Wieviel Nähe braucht der Nächste?
"Im Anfang war das Wort." Für die christliche Religion trifft der erste Satz des Johannes-Evangeliums auch in seinem Wortsinn zu. Denn das Christentum und die Medien haben seit jeher eine enge Beziehung. Nun, da das Internet im Begriff ist, zum Leitmedium des 21. Jahrhunderts zu werden, stellt sich die Frage, wie sich die beiden großen Volkskirchen den ständig wachsenden Möglichkeiten anpassen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben wir mehr denn je in einer Mediengesellschaft. Unsere Meinungen, unsere sozialen Kontakte, unser Gefühlsleben und unser Wissen - sie alle sind wesentlich bestimmt durch unseren täglichen Umgang mit den Medien. Von der morgendlichen Zeitungslektüre über berufliche und private E-Mails und SMS am Arbeitsplatz bis zu Radionachrichten während der Autofahrt und dem Fernsehfilm am Abend.
Im neuen Jahrtausend schickt sich das Internet an, das Fernsehen als Leitmedium abzulösen - gerade bei der jungen Generation. Mittlerweile sind über 60 Prozent aller Menschen in diesem Land online. In der Altersgruppe zwischen 14 und 19 Jahren liegt dieser Anteil bereits bei 97 Prozent. Gunda Ostermann von "katholisch.de":
"Die christliche Religion ist schon immer eine gewesen, die sich quasi der aktuellen Medien bedient hat."
Die Geschichte des Christentums ist eng mit der Entwicklungsgeschichte der Medien verbunden. Betrachtet man die Rolle, die die Briefe des Paulus oder später der Buchdruck für die Verbreitung des christlichen Glaubens gespielt haben, erscheint der Sprung ins Internet für die beiden hiesigen Volkskirchen lediglich als logische Konsequenz. Theologe und Medienpädagoge Karsten J. Henning:
"Wenn die Kirche nicht mehr in ihrer Zeit lebt und in der Art und Weise, wie die Menschen leben, das wahrnimmt - das zweite Vatikanum sagt dazu "adjournamento" - dann haben wir ein Problem, dann erfüllen wir unseren Auftrag nicht."
Die Kirchen sind aber nicht nur von einer Medienaffinität geprägt, sondern auch von einer langen Tradition der Technologiekritik. Diese scheint angesichts der Geschwindigkeit, mit der neue Technologien heute entwickelt werden, notwendiger denn je. Sie führte aber auch dazu, dass die Kirchen sich erst lange mit den Chancen und Nachteilen neuer Medien auseinandersetzten, bevor sie begannen, diese für sich zu nutzen. Christof Vetter ist Pfarrer und Journalist. Seit fünf Jahren ist er als Leiter der Pressestelle der Evangelischen Kirche in Deutschland auch für ihren Internetauftritt zuständig.
"Es gab so Ende der 90er Jahre, Anfang dieses Jahrhunderts eine Begeisterung in den Gemeinden, eigene Internetprojekte aufzustellen. Es gab von den Profis, auch von mir, auch von den Internetverantwortlichen in anderen Landeskirchen, Warnungen an die Kirchengemeinde, die sagten: Übernehmt euch da nicht."
Doch der Enthusiasmus der Basis angesichts der Darstellungs- und Vernetzungsmöglichkeiten war nicht zu bremsen. Viele der frühen christlichen Internetauftritte wurden von engagierten Einzelpersonen, die häufig ehrenamtlich tätig waren, im Alleingang aufgebaut. Dieser ersten Aufbruchstimmung folgte allerdings bald die Ernüchterung.
"Das war vielleicht ein früher Irrtum, dass man meinte: Internet ist billig. Nicht nur, dass der Kanal selbst wenig kostet, auch das, was man reinstellt, ist billig. Und das sah man dann auch sehr häufig in Form dieser selbst gebastelten Internetseiten, die so den Charme des Do-It-Yourself hatten. Und als man erkannte, dass man damit nicht den Blumentopf gewinnt und man sah, dass professionelle Agenturen zwar gute Arbeit liefern, aber dafür Geld sehen wollen, dann dämpfte sich die Euphorie etwas."
Bernd-Michael Haese ist Pastor, Bildungsreferent in der nordelbischen Kirche und seit Langem an der Theologischen Fakultät der Universität Kiel tätig. 2006 publizierte er seine Dissertation zum Thema "Kirche im virtuellen Zeitalter des Internet", in der er weitere Faktoren für diesen schlechten Start nennt. So sei zum Beispiel die Annahme der Angebote hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Darüber hinaus attestiert er den damaligen Kirchenoberen latente Zweifel, ob das Medium Internet kirchentypische Kommunikation überhaupt unterstützen könne.
"In der Frühzeit der kirchlichen Internetseiten mussten wir schon kirchliche Würdenträger mal drauf hinweisen, dass das Internet nicht unbedingt attraktiv ist dadurch, dass Hirtenworte veröffentlicht werden, sondern dadurch, dass die Schäfchen auf die Hirten reagieren können. Also das Mindeste etwa ein E-Mail-Link etwa für eine Rückmeldung unter einem Hirtenwort."
In den Jahren nach dem Millenniumswechsel setzte eine Bündlung christlicher Angebote durch den Aufbau von offiziellen Seiten ein. Im Informationsdschungel des Internet sollten so übergeordnete und damit vertrauenswürdige Institutionen geschaffen werden. Zudem erhoffte man sich, auf diese Weise dem immer wieder auftauchenden Schindluder Einhalt zu gebieten, der im Namen der Kirche getrieben wurde. Es entstanden die großen Internetauftritte der beiden Volkskirchen.
"www.ekd.de ist das Portal für alle evangelischen Informationen im Netz. Regelmäßige Pressemitteilungen, Nachrichten und Hintergrundberichte ermöglichen einen umfassenden Einblick in die evangelische Landschaft und die Ökumene."
Die Katholiken haben eine zweigeteilte Präsenz: dbk.deist das offizielle Sprachrohr der deutschen Bischofskonferenz. Auf katholisch.degeht es um das katholische Leben in Deutschland allgemein. Aktuelle Nachrichten, aber auch kleine Themen aus den Diözesen oder Aktionen der Hilfswerke werden hier präsentiert. Redaktionell betreut wird die Seite von Gunda Ostermann. Vor dem letzten Relaunch im Oktober 2007 stand wieder einmal die Frage der Anschlussfähigkeit im Raum.
"Und da wollen wir sehr viel stärker auf diese Bedürfnisse von kirchendistanzierten Menschen eingehen, das heißt, wir wollen versuchen, nochmal viel einfacher zu schreiben, und das Ganze auch sehr viel multimedialer zu gestalten. Man darf ja nicht davon ausgehen, dass alle Leute unbedingt die Zeitungsleser sind, sondern sehr viele Leute sind doch eher eigentlich gewohnt, sich übers Fernsehen zu informieren, und dementsprechend wollen wir also auch stärker mit Bild und Ton arbeiten."
Das Internet ist ein niedrigschwelliges Medium. Menschen, die den Kontakt zu ihrem Glauben verloren haben, können hier relativ anonym "vorfühlen". ekd.de und katholisch.de fungieren als Verlinkungsmaschinen ins protestantische beziehungsweise katholische Deutschland. Und hier melden sich alle, von Menschen, die Fragen zum Gebetsritus haben, über Personen, die aus der Kirche austreten wollen, bis zu Journalisten, die Anfragen zu kirchlichen Themen stellen. Darüber hinaus gibt es auf katholisch.de ein großes multimediales Angebot, zum Beispiel kurze Filme, in denen sich Prominente zu Glaubensfragen äußern.
Hape Kerkeling: "Der Glaube spielt in meinem Leben schon eine fundamentale Rolle. Er gibt Sinn."
Harald Schmidt: "Antiklerikal zu sein ist provinziell. Und das finde ich eine tolle Formulierung, weil deswegen bin ich auch noch katholisch."
Gentleman: "So’n, so’n Psalm, aus’m Psalm ’n Song zu machen is’ irgendwie was Gutes."
Auffällig ist, dass im Gegensatz zur EKD die katholische Kirche in ihrer Internetrepräsentation wesentlich breiter aufgestellt ist. Dies könnte nicht zuletzt an der Medienwirksamkeit ihres Oberhauptes und den befürwortenden Stellungnahmen des Vatikan liegen. Papst Benedikt XVI.:
"Das Wesentliche ist ein neuer Mut, dass das Christentum auch in der Modernität seine Funktion hat…"
Der Theologe und Medienpädagoge Karsten J. Henning ist seit 18 Jahren bei der Deutschen Bischofskonferenz in der Medienarbeit tätig. Er ist Geschäftsführer des katholischen Medienpreises und betreut katholisch.de.
"Internet und diese digitalen Medien machen die Hemmschwellen geringer. Sie machen es mir einfach leichter, in Kontakt zu kommen. Ich muss nicht sofort hier ins Pfarrhaus rennen, sondern ich kann tatsächlich über Internet erstmal beispielsweise mit der Redaktion von katholisch.de Kontakt aufnehmen und da über E-Mail sehr unverbindlich Anfragen stellen. Ich glaube, das hat einen Riesenwert."
Und die Besucherzahlen der großen Seiten nehmen zu, wie Christof Vetter betont. Seit 2001 verzeichnete er einen stetigen Zuwachs an Aufrufen von ekd.de. Im Juni 2007 wurde erstmals die Millionengrenze überschritten.
"Wir haben dann an der Zahl gezweifelt, weil wir gesagt haben OK, das hat sich ausgelöst durch den im Juni stattfindenden deutschen evangelischen Kirchentag, da war das Interesse höher. Diese Zahl von eine Millionen hat sich im Juni, im Juli und selbst im August bestätigt, und von daher haben wir ein Gefühl, wir haben diese eine Million jetzt sicher überschritten und gehen jetzt die nächsten Ziele an: Noch mehr Mitarbeiter, noch mehr Menschen, noch mehr Internetinteressierte und noch mehr Kirchenferne anzusprechen."
Gunda Ostermann: "Es gibt aber auch ein spirituelles Angebot bei uns, was auch ganz, ganz stark genutzt wird und vor allen Dingen auch von Usern, wo man es auf den ersten Blick vielleicht gar nicht vermuten würde. Also da bekommt man dann E-Mails, wo man ein Dankeschön bekommt dafür, dass man jeden Tag so einen biblischen Impuls den Leuten bietet und das sind dann E-Mails von Leuten, die durchaus auch bei Porsche oder sonst irgendwo in der Wirtschaft arbeiten und eben diesen Impuls zu schätzen wissen."
Karsten J. Henning: "Es gibt so einen kleinen Renner, das ist das Kalenderblatt, wo ganz schlicht ein kurzer Evangeliumstext aufgeführt wird, ein ganz einfaches Gebet und ein Bild, und wir wissen, dass das eine Sache ist, die von vielen Menschen, auch nicht christlichen oder kirchlich gebundenen, genutzt wird. Also die Sehnsucht nach Spiritualität spielt anscheinend doch ’ne Rolle."
Die von Karsten J. Henning erwähnten spirituellen Angebote auf niedrigster Schwelle zeigen, dass die Angebote der Kirche nach wie vor gefragt sind. Vielen der sogenannten "Kirchendistanzierten" bieten sie eine private, eine anonyme Möglichkeit, sich wieder auf kirchliche Inhalte zuzubewegen.
Darüber hinaus tragen Angebote wie virtuelle Andachtsräume, Bibelzitate als SMS oder Gottesdienste in Podcast-Form der veränderten Lebensrealität in einer mobilen, vernetzten Welt Rechnung.
"Unter den Adressen wap.ekd.de sowie pda.ekd.de kann das Online-Angebot der EKD auch mit mobilen Endgeräten abgerufen werden."
Die Annahme dieser Angebote zeigt sich in einem Gästebucheintrag auf den interaktiven Seiten der evangelischen Kirche in Frankfurt: "In der Mittagspause im Andachtsraum aufgetankt. Fit für den Rest des Tages. Wünsche einen schönen Tag!" Gunda Ostermann:
"Religion kann im Internet insofern privater werden, wenn ich mir zum Beispiel on demand im Internet einen Gottesdienst anschauen kann. Das gibt’s ja durchaus Kirchengemeinden katholischer und evangelischer Couleur, die so was anbieten. Das heißt, ich kann diesen Gottesdienst dann zu dem Zeitpunkt, wo es mir gerade passt, anschauen, das ist natürlich eine Form von Privatheit, da habe ich dann irgendwo meinen eigenen privaten Gottesdienst."
Das Interesse an kirchlichen Angeboten im Internet ist heute unbestreitbar vorhanden. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit Kirche im Internet abbildbar ist. Versuche, kirchliches Leben ins Netz zu transferieren, werden häufig als "Cyberchurch" bezeichnet. Michael Haese:
"Es geht immer darum, dass ‚cyber’ ja die englische Kurzform ist, die auf das Wort ‚Kybernetik’ hinweist, also es bezeichnet immer eine Sache, die dadurch erzeugt wird oder hervorgebracht wird, dass ein elektronischer Regel- und Steuermechanismus - heute würde man sagen PC, Computer oder ähnliches - dahinter steckt. Und Cyberchurch heißt, es ist kirchliches Leben, was stattfindet dadurch, dass Rechner miteinander kommunizieren, miteinander vernetzt sind."
"Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen." Die Frage, ob das Wort aus Matthäus 18,20 auch für das Internet gilt, wird von Kritikern wie Befürwortern eindeutig positiv beantwortet:
Bernd-Michael Haese: "Ich würde diese Frage unbedingt bejahen, denn ich sehe keine Gründe, warum eine virtuelle Gemeinschaft, sofern sie nicht die ausschließliche Form von Gemeinschaft ist, nicht sehr wohl Gemeinschaft sein sollte. Nebenbei gesagt: Theologisch wäre es sogar fatal, wenn wir das verneinen würden. Denn wir müssten ja zugestehen, dass, wenn wir das ernstnehmen, das Wort, der heilige Geist in der Lage ist, alle möglichen Formen von Anwesenheit Christi zu ermöglichen - warum nicht auch in virtuellen Gemeinschaften?"
Christof Vetter: "Wir können nicht verfügen darüber, wo Gottes Geist unter uns ist. Es gibt eine andere Bibelstelle, die wunderschön ist, die heißt: ‚Gottes Geist weht wo und wann er will’."
Karsten J. Henning: "Wieso soll nicht in einem engagierten Chat, wo ein paar Leute ernsthaft an einem Thema sind, wieso soll da einfach nicht auch religiöse Erfahrung passieren?"
Die Formulierung "religöse Erfahrung" deutet es bereits an: Die Gesamtheit kirchlichen Lebens lässt sich nicht ins Netz transferieren. Einige Elemente sind ausschließlich durch die leibliche Anwesenheit erlebbar.
Karsten J. Henning: "Christentum ist ja eine sehr personale Religion, die drauf basiert, dass Menschen einander begegnen. Medien können diese Erfahrung, diese Spiritualität nicht ersetzen. Aber sie können natürlich Dienste leisten. Es kann eine Fülle von Angeboten geben, die darauf hinführen."
Christof Vetter: "Wir reformatorischen Kirchen sind davon überzeugt, dass eine Kirche sich auszeichnet durch zwei Zeichen, durch die so genannten Notae ecclesiae. Das eine ist die rechte Verkündigung des Evangeliums, das ist im Internet ohne Frage möglich, dafür gibt es auch im Internet eigene Formen. Und das andere ist das rechte Reichen der Sakramente. Dies ist im Internet nicht möglich, weil es diese Möglichkeit des Taufens und des Abendmahls im Internet nicht gibt. Und deswegen spreche ich nicht von einer Kirche im Internet."
Auch wenn in Online-Rollenspielen, wie zum Beispiel Second Life, bereits Eheschließungen und Taufen vollzogen werden, so war daran bislang nach dem Wissen der Befragten kein Geistlicher beteiligt.
Die interaktiven Angebote der Kirchen bleiben aber hinter den Wünschen der User zurück. Die Vorstöße, christliche Gemeinschaft interaktiv zu initiieren und abzubilden, fanden daher bislang außerhalb der großen Webpräsenzen der Kirche statt. Im angloamerikanischen Sprachraum sind bereits einige Experimente mit überraschendem Erfolg gelaufen. In Deutschland gab es da bislang wenige Aktivitäten. Mit einer großen Ausnahme.
"Die Vermutung liegt natürlich, wenn sie sich in einem Spaßumfeld aufhalten, nahe, dass es bei der Kirche auch eine relativ spaßige Angelegenheit ist. Und in der Tat, es kommen ein, zwei Mails pro Monat ungefähr: ‚Erst habe ich gedacht, das ist auch ein Teil des interaktiven Spaßangebotes und dann war ich im Pfarrhaus und habe gesehen: Oh, da sind ja echte Seelsorger. Und ich wollte einfach noch mal wissen: Ist das jetzt tatsächlich echt oder täusche ich mich?’"
Norbert Lübke ist leitender Referent im Fachbereich Jugendpastoral und Internetseelsorgebeauftragter des Bistums Hildesheim.
"Und dann kriegen sie eine Antwort innerhalb von ein, zwei Tagen spätestens: ‚Ja, wir sind echte Menschen auch im normalen Leben und können auch ein bisschen mit dem Computer umgehen.’"
Zudem ist er einer der ehrenamtlichen Seelsorger, die die Internetkirche St. Bonifatius auf dem Portal funcity.debetreuen.
"Da entwickelte sich eine Stadt mit Rathaus, mit Infobörsen, mit Mühlespielen und anderen Beschäftigungen. Und so nach einem knappen Jahr fiel sowohl den Betreibern als auch den Besuchern dieser Internetstadt funcity auf: Da fehlt noch was, und zwar eine Kirche. Und dann sind wir über einige Umwege gefragt worden: Habt ihr Lust, könnt ihr euch das vorstellen, da präsent zu sein?"
Funcity.de entstand 1997 als Joint Venture einer privaten Rundfunkanstalt in Niedersachsen und einer Internetfirma. Auf der Homepage sieht man ein buntes Großstadtpanorama mit Banken, Kinos, Casinos, einem Chat-Café und vielem mehr. In der Einkaufspassage wird man durch Anklicken der Läden auf die Seiten von Tchibo, Obi oder Rossmann verlinkt. Funcity erinnert auf den ersten Blick an eine abgespeckte Version von Second Life.
Seit 1998 steht mitten in diesem bunten Treiben eine kleine Kirche mit grün oxidiertem Dach. Klickt man darauf, eröffnet sich der Vorraum zur Kirche mit dem Namen St. Bonifatius. Hier gibt es ein Gästebuch, die Möglichkeit, Fürbitten zu hinterlassen sowie von den Usern eingestellte Worte zum Nachdenken. Einmal pro Woche erscheint ein Gemeindebrief.
"Also allein der Gemeindebrief hat eine Erstauflage von knapp 1000. Aber die Leute, die so regelmäßig vorbei kommen in den Chats und wenn man die alle so zusammenzählt und die Gemeindeuser draußen lässt, sind es so 300, 400 ungefähr."
Eine Tür führt ins Pfarrhaus, wo sich die Seelsorger mit einer kurzen Beschreibung und einem Bild präsentieren - "damit man sieht, mit wem man es zu tun hat", wie Lübke sagt. Die Arbeit in St. Bonifatius läuft für alle ehrenamtlich neben ihrem eigentlichen Beruf. Den Webspace stellt der Betreiber kostenlos zur Verfügung.
Der anfänglich mit der Leitung der Internetkirche betraute Geistliche bemerkte schnell: Alleine konnte er den Ansturm von Anfragen und die sich ergebenden Aufgaben nicht bewältigen. So bildete sich ein Team, das momentan 21 Seelsorger, Priester, Pädagogen und inzwischen auch zwei Ordensfrauen umfasst.
Lübke schreibt den Gemeindebrief und co-moderiert den Chat, den er als "Kernstück des Angebots von St. Bonifatius" bezeichnet. Dieser findet jeweils dienstags und donnerstags von 21 bis 23 Uhr statt. Moderiert wird er von wechselnden Mitgliedern des Teams. Die auf Wunsch der User vorgegebenen Themen reichen von Tod, Sterben oder Schuld bis zu allgemeinen kirchlichen Fragen und Privatem. Um die 30 Menschen versammeln sich regelmäßig im Chat. Dieser erhielt über die Jahre so etwas wie ein liturgisches Gerüst:
"Es gibt die Einladung, seine Gedanken zu sortieren, Fürbitte zu halten, in dem die einzelnen Chatter ihre Anliegen, sehr persönliche auch dann, in den Chat hineintippen. Es wird dann das Vater Unser gebetet, in dem der Seelsorger oder einer von den beiden Zeile für Zeile das eintippt und die anderen, die im Chat sind, das Zeile für Zeile nachtippen. Und es endet dann mit einem Segen und einem allgemeinen Verabschiedungsritual, kann man sagen, wo wir sagen "Ich geh jetzt und wünsch euch noch einen schönen Tag" und so."
Ein ähnliches Gerüst liegt auch dem Online-Gottesdienst zugrunde. Zwei Jahre lang überlegte man und ließ sich liturgiewissenschaftlich beraten, bevor man den Wortgottesdienst erstmals an den Start brachte. Auf eine Begrüßung folgt ein altkirchlicher Hymnus, die Einladung auf die Woche zurückzublicken und ein Gebet. Dann wird das Evangelium des Sonntags in den Chat eingetippt, in einem Predigtgespräch wird der Text kommentiert. Mit Fürbitten, dem Vater Unser und dem Segen klingt der Gottesdienst aus.
Neben dem Chat und dem Onlinegottesdienst gibt es weitere Angebote, zum Beispiel die "Exerzitien im Alltag". Will man an diesem auf Ignatius von Loyola zurückgehenden geistigen Einübungsweg teilnehmen, muss man sich auf einer Mailingliste eintragen. Einen Monat lang bekommt man dann täglich eine E-Mail.
""Freitag, 13. Januar: Gottes Wort für mich: Apostelgeschichte 17,28: ‚Denn in Christus leben wir, bewegen wir uns und sind wir… Wir sind von seiner Art.’ Was kann das in meinem Alltag bedeuten? Ich lasse diese Worte in der Stille auf mich wirken… Bewegung nach innen. Gestärkt setze ich meinen Alltag fort - Bewegung nach außen.""
Norbert Lübke: "Unsere Erfahrung ist an der Stelle, dass es dann auch keine Einwegkommunikation ist, sondern sich eine ganze Reihe von Lesern dieser Impulse dann per Mail zurückmelden und dann noch mal Fragen haben, wie das mit ihrem persönlichen Leben aussieht, wie sie das übertragen können in ihre alltägliche Situation."
Für die Teilnehmer der Exerzitien im Alltag gibt es deshalb einmal pro Woche einen extra Chat, in dem sie sich austauschen können. Von Anfang an gab es in St. Bonifatius eine starke Wechselbeziehung zwischen dem "virtuellen" Angebot und dem "realen Leben" der User und Seelsorger.
"Der erste Kaplan, der da drin war, Stefan Lampe, erzählte mir mal, dass so vier Wochen nach dem Start der funcity-Kirche ihm aufgefallen sei, dass ein Mann hinten an der Säule im sonntäglichen Gottesdienst stand. Nach dem Gottesdienst ist er dann von diesem angesprochen worden und der hat ihm dann gesagt: Ich wollt’ nur mal gucken, ob du im echten Leben auch so bist wie da im Chat."
Der überwiegende Teil der in St. Bonifatius Aktiven ist katholisch. Die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer der beiden Volkskirchen spielt für die User kaum eine Rolle, sagt Lübke. Es scheint, als ob das Internet auch die Grenzen zwischen den Konfessionen immer mehr aufweiche.
Gunda Ostermann: "Wir arbeiten mit der Internetredaktion der evangelischen Kirche in Deutschland zusammen und betreiben auch ein gemeinsames Gottesdienstportal zu den Weihnachts- und Osterfesttagen. Also in dem Sinne fördert das natürlich schon die Ökumene, weil man sieht, dass man eben gut auch Dinge gemeinsam betrieben kann."
Christof Vetter: "Jeder Versuch im Internet kostet Geld, wenn wir was Neues ausprobieren, müssen wir investieren, müssen wir neue Technik anschaffen, und so kann es durchaus sein, dass wir sagen: OK, die katholische Kirche probiert jetzt dies oder das aus und wir warten mal ab, zu welchen Ergebnissen die kommen. Dieser Austausch ist im Internet wichtiger als etwa im Buchdruck, weil wir einfach damit Kosten vermeiden können."
Norbert Lübke: "Wir sind einfach erstmal da. Und man kann uns angucken, man kann uns besuchen, man muss es aber nicht. Und wir rennen auch hinter keinem her mit irgendwelchen Handzetteln und sagen: Ihr müsst jetzt aber unbedingt zum Onlinegottesdienst kommen, sonst kommt ihr nicht vernünftig in die nächste Woche."
Gerade in den interaktiven Angeboten wie Fürbitten, Gästebuch und Chat erweist sich die Kirche allerdings als besonders verletzlich, da sie hier einer radikalen Öffentlichkeit ausgesetzt ist. Die Message-Boards von St. Bonifatius werden mehrmals am Tag kontrolliert. Von Rechtsradikalen bis zu Satanisten - alles hat Lübke schon erlebt. Störer gibt es gerade in den interaktiven Angeboten der Kirche zuhauf, wie Bernd-Michael Haese aus seinen Erfahrungen mit einer britischen Online-Kirche bestätigen kann.
"Leute haben einfach ein unbändiges Vergnügen daran gehabt, in dieser virtuellen Kirche jetzt all das an Unsinn machen zu dürfen, was sie sich in einer echten Kirche nicht trauen würden."
Da müsse man einfach Geduld haben und es nicht persönlich nehmen, meint Norbert Lübke. Für ihn ist wichtig, dass Kirche dort hingeht, wo sie gebraucht wird, statt dass Menschen an verschlossene Kirchentüren klopfen. Auf der anderen Seite ist es eben diese durch Anonymität im Internet verursachte "mediale Enthemmung", die es Kirchenfernen möglich macht, alles das zu fragen, was sie sich sonst nicht trauen würden.
Die Kommunikationswege des Internet sind aber nicht nur anonym, sie sind auch gleichberechtigt und multidirektional, wie Bernd-Michael Haese betont:
"Es wäre grundsätzlich möglich, dass in einem kirchlichen Forum ein Jugendlicher mit dem Bischof chattet. Ohne dass er das vielleicht merkt oder ohne dass er das vielleicht weiß. Ob das sinnvoll ist, dass der Bischof sich tarnt, das ist eine zweite Frage. Grundsätzlich ist das Internet vermutlich die einfachste Möglichkeit, diesen direkten Kommunikationsweg herzustellen."
Das Internet ist also hervorragend geeignet, hierarchische Strukturen abzubauen und Kirche wieder stärker in Kontakt mit ihrer Basis zu bringen. Durch Rückmeldungen könnten Kirche und Glauben zudem stärker userbestimmt werden - zum Beispiel, wenn man seine eigenen Fürbitten in einen Online-Gottesdienst einbringen kann.
In Analogie zu den sozialen Netzwerken, die vor einiger Zeit unter dem Schlagwort "Web 2.0" durch die Medien geisterten, könnte also auch eine "Kirche 2.0" entstehen. Gotteshäuser wären nicht mehr Orte pastoraler Monologe und einseitiger "Verkündigung". Jeder könnte seine Beziehung zur Kirche selbst bestimmen. Und damit auch, wie viel Nähe er oder sie als Nächster braucht. Bernd-Michael Haese:
"Die etwas kleinere Nähe im Internet bietet eben andere Chancen als die Face-to-face-Kommunikation in einem wirklichen Gottesdienst und einer wirklichen Gemeinde. Ich halte das für eine sehr gute Kombination. Es gibt bestimmte Dinge, die lassen sich da gut in Internetkommunikation überführen. Und es gibt vielleicht bestimmte andere Dinge, die lassen sich nicht überführen und da wäre es auch unsinnig, wenn wir das versuchen würden."
Im Zeitalter der globalen Vernetzung kann dieser Nächste dann auch tausende Kilometer entfernt sein, wie Norbert Lübke aus eigener Erfahrung weiß:
"Also, wenn ich da an eine denke, die viele Jahre lang auch in unserer Internetkirche war, die jetzt geheiratet und mit Kind in New York lebt und nach wie vor den Gemeindebrief kriegt und wir in gutem Mailkontakt sind, ich fantastische Sichten von Lower Manhattan zugeschickt kriege und so weiter, dann merkt man: Diese Vorstellung eines geografischen eingeschränkten Angebots, wo ich sagen kann: Da dürfen die dran teilnehmen oder weil sie eben in einem anderen Bistum wohnen dürfen, sie nicht, das ist natürlich vollkommen widersinnig, das im Internet überhaupt zu versuchen."
Die Interaktivität kirchlicher Internetangebote spielt also eine zentrale Rolle, die im Laufe der nächsten Jahre sicher noch zunehmen wird. Bei der relativen Leere kirchlicher Kassen gestaltet sich die Bereitstellung solcher Dienste allerdings schwierig.
Werden interaktive Optionen nicht intensiv betreut, ist die Gefahr der Störungen groß. Immer wieder begegnet man im Internet kirchennahen Seiten, die Kirchengegner mit konterkarierenden Inhalten versehen haben - von Beschimpfungen bis zu Verlinkungen mit Seiten pornographischen Inhalts.
Interaktive spirituelle Angebote von so genannten "Internetkirchen" können eine große Bereicherung für den gelebten Glauben im Alltag sein. Ein Ersatz für Kirche im so genannten "Real Life" sind sie nicht. Das lässt sich nicht zuletzt daran festmachen, dass es unmöglich ist, die Sakramente via Telefonleitung zu spenden. Man sollte von kirchlicher Seite aber das Wort "virtuell" nicht zu sehr als "fiktiv" deuten, sondern den "virtuellen Raum" als einen "Vermöglichungsraum" sehen. Hier können sich spirituelle Potentiale entfalten, die sonst brachliegen. Virtualität ist eben nicht das Gegenstück zur Realität des menschlichen Lebens. Für Norbert Lübke ist diese Unterscheidung ohnehin längst veraltet.
"Das ist die Frage, die dahinter steht, immer zwischen virtuellem und realem Leben zu unterscheiden. Das fällt mir zunehmend schwerer. Im Augenblick sprechen wir über eine ISDN-Leitung. Ist das virtuelle Kommunikation? Oder wie ist das mit Radiogottesdiensten oder mit Fernsehgottesdiensten? Ich glaub, dass wir in der Technologie jetzt einfach eine Nummer weiter sind. Und Leute, die früher kein Telefon hatten, mussten sich gegenseitig besuchen - heute greift man zum Hörer und man spricht ja auch da nicht davon, dass es eine virtuelle Kommunikation sei, nur weil man sich eines technischen Hilfsmittels bedient."
Aus dem Internet verbannen lässt christliche Spiritualität sich nicht. Kommunikation unter körperlich anwesenden Menschen ist zwar das Urbild von Kirche, aber nicht das einzig gültige Paradigma. Mit anderen Worten:
""Gottes Geist weht wo und wann er will","
so Christof Vetter.
Im neuen Jahrtausend schickt sich das Internet an, das Fernsehen als Leitmedium abzulösen - gerade bei der jungen Generation. Mittlerweile sind über 60 Prozent aller Menschen in diesem Land online. In der Altersgruppe zwischen 14 und 19 Jahren liegt dieser Anteil bereits bei 97 Prozent. Gunda Ostermann von "katholisch.de":
"Die christliche Religion ist schon immer eine gewesen, die sich quasi der aktuellen Medien bedient hat."
Die Geschichte des Christentums ist eng mit der Entwicklungsgeschichte der Medien verbunden. Betrachtet man die Rolle, die die Briefe des Paulus oder später der Buchdruck für die Verbreitung des christlichen Glaubens gespielt haben, erscheint der Sprung ins Internet für die beiden hiesigen Volkskirchen lediglich als logische Konsequenz. Theologe und Medienpädagoge Karsten J. Henning:
"Wenn die Kirche nicht mehr in ihrer Zeit lebt und in der Art und Weise, wie die Menschen leben, das wahrnimmt - das zweite Vatikanum sagt dazu "adjournamento" - dann haben wir ein Problem, dann erfüllen wir unseren Auftrag nicht."
Die Kirchen sind aber nicht nur von einer Medienaffinität geprägt, sondern auch von einer langen Tradition der Technologiekritik. Diese scheint angesichts der Geschwindigkeit, mit der neue Technologien heute entwickelt werden, notwendiger denn je. Sie führte aber auch dazu, dass die Kirchen sich erst lange mit den Chancen und Nachteilen neuer Medien auseinandersetzten, bevor sie begannen, diese für sich zu nutzen. Christof Vetter ist Pfarrer und Journalist. Seit fünf Jahren ist er als Leiter der Pressestelle der Evangelischen Kirche in Deutschland auch für ihren Internetauftritt zuständig.
"Es gab so Ende der 90er Jahre, Anfang dieses Jahrhunderts eine Begeisterung in den Gemeinden, eigene Internetprojekte aufzustellen. Es gab von den Profis, auch von mir, auch von den Internetverantwortlichen in anderen Landeskirchen, Warnungen an die Kirchengemeinde, die sagten: Übernehmt euch da nicht."
Doch der Enthusiasmus der Basis angesichts der Darstellungs- und Vernetzungsmöglichkeiten war nicht zu bremsen. Viele der frühen christlichen Internetauftritte wurden von engagierten Einzelpersonen, die häufig ehrenamtlich tätig waren, im Alleingang aufgebaut. Dieser ersten Aufbruchstimmung folgte allerdings bald die Ernüchterung.
"Das war vielleicht ein früher Irrtum, dass man meinte: Internet ist billig. Nicht nur, dass der Kanal selbst wenig kostet, auch das, was man reinstellt, ist billig. Und das sah man dann auch sehr häufig in Form dieser selbst gebastelten Internetseiten, die so den Charme des Do-It-Yourself hatten. Und als man erkannte, dass man damit nicht den Blumentopf gewinnt und man sah, dass professionelle Agenturen zwar gute Arbeit liefern, aber dafür Geld sehen wollen, dann dämpfte sich die Euphorie etwas."
Bernd-Michael Haese ist Pastor, Bildungsreferent in der nordelbischen Kirche und seit Langem an der Theologischen Fakultät der Universität Kiel tätig. 2006 publizierte er seine Dissertation zum Thema "Kirche im virtuellen Zeitalter des Internet", in der er weitere Faktoren für diesen schlechten Start nennt. So sei zum Beispiel die Annahme der Angebote hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Darüber hinaus attestiert er den damaligen Kirchenoberen latente Zweifel, ob das Medium Internet kirchentypische Kommunikation überhaupt unterstützen könne.
"In der Frühzeit der kirchlichen Internetseiten mussten wir schon kirchliche Würdenträger mal drauf hinweisen, dass das Internet nicht unbedingt attraktiv ist dadurch, dass Hirtenworte veröffentlicht werden, sondern dadurch, dass die Schäfchen auf die Hirten reagieren können. Also das Mindeste etwa ein E-Mail-Link etwa für eine Rückmeldung unter einem Hirtenwort."
In den Jahren nach dem Millenniumswechsel setzte eine Bündlung christlicher Angebote durch den Aufbau von offiziellen Seiten ein. Im Informationsdschungel des Internet sollten so übergeordnete und damit vertrauenswürdige Institutionen geschaffen werden. Zudem erhoffte man sich, auf diese Weise dem immer wieder auftauchenden Schindluder Einhalt zu gebieten, der im Namen der Kirche getrieben wurde. Es entstanden die großen Internetauftritte der beiden Volkskirchen.
"www.ekd.de ist das Portal für alle evangelischen Informationen im Netz. Regelmäßige Pressemitteilungen, Nachrichten und Hintergrundberichte ermöglichen einen umfassenden Einblick in die evangelische Landschaft und die Ökumene."
Die Katholiken haben eine zweigeteilte Präsenz: dbk.deist das offizielle Sprachrohr der deutschen Bischofskonferenz. Auf katholisch.degeht es um das katholische Leben in Deutschland allgemein. Aktuelle Nachrichten, aber auch kleine Themen aus den Diözesen oder Aktionen der Hilfswerke werden hier präsentiert. Redaktionell betreut wird die Seite von Gunda Ostermann. Vor dem letzten Relaunch im Oktober 2007 stand wieder einmal die Frage der Anschlussfähigkeit im Raum.
"Und da wollen wir sehr viel stärker auf diese Bedürfnisse von kirchendistanzierten Menschen eingehen, das heißt, wir wollen versuchen, nochmal viel einfacher zu schreiben, und das Ganze auch sehr viel multimedialer zu gestalten. Man darf ja nicht davon ausgehen, dass alle Leute unbedingt die Zeitungsleser sind, sondern sehr viele Leute sind doch eher eigentlich gewohnt, sich übers Fernsehen zu informieren, und dementsprechend wollen wir also auch stärker mit Bild und Ton arbeiten."
Das Internet ist ein niedrigschwelliges Medium. Menschen, die den Kontakt zu ihrem Glauben verloren haben, können hier relativ anonym "vorfühlen". ekd.de und katholisch.de fungieren als Verlinkungsmaschinen ins protestantische beziehungsweise katholische Deutschland. Und hier melden sich alle, von Menschen, die Fragen zum Gebetsritus haben, über Personen, die aus der Kirche austreten wollen, bis zu Journalisten, die Anfragen zu kirchlichen Themen stellen. Darüber hinaus gibt es auf katholisch.de ein großes multimediales Angebot, zum Beispiel kurze Filme, in denen sich Prominente zu Glaubensfragen äußern.
Hape Kerkeling: "Der Glaube spielt in meinem Leben schon eine fundamentale Rolle. Er gibt Sinn."
Harald Schmidt: "Antiklerikal zu sein ist provinziell. Und das finde ich eine tolle Formulierung, weil deswegen bin ich auch noch katholisch."
Gentleman: "So’n, so’n Psalm, aus’m Psalm ’n Song zu machen is’ irgendwie was Gutes."
Auffällig ist, dass im Gegensatz zur EKD die katholische Kirche in ihrer Internetrepräsentation wesentlich breiter aufgestellt ist. Dies könnte nicht zuletzt an der Medienwirksamkeit ihres Oberhauptes und den befürwortenden Stellungnahmen des Vatikan liegen. Papst Benedikt XVI.:
"Das Wesentliche ist ein neuer Mut, dass das Christentum auch in der Modernität seine Funktion hat…"
Der Theologe und Medienpädagoge Karsten J. Henning ist seit 18 Jahren bei der Deutschen Bischofskonferenz in der Medienarbeit tätig. Er ist Geschäftsführer des katholischen Medienpreises und betreut katholisch.de.
"Internet und diese digitalen Medien machen die Hemmschwellen geringer. Sie machen es mir einfach leichter, in Kontakt zu kommen. Ich muss nicht sofort hier ins Pfarrhaus rennen, sondern ich kann tatsächlich über Internet erstmal beispielsweise mit der Redaktion von katholisch.de Kontakt aufnehmen und da über E-Mail sehr unverbindlich Anfragen stellen. Ich glaube, das hat einen Riesenwert."
Und die Besucherzahlen der großen Seiten nehmen zu, wie Christof Vetter betont. Seit 2001 verzeichnete er einen stetigen Zuwachs an Aufrufen von ekd.de. Im Juni 2007 wurde erstmals die Millionengrenze überschritten.
"Wir haben dann an der Zahl gezweifelt, weil wir gesagt haben OK, das hat sich ausgelöst durch den im Juni stattfindenden deutschen evangelischen Kirchentag, da war das Interesse höher. Diese Zahl von eine Millionen hat sich im Juni, im Juli und selbst im August bestätigt, und von daher haben wir ein Gefühl, wir haben diese eine Million jetzt sicher überschritten und gehen jetzt die nächsten Ziele an: Noch mehr Mitarbeiter, noch mehr Menschen, noch mehr Internetinteressierte und noch mehr Kirchenferne anzusprechen."
Gunda Ostermann: "Es gibt aber auch ein spirituelles Angebot bei uns, was auch ganz, ganz stark genutzt wird und vor allen Dingen auch von Usern, wo man es auf den ersten Blick vielleicht gar nicht vermuten würde. Also da bekommt man dann E-Mails, wo man ein Dankeschön bekommt dafür, dass man jeden Tag so einen biblischen Impuls den Leuten bietet und das sind dann E-Mails von Leuten, die durchaus auch bei Porsche oder sonst irgendwo in der Wirtschaft arbeiten und eben diesen Impuls zu schätzen wissen."
Karsten J. Henning: "Es gibt so einen kleinen Renner, das ist das Kalenderblatt, wo ganz schlicht ein kurzer Evangeliumstext aufgeführt wird, ein ganz einfaches Gebet und ein Bild, und wir wissen, dass das eine Sache ist, die von vielen Menschen, auch nicht christlichen oder kirchlich gebundenen, genutzt wird. Also die Sehnsucht nach Spiritualität spielt anscheinend doch ’ne Rolle."
Die von Karsten J. Henning erwähnten spirituellen Angebote auf niedrigster Schwelle zeigen, dass die Angebote der Kirche nach wie vor gefragt sind. Vielen der sogenannten "Kirchendistanzierten" bieten sie eine private, eine anonyme Möglichkeit, sich wieder auf kirchliche Inhalte zuzubewegen.
Darüber hinaus tragen Angebote wie virtuelle Andachtsräume, Bibelzitate als SMS oder Gottesdienste in Podcast-Form der veränderten Lebensrealität in einer mobilen, vernetzten Welt Rechnung.
"Unter den Adressen wap.ekd.de sowie pda.ekd.de kann das Online-Angebot der EKD auch mit mobilen Endgeräten abgerufen werden."
Die Annahme dieser Angebote zeigt sich in einem Gästebucheintrag auf den interaktiven Seiten der evangelischen Kirche in Frankfurt: "In der Mittagspause im Andachtsraum aufgetankt. Fit für den Rest des Tages. Wünsche einen schönen Tag!" Gunda Ostermann:
"Religion kann im Internet insofern privater werden, wenn ich mir zum Beispiel on demand im Internet einen Gottesdienst anschauen kann. Das gibt’s ja durchaus Kirchengemeinden katholischer und evangelischer Couleur, die so was anbieten. Das heißt, ich kann diesen Gottesdienst dann zu dem Zeitpunkt, wo es mir gerade passt, anschauen, das ist natürlich eine Form von Privatheit, da habe ich dann irgendwo meinen eigenen privaten Gottesdienst."
Das Interesse an kirchlichen Angeboten im Internet ist heute unbestreitbar vorhanden. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit Kirche im Internet abbildbar ist. Versuche, kirchliches Leben ins Netz zu transferieren, werden häufig als "Cyberchurch" bezeichnet. Michael Haese:
"Es geht immer darum, dass ‚cyber’ ja die englische Kurzform ist, die auf das Wort ‚Kybernetik’ hinweist, also es bezeichnet immer eine Sache, die dadurch erzeugt wird oder hervorgebracht wird, dass ein elektronischer Regel- und Steuermechanismus - heute würde man sagen PC, Computer oder ähnliches - dahinter steckt. Und Cyberchurch heißt, es ist kirchliches Leben, was stattfindet dadurch, dass Rechner miteinander kommunizieren, miteinander vernetzt sind."
"Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen." Die Frage, ob das Wort aus Matthäus 18,20 auch für das Internet gilt, wird von Kritikern wie Befürwortern eindeutig positiv beantwortet:
Bernd-Michael Haese: "Ich würde diese Frage unbedingt bejahen, denn ich sehe keine Gründe, warum eine virtuelle Gemeinschaft, sofern sie nicht die ausschließliche Form von Gemeinschaft ist, nicht sehr wohl Gemeinschaft sein sollte. Nebenbei gesagt: Theologisch wäre es sogar fatal, wenn wir das verneinen würden. Denn wir müssten ja zugestehen, dass, wenn wir das ernstnehmen, das Wort, der heilige Geist in der Lage ist, alle möglichen Formen von Anwesenheit Christi zu ermöglichen - warum nicht auch in virtuellen Gemeinschaften?"
Christof Vetter: "Wir können nicht verfügen darüber, wo Gottes Geist unter uns ist. Es gibt eine andere Bibelstelle, die wunderschön ist, die heißt: ‚Gottes Geist weht wo und wann er will’."
Karsten J. Henning: "Wieso soll nicht in einem engagierten Chat, wo ein paar Leute ernsthaft an einem Thema sind, wieso soll da einfach nicht auch religiöse Erfahrung passieren?"
Die Formulierung "religöse Erfahrung" deutet es bereits an: Die Gesamtheit kirchlichen Lebens lässt sich nicht ins Netz transferieren. Einige Elemente sind ausschließlich durch die leibliche Anwesenheit erlebbar.
Karsten J. Henning: "Christentum ist ja eine sehr personale Religion, die drauf basiert, dass Menschen einander begegnen. Medien können diese Erfahrung, diese Spiritualität nicht ersetzen. Aber sie können natürlich Dienste leisten. Es kann eine Fülle von Angeboten geben, die darauf hinführen."
Christof Vetter: "Wir reformatorischen Kirchen sind davon überzeugt, dass eine Kirche sich auszeichnet durch zwei Zeichen, durch die so genannten Notae ecclesiae. Das eine ist die rechte Verkündigung des Evangeliums, das ist im Internet ohne Frage möglich, dafür gibt es auch im Internet eigene Formen. Und das andere ist das rechte Reichen der Sakramente. Dies ist im Internet nicht möglich, weil es diese Möglichkeit des Taufens und des Abendmahls im Internet nicht gibt. Und deswegen spreche ich nicht von einer Kirche im Internet."
Auch wenn in Online-Rollenspielen, wie zum Beispiel Second Life, bereits Eheschließungen und Taufen vollzogen werden, so war daran bislang nach dem Wissen der Befragten kein Geistlicher beteiligt.
Die interaktiven Angebote der Kirchen bleiben aber hinter den Wünschen der User zurück. Die Vorstöße, christliche Gemeinschaft interaktiv zu initiieren und abzubilden, fanden daher bislang außerhalb der großen Webpräsenzen der Kirche statt. Im angloamerikanischen Sprachraum sind bereits einige Experimente mit überraschendem Erfolg gelaufen. In Deutschland gab es da bislang wenige Aktivitäten. Mit einer großen Ausnahme.
"Die Vermutung liegt natürlich, wenn sie sich in einem Spaßumfeld aufhalten, nahe, dass es bei der Kirche auch eine relativ spaßige Angelegenheit ist. Und in der Tat, es kommen ein, zwei Mails pro Monat ungefähr: ‚Erst habe ich gedacht, das ist auch ein Teil des interaktiven Spaßangebotes und dann war ich im Pfarrhaus und habe gesehen: Oh, da sind ja echte Seelsorger. Und ich wollte einfach noch mal wissen: Ist das jetzt tatsächlich echt oder täusche ich mich?’"
Norbert Lübke ist leitender Referent im Fachbereich Jugendpastoral und Internetseelsorgebeauftragter des Bistums Hildesheim.
"Und dann kriegen sie eine Antwort innerhalb von ein, zwei Tagen spätestens: ‚Ja, wir sind echte Menschen auch im normalen Leben und können auch ein bisschen mit dem Computer umgehen.’"
Zudem ist er einer der ehrenamtlichen Seelsorger, die die Internetkirche St. Bonifatius auf dem Portal funcity.debetreuen.
"Da entwickelte sich eine Stadt mit Rathaus, mit Infobörsen, mit Mühlespielen und anderen Beschäftigungen. Und so nach einem knappen Jahr fiel sowohl den Betreibern als auch den Besuchern dieser Internetstadt funcity auf: Da fehlt noch was, und zwar eine Kirche. Und dann sind wir über einige Umwege gefragt worden: Habt ihr Lust, könnt ihr euch das vorstellen, da präsent zu sein?"
Funcity.de entstand 1997 als Joint Venture einer privaten Rundfunkanstalt in Niedersachsen und einer Internetfirma. Auf der Homepage sieht man ein buntes Großstadtpanorama mit Banken, Kinos, Casinos, einem Chat-Café und vielem mehr. In der Einkaufspassage wird man durch Anklicken der Läden auf die Seiten von Tchibo, Obi oder Rossmann verlinkt. Funcity erinnert auf den ersten Blick an eine abgespeckte Version von Second Life.
Seit 1998 steht mitten in diesem bunten Treiben eine kleine Kirche mit grün oxidiertem Dach. Klickt man darauf, eröffnet sich der Vorraum zur Kirche mit dem Namen St. Bonifatius. Hier gibt es ein Gästebuch, die Möglichkeit, Fürbitten zu hinterlassen sowie von den Usern eingestellte Worte zum Nachdenken. Einmal pro Woche erscheint ein Gemeindebrief.
"Also allein der Gemeindebrief hat eine Erstauflage von knapp 1000. Aber die Leute, die so regelmäßig vorbei kommen in den Chats und wenn man die alle so zusammenzählt und die Gemeindeuser draußen lässt, sind es so 300, 400 ungefähr."
Eine Tür führt ins Pfarrhaus, wo sich die Seelsorger mit einer kurzen Beschreibung und einem Bild präsentieren - "damit man sieht, mit wem man es zu tun hat", wie Lübke sagt. Die Arbeit in St. Bonifatius läuft für alle ehrenamtlich neben ihrem eigentlichen Beruf. Den Webspace stellt der Betreiber kostenlos zur Verfügung.
Der anfänglich mit der Leitung der Internetkirche betraute Geistliche bemerkte schnell: Alleine konnte er den Ansturm von Anfragen und die sich ergebenden Aufgaben nicht bewältigen. So bildete sich ein Team, das momentan 21 Seelsorger, Priester, Pädagogen und inzwischen auch zwei Ordensfrauen umfasst.
Lübke schreibt den Gemeindebrief und co-moderiert den Chat, den er als "Kernstück des Angebots von St. Bonifatius" bezeichnet. Dieser findet jeweils dienstags und donnerstags von 21 bis 23 Uhr statt. Moderiert wird er von wechselnden Mitgliedern des Teams. Die auf Wunsch der User vorgegebenen Themen reichen von Tod, Sterben oder Schuld bis zu allgemeinen kirchlichen Fragen und Privatem. Um die 30 Menschen versammeln sich regelmäßig im Chat. Dieser erhielt über die Jahre so etwas wie ein liturgisches Gerüst:
"Es gibt die Einladung, seine Gedanken zu sortieren, Fürbitte zu halten, in dem die einzelnen Chatter ihre Anliegen, sehr persönliche auch dann, in den Chat hineintippen. Es wird dann das Vater Unser gebetet, in dem der Seelsorger oder einer von den beiden Zeile für Zeile das eintippt und die anderen, die im Chat sind, das Zeile für Zeile nachtippen. Und es endet dann mit einem Segen und einem allgemeinen Verabschiedungsritual, kann man sagen, wo wir sagen "Ich geh jetzt und wünsch euch noch einen schönen Tag" und so."
Ein ähnliches Gerüst liegt auch dem Online-Gottesdienst zugrunde. Zwei Jahre lang überlegte man und ließ sich liturgiewissenschaftlich beraten, bevor man den Wortgottesdienst erstmals an den Start brachte. Auf eine Begrüßung folgt ein altkirchlicher Hymnus, die Einladung auf die Woche zurückzublicken und ein Gebet. Dann wird das Evangelium des Sonntags in den Chat eingetippt, in einem Predigtgespräch wird der Text kommentiert. Mit Fürbitten, dem Vater Unser und dem Segen klingt der Gottesdienst aus.
Neben dem Chat und dem Onlinegottesdienst gibt es weitere Angebote, zum Beispiel die "Exerzitien im Alltag". Will man an diesem auf Ignatius von Loyola zurückgehenden geistigen Einübungsweg teilnehmen, muss man sich auf einer Mailingliste eintragen. Einen Monat lang bekommt man dann täglich eine E-Mail.
""Freitag, 13. Januar: Gottes Wort für mich: Apostelgeschichte 17,28: ‚Denn in Christus leben wir, bewegen wir uns und sind wir… Wir sind von seiner Art.’ Was kann das in meinem Alltag bedeuten? Ich lasse diese Worte in der Stille auf mich wirken… Bewegung nach innen. Gestärkt setze ich meinen Alltag fort - Bewegung nach außen.""
Norbert Lübke: "Unsere Erfahrung ist an der Stelle, dass es dann auch keine Einwegkommunikation ist, sondern sich eine ganze Reihe von Lesern dieser Impulse dann per Mail zurückmelden und dann noch mal Fragen haben, wie das mit ihrem persönlichen Leben aussieht, wie sie das übertragen können in ihre alltägliche Situation."
Für die Teilnehmer der Exerzitien im Alltag gibt es deshalb einmal pro Woche einen extra Chat, in dem sie sich austauschen können. Von Anfang an gab es in St. Bonifatius eine starke Wechselbeziehung zwischen dem "virtuellen" Angebot und dem "realen Leben" der User und Seelsorger.
"Der erste Kaplan, der da drin war, Stefan Lampe, erzählte mir mal, dass so vier Wochen nach dem Start der funcity-Kirche ihm aufgefallen sei, dass ein Mann hinten an der Säule im sonntäglichen Gottesdienst stand. Nach dem Gottesdienst ist er dann von diesem angesprochen worden und der hat ihm dann gesagt: Ich wollt’ nur mal gucken, ob du im echten Leben auch so bist wie da im Chat."
Der überwiegende Teil der in St. Bonifatius Aktiven ist katholisch. Die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer der beiden Volkskirchen spielt für die User kaum eine Rolle, sagt Lübke. Es scheint, als ob das Internet auch die Grenzen zwischen den Konfessionen immer mehr aufweiche.
Gunda Ostermann: "Wir arbeiten mit der Internetredaktion der evangelischen Kirche in Deutschland zusammen und betreiben auch ein gemeinsames Gottesdienstportal zu den Weihnachts- und Osterfesttagen. Also in dem Sinne fördert das natürlich schon die Ökumene, weil man sieht, dass man eben gut auch Dinge gemeinsam betrieben kann."
Christof Vetter: "Jeder Versuch im Internet kostet Geld, wenn wir was Neues ausprobieren, müssen wir investieren, müssen wir neue Technik anschaffen, und so kann es durchaus sein, dass wir sagen: OK, die katholische Kirche probiert jetzt dies oder das aus und wir warten mal ab, zu welchen Ergebnissen die kommen. Dieser Austausch ist im Internet wichtiger als etwa im Buchdruck, weil wir einfach damit Kosten vermeiden können."
Norbert Lübke: "Wir sind einfach erstmal da. Und man kann uns angucken, man kann uns besuchen, man muss es aber nicht. Und wir rennen auch hinter keinem her mit irgendwelchen Handzetteln und sagen: Ihr müsst jetzt aber unbedingt zum Onlinegottesdienst kommen, sonst kommt ihr nicht vernünftig in die nächste Woche."
Gerade in den interaktiven Angeboten wie Fürbitten, Gästebuch und Chat erweist sich die Kirche allerdings als besonders verletzlich, da sie hier einer radikalen Öffentlichkeit ausgesetzt ist. Die Message-Boards von St. Bonifatius werden mehrmals am Tag kontrolliert. Von Rechtsradikalen bis zu Satanisten - alles hat Lübke schon erlebt. Störer gibt es gerade in den interaktiven Angeboten der Kirche zuhauf, wie Bernd-Michael Haese aus seinen Erfahrungen mit einer britischen Online-Kirche bestätigen kann.
"Leute haben einfach ein unbändiges Vergnügen daran gehabt, in dieser virtuellen Kirche jetzt all das an Unsinn machen zu dürfen, was sie sich in einer echten Kirche nicht trauen würden."
Da müsse man einfach Geduld haben und es nicht persönlich nehmen, meint Norbert Lübke. Für ihn ist wichtig, dass Kirche dort hingeht, wo sie gebraucht wird, statt dass Menschen an verschlossene Kirchentüren klopfen. Auf der anderen Seite ist es eben diese durch Anonymität im Internet verursachte "mediale Enthemmung", die es Kirchenfernen möglich macht, alles das zu fragen, was sie sich sonst nicht trauen würden.
Die Kommunikationswege des Internet sind aber nicht nur anonym, sie sind auch gleichberechtigt und multidirektional, wie Bernd-Michael Haese betont:
"Es wäre grundsätzlich möglich, dass in einem kirchlichen Forum ein Jugendlicher mit dem Bischof chattet. Ohne dass er das vielleicht merkt oder ohne dass er das vielleicht weiß. Ob das sinnvoll ist, dass der Bischof sich tarnt, das ist eine zweite Frage. Grundsätzlich ist das Internet vermutlich die einfachste Möglichkeit, diesen direkten Kommunikationsweg herzustellen."
Das Internet ist also hervorragend geeignet, hierarchische Strukturen abzubauen und Kirche wieder stärker in Kontakt mit ihrer Basis zu bringen. Durch Rückmeldungen könnten Kirche und Glauben zudem stärker userbestimmt werden - zum Beispiel, wenn man seine eigenen Fürbitten in einen Online-Gottesdienst einbringen kann.
In Analogie zu den sozialen Netzwerken, die vor einiger Zeit unter dem Schlagwort "Web 2.0" durch die Medien geisterten, könnte also auch eine "Kirche 2.0" entstehen. Gotteshäuser wären nicht mehr Orte pastoraler Monologe und einseitiger "Verkündigung". Jeder könnte seine Beziehung zur Kirche selbst bestimmen. Und damit auch, wie viel Nähe er oder sie als Nächster braucht. Bernd-Michael Haese:
"Die etwas kleinere Nähe im Internet bietet eben andere Chancen als die Face-to-face-Kommunikation in einem wirklichen Gottesdienst und einer wirklichen Gemeinde. Ich halte das für eine sehr gute Kombination. Es gibt bestimmte Dinge, die lassen sich da gut in Internetkommunikation überführen. Und es gibt vielleicht bestimmte andere Dinge, die lassen sich nicht überführen und da wäre es auch unsinnig, wenn wir das versuchen würden."
Im Zeitalter der globalen Vernetzung kann dieser Nächste dann auch tausende Kilometer entfernt sein, wie Norbert Lübke aus eigener Erfahrung weiß:
"Also, wenn ich da an eine denke, die viele Jahre lang auch in unserer Internetkirche war, die jetzt geheiratet und mit Kind in New York lebt und nach wie vor den Gemeindebrief kriegt und wir in gutem Mailkontakt sind, ich fantastische Sichten von Lower Manhattan zugeschickt kriege und so weiter, dann merkt man: Diese Vorstellung eines geografischen eingeschränkten Angebots, wo ich sagen kann: Da dürfen die dran teilnehmen oder weil sie eben in einem anderen Bistum wohnen dürfen, sie nicht, das ist natürlich vollkommen widersinnig, das im Internet überhaupt zu versuchen."
Die Interaktivität kirchlicher Internetangebote spielt also eine zentrale Rolle, die im Laufe der nächsten Jahre sicher noch zunehmen wird. Bei der relativen Leere kirchlicher Kassen gestaltet sich die Bereitstellung solcher Dienste allerdings schwierig.
Werden interaktive Optionen nicht intensiv betreut, ist die Gefahr der Störungen groß. Immer wieder begegnet man im Internet kirchennahen Seiten, die Kirchengegner mit konterkarierenden Inhalten versehen haben - von Beschimpfungen bis zu Verlinkungen mit Seiten pornographischen Inhalts.
Interaktive spirituelle Angebote von so genannten "Internetkirchen" können eine große Bereicherung für den gelebten Glauben im Alltag sein. Ein Ersatz für Kirche im so genannten "Real Life" sind sie nicht. Das lässt sich nicht zuletzt daran festmachen, dass es unmöglich ist, die Sakramente via Telefonleitung zu spenden. Man sollte von kirchlicher Seite aber das Wort "virtuell" nicht zu sehr als "fiktiv" deuten, sondern den "virtuellen Raum" als einen "Vermöglichungsraum" sehen. Hier können sich spirituelle Potentiale entfalten, die sonst brachliegen. Virtualität ist eben nicht das Gegenstück zur Realität des menschlichen Lebens. Für Norbert Lübke ist diese Unterscheidung ohnehin längst veraltet.
"Das ist die Frage, die dahinter steht, immer zwischen virtuellem und realem Leben zu unterscheiden. Das fällt mir zunehmend schwerer. Im Augenblick sprechen wir über eine ISDN-Leitung. Ist das virtuelle Kommunikation? Oder wie ist das mit Radiogottesdiensten oder mit Fernsehgottesdiensten? Ich glaub, dass wir in der Technologie jetzt einfach eine Nummer weiter sind. Und Leute, die früher kein Telefon hatten, mussten sich gegenseitig besuchen - heute greift man zum Hörer und man spricht ja auch da nicht davon, dass es eine virtuelle Kommunikation sei, nur weil man sich eines technischen Hilfsmittels bedient."
Aus dem Internet verbannen lässt christliche Spiritualität sich nicht. Kommunikation unter körperlich anwesenden Menschen ist zwar das Urbild von Kirche, aber nicht das einzig gültige Paradigma. Mit anderen Worten:
""Gottes Geist weht wo und wann er will","
so Christof Vetter.