Wilde Erinnerungen

Von Robert Nemecek · 28.09.2012
Von einer schier unfassbaren Produktivität zeugt das Schaffen des amerikanischen Komponisten und Pianisten William Bolcom. Der Klavierzyklus Recuerdos (Erinnerungen) entstand 1991 und erinnert an die lateinamerikanischen Tänze des späten 19. Jahrhunderts.
Das Werkverzeichnis des 1938 in Seattle geborenen Tonkünstlers, der unter anderem bei Darius Milhaud und Olivier Messiaen studierte, weist nicht nur so gut wie alle wichtigen Gattungen der ernsten Musik auf (unter anderem acht Sinfonien und elf Streichquartette), sondern enthält auch zahlreiche Beiträge zur Popularmusik, namentlich Musicals und Kabarettsongs.

Seit 1960 pflegt Bolcom einen Stil, der Elemente der klassischen Tradition mit denen der amerikanischen U-Musik verbindet. Diese Stilsynthese charakterisiert auch einen Großteil seiner Klaviermusik, deren Bandbreite vom seriellen Stil bis zum Ragtime reicht. Für seine zwölf Klavieretüden erhielt er 1988 den Pulitzer-Preis.

Der Klavierzyklus Recuerdos (Erinnerungen) entstand 1991 als schöpferischer Nachklang von Bolcoms Auseinandersetzung mit lateinamerikanischen Tänzen des späten 19. Jahrhunderts. Der Zyklus enthält Tänze im Stil dreier nord- und süd-amerikanischer Komponisten des 19. Jahrhunderts, die für ihr Land musikalische Pionierarbeit geleistet haben.

Der erste Tanz, Chôro, orientiert sich am brasilianischen Straßenlied, das auf den brasilianischen Komponisten Ernesto Nazareth (1863-1934) zurückgeht. In Paseo huldigt Bolcom dem großen amerikanischen Komponisten und Pianisten Louis-Moreau Gottschalk (1829-1869), dessen Bemühungen um eine Verschmelzung von nord- und südamerikanischer Musik er reflektiert und schwungvoll verarbeitet. In Valse Venezolano, dem originellsten Stück des Zyklus‘, wirbelt Bolcom typische Elemente des Kompositionsstils Ramon Delgado Palacios (1863-1902) wild durcheinander und schafft so ein veritables Kabinettstück moderner südamerikanischer Klaviermusik.


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