über die Farbgebung…"

Bilder von einer Fähe mit Welpen – in der Stadt

Wanja Rast macht gerade einen Ökologischen Bundesfreiwilligendienst am Institut. Er zeigt an seinem Computer viele Diagramme über das Fuchsverhalten. Dafür arbeitet er mit einem sogenannten Machine-Learning-Algorithmus.
"Dieser Datensatz wurde dem Computer gegeben, damit er sich diese Muster heraussuchen kann. Damit er lernt, wie ein Verhalten in einem Datenmuster aussieht. Jetzt können wir die gleichen Daten von den Füchsen nehmen, die sich frei durch Berlin bewegen. Und der Computer sagt uns dann, welches Verhalten es ist."
Ein nachtaktives, wildes Tier wie der Fuchs lässt sich in der Stadt schlecht beobachten – mit dem Sender geht das sogar rund um die Uhr – bequem vom Schreibtisch aus. Für Videos hat Kimmig einige Kameras aufgebaut. Sie hat sogar Bilder von einer Fähe mit ihren Welpen. Den Nachwuchs in der Stadt großzuziehen ist kein Problem für die Füchse, denn es gibt gute Verstecke.
Allerdings lebt ein Fuchs in der Stadt im Schnitt nur ein Jahr lang. Gerade die neugierigen Welpen werden oft überfahren – auf dem Land wird ein Fuchs im Durchschnitt neun Jahre alt.
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