Wildblumenzüchterin Nina Keller in Brandenburg

Mit der Ochsenzunge für ein besseres Ökosystem

06:50 Minuten
Eine blaue Ochsenzunge auf einem Acker.
Bunte Wiesen wie hier mit der Ochsenzunge erinnen die älteren Landwirte an alte Zeiten, sagt Nina Keller. © picture alliance/dpa/xim.gs/Rufflet
Von Christoph Richter · 25.06.2020
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Wolfsmilch, Witwenblume, Ochsenzunge: Solche Wildblumen kennen nur noch wenige. Nina Keller ist eine davon: Die 31-Jährige züchtet sie im Oderbruch. Sie sind gut für den Boden und fürs Klima. Doch an Samen wie an Abnehmer ranzukommen, ist nicht einfach.
"Klar es geht um blühende Landschaften", sagt Nina Keller und lacht. Sie ist Wildblumen-Gärtnerin in Reitwein nahe der polnischen Grenze. Das liegt im Oderbruch, im tiefsten Osten der Republik. 2014 hat sie sich mit der Idee selbständig gemacht.
"Wir bauen Wildpflanzen an, um das Saatgut zu ernten. Und dann wird das wieder ausgebracht und werden Wildblumenwiesen angelegt."
Um an die Samen der Wildblumen ranzukommen, kann Nina Keller aber nicht einfach so in den Supermarkt gehen, ganz im Gegenteil: Sie zieht – wie eine nomadisierende Pilzsammlerin mit Pinzette und Becherlupe – monatelang durch das Unterholz von Naturschutzgebieten und sammelt den Samen, um ihn dann auf ihrem sandigen Acker zu züchten.
"Weil das die einzigen Flächen sind, wo die artenreichen Wiesen vorkommen." Mit Genehmigung der Naturschutzbehörde sammle sie dort das Ausgangssaatgut, dass dann vermehrt werde. "Wir säen das immer aus in Anzuchtkästen. Dann pflanzen wir das mit der Pflanzmaschine, dem alten Traktor der da steht. Dann werden die Pflanzen in Reihe, nach Art vermehrt." Geerntet werde das Saatgut teilweise von Hand und teilweise mit dem Traktor und dem Mähbalken. "Und dann wird der Samen gedroschen." Also zerhäckselt.
Wildblumenzrüchterin Nina Keller steht mit einem Strohhut auf dem Kopf vor einem ihrer Wildblumenfelder, im Hintergrund ein Dorf im Oderbruch in Brandenburg.
Züchtet Pflanzen, die nur noch wenige kennen: Wildblumenexpertin Nina Keller.© Deutschlandradio / Christoph Richter
Das alles macht sie mit alten Landwirtschaftsmaschinen. Ihr besonderes Stück: der Traktor GT 124 aus DDR-Zeiten. Mehr als 50 Jahre alt, ein veröltes stählernes Ungetüm. Nina Keller benötigt ihn vor allen Dingen beim Ernten der Wildblumensamen. Eine Maschine mit einer Seele, wie die Botanikerin mit einem Lachen erzählt. Denn der muss gehegt und gepflegt werden, nicht immer springt er an, wenn man ihn braucht. Davon kann ihr Mitarbeiter Steffen Dietrich ein Lied singen.
"Au… Batterie… Wundert mich eigentlich, bin doch gestern noch gefahren…"
Nach einigen Versuchen klappt es dann doch. Der Traktor springt an.

Traditionelle Landwirtschaft ist skeptisch

Die Wildblumen sind vor allem für die Begrünung der Seitenstreifen an den Straßen und an Uferböschungen vorgesehen. Und wichtig für die Artenvielfalt, die Biodiversität. Und: "Für die Insekten natürlich. Und das ganze Ökosystem was da mit dran hängt."
In Zeiten des Klimawandels sei es wichtig, die Artenvielfalt zu haben. "Dass, wenn extreme Trockenzeiten und Dürren kommen, neue Pflanzen kommen können, wenn etwas verdorrt ist." Sie habe das schon öfter erlebt. "Wenn eine Fläche tot ist, das dann andere Pflanzen Fuß fassen können."
Um letztlich landwirtschaftliche Flächen auf lange Sicht zu erhalten. Wildblumen erneuern den Boden, machen ihn wieder fruchtbar, ergänzt Wildpflanzen-Expertin Nina Keller.

Einer der Gründe, warum auch immer mehr Landwirte auf Wildblumen setzen. Und wer die volle EU-Agrar-Förderung bekommen wolle, müsse auch sogenannte Greening-Maßnahmen durchführen. Also Blühstreifen anlegen, erzählt Nina Keller. Neben dem Hobbygärtner von nebenan sind hauptsächlich Bio-Landwirte ihre Kunden. Nur die traditionelle Landwirtschaft hadere noch, die großen Agrar-Genossenschaften in der Nachbarschaft können mit Wildblumen, dem Greening wenig anfangen, erzählt die 31-Jährige. Kontakt habe es noch keinen gegeben, was Keller sehr bedauert.
"Ich hab zum Beispiel dorthin ein Angebot geschickt, dass sie das Saatgut bei mir kaufen können. Aber die sind auch nicht auf mich zugekommen." Sie wisse gar nicht, "was die so richtig denken über mich".
Wer keine traditionelle Landwirtschaft mache, werde nicht ernst genommen. Versteht sie nicht ganz, sagt Nina Keller.
Dabei würden gerade die älteren Landwirte im Dorf mit viel Respekt auf ihre Arbeit schauen. Sie erinnern sich an frühere Zeiten, als es noch keine Monokulturen gab, die nur aus Raps und Sonnenblumen ganze Landstriche dominieren. Ihre Felder dagegen würden Erinnerungen an alte Zeiten auslösen. Als die Wiesen noch bunt und duftend waren.

Blumen, die quasi ohne Wasser wachsen

"Hier auf diesem Feld – wir haben verschiedene Anbauflächen – haben wir Ochsenzunge, daneben das Weiße Laabkraut, dann haben wir eine Wolfsmilch. Die wird allerdings erst nächstes Jahr blühen. Manchmal muss man geduldig sein. Dann kommt das Kleine Habichtskraut, die Grasnelke, Kartäusernelke, Johanniskraut, dahinter die Witwenblume. Graukresse haben wir noch..."


Eine Auflistung wie in einem Botanik-Lehrbuch. Wildblumen, die nur noch wenige kennen. Ihr großer Vorteil: Sie seien an schlechte Böden bestens gewöhnt, der fast wie Sand durch die Finger rieselt, wenn man in die Erde greift. Trotzdem: Wässern muss man die märkischen Wildblumen so gut wie gar nicht, die Pflanzen seien genügsam. Höchstens etwas Pflanzenstärkungsmittel bräuchten die Wildblumen von Zeit zu Zeit.
Wildblumenfeld der Züchterin Nina Keller vor einem Dorf im Oderbruch in Brandenburg. 
HIer im Oderbruch werden die fast vergessenen Wildblumensorten gezüchtet.© Deutschlandradio / Christoph Richter
"Die Flächen, die wir abbekommen haben, sind Sandböden. Die anderen, die guten Böden, die es hier auch gibt in der Gegend, sind vergeben." Aber sie spezialisiere sich auf Pflanzen, die damit zurechtkommen. "Und es ist erstaunlich: Ohne Bewässerung wachsen die, man kann es sich kaum vorstellen, woher die das Wasser bekommen. Die wachsen, machen Blüten, machen Samen."

Aus dem Südwesten tief in den Osten

Nina Keller kommt aus dem tiefsten Südwesten der Republik, aus einem Dorf bei Lörrach. Verschlagen hat es sie in den Oderbruch, weil sie anfangs zusammen mit Freunden ein altes Gehöft gemietet hat, um während ihres Studiums an der FU Berlin, der Stadt zu entkommen. Stück für Stück habe sie sich mehr in die Region verliebt, erzählt sie. Vor sieben Jahren hat sie sich endgültig in Reitwein niedergelassen. Und konnte sogar ihren schwäbischen Vater vom kargen Oderbruch überzeugen, der nun auch in unmittelbarer Nähe – im selben Haus – wohnt.
"Ich bin sehr froh, dass ich hier gelandet bin, in diesem Teil von Deutschland. Und mich sehr willkommen gefühlt habe in dem Dorf, als ich hier angefangen habe mit der Landwirtschaft", sagt Nina Keller.
Auch wenn die Menschen mit ihrer rau-herzlichen Art manchmal eine Herausforderung seien.
"Ganz anders als in Süddeutschland. Aber ich finde es auch ehrlicher." Das gefalle ihr gut. "Dauert manchmal ein bisschen, bis man warm wird miteinander. Aber dann ist es herrlich."
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