Wildes Durcheinander
Dieudonné Niangouna misst in seinem Monumentalstück "Shéda" das Chaos der Welt aus. Niangouna, 1976 geboren, erlebte den Wechsel vom Kommunismus zur Demokratie samt zweier Bürgerkriege in seinem Heimatland, der Republik Kongo (ehemals Französisch-Kongo).
Er ist Autor, Regisseur, Schauspieler und leitet ein Theaterfestival in Brazzaville; er ist in diesem Jahr "artiste associé" des Festival d’Avignon. Dort zeigt er mit seiner Compagnie "Les Bruits de la Rue" –"Die Geräusche der Straße" - sein Stück "Shéda" im legendenumwobenen Carrière de Boulbon. "Shéda" kommt aber nicht in Avignon, sondern in Amsterdam beim Holland-Festival heraus, Uraufführung war in Amsterdam in der Stadsschouwburg.
Patrick Janvier hat ein vieldeutiges Bühnenbild entworfen – es wirkt links wie eine Stadt auf einer Müllhalde oder Bretterbuden in den Elendsvierteln einer Großstadt der Dritten Welt. Rechts aber steht eine Art Silo mit einer Rutsche für die im Silo gelagerten Güter. Hier rutschen zwei Schauspieler herab, es könnten gefallene Götter sein, die zu den Menschen kommen. Niemand weiß, ob dieses Bühnenbild in der realen Welt angesiedelt ist oder anderswo, etwa zwischen dem Jenseits und dem Diesseits.
Zwölf Schauspieler treten auf – sie haben keine festgeschriebenen Rollen – aber eine, jung, sportlich, fast soldatisch gekleidet mit einem Schwert, könnte eine Jeanne d’Arc sein, eine andere eine kraftvolle Hexe, ein fast dürrer Schauspieler hat Züge eines Propheten, ein anderer erzählt laufend Geschichten, meistens haarsträubende, er bordet über vor Fabulierlust.
"Shéda" ist ein Kunstwort, es erinnert einerseits an einen kleinen Laden, andererseits an Satan, an den Teufel, aber es soll drittens, so erläutert Niangouna in einem ausschweifenden Artikel im Programmheft, nichts bedeuten. Solche Widersprüche gibt es nicht nur öfter, sie konstituieren das Stück – es ist im Grund absurd, die Welt eben ein Chaos. Es gibt keine durchgehende Geschichte, keinen roten Faden, sondern Episoden, die willkürlich aneinandergereiht sind. Die Zeit ist aufgehoben, einmal wird sogar erzählt, jemand habe die Zeit rückwärts fließen lassen. Oft halten die Figuren Monologe, große Reden, die aber in sich nicht konsistent sind – im Gegenteil. Was soll man mit der Mitteilung anfangen, der gute Samariter habe eine Frau gehabt und die trinke Pepsi?
Es geht also wild durcheinander, aber immer wieder verdichtet sich dieses Wirrwarr in einem Bild. Da schiebt ein dicker Mann mit einem Motorradhelm, den er mit einem umgedrehten Leuchter geschmückt hat, eine Nähmaschine auf die Bühne, die einen schweren Unfall gehabt hat. Nur der untere Teil ist unversehrt, die Nähmaschine weg – der stolze Besitzer hat stattdessen eine Reihe von Rädern montiert; wenn er auf das Pedal tritt, drehen sie sich sinnlos. Sinnlos!, das ist wichtig.
Der hagere Prophet will sich aufhängen. Ein Seil hat er schon, die Schlinge hat er sich um den Hals gelegt, aber ein Haken fehlt. Wohl eine halbe Stunde sucht er danach, andere helfen ihm schließlich – keiner kommt auf den Gedanken, ihm den Selbstmord auszureden – eine quälende Szene, gleichwohl sprechend.
Das Stück dauert über fünf Stunden – aber auch wir in Europa haben lange Schauspiele. Peter Stein nahm sich für Goethes "Faust" zwei Tage, Shakespeare Königsdramen brauchen zwölf Stunden. Und Dieudonné Niangouna ist offenbar ehrgeizig – er möchte ein großes Werk über die Welt im 21. Jahrhundert schreiben und feststellen, wie allumfassend das Chaos ist – dafür nimmt er sich Zeit.
Und er hat gute Argumente. Für ihn kehrt das Gleiche immer wieder, kein Fortschritt, nirgends. Aber man braucht Zeit, die Fülle der Oberflächenphänomene zu durchschauen und das Immergleiche zu erkennen. Niangouna hat einen Kronzeugen für seine Auffassung: Die Fernsehnachrichten. Auch dort wird das Unterschiedlichste aus den entlegensten Teilen der Welt zusammengerafft: Die Bestechlichkeit der Beamten, die Unfähigkeit eines Politikers, der Krieg im Nahen Osten, das Wetter, die Geburt einer Prinzessin und der Ehebruch eines Schauspielers. Morgen kommt das gleiche, gestern war die Mischung ähnlich – eine Collage, die genauso absurd ist wie Niangounas wüste Zusammenstellung – und wir nehmen es wahr wie das Selbstverständlichste und Logischste der Welt. Heimlich beneidet der Afrikaner die Nachrichten wohl, einmal zumindest lässt er einen seiner Darsteller bitten: "20.00 Uhr Nachrichten, ora pro nobis – bete für uns!"
Das Stück fängt nicht an und hört nicht auf. Am Ende steht der Erzähler an der Rampe. Sein Mund öffnet und schließt sich, er erzählt stumm weiter, während die Scheinwerfer verlöschen.
Ein interessantes, in den besten Momenten provozierendes Stück, ein ambitionierter Theatermann – gut, dass das Festival d’Avignon Niangouna zum artiste associé gewählt hat und so Aufmerksamkeit auf ihn lenkt.
Patrick Janvier hat ein vieldeutiges Bühnenbild entworfen – es wirkt links wie eine Stadt auf einer Müllhalde oder Bretterbuden in den Elendsvierteln einer Großstadt der Dritten Welt. Rechts aber steht eine Art Silo mit einer Rutsche für die im Silo gelagerten Güter. Hier rutschen zwei Schauspieler herab, es könnten gefallene Götter sein, die zu den Menschen kommen. Niemand weiß, ob dieses Bühnenbild in der realen Welt angesiedelt ist oder anderswo, etwa zwischen dem Jenseits und dem Diesseits.
Zwölf Schauspieler treten auf – sie haben keine festgeschriebenen Rollen – aber eine, jung, sportlich, fast soldatisch gekleidet mit einem Schwert, könnte eine Jeanne d’Arc sein, eine andere eine kraftvolle Hexe, ein fast dürrer Schauspieler hat Züge eines Propheten, ein anderer erzählt laufend Geschichten, meistens haarsträubende, er bordet über vor Fabulierlust.
"Shéda" ist ein Kunstwort, es erinnert einerseits an einen kleinen Laden, andererseits an Satan, an den Teufel, aber es soll drittens, so erläutert Niangouna in einem ausschweifenden Artikel im Programmheft, nichts bedeuten. Solche Widersprüche gibt es nicht nur öfter, sie konstituieren das Stück – es ist im Grund absurd, die Welt eben ein Chaos. Es gibt keine durchgehende Geschichte, keinen roten Faden, sondern Episoden, die willkürlich aneinandergereiht sind. Die Zeit ist aufgehoben, einmal wird sogar erzählt, jemand habe die Zeit rückwärts fließen lassen. Oft halten die Figuren Monologe, große Reden, die aber in sich nicht konsistent sind – im Gegenteil. Was soll man mit der Mitteilung anfangen, der gute Samariter habe eine Frau gehabt und die trinke Pepsi?
Es geht also wild durcheinander, aber immer wieder verdichtet sich dieses Wirrwarr in einem Bild. Da schiebt ein dicker Mann mit einem Motorradhelm, den er mit einem umgedrehten Leuchter geschmückt hat, eine Nähmaschine auf die Bühne, die einen schweren Unfall gehabt hat. Nur der untere Teil ist unversehrt, die Nähmaschine weg – der stolze Besitzer hat stattdessen eine Reihe von Rädern montiert; wenn er auf das Pedal tritt, drehen sie sich sinnlos. Sinnlos!, das ist wichtig.
Der hagere Prophet will sich aufhängen. Ein Seil hat er schon, die Schlinge hat er sich um den Hals gelegt, aber ein Haken fehlt. Wohl eine halbe Stunde sucht er danach, andere helfen ihm schließlich – keiner kommt auf den Gedanken, ihm den Selbstmord auszureden – eine quälende Szene, gleichwohl sprechend.
Das Stück dauert über fünf Stunden – aber auch wir in Europa haben lange Schauspiele. Peter Stein nahm sich für Goethes "Faust" zwei Tage, Shakespeare Königsdramen brauchen zwölf Stunden. Und Dieudonné Niangouna ist offenbar ehrgeizig – er möchte ein großes Werk über die Welt im 21. Jahrhundert schreiben und feststellen, wie allumfassend das Chaos ist – dafür nimmt er sich Zeit.
Und er hat gute Argumente. Für ihn kehrt das Gleiche immer wieder, kein Fortschritt, nirgends. Aber man braucht Zeit, die Fülle der Oberflächenphänomene zu durchschauen und das Immergleiche zu erkennen. Niangouna hat einen Kronzeugen für seine Auffassung: Die Fernsehnachrichten. Auch dort wird das Unterschiedlichste aus den entlegensten Teilen der Welt zusammengerafft: Die Bestechlichkeit der Beamten, die Unfähigkeit eines Politikers, der Krieg im Nahen Osten, das Wetter, die Geburt einer Prinzessin und der Ehebruch eines Schauspielers. Morgen kommt das gleiche, gestern war die Mischung ähnlich – eine Collage, die genauso absurd ist wie Niangounas wüste Zusammenstellung – und wir nehmen es wahr wie das Selbstverständlichste und Logischste der Welt. Heimlich beneidet der Afrikaner die Nachrichten wohl, einmal zumindest lässt er einen seiner Darsteller bitten: "20.00 Uhr Nachrichten, ora pro nobis – bete für uns!"
Das Stück fängt nicht an und hört nicht auf. Am Ende steht der Erzähler an der Rampe. Sein Mund öffnet und schließt sich, er erzählt stumm weiter, während die Scheinwerfer verlöschen.
Ein interessantes, in den besten Momenten provozierendes Stück, ein ambitionierter Theatermann – gut, dass das Festival d’Avignon Niangouna zum artiste associé gewählt hat und so Aufmerksamkeit auf ihn lenkt.